12.06.2020

Das ging zu schnell!

Herausforderung E-Scooter

Das ging zu schnell!

Herausforderung E-Scooter

Neue Wege und Lösungen für die Herausforderungen der urbanen Mobilität. | © Robert Kneschke - stock.adobe.com
Neue Wege und Lösungen für die Herausforderungen der urbanen Mobilität. | © Robert Kneschke - stock.adobe.com

Zu schnell wurde die Verordnung über Elektrokleinstfahrzeuge gestrickt. Das führt zu Risiken bei der Verkehrssicherheit.

Neben der Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs und des Fahrrads ist elektrische Mikromobilität ein moderner Weg, den Kraftverkehr sowie die Umwelt in Innenstädten zu entlasten. Mikromobilität sollen in Deutschland Elektrokleinstfahrzeuge (EKF) gestalten, die seit Juni 2019 für den öffentlichen Straßenverkehr zugelassen sind. Dabei handelt es sich um Kraftfahrzeuge, die von einer Person meistens im Stehen geführt werden. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 20 km/h und ab einem Alter von 14 Jahren dürfen Fahrradwege und, wo keine vorhanden sind, Straßen benutzt werden. Die Fahrzeuge brauchen eine Betriebserlaubnis und eine Haftpflichtversicherung. Eine Helmpflicht besteht nicht, genauso wenig muss ein Nachweis über Kenntnisse der Straßenverkehrsordnung erbracht werden, etwa durch einen Führerschein oder eine Prüfbescheinigung. Die ursprüngliche Idee war es, die sogenannte „letzte Meile“ komfortabel zu bewältigen, also den Weg von Zuhause zum ÖPNV und von dort zur Arbeitsstelle. Adressiert wurden demnach vorrangig Berufspendler, die dafür das Auto stehen lassen und somit den Innenstadtverkehr entlasten sowie den Schadstoffausstoß verringern sollten. Nach den ersten Wochen und Monaten zeigte sich jedoch, dass sowohl der Aspekt von Nachhaltigkeit und Mobilitätsgewinn als auch die Verkehrssicherheit spürbar beeinträchtigt waren.

Mobilität und Nachhaltigkeit

Auch wenn theoretisch die Palette der EKF recht breit sein kann, sind es fast ausschließlich Elektrotretroller, auch E-Scooter genannt, die auf den Straßen zu finden sind und im Gelegenheitsverkehr genutzt werden. Mit dem Inkrafttreten der EKF-Verordnung brachten Anbieter tausende von Leih-Rollern in die Zentren größerer Städte. Hauptnutzergruppe waren Touristen. Berufspendler waren in den ersten Monaten in geringem Maße mit den EKF unterwegs, wodurch auch die Entlastung des Autoverkehrs und damit der Umwelt nicht voranschritt. Leihangebote konzentrierten sich zudem nicht auf die Wohngebiete außerhalb der City.


Laut dem Umweltbundesamt (Stand Sept. 2019) sind erste Erkenntnisse zur Ökobilanz der Elektrotretroller eher ernüchternd. Die Fahrzeuge haben gute Emissionswerte, doch genutzt werden sie privat weniger im Pendelverkehr, sondern abends und am Wochenende. Die durchschnittliche Strecke beträgt dabei etwa 2 Kilometer, also eine Distanz die gut mit dem umweltfreundlicheren Fahrrad bewältigt werden könnte. Laut einer Studie von Nunatak in den fünf größten Städten nutzt nur etwa jeder sechste Bewohner (keine Touristen) ein EKF. Ersetzt würden dabei hauptsächlich Fahrten mit dem ÖPNV gefolgt von Fußwegen. An dritter Stelle kam das Fahrrad, erst dann ließen sie das Auto stehen.

Ein weiteres Problem bildet die Masse der Fahrzeuge. Einige Städte und Kommunen haben Obergrenzen pro Verleiher festgelegt. Berlin hat dies zum Beispiel nicht und schon nach einem halben Jahr ging der Senat davon aus, dass sich etwa 15.000 Leihroller in der Innenstadt befinden (Stand Nov. 2019), ohne dass ein praktisches System zum Abstellen gefunden war. Da es einen Mangel an Platz und Fläche im öffentlichen Raum gibt, wurden die E-Scooter vermehrt auf Gehwegen wild abgestellt und beeinträchtigten so den Fußverkehr.

 Risiken und Prävention

Bereits vor dem Inkrafttreten kritisierten Verkehrssicherheits-Organisationen wie die Deutsche Verkehrswacht (DVW) wesentliche Punkte der EKF-Verordnung, welche die Sicherheit der Nutzer als auch die von Fußgängern betraf. Änderungen wurden daraufhin kurzfristig berücksichtigt. Das betraf zum Beispiel das Verbot auf Gehwegen oder das Heraufsetzen des Mindestalters auf 14 Jahre. Durch die kurzfristigen Anpassungen gab es aber wenig Möglichkeit, sich ausreichend auf die Herausforderungen einzustellen und die Öffentlichkeit rechtzeitig zu informieren. Zur Einführung herrschte wenig Kenntnis, wie und welche E-Scooter richtig und sicher genutzt werden dürfen. So gab es schon vor der Einführung viele EKF, die nicht für den öffentlichen Straßenverkehr zugelassen waren. Viele glaubten, dass diese durch die Verordnung automatisch alle legal sind.

