21.12.2020

Mertens: „Das Leistungsgefälle ist etwas größer geworden“

PUBLICUS-Umfrage zur Lehre in der Pandemie – Folge 4

Mertens: „Das Leistungsgefälle ist etwas größer geworden“

PUBLICUS-Umfrage zur Lehre in der Pandemie – Folge 4

Ein Beitrag aus »Publicus – Schwerpunkt Corona« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Publicus – Schwerpunkt Corona« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Die Pandemie verändert die Lehre, das Lernverhalten und das Miteinander von Lehrenden und Studierenden. Im Rahmen dieser PUBLICUS-Umfrage haben wir Lehrende zu ihren konkreten Erfahrungen und Eindrücken mit der veränderten Lehrsituation befragt. Heute: Prof. Dr. Andreas Mertens, Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV), Nordrhein-Westfalen.

 

Was sind die für Sie wesentlichen Erfahrungen, die Sie in den letzten Monaten mit dem Online-Unterricht gemacht haben?

Mertens: Einerseits bin ich positiv überrascht, wie gut Onlinelehre funktionieren kann und welch hohes Gut damit für die aktuelle Pandemiezeit zur Verfügung steht. Andererseits ist mir aber auch schnell deutlich geworden, dass die Onlinelehre niemals ein adäquater Ersatz für Präsenzlehre sein kann. Man mag sich nicht vorstellen, wie man die Lehre vor einigen Jahrzehnten in einer solchen Situation hätte aufrechterhalten wollen. Deshalb bin ich dankbar für diese Möglichkeit, die Lehre fortzuführen und den direkten Kontakt mit den Studierenden jedenfalls virtuell aufrechtzuerhalten. Und genauso freue ich mich, möglichst bald wieder in die Präsenz zurückkehren zu können. Dass der Hochschulbetrieb an der HSPV NRW zwischenzeitlich (vom Beginn des neuen Studienjahrs im September bis Mitte Oktober) in Präsenz durchgeführt wurde, habe ich mit großer Erleichterung wahrgenommen. Onlinelehre jedenfalls bei unserer Kursgröße (ungefähr 30 Studierende) funktioniert wesentlich besser, wenn sich die Studierenden und der Lehrende bereits im „echten Leben“ kennengelernt haben.


Nennen Sie bitte die dabei für Sie wichtigsten Unterschiede gegenüber der Präsenzlehre.

Mertens: Die Interaktion mit den Studierenden ist möglich, aber deutlich erschwert. Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang bei einer überschaubaren Gruppengröße, über die Kamerafunktion die Studierenden sehen zu können. Was dabei jedoch fehlt, ist der Gesamtüberblick über den Kurs. Während man in der Präsenzlehre häufig mit einem Blick in den Kursraum erkennen kann, ob die vorgetragenen Gedanken verstanden wurden oder weitere Erklärungen erforderlich sind, ist dies in der Onlinelehre wesentlich schwieriger. So besteht die erhöhte Gefahr, nicht zu bemerken, wenn gerade etwas leistungsschwächere Studierende nicht mehr mitkommen.

Welche technischen Hilfsmittel und Systeme kommen aktuell zum Einsatz, um Onlineveranstaltungen abzuhalten? Mit welchen Tools haben Sie persönlich dabei die besten Erfahrungen gesammelt?

Mertens: Während ich zu Beginn der Onlinelehre auch mit asynchronen Lehrformen gearbeitet habe, bin ich im Laufe der Zeit dazu übergegangen, weit überwiegend mit Zoom zu arbeiten. Im Rahmen unserer Kursgröße funktioniert dies technisch sehr gut. Die Breakout-Räume bieten die Möglichkeit, auch Gruppenarbeiten durchführen zu lassen. Gerade bei den engen Stundenplänen der HSPV NRW ist es förderlich, wenn die Lehre im Rahmen der ursprünglich geplanten Zeit stattfindet. Alternativ dazu, oder besser gesagt zusätzlich dazu, hat sich aber auch die Erstellung von Podcasts bewährt, mit denen die Studierenden selbständig arbeiten können. Lehrvideos existierten übrigens im Fach Strafrecht an der HSPV NRW auch schon vor der Pandemie und werden gerne von den Studierenden zum Nacharbeiten und Wiederholen verwendet.

Gab es Schwierigkeiten bei Klausuren und mündlichen Prüfungen, die unter veränderten Bedingungen abgehalten werden mussten? Wenn ja: Welche?

Mertens: Klausuren mussten aufgrund der Pandemie zum Teil verschoben werden und brachten bei Durchführung organisatorischen Mehraufwand. Durch die Abstandregeln wurden kleinere Gruppen gebildet, die in einem Raum ihre Klausur schrieben, was den Raumaufwand und auch den personellen Aufwand deutlich erhöhte. Mündliche Prüfungen, wie z.B. Fachgespräche, konnten recht unkompliziert in den virtuellen Raum verlegt werden. Das Problem, hier auf die Einhaltung der vorgegebenen Regeln (z.B. Nutzung von Materialien) zu achten, erschien dabei überschaubar und konnte durch entsprechende Fragestellungen und Diskussionsanregungen gering gehalten werden.

