02.06.2020

Serie Pandemierecht: Beipackzettel für Corona

Folge 6: Das „Zweite epidemische Tragweiten-Bevölkerungsschutzgesetz“

Serie Pandemierecht: Beipackzettel für Corona

Folge 6: Das „Zweite epidemische Tragweiten-Bevölkerungsschutzgesetz“

Das Vorschriftenpaket enthält auch die Corona-Prämie für Personal. | © PiyanatBoon - stock.adobe.com
Das Vorschriftenpaket enthält auch die Corona-Prämie für Personal. | © PiyanatBoon - stock.adobe.com

Nach dem Beipackzettel zum speziellen Polizeirecht  beschäftigt sich der aktuelle Folgebeitrag mit dem umfangreichen „Zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 19. Mai 2020 (BGBl. I Seite 1018).

20 Artikel plus Inkrafttretensvorschriften

Das Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite datiert vom 19. Mai 2020 (BGBl. I Seite 1018) und umfasst 20 Seiten an Änderungen bestehender Gesetze in 20 Artikeln plus Inkrafttretensvorschriften. Es enthält unter anderem die Corona-Prämie, Fristverlängerungen, die Ausweitung von den Kassen zu zahlender Tests und eine erweiterte Meldepflicht für Tests und deren Ergebnisse, Vereinfachungen in Ausbildungsregelungen zu Heilberufen sowie Anpassungen an europarechtliche Vorgaben; insofern führt es in einigen Punkten die namentliche Vorgängervorschrift vom 27. März 2020 (BGBl. I Seite 587) fort. In anderen Punkten ist es neuartig, es enthält jedoch keine neuen Stammvorschriften.

Die Corona-Prämie

Herausragend in der Presse darstellbar wird aus diesem Vorschriftenpaket die sogenannte Corona-Prämie sein: Steuerfrei und zulasten der Pflegekassen als finanzielle Anerkennung für Personal in Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten erhalten alle Beschäftigten in der Altenpflege im Jahr 2020 einen gestaffelten Anspruch auf eine einmalige Sonderleistung (Corona-Prämie) in Höhe von bis zu 1.000 Euro. Dies ist im neuen § 150a SGB XI geregelt. Die höchste Prämie erhalten Vollzeitbeschäftigte in der direkten Pflege und Betreuung. Auch Auszubildende, Freiwilligendienstleistende, Helfer im freiwilligen sozialen Jahr und Leiharbeiter sowie Mitarbeiter in Servicegesellschaften sollen eine Prämie erhalten. Arbeitgebern in der Pflege werden die Prämien zunächst von der sozialen Pflegeversicherung erstattet, wofür die gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungen später Bundeszuschüsse erhalten sollen, um die Beitragssätze nicht zu stark anheben zu müssen. Länder und Arbeitgeber in der Pflege können die Corona-Prämie freiwillig bis zur Höhe der steuer- und sozialversicherungsabgabenfreien Summe von 1.500 Euro aufstocken.


Finanzielle Erleichterungen für Versicherte

Gemäß dem neu eingefügten § 204 Absatz 2 des Versicherungsvertragsgesetzes können privat Krankenversicherte, die nach dem 15. März 2020 vorübergehend hilfebedürftig geworden sind und in den Basistarif wechseln mussten, ohne erneute Gesundheitsprüfung in ihren Ursprungstarif zurückwechseln. Das Gesetz enthält mehrere Erleichterungen für kollidierende Pflege- und Quarantäne-Konstellationen. Pflegeunterstützungsgeld nach § 44a SGB XI wird nach dem geänderten § 150 SGB XI bis Ende September 2020 auch gezahlt, wenn eine Versorgungslücke bei der häuslichen Pflege auftritt und es wird von zehn auf zwanzig Tage verlängert. Ebenfalls nach dem geänderten § 150 SGB XI können Pflegebedürftige im Pflegegrad 1 den Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro – abweichend von den derzeit geltenden Vorgaben nach Landesrecht – auch anderweitig verwenden, z.B. für haushaltsnahe Dienstleistungen. Zudem wird die Ansparmöglichkeit von nicht in Anspruch genommenen Entlastungsleistungen einmalig um drei Monate verlängert. In das Pflegezeitgesetz wird abweichend von § 2 ein neuer § 9 eingefügt. Das Recht, der Arbeit wegen einer akuten Pflegesituation in der eigenen Familie fernzubleiben, umfasst demnach bis zum 30. September 2020 zwanzig statt wie bisher zehn Tage. Weitere pandemiebedingte Flexibilisierungen im Pflegezeitgesetz und Familienpflegezeitgesetz behandeln die Berechnung des relevanten Durchschnittsentgelts und der Freistellungszeiten.

Vereinfachungen in Ausbildungsregelungen zu Heilberufen

Änderungen der Pflegeberufe-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung, im Ergotherapeutengesetz, im Gesetz über den Beruf des Logopäden sowie in den Approbationsordnungen für Zahnärzte und für Apotheker ermöglichen dem Bundesministerium für Gesundheit vorübergehende Flexibilisierungen bei der Ausbildung in Gesundheitsberufen, z.B. hinsichtlich Fehlzeiten, der Dauer der Ausbildung, der Nutzung von digitalen Unterrichtsformen oder der Durchführung von Prüfungen.

