26.04.2023

Mrass: „KI-Anwendungen haben in der Verwaltung das Potenzial für eine relevante Rolle“

Digitalisierung der Verwaltung (Teil 4)

Mrass: „KI-Anwendungen haben in der Verwaltung das Potenzial für eine relevante Rolle“

Digitalisierung der Verwaltung (Teil 4)

Ein Beitrag aus »Publicus« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Publicus« | © emmi - Fotolia / RBV

Über künstliche Intelligenz in der Verwaltung sprachen wir mit Prof. Dr. Volkmar Mrass, Professor für Digitales Verwaltungsmanagement und Leiter des Instituts für DPVG an der HS Ludwigsburg. Folge 4 der PUBLICUS-Serie „Digitalisierung der Verwaltung“.

PUBLICUS: Die Ziele des Onlinezugangsgesetzes wurden nicht innerhalb der gesetzten Frist erreicht – das Gesetz ist vorerst gescheitert. Was bedeutet das für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung?

Mrass: Dass die Umsetzung der Ziele des Onlinezugangsgesetzes (OZG) nicht wie vorgesehen bis zum 31.12.2022 funktioniert hat, ist ein Rückschlag und beinhaltet leider auch einen nicht unerheblichen Reputationsschaden für Deutschland. Wir liegen ohnehin beispielsweise bezogen auf den E-Government-Reife-Score in Europa nur im Mittelfeld und weit abgeschlagen hinter der Spitzengruppe. Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung aber muss und wird weitergehen. Es bleibt abzuwarten, welchen Weg Politik und Verwaltung nun für das weitere Vorgehen einschlagen.


Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) hatte sich ja sehr kritisch zum Entwurf des OZG-Änderungsgesetzes geäußert und unter anderem die Einführung eines Rechtsanspruches auf digitale Verwaltungsdienstleistungen inklusive spürbaren Konsequenzen bei Nichterfüllung gefordert, um den Druck und die Verbindlichkeit zu erhöhen. Andere Stimmen aus kommunalen Verwaltungsgremien warnen auf Grund von Erfahrungen aus der Vergangenheit genau vor Einführung eines solchen Rechtsanspruches, bevor alle Voraussetzungen für die erfolgreiche flächendeckende Umsetzung des OZG erfüllt sind.

Es bleibt zu hoffen, dass insbesondere für diejenigen, welche mit der konkreten Umsetzung befasst sind, bald Planungssicherheit herrscht. Die erfolgreiche Umsetzung der ursprünglichen Ziele des Onlinezugangsgesetztes wird die öffentliche Verwaltung meiner persönlichen Einschätzung nach auch noch weit nach dem Jahr 2023 beschäftigen.

PUBLICUS: Es wird ein OZG 2.0 geben müssen. Hat dies auch Auswirkungen auf die Lehre in Ihrem Fachbereich, dem Digitalen Verwaltungsmanagement?

Mrass: Ja, hat es. Ich versuche, aktuelle Entwicklungen in der Lehre jeweils so zeitnah wie möglich zu berücksichtigen, sobald sie einigermaßen verbindlich feststehen. Das „OZG 2.0“ befindet sich ja gegenwärtig noch in der Abstimmung und Beratung, unter anderem zwischen Bundesressort, Ländern und Verbänden. Ich lasse grundsätzlich solche Entwicklungen in die Lehre, insbesondere im Studiengang Digitales Verwaltungsmanagement (DVM), beispielsweise in den Modulen „Grundlagen des Change Managements“, „IT-Management“ oder „Strategische und integrale Steuerung“, einfließen, und werde das auch hier so halten.

Unsere Studierenden sind ja die Fach- und Führungskräfte der öffentlichen Verwaltung der Zukunft und sollten neben reinem Faktenwissen auch die Mechanismen der Entstehung von Gesetzen inklusive dem Ringen um die besten Lösungen verstehen. Ich lasse sie daher immer wieder auch aktuelle Diskussionsstände reflektieren, wenngleich jeweils mit dem Hinweis auf den vorläufigen Charakter solcher Beratungszwischenstände.

„Digitalisierung, digitale Anwendungen und Tools sind für den Menschen da“

PUBLICUS: Unabhängig davon: Welche Vision haben Sie, wie sollen öffentliche Verwaltungen nach der Digitalisierung aussehen und funktionieren?

