12.05.2020

Serie Pandemierecht: Beipackzettel für Corona

Folge 1: Vorschriften und Rechtsgrundlagen

Serie Pandemierecht: Beipackzettel für Corona

Folge 1: Vorschriften und Rechtsgrundlagen

Wichtige Rechtsgrundlagen in der Krise kennen. | © peterschreiber.media - stock.ado
Wichtige Rechtsgrundlagen in der Krise kennen. | © peterschreiber.media - stock.ado

Ausgehend von spezialpolizeilichen Rechtsgrundlagen im Infektionsschutzgesetz des Bundes hat sich seit Beginn des Jahres 2020 sehr schnell eine heterogene Vorschriftenlandschaft zum Pandemierecht entwickelt. Die neuen Vorschriften und die damit zusammenhängenden vorläufigen und auch endgültigen Rechtsänderungen scheinen auf den ersten Blick nur gemeinsam zu haben, dass sie dem Ziel der Bekämpfung der Ausbreitung des Covid-19-Erregers (SARS-CoV-2) dienen.

Aufgrund der raschen Folge von Rechtsänderungen auf allen politischen Ebenen entsteht der Eindruck der Unübersichtlichkeit. Daher soll hier versucht werden, die neuen Vorschriften nicht nur zu sammeln, sondern sie auch ein wenig zu systematisieren und ihre Genese nachzuzeichnen. Dafür erscheint der Rückgriff auf gewohnte juristische Kategorien angezeigt.

Im ersten Beitrag der Serie werden deshalb die aktuellen Vorschriften des Pandemierechts zunächst benannt und auf ihre jeweiligen Rechtsgrundlagen zurückgeführt.


Aktuelle Vorschriften des Pandemierechts und ihre Rechtsgrundlagen

Europarecht: Legislative Maßnahmen der Europäischen Union in Form von Verordnungen oder Richtlinien mit dem unmittelbaren Ziel der Infektionseindämmung sind auf den entsprechenden Seiten der EU, insbesondere bei https://www.consilium.europa.eu/ (Stand 1.5.2020) nicht dokumentiert. Hingegen wurden große Mengen an Haushaltsmitteln umgeschichtet, um Nothilfen zu gewähren und Ausschreibungen von Hilfsmaterialien zur Krisenbekämpfung zu finanzieren. Außerdem koordiniert die EU die Regeln über Reisebeschränkungen, insbesondere Grenzschließungen und Rückkehrhilfen sowie die Aufrechterhaltung des notwendigen Warenverkehrs durch politische Aktivitäten außerhalb der formalen Rechtssetzung.

WHO: Im internationalen Recht steht die Ausrufung des Pandemiefalles durch die WHO am 30. Januar 2020 gemäß Artikel 12 der Internationalen Gesundheitsvorschriften im Vordergrund, die zu weitreichenden Beschränkungen des internationalen Verkehrs und zu koordinierten Sicherheitsmaßnahmen der UN-Mitgliedsstaaten führten.

Bundesrecht: Die wesentlichen legislativen Maßnahmen des Bundes zur Pandemie-Bekämpfung finden sich im Bundesgesetzblatt Teil I 2020 Nr. 14 vom 27.03.2020.

