01.02.2021

Schmidt: „Das Pensum für Sequenzen des Selbststudiums hat sich deutlich erhöht“

PUBLICUS-Umfrage zur Lehre in der Pandemie – Folge 8

Schmidt: „Das Pensum für Sequenzen des Selbststudiums hat sich deutlich erhöht“

PUBLICUS-Umfrage zur Lehre in der Pandemie – Folge 8

Ein Beitrag aus »Publicus – Schwerpunkt Corona« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Publicus – Schwerpunkt Corona« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Die Pandemie verändert die Lehre, das Lernverhalten und das Miteinander von Lehrenden und Studierenden. Im Rahmen dieser PUBLICUS-Umfrage haben wir Lehrende zu ihren konkreten Erfahrungen und Eindrücken mit der veränderten Lehrsituation befragt. Heute: Prof. Sandra Schmidt, Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin.

 

Was sind die für Sie wesentlichen Erfahrungen, die Sie in den letzten Monaten mit dem Online- Unterricht gemacht haben?

Schmidt: Die Transformation der Digitalisierung in die Lehre begann weit vor der COVID-19 Pandemie. Hemmschuhe waren in vielen Fällen die Ressourcen in den Bildungseinrichtungen, die technischen Ausstattungen bezogen auf die Hard- und Software und auch die Einstellungen der Lehrenden bei der Implementierung und Etablierung der digitalen Lehre. Der erste Lockdown im März 2020 stellte Lehrende wie Studierende vor große Herausforderungen: Lehren und Lernen, nur digital. Doch nicht allein diese Personengruppen wurden mit den Handlungserfordernissen aufgrund der pandemischen Situation „plötzlich“ konfrontiert, sondern auch die Menschen in den Bildungseinrichtungen, die beispielsweise für das Kursmanagement und die (technische) Absicherung der Lehre die Verantwortung tragen. Bei mir selbst musste ich anfangs eine gewisse Orientierungslosigkeit im unübersichtlichen „Dschungel der Webkonferenzangebote“ feststellen. Unterschiedlichste Fragen stellten sich, manche blieben bis heute unbeantwortet. Die entscheidende Frage war wohl die nach den didaktischen (Un-)Möglichkeiten, die sich mit bzw. aufgrund der Online-Lehre ergaben. Zwischen den Lehrenden entstand ein erheblicher Abstimmungsbedarf und auch die Studierenden mussten „aufgefangen“ und „mitgenommen“ werden.


Nachdem die kurze Phase der „Schockstarre“ überwunden war, begann die Phase der maximalen Aktivitäten zur Absicherung der Lehre in den Studiengängen – und dies bei allen Beteiligten. Inzwischen verbreitet sich das Gefühl der Gewöhnung. Dass Lehren und Studieren „ganz eng“ mit Rechentechnik verbunden sind, ist akzeptiert und zwischenzeitlich Normalität. Die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, werden angenommen, Probleme – soweit möglich – gelöst, Work-Life-Blending schreitet voran, allerdings bei dem einen oder der anderen schneller als es für den Lehr- bzw. Studienerfolg gut sein kann. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen und auch ich selbst werden immer innovativer und kreativer. Wir probieren neue Tools aus, entwickeln eigene, tauschen uns aus und partizipieren voneinander. Die Digitalisierung und die Online-Lehre sind aus dem Bildungssektor nicht mehr wegzudenken.

Nennen Sie bitte die dabei für Sie wichtigsten Unterschiede gegenüber der Präsenzlehre.

Schmidt: Der wohl wesentlichste Unterschied der Lehre im Online-Format zur Präsenzlehre ist die veränderte Form der Interaktion. Natürlich ist es auch in der Präsenzlehre so, dass es immer Studierende gibt, die sich mehr am Seminar beteiligen als andere. Die weniger aktiven Studierenden drohen unbemerkt den Anschluss zu verlieren. Diese Studierenden, die in der Lehre im Online-Format nicht wahrnehmbar im virtuellen Raum „verschwinden“, zu aktivieren, stellt sich als Herausforderung dar. Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist das Geben und Nehmen von Feedback. Neben verbalen Artikulationen sind hierfür insbesondere nonverbale Reaktionen von elementarer Bedeutung und dies sowohl beim Feedbackgeber als auch beim Feedbacknehmer. Ich schaue meinen Studierenden gern in die Gesichter, registriere ihre Mimik und Gestik und bekomme so einen Eindruck, wer fachlich „bei mir“ ist und ob ich mit meinen Themen und meiner Didaktik die Studierenden erreichen und mitnehmen kann. Diese Möglichkeit entfällt in Online-Konferenzen, wenn die Studierenden aus verschiedenen Gründen beispielsweise ihre Webcams nicht freischalten möchten oder können, etwa wenn die zur Verfügung stehenden Bandbreiten des Internets hierfür nicht ausreichend sind.

