15.05.2020

Videokonferenzen statt Fiebermessen im Gemeinderat

Baden-Württemberg ermöglicht Gemeinderatssitzungen im digitalen Format

Videokonferenzen statt Fiebermessen im Gemeinderat

Baden-Württemberg ermöglicht Gemeinderatssitzungen im digitalen Format

In der Corona-Krise wird es schwieriger Sitzungen des Gemeinderats als Präsenzveranstaltungen durchzuführen. | © Артём Ковязин
In der Corona-Krise wird es schwieriger Sitzungen des Gemeinderats als Präsenzveranstaltungen durchzuführen. | © Артём Ковязин

Die Corona-Pandemie hat Auswirkungen auf alle gesellschaftlichen Bereiche. Um den notwendigen Infektionsschutz garantieren zu können, fallen immer mehr Gremiensitzungen aus, sind zumindest gefährdet. Der Bundesgesetzgeber hat hierauf reagiert und mit dem „Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohneigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie“ („C19-MaßnG“ v. 27.3.2020 -BGBl. 2020 I 569) bspw. die Tür zur Durchführung einer rein virtuellen Hauptversammlung geöffnet.

Unter dem Regime der Bekämpfung der Pandemie wird es auch für Kommunen immer schwieriger, dem Infektionsschutz und den Bestimmungen der Gemeindeordnung gerecht zu werden und Sitzungen des Gemeinderates korrekt als Präsenzveranstaltungen durchzuführen (dies trifft natürlich auch auf Sitzungen der Kreistage und anderer kommunaler Gremien zu, was nachfolgend nicht immer besonders erwähnt werden soll).   In Baden-Württemberg sind nach § 3 Abs. 2 Satz 1 der „Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2″ (Corona-Verordnung – CoronaVO) v. 17. März 2020 unter Berücksichtigung des Selbstorganisationsrechts der Kommunen Gemeinderatsitzungen etc. vom Versammlungsverbot ausgenommen. Deren Durchführung stellen aber, um den notwendigen Infektionsschutz für Gemeinderäte und Besucher zu garantieren, die Kommunalverwaltungen vor große Herausforderungen. Einige Städte und Gemeinden haben in teilweise „kreativer“ Auslegung und Anwendung der Normen der baden-württembergischen Gemeindeordnung versucht, auf andere Weise rechtsverbindliche Entscheidungen herbeizuführen. In dieser schwierigen Situation wurde seitens der Kommunen, der kommunalen Landesverbände, aber auch bspw. durch Organisationen wie den baden-württembergischen Landesverband von „Mehr Demokratie“, der Ruf lauter, zur Minimierung des Infektionsrisikos für Mandatsträger Gemeinderatsitzungen auch in „digitalen Formaten“, d. h. Telefon- oder Videokonferenzen zuzulassen. Ursprünglich erwog das baden-württembergische Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration, ob es nicht den Kommunen diese Möglichkeit über eine  Regelung in der CoronaVO ermöglichen kann. Inzwischen hat aber  der baden-württembergische Landtag  einstimmig einen entsprechenden Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen von GRÜNE und CDU (LT-Drs. 16/8027 und 16/8071-4) beschlossen, der es den Kommunen ermöglicht, in einfachen Fällen und bestimmten Ausnahmesituationen Sitzungen des Gemeinderats und des Kreistags in Videokonferenzen oder auf vergleichbare Weise durchzuführen.

Der Verfasser stellt nachfolgend den wesentlichen Inhalt dieses Gesetzes dar und wirft einen Blick auf das Nachbarbundesland Rheinland-Pfalz, wo es vergleichbare Bestrebungen gibt. Zuvor geht er auf die Ausgangslage nach baden-württembergischen Kommunalrecht ein.