Mrass: Meine Idealvorstellung für die möglichst nahe Zukunft: Die allermeisten Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltungen aller Ebenen in Deutschland sind benutzerfreundlich, einfach, medienbruchfrei und prozessabschließend sowohl für die Bürgerinnen und Bürger als auch für Organisationen wie beispielsweise Unternehmen verfügbar. Das gilt sowohl für die Prozesse „vor dem Schaufenster“ als auch im „Backoffice“. Das heißt, in dieser Idealvorstellung gehören Vorgänge wie aktuell, dass bestimmte Anträge online gestellt werden können, in der jeweiligen Verwaltung im Hintergrund aber dann dennoch papiergestützte Prozesse für deren Bearbeitung stattfinden, der Vergangenheit an.

Deutschland gewinnt dann in meiner Idealvorstellung im Bereich Digitalisierung der Verwaltung wieder deutlich an Boden und hat zur Spitzengruppe in Europa und der Welt aufgeschlossen. Und wird dann seinem exzellenten Ruf, den es auch bezogen auf die Verwaltung zu Recht über Jahre und Jahrzehnte genossen hat, wieder gerecht.

PUBLICUS: Kann man eigentlich sagen „nach der Digitalisierung“ – oder werden wir uns dann eher in einem fortdauernden Prozess immer neuer Digitalisierungszyklen befinden, wenn der Einstieg erst einmal flächendeckend genommen sein wird?

Mrass: Auf absehbare Zeit Letzteres: Digitalisierung ist und bleibt ein Querschnittsthema, welches beispielsweise auf Grund von Innovationen im Bereich der Informationstechnologie immer wieder neuen Änderungs- und Anpassungsbedarf zur Folge haben wird. Das war in den vergangenen Jahrzehnten so und wird auch in den kommenden Jahrzehnten, man denke beispielsweise nur an die Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI), so sein.

PUBLICUS: Das eine ist die technische Seite. Wie sieht es beim Faktor Mensch, bei den Mitarbeitenden aus: Welche Anforderungen werden zukünftig als zwingend notwendig vorausgesetzt werden, wenn sie digitales Verwaltungsmanagement in der Praxis betreiben?

Mrass: Sie sprechen hier einen sehr wichtigen Punkt an: Generell ist es meines Erachtens sehr wichtig, auf diesem Weg der Digitalen Transformation alle Menschen mitzunehmen. Digitalisierung, digitale Anwendungen und Tools sind für den Menschen da und nicht umgekehrt. Sie sollen also grundsätzlich Dinge besser handhabbar, einfacher machen. Und nicht etwa, wie das immer wieder der Fall ist – man denke beispielsweise an den Kontext der bis Ende Januar 2023 fällig gewesenen Grundsteuererklärung und hier auch an die „Technische Benutzerfreundlichkeit“ – zu einer Hürde werden.

Für diejenigen, denen die Digitalisierung in der Verwaltungspraxis begegnet, werden die Anforderungen in der Zukunft aber in der Tat steigen: Technik-Affinität, Verständnis für Digitale Prozesse, und Flexibilität bei der Nutzung von sowie Offenheit für neue Anwendungen sind nur einige der Stichworte.

Gegenwärtig wird die unzureichende Personalausstattung für die Digitalisierung als eine der größten Hürden für deren erfolgreiche Umsetzung angesehen. An der HVF versuchen wir, mit der Ausbildung junger Menschen im Studiengang Digitales Verwaltungsmanagement einen Beitrag dazu zu leisten, diese Hürde peu à peu abzubauen.

„Die Verbesserung von KI-Anwendungen ist eine Frage der Zeit“

PUBLICUS: Oder werden wegen ChatGPT nach Ihrer Ansicht die Karten auch für das Verwaltungsmanagement völlig neu gemischt?

