22.06.2020

Kredite statt Entgeltabgaben?

Die Aufhebung einer Straßenausbaubeitragssatzung

Kredite statt Entgeltabgaben?

Die Aufhebung einer Straßenausbaubeitragssatzung

Eine Gemeinde in Niedersachsen beschloss die Aufhebung ihrer Straßenausbaubeitragssatzung. | © candy1812 - stock.adobe.com
Eine Gemeinde in Niedersachsen beschloss die Aufhebung ihrer Straßenausbaubeitragssatzung. | © candy1812 - stock.adobe.com

Die Zulässigkeit der Aufhebung einer Straßenausbaubeitragssatzung beschäftigt derzeit die Gerichte in Niedersachsen. Das Verwaltungsgericht Hannover gab am 19.5.2020 in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO dem Antrag der Stadt Laatzen auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine Verfügung statt, mit der die Kommunalaufsicht einen Aufhebungsbeschluss beanstandet hatte. Die Sache liegt derzeit zur Entscheidung dem OVG Lüneburg vor. Es sprechen gute Argumente dafür, die Beanstandung der Kommunalaufsicht aufrecht zu erhalten.

Ausgangsfall

Eine Gemeinde in Niedersachsen beschloss die Aufhebung ihrer Straßenausbaubeitragssatzung mit der Begründung, sie sei nicht zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen verpflichtet und beabsichtige, in Zukunft die Kosten für die Sanierung ihrer Straßen durch Einnahmen aus einer Erhöhung der Grundsteuer zu finanzieren. Nachdem die Gemeinde der zuständigen Kommunalaufsichtsbehörde auf deren Anfrage mitgeteilt hatte, sie habe bereits in der Vergangenheit Kredite zum Ausgleich ihres Haushalts in Anspruch genommen und werde dies auch weiterhin tun müssen, beanstandete die Aufsichtsbehörde die Aufhebung der Straßenausbaubeitragssatzung und forderte die Gemeinde auf, den Aufhebungsbeschluss aufzuheben. Dagegen richtet sich die Klage der Gemeinde, mit der sie geltend macht, das Einschreiten der Kommunalaufsichtsbehörde sei rechtswidrig.

Befugnis bzw. Verpflichtung der Kommunalaufsichtsbehörde zum Einschreiten

Gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 NKomVG können in Niedersachsen die Kommunalaufsichtsbehörden Beschlüsse der Kommunen beanstanden, wenn sie das Gesetz verletzen. Trifft das zu, können sie nach § 173 Abs. 1 Satz 3 NKomVG verlangen, dass bereits getroffene Maßnahmen rückgängig gemacht werden. Angesichts dessen stünde im vorliegenden Fall die Befugnis der Kommunalaufsichtsbehörde zum Einschreiten außer Frage, sofern der Beschluss zur Aufhebung der Straßenausbaubeitragssatzung gegen ein Gesetz verstoßen, also rechtswidrig sein sollte. Zwar steht ein solches Einschreiten grundsätzlich im Ermessen der Aufsichtsbehörde. Doch kann sich dieses Ermessen im Einzelfall auf Null reduzieren und dann eine Verpflichtung zum Einschreiten begründen. Eine solche Ermessensreduzierung dürfte u.a. anzunehmen sein, wenn ein für die Aufsichtsbehörde eindeutig erkennbarer Rechtsverstoß vorliegt (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 1.2.2007 – 10 LA 271/05 – NST-N 2008,39). Denn eine Kommunalaufsichtsbehörde hat sicherzustellen, dass die Gemeinden die geltenden Gesetze beachten (Art. 20 Abs. 3 GG). Dieses Verfassungsgebot erfordert bei eindeutigen Rechtsverstößen ein aufsichtsbehördliches Einschreiten (Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 17a m.w.N.).


Hier könnte ein solcher Rechtsverstoß anzunehmen sein, wenn der Gesetzgeber im einschlägigen Kommunalabgabengesetz eine Beitragserhebungspflicht (einschließlich einer Pflicht zum Erlass einer Straßenausbaubeitragssatzung) angeordnet hätte oder wenn eine solche Verpflichtung aus den kommunalverfassungsrechtlichen Einnahmebeschaffungsgrundsätzen folgen sollte. Diese Grundsätze begründen eine gesetzlich festgelegte Rangfolge der kommunalen Deckungsmittel, bei ihnen handelt es sich nicht bloß um Programmsätze, sondern um zwingendes Recht (vgl. u.a. BayVGH, Urteil vom 9.11.2016 – 6 B 15.2732 – BayVBl 2017,200), dessen Einhaltung von der Kommunalaufsichtsbehörde nach § 170 Abs. 1 Satz 2 NKomVG zu überwachen ist. Das Niedersächsische Kommunalabgabengesetz stellt den Gemeinden die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen frei; nach § 6 Abs. 1 NKAG „können“ sie Beiträge erheben. Vor diesem Hintergrund kann sich im Ausgangsfall eine Befugnis bzw. Verpflichtung der Kommunalaufsicht zum Einschreiten einzig aus einer Verletzung der Einnahmebeschaffungsgrundsätze ergeben.