Die Ausgangslage

Aus § 37 Abs. 1 i.V. mit §§ 34 und 35 GemO folgt, dass die Gemeinderatssitzungen als Präsenzsitzungen, also unter persönlicher Anwesenheit der Mitglieder des Gemeinderates und in der Regel öffentlich, stattzufinden haben (für die Sitzungen des Kreistages vgl. § 30 Abs. 1 i.V. mit § 29 LKrO BW). Dies ergibt sich insbesondere auch aus dem Öffentlichkeitsgebot, welches als Ausprägung des Demokratieprinzips einen tragenden Grundsatz des Kommunalverfassungsrechts darstellt.

Lediglich über Gegenstände einfacher Art, bei denen eine mündliche Beratung nicht erforderlich erscheint, kann im Wege der Offenlegung oder im schriftlichen oder elektronischen Verfahren beschlossen werden (§ 37 Abs. 1 Satz 2 GemO). Einfach ist eine Angelegenheit, wenn die Entscheidung für die Gemeinde oder sonstige Beteiligte unerheblich und somit leicht zu treffen ist. Die Ausnahmeregelung des § 37 Abs. 1 Satz 2 vermag somit aufgrund ihrer eingeschränkten Anwendungsmöglichkeit die mit der Corona-Pandemie verbundene besondere Situation für die Durchführung von Gemeinderatsitzungen nicht zu lösen.

Einige Städte und Gemeinden sind, um der Problematik des Infektionsschutzes bei Gemeinderatssitzungen zu umgehen, auf Eilentscheidungen des Bürgermeisters nach § 43 Abs. 4 Satz 1 GemO (vgl. § 41 Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs. 4 Satz 2 LKrO-Eilentscheidungsrecht des Landrates), teilweise auch nach vorheriger informeller Anhörung der Fraktionen oder der Gemeinderäte außerhalb einer Präsenzsitzung, ausgewichen. In der Regel dürften aber die Voraussetzungen des Eilentscheidungsrechtes nicht vorgelegen haben, weshalb dieses Vorgehen zumindest als rechtlich nicht unproblematisch angesehen werden muss. Außerdem wird dadurch das Öffentlichkeitsprinzip ausgehöhlt.

Als „eine kreative, aber zulässige Auslegung der Gemeindeordnung“ wurde die „absichtliche“ Herbeiführung der Beschlussunfähigkeit des Gemeinderates nach § 37 Abs. 2 Satz 1 und 2 GemO bewertet, um dann eine Notfallsitzung nach Abs. 3 (vgl. § 32 Abs.3 Satz 1 LKrO) durchzuführen, in der zur Beschlussfähigkeit die Anwesenheit von drei Gemeinderäten genügt. Auf diese Weise wurde in der Stadt Tübingen in Anwesenheit von vier Stadträtinnen der Haushalt ohne Wortmeldung und Gegenstimme beschlossen. Dass dieses Vorgehen unter Berücksichtigung üblicher demokratischer Gepflogenheiten und der in der Kommunalpolitik notwendigen Transparenz auch als ein „Zuviel“ an Kreativität bezeichnet wurde, ist durchaus nachvollziehbar.

Nicht minder kreativ ist das Vorgehen des Oberbürgermeisters der Stadt Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold, zu nennen, der zu einer sogenannten „Hybridsitzung“ eingeladen hat, um bei einem vielköpfigen Gemeinderat die Ansteckungsgefahr zu minimieren. An der Sitzung nahmen unter Berücksichtigung der jeweiligen Fraktionsstärke nur so viele Gemeinderäte teil, wie zur Beschlussfähigkeit erforderlich waren. Die übrigen wurden ohne an der Abstimmung teilzunehmen per Telefon zugeschaltet. Eine Lösung, die unter demokratischen Gesichtspunkten betrachtet einer absichtlichen Herbeiführung der Voraussetzungen einer Notfallsitzung im obigen Sinne vorzuziehen, gleichwohl rechtlich als ebenfalls nicht unproblematisch anzusehen ist.

Zusammengefasst lässt sich also feststellen, dass die Corona-Pandemie die Kommunen im Hinblick auf die Durchführung der Gremiensitzungen vor große Probleme stellt und rechtssichere Lösungen nach den bisherigen Möglichkeiten des Kommunalrechts nicht einfach darzustellen sind.

Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung, der Landkreisordnung und anderer Gesetze vom 07.05.2020 (GBl. 220, 259)

Die ursprüngliche Absicht des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration, den Kommunen über eine Regelung in der CoronaVO die Abhaltung von Gemeinderats- oder Kreistagssitzungen in digitalen Formaten zu ermöglichen, wurde offensichtlich auch wegen des berechtigten Einwandes, dass die Bestimmungen der GemO und weiterer Gesetze nicht über eine Verordnung geändert oder erweitert werden können, nicht weiterverfolgt.

Der Landtag von Baden-Württemberg hat aber mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung der Gemeindeordnung, der Landkreisordnung und anderer Gesetze vom 07.05.2020 dem Anliegen der Kommunen Rechnung getragen und mit der Einfügung der  Vorschriften  § 37a GemO und  § 32a LKrO und mit Verweisungsnormen im Gesetz über Kommunale Zusammenarbeit  sowie im Sparkassengesetz den Städten und Gemeinden, Landkreisen, Zweckverbänden, Sparkassen, und damit auch weiteren kommunalen Körperschaften, die Möglichkeit eröffnet, in einfach gelagerten Fällen und bestimmten Ausnahmesituationen die Sitzungen ihrer Hauptorgane ohne persönliche Anwesenheit der Mitglieder im Sitzungsraum abzuhalten. Dies setzt vom Zeitraum des Inkrafttretens des Gesetzes am 13. Mai 2020 bis zum 31. Dezember 2020 abgesehen, eine entsprechende Bestimmung in der Hauptsatzung, Verbandssatzung oder Satzung der Sparkasse bspw. voraus.

§ 37a GemO, der inhaltlich dem § 32a LKrO entspricht, hat folgenden Wortlaut:

 „§ 37 a Durchführung von Sitzungen ohne persönliche Anwesenheit der Mitglieder im Sitzungsraum

(1) Durch die Hauptsatzung kann bestimmt werden, dass notwendige Sitzungen des Gemeinderats, ohne persönliche Anwesenheit der Mitglieder im Sitzungsraum durchgeführt werden können; dies gilt nur, sofern eine Beratung und Beschlussfassung durch zeitgleiche Übertragung von Bild und Ton mittels geeigneter technischer Hilfsmittel, insbesondere in Form einer Videokonferenz, möglich ist. Dieses Verfahren darf bei Gegenständen einfacher Art gewählt werden; bei anderen Gegenständen darf es nur gewählt werden, wenn die Sitzung andernfalls aus schwerwiegenden Gründen nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden könnte. Schwerwiegende Gründe liegen insbesondere vor bei Naturkatastrophen, aus Gründen des Seuchenschutzes, sonstigen außergewöhnlichen Notsituationen oder wenn aus anderen Gründen eine ordnungsgemäße Durchführung ansonsten unzumutbar wäre. Bei öffentlichen Sitzungen nach Satz 1 muss eine zeitgleiche Übertragung von Bild und Ton in einen öffentlich zugänglichen Raum erfolgen.

(2) Die Gemeinde hat sicherzustellen, dass die technischen Anforderungen und die datenschutzrechtlichen Bestimmungen für eine ordnungsgemäße Durchführung der Sitzung einschließlich Beratung und Beschlussfassung eingehalten werden. In einer Sitzung nach Absatz 1 Satz 1 dürfen Wahlen im Sinne von § 37 Absatz 7 nicht durchgeführt werden. Im Übrigen bleiben die für den Geschäftsgang von Sitzungen des Gemeinderats geltenden Regelungen unberührt.

