05.06.2020

Serie Pandemierecht: Beipackzettel für Corona

Folge 7: Beipackzettel „Sozialschutz-Paket II“

Serie Pandemierecht: Beipackzettel für Corona

Folge 7: Beipackzettel „Sozialschutz-Paket II“

Der Gesetzgeber will die Härten der Krise abfedern. | © Hurca!
Der Gesetzgeber will die Härten der Krise abfedern. | © Hurca!

Im Anschluss an den Beipackzettel Sozialrecht in Folge 3 der Serie Pandemierecht liefert der aktuelle Folgebeitrag den Beipackzettel zum „Gesetz zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (Sozialschutz-Paket II)“ vom 20.5.2020 (BGBl. I S. 1055).

Ein weiteres Maßnahmengesetz

Als Ergänzung und Ausweitung der bundesgesetzlichen „Corona-Gesetzgebung“ in den Bereichen Sozialrecht, Arbeits- und Sozialversicherungsrecht haben Bundestag und Bundesrat ein weiteres Maßnahmengesetz beraten und verabschiedet. Die wirtschafts- und sozialpsychologische Motivation dazu wurde in BT-Drs. Nr. 19/18966 (Seite 20) wie folgt umrissen: Der konjunkturelle Einbruch wird nach verschiedenen Vorhersagen ein der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 vergleichbares Ausmaß erreichen und eine Erholung wird im Allgemeinen nur langsam eintreten. Eine relativ schnelle Erholung wird hingegen für den Handel prognostiziert, unter der Bedingung, dass die nationale Konsumnachfrage nicht in größerem Maße zurückgeht. Hierfür sei es notwendig, „den Betroffenen Sicherheit zu vermitteln und eine Perspektive aufzuzeigen.“ Weil aber die weitreichenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nur schrittweise gelockert werden können, will die Regierung mit dem sogenannten „Sozialschutz-Paket II“ weitere Regelungen treffen, die der Vermittlung von Sicherheit und der Abfederung wirtschaftlicher und sozialer Härten der Krise und der Nebenwirkungen des Krisenmanagements dienen sollen.

Auch dieses neue Gesetzes-Paket wirkt auf den ersten Blick sehr heterogen, kann aber mit gutem Willen zu inhaltlichen Blocks gruppiert werden. Es stützt sich auf klassische Ermächtigungen nach Artikel 74 Absatz 1 Nr. 1 (Gerichtsverfahren) und Nr. 7 (öffentliche Fürsorge) sowie auf Artikel 72 Absatz 2 GG (Gewährleistung einheitlicher Lebensverhältnisse); aktuelle Spezialermächtigungen aus dem Infektionsschutzrecht nimmt der Bund hierfür nicht in Anspruch.


Überblick

Kurz zusammengefasst lauten die inhaltlichen Hauptpunkte: Das neue Sozialdienstleister-Einsatzgesetz wird erweitert, die Waisenrente und andere Dauerrenten erhalten niedrigere Voraussetzungen, das Kurzarbeitergeld wird erhöht und der Hinzuverdienst für alle Berufe geöffnet. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld wird für viele Betroffene verlängert, in Prozessordnungen und bei der Mindestlohnanpassung werden Videokonferenzen und schriftliche Verfahren vereinfacht; nicht zuletzt wird die Finanzierung des Mittagessens in bestimmten Einrichtungen durch Verwaltungsvereinfachung sichergestellt. Die Regierung hatte aktuelle Lücken im sozialen Netz im Bereich der Waisenrenten, der Frühförderung und Früherkennung durch Soziale Dienstleister und beim Mittagessen in sozialen Einrichtungen erkannt, ebenso Lücken im Informationsfluss für das neue SodEG hinsichtlich Missbrauchsvermeidung und Datenschutz. Ein Bedürfnis zur vorübergehenden Ausweitung bestehender Leistungen sah sie beim Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld. Hinzu kam die weitere Ausschöpfung technischer Möglichkeiten zur Verfahrensvereinfachung und zur Kontaktvermeidung bei Gremien-gebundenen Entscheidungen.