Grundsätze der Einnahmebeschaffung

Die in § 111 Abs. 5 und 6 NKomVG enthaltenen Grundsätze der Einnahmebeschaffung legen in Niedersachsen verbindlich die Reihenfolge fest, nach der sich die Gemeinden die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Einnahmen zu beschaffen haben. Primäre Deckungsmittel sind gemäß § 111 Abs. 5 Satz 1 NKomVG die „sonstigen Finanzmittel“; zu ihnen zählen insbesondere die Gemeindeanteile an der Einkommen- und Umsatzsteuer, die allgemeinen Finanzzuweisungen sowie staatliche Zuwendungen für bestimmte Maßnahmen und die Erträge aus dem Gemeindevermögen. Soweit diese Finanzmittel nicht ausreichen, hat eine Gemeinde sich Einnahmen (soweit vertretbar und geboten) aus „speziellen Entgelten“ für die von ihr erbrachten Leistungen (§ 111 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 NKomVG), zu denen u.a. Straßenausbaubeiträge und Gebühren gehören, und „im Übrigen“ – also nachrangig – aus Steuern (§ 111 Abs. 1 Satz 1 Nr.2 NKomVG) zu beschaffen. Der damit in § 111 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 NKomVG begründete Vorrang der Entgeltabgaben gegenüber Steuern bezieht sich einzig auf die vom Gesetzgeber sozusagen als Regel angesehene Konstellation, in der die „sonstigen Finanzmittel“ als primäre Deckungsmittel sowie Einnahmen aus „speziellen Entgelten“ und Steuern zur Erfüllung der gemeindlichen Aufgaben ausreichen. Für diese Konstellation führt die Nachrangigkeit der Steuern gegenüber Straßenausbaubeiträgen zu einer Verpflichtung zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen, bevor Steuern zum Haushaltsausgleich eingesetzt werden dürfen. Diese Nachrangigkeit der Steuern hat der niedersächsische Landesgesetzgeber dadurch beseitigt, dass er in Satz 3 des § 111 Abs. 5 NKomVG bestimmt hat, eine „Rechtspflicht zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen besteht nicht“. Damit hat er seinen Gemeinden die Möglichkeit eröffnet, die Kosten für beitragsfähige Straßenausbaumaßnahmen weiter durch Straßenausbaubeiträge (anteilig) zu decken oder die Straßenausbaubeiträge durch Aufhebung ihrer Straßenausbaubeitragssatzung abzuschaffen und die Ausbaukosten z.B. durch eine Erhöhung der Grundsteuer zu finanzieren.

Eine ganz andere Fallgestaltung ist in einer späteren gesetzlichen Vorschrift behandelt, nämlich in § 111 Abs. 6 NKomVG. Diese Norm bezieht sich auf eine Konstellation, in der die Einnahmen aus „sonstigen Finanzmitteln“ sowie aus „speziellen Entgelten“ und Steuern nicht mehr zur Erfüllung der gemeindlichen Aufgaben ausreichen und sich deshalb die Frage stellt, ob zur Deckung erforderlicher Aufwendungen Kredite aufgenommen werden dürfen. § 111 Abs. 6 NKomVG beantwortet diese Frage dahin, dass „die Kommunen … Kredite nur dann aufnehmen (dürfen), wenn eine andere Finanzierung nicht möglich oder wirtschaftlich unzweckmäßig wäre“. Durch diese Bestimmung hat der Landesgesetzgeber grundsätzlich eine Aufnahme von Krediten untersagt und sie nur ausnahmsweise für den Fall zugelassen, dass alle anderen in Betracht kommenden Finanzierungsmöglichkeiten bereits ausgeschöpft sein sollten, die dadurch erzielten Einnahmen aber nicht zur Deckung der für die Erfüllung der gemeindlichen Aufgaben erforderlichen Aufwendungen ausreichen. Eine dieser anderen Finanzierungsmöglichkeiten ist die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen. Selbstverständlich kann ein Gesetzgeber auch die sozusagen absolute Nachrangigkeit von Krediten gegenüber allen anderen einsetzbaren Finanzmitteln und damit auch gegenüber den Straßenausbaubeiträgen beseitigen. Das hat z.B. der Gesetzgeber im Saarland (allerdings lediglich mit Blick auf die Kosten beitragsfähiger Maßnahmen an den Fahrbahnen) getan, indem er dem (dort) § 83 Abs. 3 des Kommunalselbstverwaltungsgesetzes, der eine Nachrangigkeit von Krediten anordnet, einen Satz 2 angefügt hat, der regelt, „Straßenausbaubeiträge … zählen nicht zu den anderen Finanzierungsmöglichkeiten“, d.h. den Finanzierungsmöglichkeiten, die einer Kreditaufnahme entgegenstehen. Damit hat der saarländische Gesetzgeber die Abhängigkeit der Zulässigkeit einer Kreditaufnahme von der vorherigen Erhebung von Straßenausbaubeiträgen gelöst und seinen Gemeinden erlaubt, von der Erhebung von Straßenausbaubeiträgen (für die Ausbaukosten von Fahrbahnen) selbst dann abzusehen, wenn sie zum Ausgleich ihres Haushaltes auf die Inanspruchnahme von Krediten angewiesen sind.