(3) Bis 31. Dezember 2020 findet Absatz 1 mit der Maßgabe Anwendung, dass eine Regelung in der Hauptsatzung nicht erforderlich ist.“

Sitzungen in digitalen Formaten bleiben die absolute Ausnahme

Der Landesgesetzgeber lässt damit Sitzungen in digitalen Formaten nur bei einfach gelagerten Gegenständen oder in absoluten Ausnahmefällen zu. Der unbestimmte Rechtsbegriff Gegenstand einfacher Art entspricht nach der Gesetzesbegründung dem des § 37 Abs. 1 Satz GemO (siehe oben; diese Möglichkeit wird durch das Gesetz in § 32 Abs.1 Satz 2 LKrO für die Landkreise erstmals geschaffen) und meint Entscheidungsvorgänge, die auch in den dort genannten Umlaufverfahren entschieden werden können (LT-Drs. 16/8027 S. 6).

Ansonsten müssen schwerwiegende Gründe eine ordnungsgemäße Durchführung der Sitzung unzumutbar machen, wofür der Gesetzgeber ohne eine abschließende Aufzählung zu wählen, Beispiele benennt. Treffendes Beispiel hierfür ist natürlich der Anlass der Gesetzesergänzung, die Corona-Pandemie. Zu denken ist aber auch an Naturkatastrophen wie Hochwasser. Allerdings kann bspw. bei der Zerstörung von Einrichtungen der Infrastruktur den Weg zum Versammlungslokal unmöglich machen, was aber dann gleichzeitig das Problem aufwirft, ob dann bei öffentlichen Sitzungen, die vom Gesetzgeber geforderte Sitzungsöffentlichkeit gewährleistet werden kann.

Der Gesetzgeber hält mit dieser Bestimmung ausdrücklich am Leitbild der Präsenzsitzung als Regelsitzung fest (LT-Drs. 16/8027 S. 6 und 8), was aus demokratischen Gründen zu begrüßen ist (vgl. oben).

Mit der Festlegung, dass in diesen Fällen für Beratung und Beschlussfassung gewährleistet sein muss, dass mittels geeigneter Hilfsmittel Bild und Ton zeitgleich übertragen werden können, legt sich der Gesetzgeber auf Videokonferenzen oder vergleichbare Techniken fest. Die Erweiterung der Möglichkeiten auf Telefonkonferenzen (Antrag der FDP/DVP-Landtagsfraktion) wurde von der Mehrheit des Landtags abgelehnt. Dadurch soll u.a. eine zweifelsfreie Identifikation der beteiligten Personen und durch das Erkennen von Mimik und Gestik der beteiligten Personen eine persönlichere Kommunikation ermöglicht werden (LT-Drs. 16/8027 S.7).

Ferner soll dadurch der Öffentlichkeitsgrundsatz (§ 35 Abs. 1 GemO; siehe oben) unterstrichen werden, der insbesondere durch die Verpflichtung bei öffentlichen Sitzungen diese zeitgleich mit Bild und Ton in einen öffentlich zugänglichen Raum zu übertragen, gewahrt wird.

In § 37 Abs. 2 Satz 1 GemO ist die Verpflichtung der Gemeinde normiert, dass die technischen Anforderungen und die datenschutzrechtlichen Bestimmungen für eine ordnungsgemäße Durchführung für den gesamten Sitzungsverlauf garantiert sind. Fiele die Technik auch nur zeitweise aus, wären die in der Sitzung gefassten Beschlüsse rechtlich anfechtbar und der Grundsatz der Öffentlichkeit verletzt (vgl. auch den Sinngehalt von § 37 Abs. 1 Satz 1 GemO). In datenschutzrechtlicher Hinsicht gelten nach der Gesetzesbegründung die gleichen Vorkehrungen, die nach Auffassung des Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit BW (LfDI) auch für Bild- und Tonaufnahmen bei Präsenzsitzungen zu beachten sind. Hierzu zählt insbesondere die Einwilligungserklärung aller Beteiligten (LT-Drs. 16/8027 S. 7; die Regelung dieser Materie in der GemO nach hessischem oder rheinland-pfälzischem Vorbild – vgl. § 52 Abs. 3 HGO und § 35 Abs. 1 GemO RP- wurde von der Landtagsmehrheit bislang nicht als erforderlich angesehen. Vgl. hierzu u.a. die LT-Drs. 15/7265 S. 32). Ein entsprechender Antrag der SPD-Landtagsfraktion wurde auch in der Landtagssitzung am 07. Mai 2020 abgelehnt.

