29.12.2020

Aldi-Erben leisten einen Beitrag zur Rechtssicherheit im Stiftungsrecht

Rechtsprechung in Familienunternehmen

Aldi-Erben leisten einen Beitrag zur Rechtssicherheit im Stiftungsrecht

Rechtsprechung in Familienunternehmen

Nimmt man die verschiedenen Rechtsgebiete in den Blick, die in Unternehmerfamilien häufig Bedeutung erlangen, wird ein Bereich immer wichtiger: das Stiftungsrecht. | © Jackie Davies - stock.adobe.com
Nimmt man die verschiedenen Rechtsgebiete in den Blick, die in Unternehmerfamilien häufig Bedeutung erlangen, wird ein Bereich immer wichtiger: das Stiftungsrecht. | © Jackie Davies - stock.adobe.com

Einführung

Der Gesetzgeber kennt den Begriff des Familienunternehmens nicht und knüpft an das Vorliegen eines Familienunternehmens auch keine spezielle Rechtsfolge. Es handelt sich vielmehr um eine rechtliche Querschnittsmaterie, bei der Handels- und Gesellschaftsrecht, Erb- und Familienrecht, Steuerrecht und viele weitere Rechtsgebiete Antworten auf die Fragen der Unternehmerfamilie geben. Folglich gibt es auch keine spezielle Rechtsprechung zum „Recht der Familienunternehmen“.

Nimmt man die verschiedenen Rechtsgebiete in den Blick, die in Unternehmerfamilien häufig Bedeutung erlangen, wird ein Bereich immer wichtiger: das Stiftungsrecht. Während Gerichtsentscheidungen im Stiftungsrecht selten sind, hat ein Rechtsstreit in den vergangenen Jahren für – auch mediale – Aufmerksamkeit gesorgt. Dem Streit der Erben des 2012 verstorbenen Aldi-Gründersohns Berthold Albrecht lag dabei eine – auch für Studierende und Referendare – interessante Rechtsfrage zugrunde.

Sachverhalt und Ausgangslage

Auf das Wesentliche „eingedampft“, lässt sich der Hintergrund der gerichtlichen Auseinandersetzung wie folgt wiedergeben:[1] Bei der Klägerin handelte es sich um eine Stiftung bürgerlichen Rechts i. S. d. §§ 80 ff. BGB. Deren Stiftungszweck war die (finanzielle) Förderung des Stifters selbst, seiner Ehefrau und ihrer gemeinsamen Kinder sowie deren ehelichen Abkömmlinge und – über Generationen hinweg – aller weiteren ehelichen Abkömmlinge.


Zur Erfüllung dieses Zwecks sollte die Stiftung für die unternehmerische Entwicklung der gesamten Unternehmensgruppe Sorge tragen. Konkreter Gegenstand des Rechtsstreits war dann – im Kern – eine Abfolge von drei Beschlüssen, mit denen der Vorstand der Stiftung die Satzung hinsichtlich der Besetzung des Vorstandes änderte. Am 19. Februar 2010 änderte der Vorstand die Regelung zur Besetzung des Vorstandes dahingehend, dass der Vorstand zukünftig aus 3 bis 6 Mitgliedern bestehen sollte. Am 23. Dezember 2010 erging sodann ein weiterer Änderungsbeschluss zur Stiftungssatzung. Durch diesen wurde die Zusammensetzung des Vorstandes (nach Ableben des Stifters) neu geregelt. Dieser Beschluss wurde von zwei Vorstandsmitgliedern unterschrieben. Über der Unterschrift eines der Vorstandsmitglieder hieß es „zugleich für den Erkrankten …“. Bei diesem Beschluss handelte also ein Vorstandsmitglied in Vertretung des Anderen.

Am 9. Juni 2013 beschloss der Vorstand sodann einstimmig eine weitere Satzungsänderung. Bei diesem Beschluss war der Vorstand jedoch besetzt entsprechend den Regelungen, wie sie die erste Satzungsänderung vom 19. Februar 2010 vorsah. Gestritten wurde anschließend über die Frage, welche Satzungsänderung wirksam zu einer Änderung der Besetzung des Vorstandes geführt hatte. Wäre die Satzungsänderung vom 23. Dezember 2010, bei der ein Vorstand ein erkranktes Vorstandsmitglied vertreten hatte, wirksam gewesen, so hätte der Vorstand am 9. Juni 2013 in falscher Besetzung getagt. Wäre die Satzungsänderung, bei der ein Vorstandsmitglied vertreten wurde, gerade wegen dieser Vertretung unwirksam gewesen, hätte der Vorstand am 9. Juni 2013 in richtiger Besetzung entschieden.