In Niedersachsen – und ebenso in den Ländern Hessen und Schleswig-Holstein – fehlt jedoch eine Vorschrift, die eine Ausnahme vom Vorrang der speziellen Entgelte und namentlich der Straßenausbaubeiträge gegenüber Krediten begründet. In diesen Ländern gilt folglich dieser Vorrang uneingeschränkt, so dass Kredite grundsätzlich nur aufgenommen werden dürfen, wenn die vorrangige Finanzierungsmöglichkeit durch die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen ausgeschöpft worden ist. Sofern das nicht der Fall ist, ist die Aufnahme von Krediten untersagt. Die Gemeinden in diesen Ländern müssen dementsprechend zunächst Straßenausbaubeiträge erheben, bevor sie Kredite in Anspruch nehmen dürfen. Das führt bei Gemeinden, die auf eine Inanspruchnahme von Krediten zum Ausgleich ihres Haushalts angewiesen sind, aufgrund der rechtlich verbindlichen Einnahmebeschaffungsregelung des (in Niedersachsen) § 111 Abs. 6 NKomVG zur gesetzlichen Verpflichtung, (zunächst) Straßenausbaubeiträge zu erheben. Solange z.B. in Niedersachsen keine – dem § 83 Abs. 3 Satz 2 des Kommunalselbstverwaltungsgesetzes im Saarland vergleichbare – Regelung zur Beseitigung des gesetzlichen Vorrangs der Straßenausbaubeiträge gegenüber Krediten geschaffen worden ist, ist für Gemeinden, die schon in der Vergangenheit Kredite in Anspruch genommen haben und dies auch weiterhin zu tun beabsichtigen, kein Raum für eine Abschaffung der Straßenausbaubeiträge durch Aufhebung ihrer Straßenausbaubeitragssatzung. In diesen Gemeinden ist es – mit anderen Worten – rechtlich verboten, Straßenausbaubeitragssatzungen aufzuheben bzw. – soweit solche Satzungen bisher nicht erlassen worden sind – rechtlich geboten, sie zu verabschieden. Das gilt für die Gemeinden in den Ländern Hessen und Schleswig-Holstein entsprechend.

Ergebnis

Im Ausgangsfall ist mit der Kommunalaufsichtsbehörde anzunehmen, die von der Gemeinde beschlossene Aufhebung ihrer Straßenausbaubeitragssatzung verletze angesichts der Einstellung von Krediten in ihren Haushalt den durch § 111 Abs. 6 NKomVG begründeten Vorrang der Erhebung von Straßenausbaubeiträgen gegenüber der Aufnahme von Krediten. Ob diese Rechtsverletzung für die Aufsichtsbehörde so eindeutig erkennbar ist, dass sich ihre Eingriffsbefugnis zu einer Eingriffsverpflichtung verdichtet hat, dürfte eher zu bejahen sein. Doch mag das letztlich dahinstehen. Denn jedenfalls ist sowohl ihre Beanstandung des Aufhebungsbeschlusses als auch ihr Verlangen, den Aufhebungsbeschluss aufzuheben, rechtmäßig. Deshalb kann die Klage der Gemeinde keinen Erfolg haben.

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator, vormals Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Berlin
n/a