14.05.2020

Serie Pandemierecht: Beipackzettel für Corona

Folge 2: Verwerfungen der föderalistischen Ordnung

Serie Pandemierecht: Beipackzettel für Corona

Folge 2: Verwerfungen der föderalistischen Ordnung

Sowohl Bundesländer als auch Bund erlassen Gesetze, wenn es um Infektionsschutz geht. | © vegefox.com - stock.adobe.com
Sowohl Bundesländer als auch Bund erlassen Gesetze, wenn es um Infektionsschutz geht. | © vegefox.com - stock.adobe.com

Ging es in Folge 1  der Serie um eine Auflistung der aktuellen Vorschriften des Pandemierechts, geht es in der aktuellen Folge um die Gründe und die Konsequenzen der zahlreichen Bund-Länder-Konferenzen zum Thema „neuartiges Coronavirus“.

Gemengelage beim Infektionsschutz

Es fällt auf, dass im Jahr 2020 häufige Bund-Länder-Konferenzen zum Thema „neuartiges Coronavirus“ stattfinden und dass sowohl die Bundesländer als auch der Bund selbst Gesetze, Rechtsverordnungen, Fördermittelzuweisungen und Verwaltungsakte erlassen, die Maßnahmen zur Bekämpfung der Seucheneindämmung beinhalten. Typischerweise trennt das Grundgesetz Bundes- von Länderzuständigkeiten im legislativen, im haushälterischen und im exekutiven Bereich; im Infektionsschutz aber liegt eine Gemengelage vor.

Bereits im § 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) ist diese enge Verzahnung angelegt. § 1 Absatz 1 nennt als Zweck des Gesetzes, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Absatz 2 enthält eine recht offen formulierte Sollvorschrift und ruft zur Ausübung pflichtgemäßen Ermessens bei der föderalen Zusammenarbeit auf, indem er anordnet, dass die für die Zweckerreichung notwendige Mitwirkung und Zusammenarbeit von Behörden des Bundes, der Länder und der Kommunen (…) entsprechend dem jeweiligen Stand der medizinischen und epidemiologischen Wissenschaft und Technik zu gestalten und zu unterstützen sei. Infektionsschutz gehört im weitesten Sinne zur Gefahrenabwehr, ist also eine Materie des speziellen Polizeirechts.


Für das allgemeine Polizeirecht steht den Ländern die Gesetzgebungsbefugnis und die behördliche Organisationshoheit zu, beim speziellen Polizeirecht kommt es auf die Regelungen der jeweiligen Spezialmaterie an. Für „normale“ Infektionskrankheiten enthält das Infektionsschutzgesetz über die fixen Regeln und Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten in den §§ 15a bis 23a hinaus noch eine Ermächtigungsgrundlage für weitergehende Rechtsverordnungen der Länder in § 17. Und für die Bekämpfung „normaler“ Infektionskrankheiten enthält das Infektionsschutzgesetz über die in den §§ 24 bis 32 genannten Regeln und Maßnahmen hinaus ebenfalls eine Ermächtigungsgrundlage für weitergehende Rechtsverordnungen der Länder in § 32. Allerdings gibt es auch nicht normale Infektionskrankheiten, nämlich sogenannte Epidemien und Pandemien.

Besondere Rechtsgrundlagen vor völkerrechtlichen Hintergrund

Nach § 5 IfSG ist der Deutsche Bundestag dafür zuständig, eine sogenannte epidemische Lage von nationaler Tragweite festzustellen. Einen völkerrechtlichen Hintergrund für die getroffene Sprachregelung bilden unter anderem die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) in der Fassung von 2005. Diese wurden von der 58. Weltgesundheitsversammlung der WHO verabschiedet und sind seit dem 15. Juni 2007 völkerrechtlich verbindlich. Diese IGV (2005) wurden durch das Gesetz zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) vom 20. Juli 2007 (BGBl. II S. 930) und durch das Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) und zur Änderung weiterer Gesetze vom 21. März 2013 (BGBl. II S. 566) in deutsches Recht umgesetzt.

Wenn von der WHO-Generaldirektion gemäß Artikel 12 der IGV eine gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite festgestellt wird, beruft diese einen Notfallausschuss ein und kann dann eine sogenannte gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite ausrufen, also eine Pandemie. Dies geschah zuletzt beim Ebolafieber (Juli 2019) und beim neuartig aufgetretenen Coronavirus 2019-nCoV am 30. Januar 2020. Eine solche Ausrufung führt nach den Artikeln 13 bis 42 IGV zu einer großen Zahl von Maßnahmen, die sich auf den internationalen Personen- und Warenverkehr unmittelbar auswirken und damit letztlich auch auf die nationalen Wirtschafts- und Rechtsordnungen.

Faktisch indiziert eine Ausrufung einer Pandemie durch die WHO auch die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag, falls die betreffende Krankheit sich auch in nennenswerter Fallzahl auf das Bundesgebiet ausgebreitet hat oder auszubreiten droht. Wenn diese Feststellung erfolgt ist, knüpfen sich daran besondere Ermächtigungsgrundlagen, die insbesondere nach § 5 IfSG dem Bundesministerium für Gesundheit weitreichende Befugnisse für Anordnungen gegenüber Personen und Unternehmen sowie für wirtschaftlich und grundrechtlich einschneidende Rechtsverordnungen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens einräumen, für welche nach den „normalen“ Regeln die Länder zuständig wären. Insofern bewirkt also die vorübergehende Feststellung einer Epidemie durch den Bundestag eine weitere Kompetenzkonzentration beim Bund.

Pandemierechtliche Verwerfungen

Für den Rechtsunterworfenen und den Rechtsanwender führt dies zu der ungewohnten Situation, gleichzeitig auf mehreren föderalistischen Ebenen mit teilweise nicht hundertprozentig aufeinander abgestimmten Maßnahmen der Eingriffsverwaltung konfrontiert zu sein, die alle formal wirksam sind und – gegebenenfalls sogar bußgeldbewehrt – Beachtung fordern. Bei einigen Maßnahmen hat der Gesetzgeber gleich mitgeregelt, dass Widersprüche und Klagen keine aufschiebende Wirkung haben (vgl. § 5 Absatz 4 Satz 4 IfSG). Es empfiehlt sich trotz aller Regelungsvielfalt also nicht, Zuständigkeiten in Zweifel zu ziehen. Die Normgeber von der WHO bis zu den Landtagen haben das Interesse eines effektiven Schutzes vor übertragbaren Krankheiten eindeutig über Rechtsschutzinteressen gestellt, um keine Zeit bei der Bekämpfung von Seuchen zu verlieren.

 

 

 

Die Serie „Pandemierecht: Beipackzettel für Corona“ im Überblick:

Folge 1: Vorschriften und Rechtsgrundlagen

Folge 2: Verwerfungen der föderalistischen Ordnung

Folge 3: Beipackzettel Sozialrecht

Folge 4: Beipackzettel Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht

Folge 5: Beipackzettel „Recht der Gefahrenabwehr“

Folge 6: Das „Zweite epidemische Tragweiten-Bevölkerungsschutzgesetz“

Folge 7: Beipackzettel „Sozialschutz-Paket II“

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart
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