  • Zu erwähnen sind vorab das Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetz (BGBl. 2020 I S. 543) mit Stabilisierungsfondsgesetz (bisher: Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz) und Wirtschaftsstabilisierungsbeschleunigungsgesetz (bisher: „Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz“) und begleitend das Nachtragshaushaltsgesetz 2020 (BGBl. I S. 556), beide vom 27. März 2020. Der Nachtragshaushalt beinhaltet im Wesentlichen eine zusätzliche Neuverschuldung des Bundes um 155 Milliarden Euro, also um knapp 50 Prozent des jährlichen Haushaltsvolumens. Dies bedeutet gemäß der Tabelle in BGBl. 2020 I Seite 565 eine Überschreitung der zulässigen Kreditaufnahme nach § 5 des Artikel 115-Gesetzes von 62 Milliarden um 99 Milliarden Euro.
  • Weiterhin enthalten sind in dieser BGBl.-Ausgabe mehrere Artikelgesetze, unter anderem das Gesetz zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz), ebenfalls vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 580). Dieses änderte das Krankenhausfinanzierungsgesetz, das Krankenhausentgeltgesetz sowie das SGB V und fügte dem SGB XI im 16. Kapitel den Abschnitt 3 hinzu. Dieser enthält in den §§ 147 bis 151 „Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der pflegerischen Versorgung während der durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Pandemie“ mit Verlängerungsoption qua Rechtsverordnung in § 152. Ferner änderte es das Bundesausbildungsförderungsgesetz.
  • Zentral für das Sozialversicherungsrecht ist das aus mehreren Artikeln bestehende Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 („Sozialschutz-Paket“) vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 575). Es führt krisenbedingte Sonderregeln in folgende Sozialgesetzbücher ein: SGB II (mit zusätzlicher Verlängerungsoption mittels Rechtsverordnung), SGB III, SGB IV, SGB VI, SGB XII mit Verlängerungsoption durch Rechtsverordnung, in das Bundeskindergeldgesetz, auch in das Bundesversorgungsgesetz (mit Verlängerungsoption per Rechtsverordnung), das Arbeitszeitgesetz und das Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte. Neu erlassen wurde dabei das sogenannte Sozialdienstleister-Einsatzgesetz.
  • Auch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite datiert vom 27. März 2020 und findet sich in derselben Ausgabe (Fundstelle: BGBl. I S. 587). Es führt die aktualisierten Regeln zur Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite und für die Koordinierung der dann erforderlichen Maßnahmen ein und es institutionalisiert die Rolle des RKI in solchen Fällen. Dazu enthält es zeitlich gestuft in Kraft tretende Änderungen des Infektionsschutzgesetzes, eine Änderung des IGV-Durchführungsgesetzes und eine Anpassung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch im Datenschutzbereich sowie eine Änderung des Baugesetzbuches zur flexiblen Verwaltung von Nutzungsänderungen und spätere Rückbauverpflichtungen von Anlagen für gesundheitliche Zwecke im Zuge der COVID-19-Pandemie. § 5a des geänderten Infektionsschutzgesetzes erlaubt vorübergehend Nichtärzten die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten bei Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. In § 28 IfSG werden Quarantäneregeln verschärft und es wird ein Entschädigungsanspruch für den Verdienstausfall von Sorgeberechtigten, die wegen der Schließung von schulischen Einrichtungen oder Kindergärten ihre Kinder selbst betreuen müssen, festgelegt.
  • Hervorzuheben sind auch die Neuerungen im Bundesrecht, welche durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 569) verursacht werden. Dieses Artikelgesetz enthält seinerseits ein neues Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz) sowie ein Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. In weiteren Artikeln hemmt es Unterbrechungsfristen in der StPO wegen Infektionsschutzmaßnahmen durch eine Änderung im EGStPO, bringt ein Verbraucherschutz-Moratorium über eine Änderung im EGBGB in das Verbraucher-Vertragsrecht nach BGB ein und enthält Verordnungsermächtigungen zur Verlängerung der Sonderregeln.
  • Weitere Vorschriften-ähnliche Regelungen des Bundes zur Bewältigung der Folgen der aktuellen Pandemie finden sich in speziellen Ausschreibungen und Fördermittelvergaben, die im werktäglich erscheinenden Bundesanzeiger dokumentiert sind. Beispielhaft seien zwei davon erwähnt: Eine rechtlich spannende Vierecksbeziehung zwischen Autovermietern, Arbeitgebern im krisenrelevanten Sektor, deren Arbeitnehmern und dem finanzierenden Bund etabliert eine Initiative zur Abgabe von Mietwagen an Pendler, die durch Ausfälle im ÖPNV betroffen sind (Sonderaufruf „Ersatzmobilität für Personal in Kliniken, Pflegeeinrichtungen und Corona-Testlaboren – COVID-19“ vom 21. April 2020, BAnz AT 27.04.2020 B6). Eine Spezialnorm zum Aufopferungsrecht berechtigt unter anderem Zahnärzte und Heilmittelerbringer zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen für die Phase ihrer landesrechtlichen Berufsausübungsverbote (COVID-19-VSt-SchutzV vom 30.04.2020 BAnz AT 04.05.2020 V1). Eventuell stellen solche Sondernormen nach dem Gleichheitssatz eine Basis für künftige Ansprüche anderer Berufsgruppen dar.

Landesrecht: Legislative Initiativen der Bundesländer zum Infektionsschutz in Form von Gefahrenabwehrmaßnahmen hinsichtlich der aktuellen CoViD-19-Pandemie finden sich in den sogenannten „Corona-Verordnungen“ der einzelnen Bundesländer, die meist auf § 32 Infektionsschutzgesetz gestützt sind. Diese Vorschrift ermächtigt die Landesregierungen dazu, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen – wie zum Beispiel für den Schulbereich auf das zuständige Ministerium – übertragen. Im Einzelnen werden diese Vorschriften in einem der Folgebeiträge aufgelistet.

 

 

Die Serie „Pandemierecht: Beipackzettel für Corona“ im Überblick:

Folge 1: Vorschriften und Rechtsgrundlagen

Folge 2: Verwerfungen der föderalistischen Ordnung

Folge 3: Beipackzettel Sozialrecht

Folge 4: Beipackzettel Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht

Folge 5: Beipackzettel „Recht der Gefahrenabwehr“

Folge 6: Das „Zweite epidemische Tragweiten-Bevölkerungsschutzgesetz“

Folge 7: Beipackzettel „Sozialschutz-Paket II“

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart
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