19.01.2021

Helfrich: „Umstieg auf Online-Unterricht bedeutet einen Kulturwandel, auf den man sich einlassen muss“

PUBLICUS-Umfrage zur Lehre in der Pandemie – Folge 6

Helfrich: „Umstieg auf Online-Unterricht bedeutet einen Kulturwandel, auf den man sich einlassen muss“

PUBLICUS-Umfrage zur Lehre in der Pandemie – Folge 6

Ein Beitrag aus »Publicus – Schwerpunkt Corona« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Publicus – Schwerpunkt Corona« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Die Pandemie verändert die Lehre, das Lernverhalten und das Miteinander von Lehrenden und Studierenden. Im Rahmen dieser PUBLICUS-Umfrage haben wir Lehrende zu ihren konkreten Erfahrungen und Eindrücken mit der veränderten Lehrsituation befragt. Heute: Raymund Helfrich, BVS.

 

Was sind die für Sie wesentlichen Erfahrungen, die Sie in den letzten Monaten mit dem Online Unterricht gemacht haben?

Helfrich: Online-Unterricht ist zunächst auf gewisse Vorbehalte gestoßen, da die Präsenzlehre als Idealzustand betrachtet wurde und man danach strebte, baldmöglichst zu dieser zurückzukehren. Nachdem die Pandemie weiter andauert, wächst aber die Bereitschaft, sich auf neue Lernformen einzulassen, und es werden auch die Vorteile erkannt. Gerade die zeitliche und örtliche Flexibilisierung wird von Teilnehmenden als Mehrwert empfunden.


Online-Unterricht stellt veränderte Anforderungen an alle Beteiligten. Der Lernerfolg hängt maßgeblich von der Qualität des durch die Lehrenden zur Verfügung gestellten Materials, der Disziplin der Lernenden und von den technischen Möglichkeiten ab. Der Vorbereitungsaufwand auf Seiten der Lehrenden ist anfänglich höher als bei üblichem Präsenzunterricht, da die Produktion von digitalen Lernmaterialien sich aufwändiger gestaltet.

Ein Augenmerk muss nach unseren ersten Erfahrungen daraufgelegt werden, auch Lernende, die das eigenständige Lernen noch nicht so gewohnt sind, an die neuen Lernformen heranzuführen. Diejenigen, die es gewohnt sind, mit digitalen Medien umzugehen oder solche, die diese als zusätzliche Erkenntnisquelle begreifen und nutzen, sind im Vorteil. Wenn man die Ergebnisse betrachtet „geht die Schere weiter auseinander“ als beim bisherigen Präsenzunterricht. Die Teilnehmer mit guten Leistungen werden mehr, weil ihnen zusätzliche Medien zur Verfügung stehen. Leider beobachten wir aber auch, dass diese Chance von manchen Teilnehmenden noch nicht erkannt und mit der nötigen Selbstdisziplin genutzt wird, was sich auch in deren Leistungen niederschlägt. Das Mittelfeld schmilzt ab. Das selbstgesteuerte Lernen und die Motivation der Teilnehmenden ist daher kritisch für den Lernerfolg.

Nennen Sie bitte die dabei für Sie wichtigsten Unterschiede gegenüber der Präsenzlehre.

Helfrich: Unterricht ist als Interaktionsgeschehen, also als Kommunikationsprozess definiert. Gerade bei der Interaktion gibt es allerdings deutliche Unterschiede zwischen Präsenzunterricht und Online-Unterricht, da z. B. für Fragen der Teilnehmenden (Chat, Foren) neue Wege zu beschreiten sind und es für Lehrende nicht mehr so einfach ist zu erkennen, ob Inhalte verstanden wurden und die Teilnehmenden noch erreicht werden bzw. diese das Angebot überhaupt annehmen. Insgesamt leidet die Interaktion im Online-Unterricht, weil aus Scheu vor der neuen Lernform und manchmal auch wegen technischer Probleme eine Wortmeldung der Teilnehmer noch häufiger unterbleibt als im Präsenzunterricht und auch die Foren nur zögerlich genutzt werden.

Erforderlich ist von beiden Seiten eine gewisse Offenheit, auch mit ungewohnten Situationen umzugehen, und von Seiten der Teilnehmenden auch ein deutlich höheres Maß an Motivation und Selbstdisziplin.

Neben den technischen Herausforderungen ist der Umstieg auf Online-Unterricht ein Kulturwandel, auf den man sich einlassen muss, der aber – nach gewissen Anfangsschwierigkeiten und einem Lernprozess auf beiden Seiten sowie bezogen auf die meisten fachlichen Lerninhalte – zu einem ähnlich guten Lernerfolg führen kann wie Präsenzlehre.