Die Stiftung begehrte – neben anderen Klageanträgen – Feststellung, dass die Satzung in der Fassung vom 19. Februar 2010 maßgeblich sei. Das VG Schleswig[2] hatte festgestellt, dass die Satzungsänderung vom 23. Dezember 2010 unwirksam war. Das OVG Schleswig musste mithin inzident prüfen, ob diese Satzungsänderung wirksam erfolgt war, weil das eine Vorstandsmitglied für das andere in Stellvertretung hatte handeln können. Im Hinblick auf die notwendige Anerkennung einer Stiftung bürgerlichen Rechts durch die zuständige Behörde des Landes, die landesrechtlichen Genehmigungserfordernisse für die Änderung einer Stiftungssatzung sowie stiftungsaufsichtsbehördliche Maßnahmen ist es geradezu typisch für das Stiftungsrecht, dass zivilrechtliche Vorfragen von den Aufsichtsbehörden und Verwaltungsgerichten zu entscheiden sind.

Die Entscheidung des OVG Schleswig

Das OVG Schleswig änderte das Urteil des VG Schleswig ab und wies die Klage insgesamt ab. Das OVG Schleswig nahm im Urteil vom 7. Dezember 2017 dabei zunächst eine Auslegung der Satzungsregelung vor und kam zu dem Auslegungsergebnis, dass die Satzung der Stiftung eine Stellvertretung nicht ausschließt. Der Beschluss eines Organs einer juristischen Person ist ein Rechtsgeschäft in der Form eines Gesamtakts, das mehrere gleichgerichtete Willenserklärungen der Organmitglieder bündelt. Damit gilt auch für die einzelne Willenserklärung jedes Vorstandsmitglieds als Teil des Beschlusses der letztlich in der Privatautonomie wurzelnde rechtsgeschäftliche Grundsatz, dass Abgabe und Empfang einer Willenserklärung der Stellvertretung zugänglich sind, wenn und soweit kein gesetzliches oder rechtsgeschäftliches Vertretungsverbot besteht.

Nach dem Wortlaut enthalte die Stiftungssatzung keine ausdrückliche Regelung zur Frage, ob Vorstandsmitglieder sich gegenseitig vertreten dürfen (Rn. 90 ff.). Bei der Auslegung nach der Systematik der Satzungsvorschriften gäbe es dann allerdings – so das OVG weiter – Hinweise darauf, dass die Stiftungssatzung die Zulässigkeit der Stellvertretung stillschweigend voraussetze. So sei für ein anderes Organ der Stiftung, nämlich für den sog. Familientag, ausdrücklich vorgesehen, dass nur bestimmte Personen ein Mitglied des Organs vertreten dürften (Rn. 92).

Anschließend führt das OVG Schleswig aus, dass die Vertretung eines Vorstandsmitgliedes durch ein anderes Vorstandsmitglied im Rahmen einer Beschlussfassung des Stiftungsvorstandes auch nicht zwingenden gesetzlichen Vorgaben widerspreche (Rn. 95 ff.). Die Zulässigkeit der vorstandsinternen Stellvertretung ergebe sich durch Auslegung des Gesetzes. Nach § 86 BGB finde auf Stiftungen das Vereinsrecht entsprechend Anwendung. Gemäß § 27 Abs. 3 S. 1 BGB finden ferner auf die Geschäftsführung des Vorstandes die für den Auftrag geltenden Vorschriften der §§ 664 bis 670 BGB entsprechende Anwendung (Rn. 96). Nach § 664 Abs. 1 S. 1 BGB dürfte der Beauftragte im Zweifel die Ausführung des Auftrags nicht einem Dritten übertragen. Nach Auffassung des OVG Schleswig folgt aus dem Wortlaut des § 664 Abs. 1 S. 1 BGB, dass der Vorstand des Vereins zum persönlichen Tätigwerden verpflichtet ist (Rn. 102). Dies schließe zwar aus, dass sich ein Vorstandsmitglied bei einer Beschlussfassung im Vorstand durch einen außenstehenden Dritten, also ein Nicht-Vorstandsmitglied, vertreten lassen dürfe.

Jedoch sei bei einer Bevollmächtigung eines Vorstandsmitgliedes, der nicht außenstehender Dritte im Verhältnis zum Vorstand sei, eine höchstpersönliche Aufgabenwahrnehmung durch das vertretene Vorstandsmitglied i. S. d. § 86 i. V. m. § 27 Abs. 3 i. V. m. § 664 Abs. 1 S. 1 BGB gewährleistet (Rn. 102).