Tests in Bezug auf COVID-19

Das Infektionsschutzgesetz wird im Zusammenspiel mit den Finanzierungsregeln im SGB V und im Krankenhausfinanzierungsrecht erneut an die im Verlauf der aktuellen Pandemie aufgetretenen Erfordernisse angepasst. Tests in Bezug auf COVID-19 sollen ausgeweitet und erleichtert möglich werden, indem das Bundesministerium für Gesundheit die gesetzliche Krankenversicherung per Verordnung verpflichtet, Tests auf das Coronavirus oder Antikörpertests grundsätzlich zu bezahlen, beispielsweise auch, wenn jemand keine Symptome zeigt, oder wenn Tests von Gesundheitsämtern veranlasst wurden. Neue Leistungspflichten der Krankenkassen für solche Tests folgen insbesondere aus dem geänderten § 20i SGB V. Durch eine Änderung von § 26 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes wird ein neues Entgelt eingeführt, um die Kosten von Testungen auf eine SARS-CoV-2-Infektion von Patientinnen und Patienten zu decken, die in Krankenhäusern stationär behandelt werden. Statistische Nachteile der bisherigen Melderegelungen sollen wie folgt behoben werden: Nach dem neuen § 7 Absatz 4 des Infektionsschutzgesetzes müssen die Labore künftig auch negative Testergebnisse melden. Durch die Erfassung der Testhäufigkeit und durch die Erfassung positiver und negativer Antikörper- und Erreger-Testergebnisse sowie durch die erweiterten Meldepflichten soll der öffentliche Gesundheitsdienst künftig die Entwicklung einer Pandemie statistisch besser einschätzen und epidemiologische Trends auch mit regionalen Besonderheiten sinnvoll bewerten können.

Die Erstattung von Verdienstausfall

Die Antragsfrist in § 56 des Infektionsschutzgesetzes für die Erstattung von Verdienstausfall aufgrund einer Quarantäneanordnung durch das Gesundheitsamt wird von drei auf zwölf Monate verlängert.

Spezialregelungen

Gesonderte Erwähnung verdienen noch die folgenden Spezialregelungen: Eine Änderung von § 12a des Transfusionsgesetzes soll Regeln über die Rückstellung von Risikopersonen von Blutspenden an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes anpassen. Der Bund übernimmt nach § 219a Absatz 6 SGB V die Kosten für die intensivmedizinische Behandlung von Patientinnen und Patienten aus dem europäischen Ausland in deutschen Krankenhäusern, wenn die Patienten in ihrem Heimatland wegen fehlender Kapazitäten nicht behandelt werden konnten. Zudem wurden zur Verwaltungsvereinfachung einige Fristverlängerungen für Abrechnungen und Nachweise zugunsten von Forschungseinrichtungen, Krankenhäusern, Pflegebedürftigen und sozialen Dienstleistern eingeräumt.

Zulassungsregeln für verschiedene Gruppen von Medizinprodukten

Die Anlagen der Medizinprodukte-Richtlinie 93/42/EWG vom 14. Juni 1993 (ABl. L 169 vom 12. 7. 1993, S. 1) über die Zulassungsregeln für verschiedene Gruppen von Medizinprodukten wurden durch die Verordnung 2017/745 über Medizinprodukte geändert. Der Geltungsbeginn dieser Änderungsverordnung wurde nun von der EU aufgrund der Corona-Krise durch die neue Verordnung (EU) 2020/561 vom 23. April 2020 (ABl. L 130 vom 24. 4. 2020, S. 18) auf den 26. Mai 2021 verschoben, um begonnene Zulassungsverfahren nach altem Recht rasch abschließen zu können. Gleichzeitig wurde der geänderte Artikel 59 der VO 2017/745 über die sogenannte „Sonderzulassung“ vorzeitig für medizinische Gesichtsmasken und andere persönliche Schutzausrüstungen für anwendbar erklärt (Empfehlung (EU) 2020/403 vom 13. März 2020, Amtsblatt LI 79/1 vom 16. 03. 2020). Das Inkrafttreten des neuen Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetzes (geändert durch Gesetz vom 28. April 2020 (BGBl. I Seite 960)) wird daher – mit Ausnahme der Regelungen über persönliche Schutzausrüstung – ebenfalls verschoben, sodass das bisherige Medizinproduktegesetz bis zum 26. Mai 2021 weiter gilt. Die Hersteller sollen sich so besser auf die Produktion der für die Bewältigung der COVID-19-Pandemie benötigten Medizinprodukte konzentrieren können und die Versorgungssicherheit gewährleisten.

Das Gesetz trat im Wesentlichen am 23. Mai 2020 in Kraft. Die darauf beruhenden Rechtsverordnungen sind in Kürze zu erwarten.

 

 

Die Serie „Pandemierecht: Beipackzettel für Corona“ im Überblick:

Folge 1: Vorschriften und Rechtsgrundlagen

Folge 2: Verwerfungen der föderalistischen Ordnung

Folge 3: Beipackzettel Sozialrecht

Folge 4: Beipackzettel Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht

Folge 5: Beipackzettel „Recht der Gefahrenabwehr“

Folge 6: Das „Zweite epidemische Tragweiten-Bevölkerungsschutzgesetz“

Folge 7: Beipackzettel „Sozialschutz-Paket II“

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart
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