18.05.2020

Standpunkt: Finanztransaktionsteuer

Die politische Verzwergung einer klugen Idee

Standpunkt: Finanztransaktionsteuer

Die politische Verzwergung einer klugen Idee

Mit der Finanztransaktionsteuer würden nicht die spekulativen Aktivitäten des Finanzsektors belastet, sondern die Aktiensparer. | © peterschreiber.media - stock.ado
Mit der Finanztransaktionsteuer würden nicht die spekulativen Aktivitäten des Finanzsektors belastet, sondern die Aktiensparer. | © peterschreiber.media - stock.ado

Von den ursprünglich elf EU-Staaten, die sich im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit (VZ) die Einigung auf eine europäische Finanztransaktionsteuer (FTS) vorgenommen hatten, wird mit Österreich absehbar ein weiterer Staat (nach Estland 2015) von der Fahne gehen. Selbst wenn die Einführung der Steuer mit der Mindestteilnehmerzahl von 9 Ländern ab 2021 noch gelingen sollte, wird sie inhaltlich ein Rohrkrepierer.

Grundidee

Die ursprüngliche Intention dieser Steuer bestand seit John Maynard Keynes darin, den Handel mit Aktien, Wertpapieren und Derivaten zu besteuern und so Spekulationen an Finanzmärkten einzudämmen. Dies gilt in Zeiten des computerbasierten Hochfrequenzhandels, der häufig für starke Kursschwankungen verantwortlich gemacht wird, umso mehr.

Eine derartige Steuer auf Börsengeschäfte wurde in Europa seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 diskutiert und seit 2011 auf EU-Ebene verhandelt.


Neben der sichtbaren Beteiligung des krisenverursachenden Finanzsektors sollten für die Zukunft Übertreibungen auf den Finanzmärkten durch eine Verteuerung von spekulativ motivierten Handelsaktivitäten verhindert werden. Langfristige Investoren wären dagegen, so die Prämisse, von der Steuer kaum betroffen, da sie im Unterschied zu „Spekulanten“ relativ selten Finanzmarkttransaktionen tätigten. In diesem Sinne handelt es sich bei der FTS um eine Verkehrssteuer mit einer behaupteten positiven Lenkungswirkung im Sinne der Finanzmarktstabilität.  Sie unterscheidet sich von der Finanzaktivitätssteuer, die im Kern eine Besteuerung von Gehältern und Gewinnen im Finanzsektor vorsieht.

Konkreter Vorschlag

Der Bundesfinanzminister (BMF) hatte am 9. Dezember 2019 den an der VZ beteiligten Staaten (neben Deutschland waren das damals Österreich, Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien, Portugal, Slowakei, Slowenien und Spanien) einen finalen Vorschlag für einen Richtlinientext zur Einführung einer FTS vorgelegt (EUFIN 427/2019). Er warb bei seinen Amtskolleginnen und -kollegen um abschließende Zustimmung, um das formelle Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene einleiten und das Vorhaben nach beinahe einem Jahrzehnt der Diskussion rasch(!) abschließen zu können. Folgende Eckpunkte enthält der Vorschlag:

  • Besteuert wird der Aktienerwerb von gelisteten Unternehmen, die ihren Hauptsitz im Inland haben, sowie im Inland und im Ausland ausgegebene Hinterlegungsscheine, die mit Aktien dieser Unternehmen unterlegt sind;
  • Die Steuer wird unabhängig vom Ort der Transaktion und der Nationalität des Erwerbers erhoben. Die Steuerpflicht ist letztlich an den eingetragenen Firmensitz des die Aktien emittierenden Unternehmens geknüpft (sog. Ausgabeprinzip wie auch z.B. in Frankreich und Italien).
  • Dabei werden nur Aktien von solchen Unternehmen einbezogen, deren Marktkapitalisierung über 1 Mrd. Euro liegt;
  • Der Steuersatz soll 0,2 Prozent betragen, wobei in erster Linie institutionelle Anleger im Fokus stehen, da lt. Richtlinienentwurf der Anteil der Geschäfte von Privatanlegern am Handelsvolumen mit deutschen Aktien mit insgesamt 3 Prozent sehr klein sei.

Zu Irritationen führt allerdings allein schon der Name der geplanten Abgabe. Schließlich fallen unter Finanztransaktionen bei Weitem nicht nur Aktiengeschäfte, und auch nicht allein die Käufe solcher Papiere. Aber: Andere Finanzinstrumente wie Derivate sollen nach Scholz‘ Willen nicht von der neuen Steuer betroffen sein, für festverzinsliche Papiere stand die Abgabe ohnehin nie zur Debatte. So bleiben also die an der Börse gehandelten Aktien. Anders als zuweilen angenommen wird jedoch ausschließlich der Erwerb der Titel besteuert – nicht der Verkauf. „Aktienerwerbsteuer“ würde den Sachverhalt also exakt beschreiben.

