08.03.2021

Voit: „Das gemeinsame Interagieren von Studierenden in unterschiedlichen Szenarien kann nicht simuliert werden.“

PUBLICUS-Umfrage zur Lehre in der Pandemie – Folge 13

Voit: „Das gemeinsame Interagieren von Studierenden in unterschiedlichen Szenarien kann nicht simuliert werden.“

PUBLICUS-Umfrage zur Lehre in der Pandemie – Folge 13

Ein Beitrag aus »Publicus – Schwerpunkt Corona« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Publicus – Schwerpunkt Corona« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Die Pandemie verändert die Lehre, das Lernverhalten und das Miteinander von Lehrenden und Studierenden. Im Rahmen dieser PUBLICUS-Umfrage haben wir Lehrende zu ihren konkreten Erfahrungen und Eindrücken mit der veränderten Lehrsituation befragt. Heute: Frank Voit, Polizeidirektor und Fachhochschullehrer an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung (HfPV), Gießen.

 

Was sind die für Sie wesentlichen Erfahrungen, die Sie in den letzten Monaten mit dem Online-Unterricht gemacht haben?

Voit: Online-Unterricht bzw. die gesamte bestehende Online-Lehre hat sich in den letzten Monaten dynamisch weiterentwickelt. Sowohl das Angebot als auch die Nachfrage sind im ersten Halbjahr 2020 aus einem jahrelangen Tiefschlaf zwangsweise erwacht und im zweiten Halbjahr explosionsartig gestiegen. Mittlerweile hat sich die Online-Lehre etabliert und muss leider zum Teil ausschließlich erfolgen. Aus technischer und didaktischer Sicht war es ein Ausprobieren und Testen von verschiedenen Online-Systemen und -Plattformen. Studierende und Lehrende haben in diesem Bereich sehr schnell Kompetenzen erworben.

Gerade der Online-Unterricht kann aber den Präsenz-Unterricht nicht ersetzen – es fehlt absolut die Unmittelbarkeit, vor allem die Emotionalität und persönliche Nähe im Unterricht. Für die Vermittlung von polizeilichen Inhalten ist die Präsenzlehre zwingend, nicht nur im Sport oder im Einsatztraining. Das erleben wir an der Hochschule immer wieder, wenn wir z. B. Gastreferenten einladen, die von ihren Erfahrungen im Polizeidienst berichten. Selbst bei einer hohen Anzahl an Studierenden herrscht dann im Raum eine Stille beim Vortrag. Diese Atmosphäre kann Online nicht erzeugt werden.


Nennen Sie bitte die dabei für Sie wichtigsten Unterschiede gegenüber der Präsenzlehre.

Voit: Im wahrsten Sinne des Wortes ist es nur eine mittelbare Lehre. Es fehlt der ganzheitliche Aspekt, der von den Lehrenden ausgeht und im Austausch mit den Studierenden fehlt. Man kann nicht mit allen Sinnen erfahren und spüren, was man eigentlich im Präsenzunterricht in unmittelbarer Nähe, auch z. B. emotional, „rüberbringt“. Gerade in der Vermittlung und Diskussion von polizeilichen Einsätzen fehlen diese direkten Kontakte mit den Studierenden. Die Darstellung und Diskussion von hochdynamischen Situationen lassen sich virtuell weniger gut darstellen. Es sind z. B. keine Rollenspiele oder Situationstrainings durchführbar. Das gemeinsame Interagieren von Studierenden in unterschiedlichen Szenarien kann nicht simuliert werden. Hier vertraue ich aber auf die Weiterentwicklung von Trainingsmöglichkeiten im virtuellen Bereich als ergänzendes Element zum praktischen Training.

Welche technischen Hilfsmittel und Systeme kommen aktuell zum Einsatz, um Onlineveranstaltungen abzuhalten? Mit welchen Tools haben Sie persönlich dabei die besten Erfahrungen gesammelt?

Voit: Die Plattform ILIAS für die digitale Lehre an den Hochschulen für den öffentlichen Dienst nutze ich seit Beginn meiner Lehre an der Hochschule, aber zu Beginn eher doch nur als sichere Datenablage und Ergänzung zur Präsenzlehre. Die Nutzung von ILIAS war eher sporadisch im Semester. Als ergänzendes Medium für die Präsenzlehre, auch zur Vor- und Nachbereitung, ist es sehr sinnvoll. Die Lehrenden haben verschiedene Tools und Plattformen ausprobiert. Ein Problem ist die Datensicherheit in sensiblen Bereichen der Polizei. Dadurch wird das Angebot an Tools, die ich überhaupt für die Lehre nutzen kann, sehr eingeschränkt. Mittlerweile hat sich aber ein System für die Lehre an unserer Hochschule bewährt. Schon im Frühjahr 2020 wurde es von der Hochschule installiert und die Lehrenden haben das Angebot an Schulungen dankend angenommen. Mittlerweile stehen genügend technische Kapazitäten zur Verfügung, sodass jeder Lehrende dieses System nutzen kann. Die bekannten Videokonferenzsysteme waren nur eine Notlösung. Unser System beinhaltet einen virtuellen Unterrichtsraum mit vielfältigen Möglichkeiten, die teilweise im Präsenzunterricht so nicht möglich wären. Da gibt es sogar Vorteile gegenüber der Präsenzlehre z. B. im Visualisieren von Inhalten.