Mrass: Durch ChatGPT ist meines Erachtens für die allgemeine Öffentlichkeit deutlich geworden, welche Potenziale generell hier und im Bereich der Künstlichen Intelligenz generell stecken. Die Einführung von ChatGPT ist für mich was den Einsatz auf künstlicher Intelligenz basierender Chatbots betrifft das, was beispielsweise die Einführung des iPad für den Einsatz von Tabletcomputern war: Auch vor 2010 gab es bereits Tabletcomputer, das war nicht wirklich neu. Mit dem Start des iPads wurden aber nochmals starke Fortschritte im Bereich Benutzerfreundlichkeit gemacht und das Potenzial von Tablets wurde schlagartig der breiten Öffentlichkeit bewusst, mit der Folge eines rasanten Anstiegs der Nutzung dieser mobilen Endgeräte.

Auch Chatbots an sich sind nicht neu, es gab auch in der Vergangenheit bereits einige für die Fachöffentlichkeit aufsehenerregende Anwendungen wie beispielsweise den von Microsoft entwickelten Chatbot Tay mit künstlicher Intelligenz, der dann allerdings bereits nach sehr kurzer Zeit abgeschaltet werden musste. Ähnlich ist auch erst mit der Veröffentlichung von ChatGPT durch OpenAI am 30. November 2022 dann auch der gesamten allgemeinen Öffentlichkeit das Potenzial dieser Anwendungen stark ins Bewusstsein geraten.

ChatGPT ist zwar auf der einen Seite erstaunlich „eloquent“. Im Bereich Sprache und Formulierungen hat hier meines Erachtens nochmals eine starker Entwicklungsschub im Vergleich zu anderen Anwendungen stattgefunden. Gleichzeitig ist ChatGPT, jedenfalls auch noch in der aktuellen Version, für mich noch überraschend fehleranfällig. Es ist aber eher eine Frage der Zeit, bis auch hier weitere Verbesserungen erfolgen werden. ChatGPT oder auch andere Anwendungen wie das von Google am 21. März 2023 veröffentlichte Bard haben jedenfalls mindestens das Potenzial, auch in der Verwaltung in Zukunft eine relevante Rolle zu spielen.

PUBLICUS: Wie ist die Bandbreite der möglichen Auswirkungen dieses Chatbots auf die Arbeit in den Verwaltungen – vom geringstmöglichen bis zum größtmöglichen Effekt? 

Mrass: Das ist gegenwärtig noch schwer abzuschätzen. Im Moment sind aus meiner Sicht eher begleitende und unterstützende Einsätze von ChatGPT in der Verwaltung denkbar, beispielsweise für die Formulierung von Texten. Das kann schon recht hilfreich sein, insbesondere da, wo sich Anfragen oder Ähnliches nicht mittels standardisierter Texte oder Textbausteinen beantworten lassen. ChatGPT ist in Sachen Formulieren meines Erachtens bereits sehr gut. Es wird aber mindestens derzeit in der Regel dennoch notwendig sein, diese Schreiben und Texte von einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin zu prüfen. Gerade im Bereich der Verwaltung sind fehlerfreie und exakte Angaben und Auskünfte unabdingbar, weil sonst das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger leiden würde.

Und ChatGPT ist, jedenfalls gegenwärtig, wie gesagt alles andere als fehlerfrei. Im Moment würde ich also bezogen auf Ihre Frage auf einer angenommenen Skala von 1 (geringstmöglicher Effekt) bis 10 (größtmöglicher Effekt) die möglichen Auswirkungen von ChatGPT auf die Arbeit in den Verwaltungen bei einer 3 sehen. Das kann sich aber in Zukunft stark ändern, wenn es weitere Fortschritte in diesem Bereich gibt.

„Die Ludwigsburger Digitalisierungsgespräche sollen den Austausch von innovativen Ideen fördern“

PUBLICUS: Am 14. Juni wird ChatGPT im Mittelpunt der 2. Ludwigsburger Digitalisierungsgespräche stehen. Was erwartet die Teilnehmenden?