Der Aufbau einer persönlichen Beziehung zwischen Lehrenden und Teilnehmern bzw. zwischen den Teilnehmern untereinander ist beim Online-Unterricht schwierig. Auch die Vermittlung von Kompetenzen, die über die bloße Fachlichkeit hinausgehen und ein persönliches Interagieren voraussetzen, sehen wir erschwert.

Welche technischen Hilfsmittel und Systeme kommen aktuell zum Einsatz, um Onlineveranstaltungen abzuhalten? Mit welchen Tools haben Sie persönlich dabei die besten Erfahrungen gesammelt?

Helfrich: Der Online-Unterricht an der BVS basiert aktuell auf zwei Säulen: der Lernplattform Moodle für asynchrone und der Webinar-Software Big Blue Button (BBB) für synchrone Lehr-/Lernsettings. Beide Systeme können positiv beurteilt werden.

Auf der Lernplattform werden Selbstlernmaterialien (Lehrvideos, vertonte Powerpoint- Präsentationen, Dokumente, Übungen und Lernerfolgskontrollen) und Fachforen für Fragen bereitgestellt. Für die Erstellung von Lehrvideos kommen hauptsächlich die Programme Snagit und Camtasia zum Einsatz.

Mit BBB werden Webinare durchgeführt. Für die Umsetzung von Webinaren kommen zusätzlich zahlreiche digitale Tools wie bspw. Etherpad, Flinga, Padlet, Powtoon und viele weitere zum Einsatz.

Gab es Schwierigkeiten bei Klausuren und mündliche Prüfungen, die unter veränderten Bedingungen abgehalten werden mussten? Wenn ja: Welche?

Helfrich: Klausuren und Prüfungen wurden in Präsenz (mit Hygienekonzept) ohne Schwierigkeiten durchgeführt

Wie haben sich die Leistungen und Lernerfolge der Studierenden im Zusammenhang mit der Online-Lehre entwickelt?

Helfrich: Die Bestehensquoten in den Prüfungen bewegen sich bisher im Durchschnitt der Vorjahre, wobei die Spreizung, wie bei 1. beschrieben, weiter auseinandergeht.

Gibt es praktische Erfahrungen, die sich dauerhaft auf die Präsenz-Lehre nach überstandener Pandemie übertragen lassen?

Helfrich: Die BVS beabsichtigt den dauerhaften Einsatz der Lernplattform Moodle. Die Bereitstellung von zusätzlichem Material über die Lernplattform in Ergänzung des Präsenzunterrichts findet auch bei den Teilnehmenden Zuspruch.

Außerdem ist beabsichtigt, in Zukunft bis zu 20 % (als Größenordnung) der Lerninhalte digital zu vermitteln, um in den Präsenzphasen – im Sinne eines nachhaltigen Kompetenzerwerbs – insbesondere mehr Zeit zur Vertiefung von Fertigkeiten zu haben.

Wie lauten die drei persönlich wichtigsten Schlagworte, die Ihnen im Kontext der Online-Lehre einfallen?

Helfrich: Mut (zum) Wandel, (für die) Zukunft

Zur Person:

©BVS Ltd. Verwaltungsdirektor Raymund Helfrich, 55 Jahre alt und als Geschäftsbereichsleiter zuständig für die Ausbildungslehrgänge der Verwaltungsberufe an der Bayerischen Verwaltungsschule (BVS). Seit über 100 Jahren sorgt die BVS dafür, dass den Bürgern bei Staat und Kommunen kompetente Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Immer wieder hat die BVS ihr Angebot an die Bedürfnisse der Zeit angepasst. Aktuell sind das etwa Fragen rund um die Digitalisierung. Egal welche Neuerung in der Verwaltung ansteht – die BVS begleitet den öffentlichen Dienst dabei als starker Partner.


©BVS Die BVS nutzt die Lernplattform Moodle zur digitalen Vermittlung von Lehrstoff. Initiiert hat dies die Stabsstelle Digitale Lehre, in der zwei Medienpädagogen „explorativ“ in enger Absprache mit dem Lehrpersonal erkunden, welche digitalen Mittel und Methoden die BVS voranbringen können. Ein Prozess, der sich durch die Schulschließung 2020 plötzlich rasant beschleunigte.

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Die Serie: PUBLICUS-Umfrage zur Lehre in der Pandemie



















 

Ass. iur. Hanno Thielen

Leitender Lektor, Richard Boorberg Verlag Stuttgart
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