22.03.2023

Nitsche: „Die Verantwortungsdiffusion beim OZG hat uns ausgebremst“

Digitalisierung der Verwaltung (Teil 3)

Nitsche: „Die Verantwortungsdiffusion beim OZG hat uns ausgebremst“

Digitalisierung der Verwaltung (Teil 3)

Ein Beitrag aus »Publicus« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Publicus« | © emmi - Fotolia / RBV

Über die Gründe des vorläufigen Scheiterns des Onlinezugangsgesetzes sprachen wir mit Michael Nitsche, Digitalexperte bei der S-Finanzgruppe. Folge 3 der PUBLICUS-Serie „Digitalisierung der Verwaltung“.

PUBLICUS: Das Onlinezugangsgesetz sollte bis Ende 2022 umgesetzt sein – nach fünf Jahren Vorlauf. Das Vorhaben ist gescheitert. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe dafür?

Nitsche: Es gibt viele. Ich tendiere dazu zwei Gründe zu favorisieren: Verantwortungsdiffusion und fehlender Sex-Appeal der öffentlichen Digitalisierung.


Für die Digitalisierung der Verwaltung haben sich die Öffentlichkeit und Politik zu lange zu wenig interessiert. Mit ihr hat man Wahlen weder gewonnen noch verloren. Erst seit es zur Folklore geworden ist, sich beispielsweise über die Berliner Verwaltung zu echauffieren, dreht sich der Wind. Die Kritik der wenigen, die gefragt haben, ob das OZG die richtigen Prioritäten setzt, indem man Verwaltung nur an der Oberfläche digitalisiert, wurde kaum gehört. Verwaltungsmodernisierung war eben nicht sexy genug, um daraus politisches Kapital zu generieren.

Gleichzeitig ist das OZG so konzipiert, dass am Ende niemand so recht Verantwortung übernehmen muss. Weder politisch noch sachlich. 14 OZG -Themenfelder umgesetzt von 11 Bundesministerien in Kooperation mit 16 Bundesländern mit wechselnden, politischen Mehrheiten unter Beteiligung diverser Institutionen ohne externes, öffentliches Monitoring – vom Nationalen Normenkontrollrat einmal abgesehen. Ein solches Projekt hätte ein zentrales Projektmanagement mit Durchgriffskompetenzen gebraucht. Das hatten wir aber nicht. Die Folge ist, dass der Bund in der „Schuldfrage“ auf die Länder zeigt, die Länder zeigen auf den Bund und der Bund fordert nun mehr Eigenverantwortung von den Kommunen, die am Ende am wenigsten dafürkönnen.

PUBLICUS: Sie haben in einer Digitalkonferenz der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg in diesem Monat über das OZG gesagt, es handele sich um ein „Feigenblattprojekt“: Was genau meinen Sie damit?

Nitsche: Der Begriff ist zugespitzt, aber das OZG setzt die falschen Prioritäten. Es digitalisiert nur die Oberfläche von Verwaltung, den Punkt, an dem Verwaltungsdienste beantragt werden. Dabei müsste der Verwaltungskern Priorität haben. Wir brauchen verbindliche Standards zum Datenaustausch und zur Datenportierung, um Pfadabhängigkeiten durch Software bestimmter Anbieter zu vermeiden. Wir brauchen dringend moderne Register, um teure Reibungsverluste zwischen den Behörden zu verringern. Wie brauchen ein Cloud-Konzept respektive einen Föderalen IT-Verbund und zentrale Verantwortlichkeiten im Bund.

Und mehr noch brauchen wir eine Vorstellung davon, welches Potenzial in der Digitalisierung für die Verwaltungen steckt. Konsequente Automatisierung entlastet nicht nur die Mitarbeitenden in unseren Verwaltungen, die bereits seit Jahren am Limit arbeiten. Sie erlaubt es auch, Ideen wie das One-Stop- oder No-Stop-Government umzusetzen. Viele unserer Europäischen Nachbarn haben dies zum Ziel und sind auf dem Besten weg dahin. Das OZG adressiert also nicht die Schmerzpunkte der Verwaltungsmodernisierung, es verdeckt sie nur.

PUBLICUS: Hätte das Ziel der umfassenden Verwaltungsdigitalisierung zum Anlass genommen werden müssen, gesamte Verwaltungsabläufe zu überprüfen und in ein digitales Zeitalter zu überführen?

Nitsche: Im Nachhinein lässt es sich leicht kritisieren, aber so ist es wohl. Man sagt unserer ehemaligen Kanzlerin Frau Dr. Merkel nach, sie hätte der Verwaltungsdigitalisierung keine Priorität eingeräumt, weil Verwaltungen in Deutschland grundsätzlich sehr gut funktionierten. Und das stimmt. Hätten wir keinen Fachkräftemangel und hätten sich die Anforderungen aus der Bevölkerung und der Wirtschaft nicht gewandelt, gehörten unsere Verwaltungen vielleicht zu Europas Spitze. Aber gerade, weil sie zu gut funktioniert haben und der Föderalismus eine sinnvolle Arbeitsteilung erlaubt, fiel es uns schwer, ausreichend politischen Druck für grundlegende Änderung zu erzeugen. There is no glory in prevention.

„Verantwortung auf weniger Schultern verteilen“

PUBLICUS: Sie sind sogar mit Ihrer Bewertung des Gesetzes noch weiter gegangen und haben das OZG als „Sinnbild für die größte politische Fehlleistung in der Digitalpolitik bezeichnet“. Wer trägt dafür die Hauptverantwortung?