Abschätzung der Wirkungen

Hinsichtlich ihrer Lenkungswirkung ist dies jedoch aus mehreren Gründen keine gute Nachricht:

  • Entgegen einer naiven Vorstellung vom Geschehen an Börsen und von „Finanzkapitalismus“ ist der Aktienmarkt keineswegs das zentrale Segment der Finanzmärkte. Vergleichbare Bedeutung haben der Handel in Rohstoff- und Kreditrisiken. Bedeutsamer erscheint der Handel in Währungsrisiken. Das mit Abstand wichtigste Marktsegment ist aber der Zinsmarkt, an dem sich der Preis für Kapital bildet.
  • Ein zunehmender Anteil der Investitionen in das Risiko des Aktienmarkts aus Anlage- oder Spekulationsmotiven erfolgt heute über Derivate und börsengehandelte Indexfonds (ETFs). Hinter dieser Entwicklung stehen Kosten- und Effizienzvorteile, aber auch die Erkenntnisse der Kapitalmarkt- und Portfoliotheorie, dass es für die Mehrzahl der Investoren allein auf den Erwerb eines gut diversifizierten Portfolios von Aktienrisiken ankommt. Im Ergebnis verlagert sich der Preisbildungsprozess vom eigentlichen Aktienmarkt weg zu diesen alternativen Märkten.

Aus einem geschätzten Handelsvolumen an den Finanzmärkten der Europäischen Union von über 428 Billionen Euro unterliegen in Ergebnis gerade einmal 2,2 Billionen Euro der Steuer.

Kritiker bemängeln denn auch zu Recht, dass der Vorschlag von Scholz wenig mit der Ursprungsidee und deren Lenkungsabsicht zu tun hat. Der allergrößte Teil der Finanzgeschäfte bleibt demnach außen vor und es werden eben nur Aktien besteuert und auch hier nur der Börsenhandel. Mittlerweile finden aber selbst bei den Aktien ca. 50% des Handels außerbörslich statt. Insbesondere setzt man bei einer Steuerbefreiung dieses sog.  Over-the-Counter (OTC)-Handels Anreize für Marktteilnehmer in eben diese Segmente abzuwandern.

Selbst wenn  man die Börsensteuer nicht grundsätzlich als bösen Anlegerschreck sieht, als den sie einige Finanzlobbyisten nun darstellen, ist die Kritik des französischen Rechnungshofs an der dort bereits eingeführten und dem Scholz-Vorschlag sehr ähnlichen Steuer nicht ermutigend: mit ihr würden nicht die spekulativen Aktivitäten des Finanzsektors belastet, sondern die Aktiensparer.

Die damit verbundene Steuerbelastung wird nämlich – wie z.B. bei der Mehrwertsteuer – letztlich auf (Privat)Anleger und kapitalsuchende Unternehmen überwälzt. Die Finanzindustrie muss die Steuer also abführen, aber tragen wird sie sie nicht. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Wettbewerbsintensität auf den Finanzmärkten zwar hoch, aber die Markttransparenz für den Endkunden gering ist.

Vor allem aber setzt die Steuer deutliche Anreize, verstärkt Derivate einzusetzen. Soweit man also in deren herausragenden Rolle auf den Finanzmärkten ein Problem sieht, wird dieses durch die Steuer in ihrer vorliegenden Form eher noch vergrößert.

Die Stärke der rechtlich zulässigen Ausweichreaktionen sowohl auf nicht belastete Finanzprodukte als auch steuerfreie Handelsplätze lässt sich an dem im Vergleich zu den anfänglichen Erwartungen enttäuschend niedrigen Steueraufkommen in Italien und Frankreich ablesen.

Fazit

Wenn sogar Befürworter der FTS-Idee das Steuerdesign des BMF als nicht zielführend bewerten und der eigene – des Lobbyismus eher unverdächtige – wissenschaftliche Beirat davon abrät, steht fest: Es wird prognostisch keinen positiven Nutzen geben, sondern fast nur schädliche Nebenwirkungen. Warum folgt die Politik während der Corona-Pandemie der medizinischen Expertise weitgehend, ignoriert aber diesbezüglich den ökonomischen Expertenrat komplett?

Das verzwergte FTS-Konzept dann noch finanziell mit einer (ebenfalls höchst umstrittenen) Grundrente zu kombinieren, ist allenfalls parteipolitisch zu erklären.

In Deutschland gibt es ohnehin viel zu wenige Aktiensparer. Wer dieses FTS-Konzept daher für gerecht hält, hat es entweder nicht verstanden oder einen Gerechtigkeitsbegriff, der für einen Sozialdemokraten – milde ausgedrückt – merkwürdig ist.

Springt jetzt angesichts dieser Befunde nach Österreich ein weiteres Land ab, wäre das Projekt mit dann weniger als 9 Teilnehmerstaaten auf EU-Ebene gescheitert. Inhaltlich hat Scholz das hehre Ziel einer Kapitalmarktunion ohnehin bereits aufgegeben, wenn er in einem Schreiben vom 06.April dieses Jahres den Teilnehmerländern anbietet, dass diese ihre nationalen Lösungen vorerst beibehalten können.

Abgesehen davon, dass die Steuer also ihre Ziele national wie international verfehlen wird und ihre schädlichen Nebenwirkungen weit über ihrem bescheidenen Einnahmepotenzial von ca. 1,5 Mrd. € jährlich liegen werden: In einem Umfeld multimilliardenschwerer Hilfsprogramme und Steuersenkungen zur Bekämpfung der Pandemiefolgen ist sie auch politisch komplett aus der Zeit gefallen.

 

Michael Heinrich

Dozent an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Bundeswehrverwaltung in Mannheim
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