Die Regelung in § 37 Abs. 3 GemO, wonach bis zum 31. Dezember 2020 Abs. 1 auch ohne Regelung in der Hauptsatzung anwendbar ist, gibt angesichts der eingangs dargestellten Probleme mit der Sitzungsterminierung in Zeiten der Corona-Pandemie Sinn.

Blick über die Landesgrenze

Je nach Betroffenheit von der Corona-Pandemie, haben auch in anderen Bundesländern die Kommunen Probleme mit der Durchführung von Sitzungen der kommunalen Vertretungskörperschaften. Die Fraktionen von SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Rheinland-Pfalz haben deshalb am 28.04.2020 einen Gesetzesentwurf vorgelegt, mit welchem ein Beitrag zur Reduzierung der Ansammlung von Personen zur Vermeidung von Infektionsgefahren geleistet und  dennoch die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Kommunen sichergestellt werden soll (LT-Drs. 17/11761). Der Gesetzentwurf wurde am 29.04.2020 vom Landtag in erster Lesung beraten und an den Innen- und Rechtsausschuss verwiesen.

Nach diesem Entwurf soll dem § 35 GemO ein Abs. 3, dem § 28 LKO ein Abs. 3 und dem § 7 der Bezirksordnung ein Abs. 4 mit folgendem gleichlautendem   Wortlaut hinzugefügt werden:

„(3) Bei Naturkatastrophen oder sofern andere außergewöhnliche Notsituationen dies erfordern dürfen Beschlüsse im Umlaufverfahren oder mittels Video- oder Telefonkonferenzen gefasst werden, wenn bei Umlaufverfahren kein Ratsmitglied einem solchen Verfahren widerspricht und bei Video- oder Telefonkonferenzen zwei Drittel der gesetzlichen Zahl der Ratsmitglieder einem solchen Verfahren zustimmt. Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend. Die Feststellung einer Ausnahmesituation und eines Erfordernisses im Sinne von Satz 1 bedarf der Zustimmung der zuständigen Aufsichtsbehörde. Die im Umlaufverfahren gefassten Beschlüsse sind dem Gemeinderat in der nächsten Präsenzsitzung zur Bestätigung vorzulegen. Eine Aufhebung ist nur möglich, soweit nicht bereits Rechte Dritter entstanden sind. Bei Video- und Telefonkonferenzen ist der Öffentlichkeit auf elektronischem Weg die Teilnahme zu ermöglichen, sofern keine Gründe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 entgegenstehen. Die Einwohnerinnen und Einwohner sind hierüber in geeigneter Form zu unterrichten.“

In Rheinland-Pfalz können bislang Beschlüsse der kommunalen Vertretungskörperschaften und ihrer Ausschüsse nur in Präsenzsitzungen getroffen werden (vgl. LT-Drs. 17/11761 S. 1). Können diese nicht abgehalten werden, greift auch dort das Eilentscheidungsrecht, was allerdings „auf der Willensbildung einzelner Personen (oder) sogar auf der einer nicht demokratisch legitimierten, außenstehenden Person“ (vgl. §§ 124 Abs. 1 Nr. 2 GemO bzw. 67 Abs. 1 Nr. 2 LKO) beruht (vgl. LT-Drs. 17/11761 S.5). Deshalb sollen künftig bei Naturkatastrophen oder anderen außergewöhnlichen Notsituationen auch Beschlüsse im Umlaufverfahren oder mittels Video- und Telefonkonferenzen gefasst werden können. Die Abhaltung von Telefonkonferenzen ist in Baden-Württemberg nicht vorgesehen und, wie bereits angesprochen, auch nicht unproblematisch.

Die Begrifflichkeit „Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen“ ist Artikel 117 der Landesverfassung entnommen und dürfte der Intention des baden-württembergischen Gesetzgebers entsprechen. In der Gesetzesbegründung wird insoweit ausdrücklich auf die erhebliche Infektionsgefahr durch das Corona-Virus verwiesen. In solchen Ausnahmesituationen sei eine Einschränkung der Sitzungsöffentlichkeit, also der Möglichkeit der persönlichen Teilnahme an einer solchen Sitzung, zu rechtfertigen (LT-Drs. 17/11761 S. 6 f.).