Mrass: Die Teilnehmenden erwartet wie auch bereits bei der ersten Ausgabe dieser Veranstaltungsreihe ein interessanter Austausch von Gedanken und Ideen aus verschiedensten Blickwinkeln und Perspektiven: Nach einer Begrüßung durch die Rektorin unserer Hochschule, Dr. Iris Rauskala, und einer Einführung durch meine Person, werden die vier Referentinnen und Referenten in ihren jeweiligen Eingangsstatements die Chancen und Risiken von ChatGPT für Verwaltung und Gesellschaft aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten: Alexander Salomon (MdL), direkt gewählter Landtagsabgeordneter des Wahlkreises Karlsruhe II und Experte im Bereich Digitalisierung und Netzpolitik seiner Fraktion, aus der Perspektive der Politik. Jan Seifert, Leiter des Innovationslabors „InnoLab_bw“ im Staatsministerium Baden-Württemberg, aus der Perspektive der Verwaltung. Dr. Oliver Kelkar, Head of Market Intelligence & Innovation/Head of MHP Lab beim Porsche-Tochterunternehmen MHP Management- und IT-Beratung aus der Perspektive der Wirtschaft. Und last but not least Prof. Dr. Sarah Nies vom Lehrstuhl Digitalisierung der Arbeitswelt am Institut für Soziologie der Georg-August-Universität Göttingen aus der Perspektive der Wissenschaft. Danach erfolgt eine moderierte Diskussion zwischen diesen vier Referentinnen und Referenten, bevor die Veranstaltung dann für den allgemeinen Austausch mit allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser zweiten Ludwigsburger Digitalisierungsgespräche geöffnet wird.

PUBLICUS: Sie haben dieses Format der Digitalisierungsgespräche initiiert. Welches Ziel verfolgen Sie damit?

Mrass: Diese Veranstaltung soll ein Forum und eine Plattform für den Austausch von Repräsentanten aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft bieten. Deshalb habe ich für jeden Termin jeweils einen Referenten oder eine Referentin aus diesen vier wichtigen Bereichen unserer Gesellschaft eingeladen. Gleichzeitig möchte ich mit den Ludwigsburger Digitalisierungsgesprächen eine breite Zielgruppe als Teilnehmer erreichen (u.a. Studierende, Unternehmen, Verwaltungen, Wissenschaft, Medien, u.v.m.), wobei ein Schwerpunkt naturgemäß auf der öffentlichen Verwaltung in Baden-Württemberg liegt.

Mit den Ludwigsburger Digitalisierungsgesprächen soll ein Austausch von innovativen Ideen gefördert, das Profil der HVF Ludwigsburg im Bereich Digitalisierung weiter gestärkt und ein Beitrag zur erfolgreichen digitalen Transformation von Staat und Gesellschaft geleistet werden.

PUBLICUS: Werden die Digitalisierungsgespräche über das Jubiläumsjahr der Hochschule Ludwigsburg hinaus stattfinden?

Mrass: Ja, diese Veranstaltung ist auch über das Jahr 2023 hinaus geplant. Sie soll künftig einmal pro Halbjahr stattfinden. Im Jahr 2023 ausnahmsweise auf Grund des 50-jährigen Jubiläums unserer Hochschule dreimal (am 15. März, 14. Juni und 13. September 2023). Die Digitale Transformation der Verwaltung bleibt eine große und wichtige Aufgabe, welche ganz sicher auch in Zukunft noch viele Jahre ganz oben auf unser aller Agenda stehen wird.

© privat

Zur Person: Volkmar Mrass

Volkmar Mrass ist Inhaber der Professur für Digitales Verwaltungsmanagement (DVM) und Direktor des Instituts für Digitale Plattformen in Verwaltung und Gesellschaft (DPVG) im IAF der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen (HVF) Ludwigsburg. Er hat Wirtschaftswissenschaften sowie BWL und Management studiert und wurde im Bereich Wirtschaftsinformatik promoviert. Volkmar Mrass bringt Erfahrungen sowohl aus der Unternehmenswelt als auch der Wissenschaft mit: So u.a. aus Tätigkeiten als Assistent der Geschäftsführung und Handlungsbevollmächtigter der Stada GmbH, als Mitarbeiter des Zentralstabs des Vorsitzenden der Geschäftsführung der Finanz Informatik GmbH & Co. KG, als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Kassel, als Post-Doc an der Georg-August-Universität Göttingen sowie als Assoziierter Forscher an der Universität St.Gallen. Auslands-Studien- und Forschungsaufenthalte führten ihn u.a. an die City University of Hong Kong (China), das Indian Institute of Management Bangalore (Indien) und die Harvard Extension School (USA).

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Marcus Preu

Ltg. Lektorat und Redaktion, Rechtsanwalt
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