Gab es Schwierigkeiten bei Klausuren und mündlichen Prüfungen, die unter veränderten Bedingungen abgehalten werden mussten? Wenn ja: Welche?

Voit: Unter den besonderen Bedingungen war es kein Problem, die Prüfungen weiterhin in Präsenz oder auch ergänzend bzw. alternativ als Online-Prüfungen durchzuführen. Es war aber ein deutlich höherer zeitlicher und personeller Aufwand durch die gebotenen Abstands-, Aufenthalts- oder Hygieneregelungen.

Wie haben sich die Leistungen und Lernerfolge der Studierenden im Zusammenhang mit der Online-Lehre entwickelt?

Voit: Die Online-Lehre verlangt eine höhere Disziplin von den Studierenden und den Lehrenden. Weiterhin ist es schwieriger, Sachverhalte zu „erfahren“ und zu „begreifen“ – es werden in der Online-Lehre nicht alle Sinne angesprochen und es fehlt ganz einfach die Unmittelbarkeit der Vermittlung. Durch diese Gründe sind die Leistungen und Lernerfolge erst einmal geringer. Aber ich glaube, dass in der Zukunft eine Leistungssteigerung und ein höherer Lernerfolg erreicht werden, wenn wir eine „gesunde“ Mischung aus Präsenz und Virtualität als Hochschule anbieten können.

Gibt es praktische Erfahrungen, die sich dauerhaft auf die Präsenz-Lehre nach überstandener Pandemie übertragen lassen?

Voit: Die wichtigste Erfahrung ist die, dass die Präsenz-Lehre nicht durch eine Online-Lehre ersetzt, sondern nur ergänzt werden kann. Eine weitere Erfahrung ist die, dass unwesentliche Teile der Präsenz-Lehre sinnvoll durch die Online-Lehre ersetzt werden können. Dadurch können enorme Ressourcen freigesetzt werden, wie Zeiten (z. B. Fahrzeiten, gleichzeitiges Arbeiten aller Studierenden in virtuellen Räumen) und Räume (z. B. Raumkapazitäten für Großräume, Unterrichtsräume, Arbeitsgruppenräume). Weiterhin gibt es Anteile, die didaktisch sinnvoll im Rahmen der Online-Lehre zu einem höheren Lernerfolg führen können, wie z. B. das schon etablierte E-Learning oder die Vor- und Nachbereitung der Präsenz-Lehre.

Wie lauten die drei persönlich wichtigsten Schlagworte, die Ihnen im Kontext der Online-Lehre einfallen?

Voit:

  • „Medienkompetenz“ in technischer und didaktischer Hinsicht
  • „Vereinsamung“ bei ausschließlicher Online-Lehre
  • Entdecken „Neuer Welten“ in der Lehre 😉

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©privat

Zur Person:

Polizeidirektor Frank Voit ist seit 2011 Fachhochschullehrer an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung (HfPV) am Studienort Gießen und war in dieser Zeit auch vier Jahre in der Funktion des Studienortleiters. Er lehrt im Bereich der Einsatzlehre, Führungslehre und Berufsethik im Bachelor- und Masterstudiengang.

Zur Hochschule:

Die Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung ist eine staatliche Hochschule für den öffentlichen Dienst und den entsprechenden Dienstleistungssektor in Hessen. Ihre profilbildenden Kompetenzen liegen in den Bereichen der Verwaltung (Administration, Public Management) und öffentlichen Sicherheit. Die HfPV hat von Beginn an (seit 1980) besondere Kompetenzen in der Vermittlung praxisorientierter Qualifikationen für den Fach- und Führungskräftenachwuchs hessischer Behörden aufgebaut. Derzeit findet ein Prozess zur Optimierung der Aus- und Fortbildung durch die Zusammenführung der Aufgaben der Hochschule für Polizei und Verwaltung, der Polizeiakademie Hessen und der Zentralen Fortbildung Hessen zu einer neuen Hochschule statt.

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Die Serie: PUBLICUS-Umfrage zur Lehre in der Pandemie



















 

Marcus Preu

Ltg. Lektorat und Redaktion, Rechtsanwalt
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