Welche technischen Hilfsmittel und Systeme kommen aktuell zum Einsatz, um Onlineveranstaltungen abzuhalten? Mit welchen Tools haben Sie persönlich dabei die besten Erfahrungen gesammelt?

Schmidt: Ich persönlich arbeite sehr gern mit dem Webkonferenzsystem „BigBlueButton“. Es ist in seiner Anwendung leicht zu handhaben und bietet viele Tools und Möglichkeiten, die Lehrinhalte in einer die Studierenden ansprechenden Weise darzubieten, Gruppenarbeiten zu ermöglichen, Studierende zu aktivieren und sie innerhalb der genannten Grenzen in die Interaktion einzubeziehen. Zudem trainiert es – und dies mit einem Lächeln gesagt – die Multi-Tasking-Fähigkeit: Sprechen und mimisches Interagieren, Chatverläufe betreuen und auf Anfragen angemessen reagieren, Umfragen starten, Präsentationen hochladen, und das alles bestenfalls gleichzeitig. Online-Lehre mit diesem Konferenzsystem muss sich damit nicht auf eine digitale Vorlesung reduzieren, sondern kann lebhaft in Lehrgesprächen gestaltet werden.

Auch mit dem Konferenzsystem „wonder“ habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht, insbesondere, wenn ich aus didaktischen Gründen eine „entspannte“ Lernumgebung brauche oder Workshop-Methoden, wie beispielsweise das „World-Café“, einsetzen möchte. Für das Kursmanagement und zur Unterstützung digitaler Lehrmethoden arbeite ich wie die meisten Lehrenden an der HWR Berlin mit der Lernplattform „Moodle“, was sich sehr bewährt hat.

Gab es Schwierigkeiten bei Klausuren und mündliche Prüfungen, die unter veränderten Bedingungen abgehalten werden mussten? Wenn ja: Welche?

Schmidt: Nachdem die technischen Voraussetzungen für das Abhalten von Online-Prüfungen geschaffen wurden, stellten sich überwiegend prüfungs- und datenschutzrechtliche Fragen. Diese sind zwischenzeitlich soweit geklärt, dass schriftliche wie mündliche Prüfungen problemlos online abgehalten werden.

Wie haben sich die Leistungen und Lernerfolge der Studierenden im Zusammenhang mit der Online-Lehre entwickelt?

Schmidt: Für eine seriöse Beantwortung dieser Frage fehlt mir der Überblick über die tatsächlichen studentischen Leistungen in unserem Fachbereich. Mein Eindruck ist, dass die Studierenden, die zwar überwiegend „Digital Natives“ sind, durchaus Herausforderungen gegenüberstehen. Für diese Generation von Studierenden sind meiner Erfahrung nach Blended-Learning Formate sehr gut geeignet. Aber die aktuelle pandemische Situation lässt die Kombination von Präsenz- und Online-Lehre nicht zu. Auch mussten sich die Studierenden schnell an andere Arbeitsweisen gewöhnen; Lehrinhalte werden weniger umfassend präsentiert, vielmehr bieten Lehrende Lernbegleitungen an. Ich möchte damit sagen, dass die Studierenden zwar schon immer für ihren Lernerfolg selbst verantwortlich sind, in aktuellen Zeiten aber diese Selbstverantwortung für sie „spürbarer“ wird. Damit kommen einige besser klar als andere. Das Pensum für Sequenzen des Selbststudiums und auch für die Prüfungsvorbereitungen hat sich deutlich erhöht. Darüber hinaus müssen sich Studierende wie Lehrende auch mit den digitalen Lern- und Prüfungsumgebungen vertraut machen; d. h. auch für die aktuelle Generation Studierender ist es eine Umstellung, eine Klausur im „Moodle“ digital anstatt im Hörsaal in klassischer Form zu schreiben.

