Bender und Karls: „Kommunikation und Interaktion in der Online-Lehre müssen weiterentwickelt werden“
PUBLICUS-Umfrage zur Lehre in der Pandemie – Folge 14
Bender und Karls: „Kommunikation und Interaktion in der Online-Lehre müssen weiterentwickelt werden“
PUBLICUS-Umfrage zur Lehre in der Pandemie – Folge 14
Was sind die für Sie wesentlichen Erfahrungen, die Sie in den letzten Monaten mit dem Online-Unterricht gemacht haben?
Bender: Es ist anstrengend. Für die Teilnehmenden und die Lehrenden.
Karls: Im Vergleich zum Präsenzunterricht erfordert der Online-Unterricht ein anderes, mehr auf die sachliche Vermittlung der zu transportierenden Inhalte bezogenes Unterrichtskonzept. Der Sachvortrag steht stärker im Zentrum der Stoffvermittlung. Aufgrund der begrenzten Kommunikationsmöglichkeiten über den Chat bzw. eingeschränkt auch über Mikrofon und Lautsprecher sind im virtuellen Klassenraum weniger Dialogsituationen möglich. Es wird notwendig sein, bei der Weiterentwicklung der Konferenz- und Bildungsplattformen verstärkt auch an verbesserten Werkzeugen zur Kommunikation mit und zwischen den Teilnehmer*innen zu arbeiten, da die vorhandenen webbasierten Lösungen sich eher an Konferenzsituationen als an Seminar- oder Schulungsveranstaltungen orientieren. Gleichwohl muss ich sagen, dass meine zunächst kritischen Erwartungen an die online durchgeführten Lehrveranstaltungen im Feedback der Teilnehmer*innen überwiegend positiv beurteilt worden sind.
Nennen Sie bitte die dabei für Sie wichtigen Unterschiede gegenüber der Präsenzlehre:
Bender: Unterricht ist Kommunikation. Der Unterschied zwischen einer Face-to-Face-Kommunikation und der digital vermittelten Kommunikation ist erstaunlich. Wenn wir einander begegnen, kommunizieren wir auf kaum bewussten Kanälen. Jeder Gesichtsmuskel ist an der Kommunikation beteiligt und wir „lesen“ unser Gegenüber oft mühelos. Ohne es uns klar zu machen, wissen wir, ob und wie Worte, Mimik und Gesten bei den Adressaten ankommen. Im Online-Unterricht kann ich die Reaktionen der Teilnehmenden nicht unmittelbar erkennen und mich daher auch nicht auf die Erfordernisse der aktuellen Kommunikation einstellen.
Karls: In der Präsenzlehre ist die Kommunikation und Interaktion mit den Teilnehmenden naturgegeben leichter möglich als während einer Onlineveranstaltung. Im Präsenzunterricht werden auch die Leistungsschwächeren erreicht, während im Onlineunterricht zumeist die Leistungsstärken sichtbar sind. Die Einbindung der still vor ihrem Bildschirm sitzenden Bildungskonsumenten ist online kaum möglich. In Präsenzveranstaltungen kann ich häufig an der Gestik und Mimik der Teilnehmer*innen ablesen, ob noch Fragen offen sind oder der Stoff weitgehend erfolgreich vermittelt werden konnte. Die Wissensvermittlung kann so ein Stück weit individueller erfolgen. Der „schweigenden Mehrheit“ am Bildschirm muss bewusst werden, dass ihr Lernerfolg maßgeblich von ihrer Bereitschaft abhängt, eigenverantwortlich zu lernen.
Allerdings kann mit Hilfe der Onlineveranstaltungen eine größere Zahl von Teilnehmenden zeitgleich und unabhängig von ihrem Standort erreicht werden, als dies über Präsenzveranstaltungen möglich wäre. Hier eröffnen sich möglicherweise langfristig Rationalisierungspotenziale.
Welche technischen Hilfsmittel und Systeme kommen aktuell zum Einsatz, um Online-Veranstaltungen abzuhalten? Mit welchen Tools haben Sie persönlich dabei die besten Erfahrungen gesammelt?
Karls: Bei der TVS haben wir uns, nachdem wir uns im Erfahrungsaustausch mit anderen Verwaltungsschulen und Studieninstituten abgestimmt haben, für die webbasierte Version von Big Blue Button entschieden und sind damit weitgehend zufrieden. Ein Vorteil besteht zum Beispiel in der Möglichkeit, die Klassen in Arbeitsgruppen aufzuteilen und Themen in Gruppen bearbeiten zu lassen. Im virtuellen Klassenraum kommen dann in der Regel PowerPoint-Präsentationen, PDF-Dokumente oder auch die klassische Flipchart über die Kamera zum Einsatz.
Gab es Schwierigkeiten bei Klausuren und mündlichen Prüfungen, die unter veränderten Bedingungen abgehalten werden mussten? Wenn ja: Welche?
Karls: Leistungskontrollen werden durch Übungsklausuren ermöglicht, die die Auszubildenden im „Homeschooling“ lösen. Diese Art der Leistungsabfrage dient vor allem der Selbstkontrolle. Bewertete Lehrgangs- und Prüfungsarbeiten werden nach wie vor in Präsenz geschrieben. Hier sind vor allem auch die rechtlichen Vorgaben der Prüfungsordnungen zu beachten, die bisher keine Online-Prüfungen vorsehen. In diesem Zusammenhang muss auch bedacht werden, dass der Grundsatz der Chancengleichheit gewahrt bleibt. Nicht alle Auszubildenden verfügen über die entsprechende technische Ausstattung bzw. haben Zugriff auf ein leistungsstarkes Internet.