Die einzelnen Punkte

Etwas detaillierter ausgeführt enthält das neue Vorschriftenpaket folgende Punkte:

  • Der Sicherstellungsauftrag aus dem neu erlassenen Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG) wird auf Leistungen der interdisziplinären Frühförderung und Früherkennung ausgedehnt, sodass nun auch Krankenkassen als Leistungsträger des SGB V nach §§ 2 und 9 SodEG notleidende soziale Dienstleister in den Ausfallzeiten bezahlen. Nach §§ 3 und 4 SodEG wird die Subsidiarität der Leistungen nach diesem Gesetz gegenüber Versicherungsleistungen und Verdienstausfallentschädigungen nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz und dem SGB XI festgeschrieben. Die §§ 2 bis 4 SodEG erhalten neue Verfahrensregeln und Datenübermittlungspflichten zur Vermeidung von Fördermittelmissbrauch; die damit verknüpften Ausnahmen vom sonstigen sozialversicherungsrechtlichen Datenschutzrecht finden sich in § 6 SodEG
  • Lücken in der Ausbildungsphase, die auf der Schließung von Bildungseinrichtungen beruhen, wirken sich auf die Waisenrente nicht mehr negativ aus. Dasselbe gilt für „coronabedingt“ ausgefallene medizinische Begutachtungen während der dreijährigen Wartefrist nach dem Versicherungsfall. Dies wird nunmehr für die gesetzliche Rentenversicherung in § 304 SGB VI, für Landwirte in § 87d ALG sowie in der gesetzlichen Unfallversicherung in § 218g (als Ausnahmen von den §§ 62 und 67 SGB VII) geregelt.
  • Das Kurzarbeitergeld wird durch § 421c SGB III bis Ende 2020 abweichend von § 105 SGB III gestaffelt ab dem vierten und ab dem siebten Bezugsmonat erhöht. Außerdem dürfen nun alle Berufsgruppen von einer Hinzuverdienstgrenze bis zur Höhe des bisherigen Monatseinkommens profitieren. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld wird durch § 421d SGB III – ebenfalls befristet bis Ende 2020 – um drei Monate verlängert.
  • Gerichtsverhandlungen im Arbeits- und Sozialgerichtlichen Verfahren dürfen die Möglichkeit von Videokonferenzen nach § 128a ZPO und § 110a SGG nutzen. Dazu wurden die §§ 114 ArbGG und 211 SGG vorübergehend neu gefasst. Außerdem dürfen auch Anpassungen von Mindestlöhnen durch die zuständigen Beschlussgremien nach § 4 Heimarbeitsgesetz, § 5 Tarifvertragsgesetz und § 10 Mindestlohngesetz per Telefon- oder Videokonferenz stattfinden.
  • In Schulen, Horten, Werkstätten für behinderte Menschen und ähnlichen ausbildungsnahen Einrichtungen gab es gemeinschaftliches Mittagessen im Rahmen von Fördermaßnahmen. Solange diese Einrichtungen pandemiebedingt geschlossen sind, gibt es die Fördermaßnahmen nun unabhängig davon. Die aktuellen Regelwerke dazu finden sich in § 68 SGB II, § 142 SGB XII, § 88b Bundesversorgungsgesetz, § 20 Bundeskindergeldgesetz und § 3 Asylbewerber-Leistungsgesetz. Sie beinhalten jeweils vorübergehende Abweichungen von § 42b SGB XII sowie von §§ 56 und 60 SGB IX.

 

Ausblick

Vermutlich werden sich in den nächsten Wochen im Praxiseinsatz der Sozialgesetzbücher im „Pandemiemodus“ noch weitere Lücken finden, die Anlass zu einem Sozialschutz-Paket III geben. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf das „Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, das am 15.5.2020 im Bundesrat gleichzeitig mit dem Sozialschutz-Paket II verabschiedet wurde. Dessen Zusammenfassung finden Sie hier.

 

Die Serie „Pandemierecht: Beipackzettel für Corona“ im Überblick:

Folge 1: Vorschriften und Rechtsgrundlagen

Folge 2: Verwerfungen der föderalistischen Ordnung

Folge 3: Beipackzettel Sozialrecht

Folge 4: Beipackzettel Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht

Folge 5: Beipackzettel „Recht der Gefahrenabwehr“

Folge 6: Das „Zweite epidemische Tragweiten-Bevölkerungsschutzgesetz“

Folge 7: Beipackzettel „Sozialschutz-Paket II“

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart
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