17.04.2023

Störungsverbot und Schutzaufgabe

Der Schutz von Versammlungen

Störungsverbot und Schutzaufgabe

Der Schutz von Versammlungen

Ein Beitrag aus »Deutsches Polizeiblatt« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Deutsches Polizeiblatt« | © emmi - Fotolia / RBV

Der Beitrag befasst sich mit den im neuen Versammlungsgesetz NRW enthaltenen Vorschriften, die den Schutz von Versammlungen gewährleisten sollen. Mit dem (im Unterschied zum bisherigen VersG des Bundes) ausdrücklich ins Gesetz aufgenommenen Schutzauftrag (§ 3 Abs. 1 VersG NRW) und dem textlich abweichend vom VersG ausgestalteten Störungsverbot (§ 7 VersG NRW) hat der Gesetzgeber in NRW ein Schutz-System geschaffen, dessen verfassungsrechtlicher Hintergrund und praktische Anwendbarkeit im Folgenden erläutert werden.

Der Versammlungsschutz im VersG NRW: System und Entstehung

Der Schutz von Versammlungen wird im VersG NRW vor allem durch zwei Vorschriften gewährleistet: § 3 Abs. 1 VersG NRW weist den Behörden eine Schutzaufgabe zu. § 7 VersG NRW verbietet Störungen von Versammlungen; diese Vorschrift wird flankiert durch eine Strafnorm (§ 27 Abs. 4 VersG NRW) und eine als Auffangtatbestand konzipierte Ordnungswidrigkeit (§ 28 Abs. 1 Nr. 3 VersG NRW).

Mit diesen Vorschriften gewährleistet das VersG NRW einen umfassenden Versammlungsschutz. Es hat alle Akteure im Blick, die im Zusammenhang mit dem Schutz von Versammlungen von Belang sind und die schlagwortartig (und zugegebenermaßen ein wenig unpräzise) mit „Versammlungsbeteiligte“, „Störer“ und „Polizei“ umrissen seien. An Personen, die potenziell die Versammlung behindern bzw. stören könnten („Störer“), wendet sich das Störungsverbot (§ 7). Bei Zuwiderhandlungen müssen sie mit Bestrafung rechnen (§ 27 Abs. 4 VersG) oder zumindest mit Verfolgung wegen einer Ordnungswidrigkeit (§ 28 Abs. 1 Nr. 3 VersG). Die Versammlungsbeteiligten sind Nutznießer des Störungsverbotes, können aber direkt hieraus keine Rechte ableiten.


Auch den Behörden (praktisch v.a. der Polizei) weist das Störungsverbot nicht unmittelbar Rechte oder Pflichten zu; insbesondere ist § 7 VersG NRW keine Befugnisnorm.[1] Indirekt ist das Störungsverbot hingegen sehr wohl von Belang für die Polizei. Sie ist nämlich befugt, nach den Normen des PolG NRW (bzw., soweit sich ihr Handeln gegen Versammlungsteilnehmer richtet, nach den Normen des VersG NRW) gefahrenabwehrend tätig zu werden. Ein wichtiges Schutzgut im Rahmen der Gefahrenabwehr ist die Integrität der Rechtsordnung. Die Polizei darf also Maßnahmen treffen, um Verstöße gegen (v.a. öffentlich-rechtliche) Normen zu verhindern. Bei dem versammlungsgesetzlichen Störungsverbot (§ 7 VersG NRW) handelt es sich um eine entsprechende Norm. Die Polizei ist daher berechtigt, präventiv zu agieren, wenn das Störungsverbot verletzt zu werden droht. Zudem muss sie bei schwerwiegenden Verstößen (§ 27 Abs. 4 VersG NRW) repressiv tätig werden; bei bloß ordnungswidrigen Verstößen (§ 28 Abs. 1 Nr. 3 VersG NRW) findet eine Verfolgung nach Ermessen statt.

Bei der Beantwortung der Frage, inwiefern auch im Bereich der Prävention Ermessen besteht, kommt dann die zweite zentrale Versammlungsschutz- Norm des VersG NRW ins Spiel: § 3 Abs. 1 VersG NRW. Adressat dieser Regelung ist die zuständige Behörde, d. h. im Wesentlichen die Polizei (§ 32 VersG NRW). § 3 Abs. 1 VersG NRW will die Polizei nicht etwa bloß für den Versammlungsschutz für zuständig erklären, sondern vertraut der Polizei einen Schutz- Auftrag an.[2] Sie ist hiernach objektiv-rechtlich verpflichtet, Versammlungen zu schützen.

Diese Schutzaufgabe hat keine unmittelbaren rechtlichen Wirkungen für die Störer und auch nicht für die Versammlungsbeteiligten. Die Versammlungsbeteiligten können sich aber u. U. auf die Schutzaufgabe und das Störungsverbot im Rahmen von Ansprüchen berufen, die sie gegen die Polizei geltend machen. In Betracht kommt das an die Polizei gerichtete Verlangen, gegen Störungen einzuschreiten, wobei der Anspruch auf die grundrechtliche Schutzpflicht gestützt wird – selbige soll gleich anschließend erläutert werden (B. Der Verfassungsrechtliche Hintergrund). Denkbar sind zudem auch Amtshaftungsansprüche (§ 829 BGB i. V. m. Art. 34 GG) oder andere Ansprüche aus dem Bereich der Staatshaftung.