Am Anfang wurden darum zuerst Wissenslücken geschlossen und umfassend über die E-Roller und ihre Nutzungsbedingungen im Straßenverkehr aufgeklärt. Es musste klar werden, dass es sich um Kraftfahrzeuge und nicht „Spaß-Mobile“ handelt und darum ein verantwortungsbewusster Umgang nötig ist.

Ein unveränderliches Risiko betrifft die Bauart der E-Scooter, durch die sich höhere Anforderungen ergeben. Sie werden im Stehen gefahren, haben also einen hohen Schwerpunkt. Hinzu kommt ein kurzer Radstand, kleine Räder und schmaler Lenker. Die Fahrzeuge sind damit relativ anfällig für Bodenunebenheiten; Gefahrenbremsungen und Ausweichmanöver sind schwieriger. Auch die vorgeschriebene Fahrtrichtungsanzeige durch das Handzeichen ist für viele nicht sicher durchführbar. Grundlegende Fahraufgaben brauchen also viel Übung, gleichzeitig sind viele Nutzer durch das Verleihsystem im Straßenverkehr unterwegs, ohne Fahrpraxis zu haben.

Die DVW hat darauf reagiert und einen entsprechenden Baustein in ihre Zielgruppenprogramme aufgenommen. Hierbei sollen neben wichtigen Infos zum Fahrzeug, Regeln und sicheren Verhaltensweisen auch praktische Bestandteile die Fahrsicherheit erhöhen. Andere Organisationen nahmen das Thema in ihre Angebote auf.

Doch die Maßnahmen mussten in der Anfangsphase den Nutzerzahlen und deren Auswirkungen hinterherlaufen, denn die schnelle Durchdringung urbaner Zentren mit einer Vielzahl von E-Scootern stellte Kommunen, Polizei und Verkehrssicherheits-Organisationen vor eine große Aufgabe. Nach einem halben Jahr zeigten sich Verschlechterungen des Verkehrsklimas und Zunahme der Unfälle mit Verletzten und Schwerverletzten, starker Anstieg von Alkoholdelikten und massive Regelverletzungen.

Die Verleihfirmen reagierten nur langsam auf die Situation. Sie besserten aber innerhalb ihrer Möglichkeiten nach, auch weil die Berichte über Unfälle und Verletzte potenzielle Gefährdungen offenlegten und den öffentlichen Druck erhöhten. Auch Mediziner wie Marc Schult, der als Chefarzt an der Klinik für Unfallchirurgie, Handchirurgie und Orthopädie in Hannover tätig ist, schätzten die Risiken hoch ein (Stand Nov. 2019): „Nach meiner Beobachtung ist aktuell die Zahl der verunglückten Fahrer bei E-Scootern höher als die bei Fahrrädern.“ Typische Verletzungen bei E-Scooter-Unfällen seien demnach Frakturen von Handgelenk, Ellenbogen und Sprunggelenk. „Bei alkoholisierten Fahrern stellen wir schwerere Verletzungen fest, insbesondere Schädel-Hirn-Traumata sowie Frakturen von Gesichtsknochen, etwa von Nase, Jochbein oder Kiefer“. Marc Schult plädiert für eine Helmpflicht, um die gefährlichen Kopfverletzungen zu reduzieren.

 Fazit

Neue Wege und Lösungen für die Herausforderungen der urbanen Mobilität sind immer zu begrüßen und auch Elektrotretroller können diese Mobilität sinnvoll ergänzen. Doch die Kommunen, die Polizei, die Verkehrssicherheit und nicht zuletzt die Menschen brauchen ausreichend Gelegenheit, sich vorzubereiten. So stammen auch erste Unfalldaten aus unabhängigen Berichten der Polizei und Medien. Die Erhebung der wichtigen Daten bei der Unfallaufnahme und damit eine Berücksichtigung in der Unfallstatistik war erst seit 2020 möglich. Es brauchte eben Zeit zur Vorbereitung und Umsetzung. Da es sich um eine neue Fahrzeugkategorie handelte und deshalb um ganz neue Regelungen, hätten wir nicht nur im Sinne der Verkehrssicherheit die Verordnung noch weiter anpassen können, sondern uns auch die nötige Zeit für eine gute Vorbereitung und harmonische Umsetzung nehmen dürfen. Doch von der Verabschiedung der endgültigen Verordnung bis zum Inkrafttreten waren es nur wenige Wochen. Das ging zu schnell!

 

Heiner Sothmann

Pressesprecher Deutsche Verkehrswacht e. V., Berlin
n/a