22.03.2021

Netzentwicklungsplan Strom riskiert Versorgungssicherheit

Der zweite Entwurf des NEP 2035 (2021) wird voraussichtlich im April veröffentlicht

Netzentwicklungsplan Strom riskiert Versorgungssicherheit

Der zweite Entwurf des NEP 2035 (2021) wird voraussichtlich im April veröffentlicht

Leistungsdefizite sollen laut Netzentwicklungsplan 2035 durch Importe aus dem Ausland abgedeckt werden. ©ipopba - stock.adobe.com
Leistungsdefizite sollen laut Netzentwicklungsplan 2035 durch Importe aus dem Ausland abgedeckt werden. ©ipopba - stock.adobe.com

Am 29. Januar 2021 wurde der 1. Entwurf des Netzentwicklungsplans 2035 veröffentlicht. Ende April 2021 soll der 2. Entwurf veröffentlicht werden. Mit einer Bestätigung des Netzentwicklungsplans 2035 durch die Bundesnetzagentur ist Ende 2021 zu rechnen. Der Plan, ein für das Jahr 2035 eingeplantes hohes Stromdefizit durch Stromimporte decken zu wollen, ist unverantwortlich.

Erhebliches innerdeutsches Leistungsdefizit von bis zu 40 GW

Ab 2023 stehen keine deutschen Kernkraftwerke mehr zur Verfügung, allerspätestens ab 2038 sind alle deutschen Kohlekraftwerke stillgelegt. Es sind dann im Jahr 2035 laut Netzentwicklungsplan 2035 nur noch insgesamt 62 GW Kraftwerke installiert, die unabhängig von Sonne und Wind betrieben werden können, davon gut die Hälfte Gaskraftwerke, der Rest kleinere Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerke, Biomassekraftwerke sowie Lauf- und Speicherwasserkraftwerke. Davon stehen wegen ungeplanter technischer Ausfälle und bei Laufwasserkraftwerken wegen Niedrigwasser höchstens rund 56 GW gesichert zur Verfügung.

Für 2035 prognostiziert der Netzentwicklungsplan 2035 installierte Leistungen von 118 GW für Photovoltaik, 87 GW für Wind onshore und 30 GW für Wind offshore, insgesamt also 235 GW. Bei Dunkelflaute wird nur sehr wenig erzeugt, weshalb Photovoltaik- und Windkraftwerke nur sehr geringe gesicherte Leistungen von höchstens 10 GW zur Verfügung stellen können.


Im Netzentwicklungsplan 2035 wurde für das Jahr 2035 eine deutsche Jahreshöchstlast von 106 GW prognostiziert. Daraus resultiert ein Leistungsdefizit von bis zu 40 GW, gut ein Drittel der Jahreshöchstlast.

Die Stromnachfrage kann laut Netzentwicklungsplan 2035 durch Demand Side Management um bis zu 5 GW verringert werden. Das Stromangebot kann für maximal einige Stunden durch Batteriespeicher um bis zu 18 GW und durch Pumpspeicher um bis zu 10 GW erhöht werden, wodurch das maximale Leistungsdefizit für maximal einige Stunden um bis zu 33 GW auf bis zu 7 GW verringert werden kann.

Bei längeren, z.B. ganztägigen Dunkelflauten, die immer wieder vorkommen, sind die Speicher leer und die Möglichkeiten des Demand Side Managements erschöpft. Es resultiert dann das schon genannte Leistungsdefizit von bis zu 40 GW, gut ein Drittel der Jahreshöchstlast.

Deckung der Leistungsdefizite durch ungesicherte Stromimporte riskiert die Versorgungssicherheit

Diese erheblichen Leistungsdefizite sollen laut Netzentwicklungsplan 2035 durch Importe aus dem Ausland abgedeckt werden, wofür ein massiver Ausbau der grenzüberschreitenden Stromleitungen geplant ist. Der deutsche Netzentwicklungsplan 2035 setzt nämlich darauf, dass deutsche Stromversorgungsdefizite gesichert durch Stromimporte abgedeckt werden können und deshalb „Knappheitssituationen, in denen der gesamte inländische Kraftwerkspark genutzt wird, … verhältnismäßig selten“ sind. Laut Netzentwicklungsplan 2035 bleiben dabei „seltene, außerplanmäßige Eventualitäten wie systematische Nichtverfügbarkeiten von Kernkraftwerken in Frankreich oder extreme Wettersituationen … unberücksichtigt“.

Aber selbst wenn systematische Nichtverfügbarkeiten von Kernkraftwerken in Frankreich oder extreme Wettersituationen tatsächlich seltene, außerplanmäßige Eventualitäten wären, müssten sie bei der Reservekraftwerksplanung berücksichtigt werden. Mittlerweile sind aber extreme Wettersituationen nicht mehr die Ausnahme, sondern werden mehr und mehr zur Regel, sodass eine Berücksichtigung bei der Netzausbauplanung zwingend erforderlich ist.

Für die Abdeckung dieses Defizits sind zwingend verbrauchsnah installierte Reservekraftwerke erforderlich. Der erforderliche Netzausbau würde dann deutlich verringert, weil bei Störung einer Leitung die verbrauchsnahen Reservekraftwerke einspringen könnten. Laut Netzentwicklungsplan 2035 sollen aber innerdeutsche Leistungsdefizite durch Importe aus dem Ausland abgedeckt werden, wofür ein massiver Ausbau der grenzüberschreitenden Stromleitungen geplant ist. Größere gesicherte Importleistungen werden allerdings im Netzentwicklungsplan 2035 nicht erwähnt. Bei Stromknappheiten an kalten Wintertagen werden die deutschen Nachbarländer zuerst sich selbst versorgen, statt deutsche Defizite auszugleichen.

Statt verbrauchsnahe Reservekraftwerke zuzubauen, will also der aktuelle Netzentwicklungsplan 2035 Leistungsdefizite durch ungesicherte Stromimporte decken. Im Widerspruch zu der im Energiewirtschaftsgesetz geforderten hohe Versorgungssicherheit der deutschen Stromversorgung werden dadurch großräumige Stromknappheiten und Stromausfälle riskiert. Damit wird nicht nur die deutsche Wirtschaft gefährdet, sondern es werden auch Gesundheit und Leben von uns allen bedroht, wie in dem Technik-Thriller Blackout von Marc Eisberg sehr anschaulich geschildert wird.

Prof. Dr. Lorenz Jarass

Prof. Dr. Lorenz Jarass

M.S. (Stanford University, USA). Hochschule RheinMain, Wiesbaden
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