Wie haben sich die Leistungen und Lernerfolge der Studierenden im Zusammenhang mit der Online-Lehre entwickelt?
Karls: Im Fokus der Online-Unterrichte, die bisher abgewickelt worden sind, standen insbesondere die Prüfungsjahrgänge 2021. Hier wird sich der Lernerfolg erst im Juni/Juli nach Abschluss der Ausbildungsprüfungen zeigen. Nach meiner Einschätzung sind die Auszubildenden bestmöglich geschult und auf die Prüfungen vorbereitet worden. Die Unterrichtsinhalte in den Onlineveranstaltungen sind allesamt nach den verbindlichen Vorgaben der Stoffgliederungspläne vermittelt worden und, da ja in den allermeisten Fällen daneben auch Präsenzunterricht stattgefunden hat, dürften keine wesentlichen pandemiebedingten Wissenslücken bestehen.
Bender: Die Teilnehmenden können sich das für die jeweiligen Prüfungen erforderliche Wissen sicher durch Online-Unterricht und Selbststudium aneignen. Im Online-Unterricht lässt sich alles dafür Nötige vermitteln. Der Prüfungserfolg wird jedoch maßgeblich davon abhängen, ob die Fähigkeit zum Selbststudium bei den Teilnehmenden hinreichend ausgeprägt ist und entsprechend genutzt wird.
Gibt es praktische Erfahrungen, die sich dauerhaft auf die Präsenz-Lehre nach überstandener Pandemie übertragen lassen?
Karls: Es gibt wohl bei fast allen Verwaltungsschulen und Studieninstituten zur Zeit Überlegungen, wie und auf welche Weise das Angebot von einzelnen Online-Unterrichtsangeboten im Ausbildungs- oder beruflichen Fortbildungsbereich implementiert werden könnte. Eines scheint aber von allen Beteiligten einvernehmlich beurteilt zu werden, nämlich dass der Online-Unterricht, zumindest absehbar, die Präsenzveranstaltungen nicht vollkommen ersetzen wird. Es handelt sich allerdings im Fortbildungsbereich um ein ergänzendes Bildungsangebot für all jene, die von den klassischen Präsenzangeboten bisher keinen Gebrauch machen konnten.
Bender: Wenn man unter Unterricht mehr als Wissensvermittlung versteht, ist Online-Unterricht nicht ausreichend. Die Thüringer Verwaltungsschule hat den gesetzlichen Auftrag, bei den Anwärterinnen und Anwärtern die Fähigkeit zur Übernahme von Verantwortung in Staat und Gesellschaft zu entwickeln. Das ist mehr als Wissensvermittlung. Es geht darum, die Teilnehmenden in ihrer beruflichen Entwicklung zu begleiten und zu unterstützen. Dafür ist ein persönlicher Kontakt erforderlich, der in Online-Veranstaltungen praktisch nicht hergestellt werden kann.
Wie lauten die drei persönlich wichtigsten Schlagworte, die Ihnen im Kontext der Online-Lehre einfallen?
Karls: Die Online-Lehre eröffnet uns eine höhere Flexibilität im Hinblick auf Zeit und Raum und damit Rationalisierungspotenziale. Die digital aufbereitete Lehre fordert von den Teilnehmenden eine besondere Bereitschaft zu eigenverantwortlichem Lernen und von den Lehrkräften die Entwicklung kreativer Angebote. Letztlich kann die Online-Lehre eine sinnvolle Ergänzung zum analogen Bildungsangebot werden, sie wird es vermutlich jedoch nicht ersetzen.
Bender: Kommunikation gelingt am besten im direkten Kontakt. Online-Unterricht kann den direkten Kontakt nicht ersetzen. Online-Unterricht führt oft zu einer passiven Teilnahme am Unterricht, die den Lernerfolg erschwert.
Zu den Personen:
Joachim Bender ist seit 2014 Direktor der Thüringer Verwaltungsschule und war von 1993 bis 2014 im Thüringer Landesverwaltungsamt und im Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales tätig.
Oliver Karls: Stellvertretender Direktor der Thüringer Verwaltungsschule, von 1979 bis 1993 bei der Stadt Essen beschäftigt, von 1993 bis 1996 im Thüringer Innenministerium und seit 1996 bei der Thüringer Verwaltungsschule.
Zur Hochschule:
Die Thüringer Verwaltungsschule (TVS) ist die Aus- und Fortbildungsbehörde der Verwaltung des Freistaates Thüringen, seiner Landkreise, Städte und Gemeinden.
Die TVS ist zuständig für
- die fachtheoretische Ausbildung der Anwärterinnen und Anwärter des mittleren nichttechnischen Dienstes in der Kommunalverwaltung und der staatlichen allgemeinen Verwaltung,
- die theoretische Ausbildung der Auszubildenden in den Berufen „Verwaltungsfachangestellte/Verwaltungsfachangestellter“ und „Kaufmann/ -frau für Büromanagement“,
- die berufliche Fortbildung mit den Abschlüssen „Geprüfte Verwaltungsangestellte (TVS)/Geprüfter Verwaltungsangestellte (TVS)“ und „Verwaltungsfachwirt/in“.
Des Weiteren führt die TVS zahlreiche Zertifikatslehrgänge und für die Beschäftigten des Freistaats Thüringen und seiner Kommunen durch.
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Die Serie: PUBLICUS-Umfrage zur Lehre in der Pandemie