Nitsche: So richtig niemand. Das OZG ist so gebaut, dass alle Beteiligten mit dem Finger auf jemand anderen zeigen können, um die Verantwortung von sich wegzuschieben. Absurderweise haben alle damit auch ein bisschen Recht. Diese Verantwortungsdiffusion hat uns ausgebremst und das ist sinnbildlich für unsere Digitalpolitik.

Ich denke, dass politische und fachliche Verantwortung auf weniger Schultern im Nachhinein erfolgversprechender und für die Öffentlichkeit transparenter gewesen wäre. Eine politische Fehlleistung ist das OZG aber nicht nur deswegen, weil wir die Ziele verfehlt haben. Sie ist es, weil einzelne politische Akteure das Scheitern mit Begriffen wie „Booster“ oder „OZG 2.0“ rhetorisch wenden wollten, um die Verantwortung am Ende auf die Kommunen zu laden. Politisch ist das ein sehr schlechter Stil.

PUBLICUS: Der Referentenentwurf zum OZG 2.0 liegt offiziell seit Januar 2023 vor. Er will die offenkundigsten Fehler beheben. Was ist gut daran?

Nitsche: Gut ist, dass der Referentenentwurf den Verzicht auf die Schriftform vorsieht und dass der Bund im bescheidenen Rahmen des OZG 2.0 grundsätzlich mehr auf Zentralisierung setzen möchte, indem man unter anderem das Bürgerkonto stärken will. Das ist richtig, da das zwingend eine breite Kampagne zur eID voraussetzt. Das kann ich nur unterstützen, da die Umsetzungsfrist für die Single Digital Gateway-Verordnung unmittelbar vor der Tür steht.

PUBLICUS: Und wo sehen Sie bei dem Referentenentwurf bereits jetzt Ergänzungsbedarf?

Nitsche: Hier schließe ich mich der aus meiner Sicht fundierten Kritik des Normenkontrollrates an. Der Entwurf ignoriert, dass wir viele Voraussetzungen und Erfolgsbedingungen des OZG 2.0 schlicht noch nicht erfüllt haben. Allein das Fehlen einer Föderalen IT-Verbundstruktur wird das Vorhaben erschweren. Auch fehlt noch immer eine zentrale Einrichtung, die verbindliche Standards definieren und entwickeln kann. Mit der FITKO hätte man einen geeigneten Kandidaten, der dafür aber mehr Kompetenzen und deutlich mehr Ressourcen bräuchte. Beim Wegfall der Deadlines für die Umsetzung bin ich zwiegespalten. Es stimmt zwar, dass Deadlines wenig Sinn machen, wenn die Grundlagen zum Erreichen der Ziele erst noch geschaffen werden müssen. Ohne Deadlines sind die ohnehin dünnen Ambitionen des OZG 2.0 aber wenig glaubwürdig.

„Ohne die handelnden Menschen in den Verwaltungen ist Modernisierung nicht zu machen“

PUBLICUS: Die Aussichten auf eine bürgerfreundliche digitale Verwaltung sind ungewiss – weil es in den Verwaltungen auch an Mitarbeitern fehlt: Ist das eine Chance für eine raschere Digitalisierung oder doch eher ein Umsetzungsrisiko?

Nitsche: Das ist schwer zu sagen. Faktisch kommen wir um eine Digitalisierung und Automatisierung unserer Verwaltungen nicht herum, wenn wir ihre Leistungsfähigkeit mit weniger Personal erhalten wollen. Die Alternative ist eine Priorisierung öffentlicher Dienstleistungen, wie sie Steffen Jäger, der Präsident des Gemeindetages in Baden-Württemberg, 2022 medienwirksam ins Spiel gebracht hat.

Andererseits wird die Digitalisierung für Verwaltungen eine immer schwierigere Aufgabe, da der Fachkräftemangel dazu führt, dass sie mit der Erfüllung ihrer Kernaufgaben zunehmend an Belastungsgrenzen stoßen. Egal wie, entscheidend ist, dass man die Mitarbeitenden in den Verwaltungen mitnimmt und ihren Kompetenzaufbau langfristig fördert. Ohne die handelnden Menschen, ist Verwaltungsmodernisierung nicht zu machen. Und gegen sie erst recht nicht.

PUBLICUS: Wann werden nach Ihrer Einschätzung die ursprünglich vom OZG abzudeckenden Leistungen im Verhältnis Bürger zu Verwaltung tatsächlich umgesetzt sein?

Nitsche: Ich hoffe, dass wir in nicht all zu ferner Zukunft die Ziele des OZG als überholt erkennen und uns auf ein No-Stop- oder One-Stop-Government als leitendes Motiv zubewegen. Schlagen wir diesen Weg ein, wird ein Großteil des OZG obsolet werden.

© Lisa Schmidt

Zur Person:

Michael Nitsche

Michael Nitsche ist Leiter Public Affairs der S-Public Services GmbH, dem E-Government Kompetenzzentrum der Sparkassen-Finanzgruppe und Marktführer für E-Payment im öffentlichen Sektor. Nitsche ist zugleich auch Dozent an der Universität Leipzig mit dem Schwerpunkt Public Affairs und Digitale Medien.

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Marcus Preu

Ltg. Lektorat und Redaktion, Rechtsanwalt
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