Weder das Stiftungsrecht selbst noch die Stiftungsverfassung der Klägerin würden also – so das OVG Schleswig – die vorstandsinterne Stellvertretung bei der organschaftlichen Willensbildung verbieten. Als Verfassung der Stiftung bürgerlichen Rechts wird der Inbegriff aller Normen, aus denen sich die Grundordnung der Stiftung ergibt, also nicht bloß ein besonderes, als Satzung gekennzeichnetes Schriftstück verstanden. Ihr Inhalt ist vielmehr dem Stiftungsgeschäft, d. h. allen vom Stifter im Anerkennungsverfahren vorgelegten Erklärungen zu entnehmen und schließt den mutmaßlichen Stifterwillen mit ein.

Die Entscheidung des BverwG

Das OVG hatte die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen[3]. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde hatte keinen Erfolg.[4] Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i. S. v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO komme nicht in Betracht (Rn. 21 ff.), da die aufgeworfene Rechtsfrage aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung beantwortet werden könne. Soweit die Beschwerde auf eine in der Literatur vertretene Auffassung verweise, nach der im Vereinsvorstand eine wechselseitige Vertretung von Vorstandsmitgliedern ausgeschlossen sein soll, könne diese Literaturmeinung die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen. Zwar bedinge die treuhänderische Amtsausübung für die Vereinsmitglieder im Interesse des Vereins die Höchstpersönlichkeit der Stimmrechtsausübung (Rn. 28).

Demgegenüber leite sich die Entscheidungskompetenz des Vorstandsmitglieds bei einer rechtsfähigen Stiftung mangels körperschaftlicher Verfassung der von ihnen vertretenen juristischen Person nicht im Wege der Vermittlung demokratischer Legitimation durch Wahl einer Mitgliederversammlung her, sondern der Berufung durch den Stifter oder einer von diesem festgelegten Verfahrensweise. Zudem sei die Entscheidungsfreiheit beim Stiftungsvorstand ohnehin durch den Stifterwillen beschränkt, der notfalls auch gegen die Absichten des Stiftungsvorstands durch die staatlichen Stiftungsaufsichten durchgesetzt würde (Rn. 29).

Die rechtliche Ausgangslage beim Stiftungsvorstand sei also nicht mit der rechtlichen Ausgangslage beim Vereinsvorstand, zu dem die von den Beschwerdeführern herangezogene Literaturauffassung veröffentlicht sei, vergleichbar. Die vom OVG Schleswig vorgenommene Auslegung der Stiftungssatzung hinsichtlich der Gestattung der Vertretung eines Stiftungsvorstandes durch ein anderes Vorstandsmitglied sei einerseits nach § 137 Abs. 1 VwGO ohnehin für das BVerwG bindend und nicht reversibel und andererseits auch nicht zu beanstanden. Die im Vereinsrecht vertretene (strengere) Auffassung, die eine explizite Gestattung der Stellvertretung der Vorstandsmitglieder untereinander fordert, sei auf die Stiftung nicht übertragbar, da die Stiftung gerade keine körperschaftliche Struktur aufweise (Rn. 32). Auch die weiteren Gründe, auf die die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gestützt wurden, wies das BVerwG mit sehr ausführlicher Begründung zurück.

Fazit

Sowohl das Urteil des OVG Schleswig vom 7. Dezember 2017 wie auch der Beschluss des BVerwG vom 6. März 2019 sind lesenswert. Das OVG Schleswig gibt einerseits – mit Blick auf die dort vorgenommene Auslegung der Stiftungssatzung und der zwingenden gesetzlichen Vorgaben – eine für junge Juristen instruktive Prüfung.

Andererseits erhält der Leser einen „aus der Praxis gegriffenen“ Einblick in das Stiftungszivilrecht des BGB. Das Studium der Entscheidung des BVerwG gibt demgegenüber einen lehrreichen Überblick über die Prüfung einer Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BVerwG.

[1] Vgl. die ausführliche Darstellung des Tatbestandes im Urteil des OVG Schleswig (3. Senat) vom 7. 12. 2017 – 3 LB 3/17.

[2] VG Schleswig (6. Kammer), Urteil vom 21. 1. 2016 – 6 A 12/15.

[3] Vgl. § 132 VwGO.

[4] BVerwG, Beschl. v. 6. 3. 2019 – 6 B 135/18.

 

Dr. Gordian Oertel

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht bei MEYERKÖRING Rechtsanwälte Steuerberater in Bonn
n/a