Wie haben sich die Leistungen und Lernerfolge der Studierenden im Zusammenhang mit der Online-Lehre entwickelt?

Mertens: Im Großen und Ganzen habe ich den Eindruck, dass sich die Leistungen nicht wesentlich verändert haben. Erkennbar scheint aber doch zu sein, und dabei erinnere ich an die Antwort zur zweiten Frage, dass das Leistungsgefälle etwas größer geworden ist. Die ohnehin leistungsstarken Studierenden haben sich schnell auf die neue Situation eingestellt und ihr Lernverhalten entsprechend angepasst. Die etwas leistungsschwächeren Studierenden tun sich damit schwerer. Ganz konkret fehlt z.B. die selbstverständliche Möglichkeit, die Lehrenden unkompliziert in der Pause anzusprechen und auf Verständnisschwierigkeiten hinzuweisen. Auch die Bildung von Lerngruppen unter den Studierenden ist naturgemäß durch die Pandemie erschwert. Um als Lehrender rechtzeitig zu bemerken, wenn Studierende „abgehängt“ zu werden drohen, erscheint es besonders wichtig, regelmäßige Lernkontrollen durchzuführen. Dabei kann es sich auch um kleine Aufgaben handeln, die aber doch erkennen lassen, ob der erwartete Leistungsstand erreicht wurde. Für eine abschließende Antwort auf diese Frage ist es allerdings noch etwas zu früh.

Gab es praktische Erfahrungen, die sich dauerhaft auf die Präsenz-Lehre nach überstandener Pandemie übertragen lassen?

Mertens: Ganz generell ist es gut zu wissen, dass in Notsituationen der Studienbetrieb in der Lage ist, hierauf schnell zu reagieren. Mit viel Kreativität und hohem Einsatz haben sich alle Beteiligten auf die besondere Lage eingestellt und geeignete Wege zur Aufrechterhaltung der Lehre gesucht und gefunden. Dabei denke ich nicht nur an die Hochschulgremien, die Verwaltung und die Lehrenden, sondern ausdrücklich auch die Studierenden, die sich ebenfalls erheblich umstellen mussten. Inwieweit virtuelle Lehrformen auch in die „normale“ Präsenzlehre eingebaut werden können und sollen, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beurteilen. Die generelle Möglichkeit, auf neue und moderne Lehrmittel zugreifen zu können (aber natürlich auch nicht zu müssen), kann aber nur positiv sein.

Wie lauten die drei persönlich wichtigsten Schlagworte, die Ihnen im Kontext der Online-Lehre einfallen?

Mertens: Onlinelehre ist eine gute Alternative in der aktuellen Situation, aber kein gleichwertiger Ersatz. Bei der Kursstruktur an der HSPV NRW sollte alles daran gesetzt werden, die Kommunikation und Interaktion, und damit auch das soziale Gefüge aufrechtzuerhalten. Es ist besonders darauf zu achten, etwas leistungsschwächere Studierende nicht „abzuhängen“.

Zur Person:  Prof. Dr. Andreas Mertens

Professor Mertens ist hauptamtlich Lehrender an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) NRW, Abteilung Köln, für die Fächer Eingriffsrecht, Strafrecht und Strafprozessrecht und örtlicher Fachkoordinator für Strafrecht. Nach dem Studium in Mainz, einer jugendstrafrechtlichen Promotion sowie dem Referendariat in Koblenz erfolgte eine mehrjährige Tätigkeit als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in einer Kölner strafrechtlich spezialisierten Kanzlei. Nebenberufliches Mitglied des Justizprüfungsamtes beim Oberlandesgericht Köln sowie Mitherausgeber der Zeitschrift PolizeiInfoReport. Verfasser diverser Fachliteratur, etwa (gemeinsam mit Prof. Dr. Christian Laustetter) der strafrechtlichen Fallsammlung „Fälle und Lösungen im Strafrecht für die Polizeiausbildung“, erschienen im Richard Boorberg Verlag

Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV)

Die Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) NRW ist eine duale Hochschule und mit über 12.000 Studierenden die Größte ihrer Art in Europa. Sie bietet, verteilt auf mehrere Standorte in NRW, insgesamt sechs Bachelor- und einen Masterstudiengang, gegliedert in die Fachbereiche Polizei und Verwaltung/Rentenversicherung. Prägend für das Studium an der HSPV ist die enge Verzahnung von Theorie und Praxis. In die Lehre eingebunden sind neben den hauptamtlich Dozierenden auch zahlreiche Lehrbeauftragte aus der beruflichen Praxis. Die Lehre findet in einem Kurssystem mit jeweils ungefähr 30 Studierenden statt. Die Hochschule ist eine Einrichtung des Landes und im Geschäftsbereich des Ministeriums des Inneren angesiedelt. Die Zentralverwaltung befindet sich in Gelsenkirchen.

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Die Serie: PUBLICUS-Umfrage zur Lehre in der Pandemie



















 

Marcus Preu

Ltg. Lektorat und Redaktion, Rechtsanwalt
 

Ass. iur. Hanno Thielen

Leitender Lektor, Richard Boorberg Verlag Stuttgart
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