Nicht zu unterschätzen ist auch der Kontext der pandemischen Situation: Viele Studierende sind wie andere Arbeitnehmer auch in der gegenwärtigen Zeit der Doppelbelastung – Studieren in der „Home-Uni“ zugleich bei Familien- und Kinderbetreuung in den eigenen vier Wänden – ausgesetzt. Für die wenigsten sind das optimale Bedingungen, um konzentriert zu studieren und beste Studienleistungen zu erbringen.

Gibt es praktische Erfahrungen, die sich dauerhaft auf die Präsenz-Lehre nach überstandener Pandemie übertragen lassen?

Schmidt: Die Erfahrungen mit der Online-Lehre im letzten und auch im aktuellen Semester werden sich in jedem Fall auf meine künftige Präsenzlehre auswirken. Ich freue mich sehr auf die Zeit „nach“ der COVID-19 Pandemie, wenn ich den Studierenden wieder persönlich gegenüberstehen und mit ihnen lebendige Interaktionen führen kann. Der zwischenmenschliche Kontakt, auch das Pausengespräch, fehlt mir inzwischen sehr. Darüber hinaus werden dann wieder Fächer wie beispielsweise die Einsatzlehre inhaltlich vollumfänglich und in der direkten Interaktion, die für die Vermittlung dieser Lehrinhalte mit großem Praxisbezug erforderlich ist, möglich sein. Auch werden wieder Exkursionen und der persönliche Austausch mit den Berufspraktiker*innen in den Agenden der Studierenden stehen. Ich bin überzeugt davon, dass der zielgerichtete Mix aus klassischen didaktischen Hochschulmethoden und digitalen Lernformaten den optimalen Wissenstransfer und Kompetenzerwerb fördert. Insofern werden meine Lehrkonzepte künftig vermehrt Blended-Learning Konzepte sein.

Wie lauten die drei persönlich wichtigsten Schlagworte, die Ihnen im Kontext der Online-Lehre einfallen?

Schmidt: Lehre (in geeigneten Lernumgebungen). Lernen (begleiten). Digital.

 

©Wiegand

Zur Person:

Sandra Schmidt ist Professorin für Einsatzlehre und Führungslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin/ Campus Lichtenberg im Fachbereich 5 – Polizei und Sicherheitsmanagement im Studiengang „geh. Polizeivollzugsdienst (BA)“. Zuvor war sie Polizeivollzugsbeamtin im Land Sachsen-Anhalt, zuletzt amtierende Prorektorin der Fachhochschule Polizei Sachsen-Anhalt. Zudem ist Prof. Schmidt Mitherausgeberin des Journals „Lehre. Lernen. Digital. Unabhängige interdisziplinäre Zeitschrift für das Lehren und Lernen mit digitalen Medien“ und Sprecherin des Herausgeberteams.

Zur Hochschule:

Die 1971 gegründete Berliner Hochschule mit rund 11.000 Studierenden hat fünf Fachbereiche und drei Zentralinstitute.  Am Fachbereich 05 – Polizei und Sicherheitsmanagement – werden zwei Bachelor- und zwei Masterstudiengänge angeboten:

 

> Gehobener Polizeivollzugsdienst (B.A.) (Laufbahnzweige: Schutzpolizei, Kriminalpolizei und Gewerbeaußendienst)
> Sicherheitsmanagement (B.A.)
> Öffentliche Verwaltung – Polizeimanagement (M.A.)
> International Security Management (M.A.)

 

Die Studiengänge am Fachbereich qualifizieren für eine Laufbahn im gehobenen oder höheren Dienst der Polizei Berlin, aber auch für sicherheitsbezogene Tätigkeiten in Unternehmen, Behörden, NGOs und Hilfsorganisationen.

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Die Serie: PUBLICUS-Umfrage zur Lehre in der Pandemie



















 

Marcus Preu

Ltg. Lektorat und Redaktion, Rechtsanwalt
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