22.05.2020

Serie Pandemierecht: Beipackzettel für Corona

Folge 3: Beipackzettel Sozialrecht

Serie Pandemierecht: Beipackzettel für Corona

Folge 3: Beipackzettel Sozialrecht

Soziale Dienstleister helfen uns auch in der Krise. | © Blue Planet Studio - stock.adobe.com
Soziale Dienstleister helfen uns auch in der Krise. | © Blue Planet Studio - stock.adobe.com

Nach einer Auflistung der aktuellen Vorschriften des Pandemierechts und den föderalistischen Verwerfungen liefert der aktuelle Folgebeitrag den Beipackzettel Sozialrecht.

Pandemierecht – Beipackzettel 1: Sozialrecht

Eine grobe Orientierung zu den Problemstellungen und Zielsetzungen des bundesrechtlichen Sozialschutz-Paketes gibt die zugehörige Bundestags-Drucksache 19/18107 vom 24.03.2020. Besondere Maßnahmengruppen betreffen hierbei vereinfachte Antragsverfahren für unterhaltssichernde Sozialleistungen, eine arbeitszeitliche Deregulierung, Voraussetzungen der Kurzarbeit und Zuschüsse für soziale Dienstleister.

(a) Problemstellung:


Die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (COVID19) hatte und hat spürbare Auswirkungen auf Wirtschaft und Beschäftigung. Für einzelne Branchen führen die Maßnahmen zur Vermeidung des COVID-19 in Teilen zum erheblichen bis vollständigen Ausfall des Geschäftsbetriebs inklusive kurzfristigen Wegfalls sämtlicher bestehender Aufträge. Gründe sind zum Beispiel die Absage von Messen, Veranstaltungen oder die Einstellung der Leistungen sozialer Dienste sowie die generelle Vermeidung sämtlicher nicht notwendiger Sozialkontakte auch durch und innerhalb von Unternehmen und damit verbundener Folgen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen können dazu führen, dass Menschen vorübergehend erhebliche Einkommenseinbußen erfahren. Dies kann alle Erwerbstätigen betreffen, ist aber insbesondere für Kleinunternehmer und sogenannte Solo-Selbständige risikobehaftet. Dieser Personenkreis verfügt in aller Regel über begrenzte finanzielle Rücklagen und hat auch keinen Zugang zu anderen Absicherungen wie Arbeitslosen-, Kurzarbeiter- oder Insolvenzgeld. Infolgedessen kann kurzfristig eine existenzbedrohende Situation eintreten. Erhebliche Einkommenseinbußen können aber auch ältere und zeitlich befristet oder dauerhaft voll erwerbsgeminderte Menschen treffen. Dies gilt insbesondere im Falle einer gemischten Bedarfsgemeinschaft, wenn das Einkommen beim Hauptverdienenden wegfällt. Darüber hinaus kann auch bei nicht erwerbsfähigen Menschen durch die COVID-19-Pandemie Einkommen wegfallen und es können Berechtigte im Sozialen Entschädigungsrecht betroffen sein. Einerseits ist die Erbringung fürsorgerischer und sozialer Dienste aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen beeinträchtigt, andererseits sind die von sozialen Dienstleistern vorgehaltenen Kapazitäten unbedingt erforderlich, um vor Ort die notwendigen Hilfeleistungen sicherstellen zu können. Die Verschiebung planbarer Operationen, die Nichtinanspruchnahme von Leistungen zur Vermeidung von Ansteckungen oder die Nutzungsbeschränkung von Einrichtungen führen zu einem erheblichen Rückgang von Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe und führt zur Existenzbedrohung für soziale Dienstleister. Es fehlte eine gesetzliche Grundlage, die es den Leistungsträgern ermöglicht hätte, ihre Zahlungen an die sozialen Dienstleister fortzusetzen. Auch die weitere Finanzierung von Dienstleistern, die Maßnahmen zur Eingliederung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Arbeitsförderung (SGB III) oder Integrationskurse und Berufssprachkurse erbringen, war unklar. Von finanziellen Einbußen betroffen waren und sind zudem die freien Wohlfahrtsverbände. Denn diese dürfen als gemeinnützige Träger – anders als kommerzielle Anbieter – kaum Risikorücklagen bilden und können oftmals keine Kredite aufnehmen. Sie werden daher nicht die für die Wirtschaft vom BMF geplanten finanziellen Hilfen in Anspruch nehmen können. Dennoch sollen die Leistungsträger im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit den Bestand der sozialen Dienstleister in diesem Zeitraum sicherstellen.

(b) allgemeine Ziele:

In dieser problematischen Lage setzte sich der Bundesgesetzgeber mit dem sogenannten Sozialschutz-Paket folgende Ziele: Der Bundestag wollte dafür vorsorgen, dass der Bestand der sozialen Dienste und Einrichtungen in diesem Zeitraum nicht gefährdet ist. Das Arbeitszeitgesetz erhielt eine Verordnungsermächtigung, um in außergewöhnlichen Notfällen mit bundesweiten Auswirkungen, insbesondere in epidemischen Lagen von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), bundeseinheitliche Ausnahmen von den Arbeitszeitvorschriften zu ermöglichen. Die Regelung soll dazu beitragen, im Notfall die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Gesundheitswesens und der pflegerischen Versorgung, der Daseinsvorsorge sowie die Versorgung der Bevölkerung mit existenziellen Gütern sicherzustellen. Durch die Corona-Krise besteht ein aktuell besonders hoher Bedarf an medizinischem Personal. Aber auch in anderen systemrelevanten Bereichen kann es zu Personalengpässen aufgrund von Erkrankungen oder Quarantäneanordnungen kommen. Das geltende Recht sah Beschränkungen beim Zusammentreffen von Rente und Hinzuverdienst vor und könnte diejenigen, die in der aktuellen Situation mit ihrer Arbeitskraft Unterstützung leisten wollen, an ihrem Einsatz hindern. Daher wurde die bestehende Hinzuverdienstgrenze vorübergehend auf 44.590,- € bis zum 31.12.2020 angehoben. Auch der rentenrechtliche Rahmen für die Weiterarbeit oder Wiederaufnahme einer Beschäftigung nach Renteneintritt sollte erleichtert werden.

(c) vereinfachte Verfahren:

Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beziehungsweise die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) und die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII wurden in einem vereinfachten Verfahren schnell und unbürokratisch zugänglich gemacht, um die Arbeitsfähigkeit der Jobcenter zu erhalten.  Die inhaltliche Übernahme der Übergangsregelungen des SGB II und des SGB XII für die ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt im Sozialen Entschädigungsrecht nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) stellt sicher, dass für Berechtigte im Recht der Sozialen Entschädigung ein vergleichbarer Schutz besteht. Der Kinderzuschlag wurde für Familien, die in den Einkommensbereich der Leistung fallen, zeitlich befristet umgestaltet, um die aktuelle krisenbedingte Lebenslage besser zu erfassen. Für die Prüfung des Kinderzuschlags sollte ausnahmsweise – statt an das Einkommen aus den letzten sechs Monaten vor Antragstellung – an das aktuelle Einkommen der Eltern im letzten Monat vor Antragstellung angeknüpft werden. Außerdem wurde eine einmalige Verlängerung für sogenannte Bestandsfälle mit dem höchstmöglichen Kinderzuschlag eingeführt, damit die Leistungen möglichst ohne Unterbrechung gewährt werden können.

(d) Sicherstellungsauftrag:

Der sogenannte Sicherstellungsauftrag betrifft die oben genannte Gefährdung der sozialen Dienstleister und hat folgende Mechanik: Die Leistungsträger sollen den Bestand der sozialen Dienstleister sicherstellen. Voraussetzung hierfür ist, dass die sozialen Dienstleister erklären, alle ihnen nach den Umständen zumutbaren und rechtlich zulässigen Möglichkeiten auszuschöpfen, um zur Bewältigung der Auswirkungen der Pandemie beizutragen. Hierzu stellen sie Arbeitskräfte, Räumlichkeiten und Sachmittel zur Verfügung, die hierfür geeignet und einsetzbar sind, insbesondere in der Pflege, und in sonstigen gesellschaftlichen und sozialen Bereichen (z.B. die Unterstützung bei Einkäufen, Begleitung bei Arztbesuchen, telefonische Beratung in Alltagsangelegenheiten). Erfordert die Coronavirus SARS-CoV-2 Krise auch den Einsatz in anderen Bereichen (z. B. Logistik für die Lebensmittelversorgung oder Erntehelfer), kann die Erklärung im Rahmen der rechtlich zulässigen Möglichkeiten und der Zumutbarkeit auch auf diese Bereiche ausgedehnt werden. Durch den Sicherstellungsauftrag wird eine Rechtsgrundlage geschaffen, durch welche die Leistungsträger weiterhin an die sozialen Dienstleister zahlen können und zwar unabhängig davon, ob diese ihre bisherige Leistung tatsächlich ausführen oder nicht. Er erfolgt nämlich durch Zuschüsse der Leistungsträger an die sozialen Dienstleister.

(e) Kurzarbeit:

Das Gesetz sieht zudem vor, bei während des Bezugs von Kurzarbeitergeld aufgenommenen Beschäftigungen in systemrelevanten Branchen und Berufen befristet auf die Anrechnung auf das Kurzarbeitergeld teilweise zu verzichten. Dadurch soll ein Anreiz geschaffen werden, auf freiwilliger Basis vorübergehend Tätigkeiten in systemrelevanten Bereichen, wie z. B. der Landwirtschaft, aufzunehmen. Der zeitliche Rahmen für kurzfristige sozialversicherungsfreie Beschäftigung wurde insbesondere mit Blick auf die Saisonkräfte in der Landwirtschaft befristet ausgeweitet, da diese aufgrund der Corona-Pandemie in deutlich geringerer Anzahl zur Verfügung stehen.

(f) Auflistung:

Besonders relevant sind die folgenden durch das Sozialschutzpaket und die gleichzeitig erlassenen Vorschriften des COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetzes sowie des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite geänderten Paragraphen:

 

 

Die Serie „Pandemierecht: Beipackzettel für Corona“ im Überblick:

Folge 1: Vorschriften und Rechtsgrundlagen

Folge 2: Verwerfungen der föderalistischen Ordnung

Folge 3: Beipackzettel Sozialrecht

Folge 4: Beipackzettel Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht

Folge 5: Beipackzettel „Recht der Gefahrenabwehr“

Folge 6: Das „Zweite epidemische Tragweiten-Bevölkerungsschutzgesetz“

Folge 7: Beipackzettel „Sozialschutz-Paket II“

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart
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