06.06.2020

Überdimensionierter Netzausbau

Wie die Energiewende behindert wird

Überdimensionierter Netzausbau

Wie die Energiewende behindert wird

Der Netzausbau wird teuer. | © Patrick Daxenbichler - stock.ado
Der Netzausbau wird teuer. | © Patrick Daxenbichler - stock.ado

Der von der Bundesnetzagentur bestätigte Netzentwicklungsplan bildet die Grundlage für die 2020 anstehende Novellierung des Bundesbedarfsplangesetzes. Zur Vermeidung von kostenintensiven Fehlinvestitionen erscheint deshalb eine Bewertung des Netzentwicklungsplans dringlich.

Methodische Fehler

Die installierte Kraftwerksleistung aus erneuerbaren Energien soll bis 2035 auf 223 GW verdoppelt werden, mehr als dreimal so viel wie die durchschnittliche Stromnachfrage von dann 63 GW. Der Netzentwicklungsplan sieht bis 2035 einen Netzausbau von fast 18.000 km mit Investitionskosten von 95 Mrd. € vor. Die Bundesnetzagentur hält davon einen wesentlichen Teil für erforderlich. Der Netzausbau ist ganz überwiegend für den Stromexport von Leistungsüberschüssen erforderlich. Für Leistungsdefizite (Dunkelflauten) hingegen ist laut Bundesnetzagentur typischerweise kein Netzausbau erforderlich.

Die Nichtberücksichtigung der Netzausbaukosten ist ein schwerer methodischer Fehler des Netzentwicklungsplans, der zu einem signifikant überhöhten Netzausbau führt und damit die gesamte Bedarfsanalyse des aktuellen Netzentwicklungsplans fragwürdig macht:


  • Bei der Netzausbauplanung müssen Stromproduktionskosten und Netzausbaukosten simultan berücksichtigt werden, um eine kostenoptimale Stromversorgung sicherzustellen. Dies wird im Netzentwicklungsplan nicht berücksichtigt.
  • Die Netzausbaukosten bleiben im Netzentwicklungsplan unberücksichtigt, woraus ein überhöhter Netzausbau resultiert. Das im Netzentwicklungsplan verwendete Marktmodell muss zukünftig zwingend die Kosten des Netzausbaus berücksichtigen.
  • Eine Kosten-Nutzen-Analyse wird vom Netzentwicklungsplan nicht durchgeführt, obwohl sie vom europäischen Verband der Übertragungsnetzbetreiber ENTSO-E in Abstimmung mit der EU zwingend gefordert wird.
  • Die Nichtberücksichtigung der Netzausbaukosten führt zu einem überhöhten Netzausbau und damit zu überhöhten Stromkosten und Strompreisen. Dies steht im klaren Widerspruch zum Clean Energy for all Europeans Package (CEP) der EU.
  • Eine dezentrale Stromerzeugung wird wegen Nichtberücksichtigung der Netzausbaukosten systematisch benachteiligt, wodurch eine kostengünstige und umweltfreundliche Energiewende behindert wird.

Kostengünstige Maßnahmen

Es gibt eine Reihe von kostengünstigen Maßnahmen zur Verringerung des erforderlichen Netzausbaus, die im Netzentwicklungsplan ganz überwiegend unberücksichtigt bleiben:

  • Der Netzentwicklungsplan unterlässt eine Optimierung zwischen den Kosten einer Reduzierung der Mindest-Stromeinspeisung von konventionellen Kraftwerken und den Kosten für den Netzausbau, was zu einem überhöhten Netzausbau führt.
  • Im Netzentwicklungsplan erfolgt keine Berücksichtigung der durch Power-to-Gas eingesparten Netzausbaukosten und deshalb keine marktgetriebene Nutzung von Power-to-Gas zur Verringerung des Netzausbaus.
  • Durch erneuerbare Gaserzeugung ist eine erhebliche Verringerung des Netzausbaus möglich. Jedes Kilowatt Überschussstrom, das an der Küste in erneuerbares Gas umgewandelt wird, verringert den Netzausbau nach Süden um bis zu einem Kilowatt. Durch küstennahe Elektrolyse von Leistungsüberschüssen statt Bau von SuedLink und SuedOstLink können Investitionskosten von 9 Mrd. € eingespart werden.
  • Das enorme und kostengünstige Potenzial der Nutzung von EE-Überschussstrom in Einfamilienhäusern und Wohnanlagen zur Verringerung der Leistungsüberschüsse und damit zur Verringerung des Netzausbaus bleibt im Netzentwicklungsplan völlig unberücksichtigt.

Erhöhung der Übertragungsleistung des bestehenden Stromnetzes

  • Eine kontinuierliche Messung der Leiterseiltemperatur statt des derzeitigen witterungsabhängigen Freileitungsbetriebs kann eine noch bessere Auslastung des bestehenden Stromnetzes ermöglichen und damit eine stärkere Verringerung des Netzausbaus. Zudem wird dadurch die Versorgungssicherheit erhöht.
  • Würden die Einspeisungen von Wind und Sonne je Anschlussknoten gemeinsam und dazu noch in Kombination mit dem lokalen Verbrauch betrachtet, würde deutlich weniger EE-Leistung abgeregelt werden müssen und zugleich deutlich weniger Netzausbaubedarf resultieren.
  • Bei der Netzausbauplanung wird eine Abregelung von Einspeisespitzen nur bei erneuerbaren Energien berücksichtigt, nicht aber bei konventionellen Kraftwerken. Dies erhöht den Netzausbaubedarf.
  • Der Netzausbau kann durch Berücksichtigung einer störungsorientierten Abregelung von Einspeisespitzen noch stärker verringert werden als bei der im Netzentwicklungsplan berücksichtigten generellen Abregelung von Einspeisespitzen.

Klagen sind statthaft

Entgegen der gesetzlichen Regelung des § 15(3) NABEG ist eine Klage gegen die Bundesfachplanungsentscheidung statthaft. Sie kann innerhalb eines Jahres nach deren Erlass beim Bundesverwaltungsgericht ohne Widerspruchsverfahren erhoben werden.

Fazit

  • Die fehlende Berücksichtigung der Netzausbaukosten führt zu einem signifikant überhöhten Netzausbau und macht damit die gesamte Bedarfsanalyse des Netzentwicklungsplans fragwürdig.
  • Es gibt eine Reihe von kostengünstigen Maßnahmen zur Verringerung des erforderlichen Netzausbaus, die im Netzentwicklungsplan ganz überwiegend unberücksichtigt bleiben.

 

„Statt Netzausbaubeschleunigungsgesetzen benötigen wir eine beschleunigte Überprüfung und Anpassung der Netzausbaubedarfe“, so Prof. Dr. Claudia KEMFERT vom DIW in Berlin.

Prof. Dr. Lorenz Jarass

Prof. Dr. Lorenz Jarass

M.S. (Stanford University, USA). Hochschule RheinMain, Wiesbaden
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