Ob die Voraussetzungen einer solchen Ausnahmesituation vorliegen, bedarf der Zustimmung der Aufsichtsbehörde, was das baden-württembergische Recht nicht vorsieht.  Dies und das Zustimmungsquorum von zwei Dritteln der Ratsmitglieder für Video- oder Telefonkonferenzen sollen gewährleisten, dass die neu in den genannten Gesetzen „vorgesehenen Instrumente nur bei einem entsprechenden Erfordernis und in absoluten Ausnahmefällen eingesetzt werden“ (LT-Drs. 17/11761 S, 6). Auch dies entspricht der Absicht des baden-württembergischen Gesetzgebers.

Mit dem Quorum soll auch ein ausreichender Schutz der Ratsmitglieder bei Ton- oder Bildübertragungen gewährleistet werden, wobei in der GemO RP diese Materie, im Gegensatz zu Baden-Württemberg (siehe oben), für öffentliche Präsenzsitzungen bereits geregelt ist (§ 35 Abs. 1 GemO).

„Um den Grundsatz der Öffentlichkeit bei Video- und Telefonkonferenzen weitestgehend zu entsprechen, ist vorgesehen, dass diese (, soweit öffentlich,) zeitgleich – z. B. per Livestream – über das Internet zu übertragen sind oder der Öffentlichkeit eine Einwahl in die Video- oder Telefonkonferenz ermöglich wird“ (LT-Drs. 17/11761 S. 7). Insoweit unterscheidet sich das rheinland-pfälzische Vorgehen erheblich von dem in Baden-Württemberg. Die dadurch ermöglichte Teilnahme an den Video- und Telefonkonferenzen ist aber angesichts der Tatsache, dass nicht alle Bürgerinnen und Bürger über das Wissen und die Technik verfügen, um an solchen Sitzungen teilzunehmen nicht unproblematisch.

Auf die besonderen Förmlichkeiten bei Umlaufbeschlüssen ist zu verweisen. Die Auswirkungen des Gesetzes sollen bis zum 31.12.2021 evaluiert werden. Das Gesetz tritt am 31. März 2021 außer Kraft.

Schlussbemerkung

Die mit den angesprochenen Gesetzesänderungen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verbundenen Möglichkeiten für kommunale Gremien in einfach gelagerten Fällen oder in absoluten Ausnahmesituationen in digitalen Formaten zu tagen, wird den mit der Bewältigung der Corona-Pandemie verbundenen Schwierigkeiten gerecht. Hiervon Gebrauch zu machen oder nicht, bleibt den kommunalen Gebietskörperschaften freigestellt.

Gemeinderatsitzungen und vergleichbare in Video- oder Telefonkonferenzen abzuhalten, sollte jedoch, wie vom Gesetzgeber auch intendiert, von den einfach gelagerten Fällen abgesehen, die absolute Ausnahme bleiben. Auch bei bester Technik lassen Präsenzsitzungen ganz andere Interaktionsmöglichkeiten zwischen den Beteiligten zu und können diese auch schneller ermüden, wie auch von erfahrenen Betroffenen auf unterschiedlichen politischen Ebenen immer wieder hervorgehoben wird.

Das rheinland-pfälzische Vorgehen, die Eröffnung dieser Möglichkeiten zeitlich zu begrenzen, lässt sich trefflich diskutieren. Ist doch zu befürchten, dass uns angesichts der globalen Entwicklungen in  der Welt und der mit der Klimaveränderung einhergehenden Bedrohungen dauerhaft krisenhafte Ereignisse begleiten werden.

Dr. Herbert O. Zinell

Dr. Herbert O. Zinell

Senator E.h. Dr. Herbert O. Zinell, Ministerialdirektor a.D. und Oberbürgermeister a.D
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