Ein solch ausgefeiltes System des gesetzlichen Versammlungsschutzes, wie es das VersG NRW bietet, ist keine Selbstverständlichkeit.

Ein Störungsverbot ist zwar im (bis 06.01.2022 auch in NRW geltenden) Versammlungsgesetz des Bundes (dort § 2 Abs. 2) und allen anderen Länder-Versammlungsgesetzen enthalten. Doch ist – wie sogleich zu zeigen sein wird – das Störungsverbot in NRW dem Wortlaut nach am konsequentesten umgesetzt. Die polizeiliche Schutzaufgabe wird im VersG Bund und einigen Länder-Versammlungsgesetzen gar nicht erwähnt. Vorbild für ihre ausdrückliche Aufnahme ins Gesetz ist der von Enders und Kollegen vorgelegte Musterentwurf (dort § 3 Abs. 1),[3] von dem sich auch Schleswig-Holstein (§ 3 Abs. 1 und 2 VersFG SH) und Berlin (§ 3 Abs. 1 und 2 VersFG BE) haben inspirieren lassen. Trotzdem es sich hier um eine Neuerung handelt, war die Aufnahme der Schutzaufgabe in das VersG NRW im Gesetzgebungsverfahren praktisch unumstritten.

Ganz anders sah es hingegen bezüglich des Störungsverbotes aus, dessen Formulierung bewusst von den Textfassungen in den anderen Bundesländern abweicht. Der Haupt-Unterschied liegt darin, dass nach § 7 VersG NRW jegliche Störung mit dem Ziel einer Behinderung der Versammlung verboten ist, während § 2 Abs. 2 VersG Bund lediglich Störungen mit dem Ziel der Verhinderung verbietet und manche Länder-Versammlungsgesetze zwar auf den Zweck der Behinderung abstellen, dies aber mit dem Zusatz „erheblich“ relativieren (§ 7 VersFG SH und § 8 VersFG BE). Der NRW-Gesetzgeber will hiermit den (missverständlichen) Eindruck vermeiden, Störungen unterhalb einer bestimmten Schwelle wären „erlaubt“.[4]

An der Formulierung in § 7 VersG NRW entzündete sich im Gesetzgebungsverfahren Kritik, die überwiegend aus dem linken politischen Spektrum kam und argumentierte, die Formulierung erschwere Gegendemonstrationen oder verbiete sie gar.[5] Dass dies nicht der Fall ist, wurde dann durch den kurz vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens eingefügten § 7 Abs. 3 VersG NRW klargestellt. Auf das Thema Gegendemonstration soll unten näher eingegangen werden (Demonstration und Gegendemonstration).

Grundsätzlich muss man sich zum Störungsverbot nach § 7 Abs. 3 NRW (und im Prinzip auch in den anderen Bundesländern) Folgendes bewusst machen: Erstens kann ein Verstoß nur vorliegen, wenn sowohl die objektive, als auch die subjektive Komponente zu bejahen sind: Objektiv muss eine Störung gegeben sein (näher unten C. Schutzumfang: Störungen und Gefahren) und subjektiv muss es dem Störenden darum gehen, die Versammlung zumindest zu behindern.

Zweitens ist nicht jede Störung strafbar, sondern lediglich schwerwiegende Fälle (§ 27 Abs. 4 VersG NRW); in weniger schweren Fällen liegt bloß eine Ordnungswidrigkeit vor (§ 28 Abs. 1 Nr. 3 VersG NRW), sodass hier auf eine Verfolgung auch ganz verzichtet werden kann. Damit ist die Verhältnismäßigkeit gewahrt. Das ändert freilich nichts daran, dass es sich auch bei einer sanktionslos bleibenden Störung in Behinderungsabsicht um ein verbotenes, rechtswidriges Verhalten handelt.

Der verfassungsrechtliche Hintergrund

Ob der Staat Versammlungen schützt, steht nicht im Belieben des (einfachen) Gesetzgebers. Es handelt sich beim Versammlungsschutz vielmehr um eine aus dem Grundgesetz resultierende Verpflichtung.

Die Verfassung zwingt den Staat, für Sicherheit zu sorgen und insbesondere die grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Bürger zu schützen. Dieser objektiven Schutzpflicht muss der Staat nachkommen, weil er nur dann das von ihm in Anspruch genommene staatliche Gewaltmonopol zu rechtfertigen vermag. Die Schutzpflicht des Staates ist aber nicht nur eine objektive. Vielmehr kann der Bürger vom Staat auch verlangen, dass er das grundrechtlich gewährleistete Tun des Bürgers schützt.

Die subjektive Schutzpflicht folgt aus den Grundrechten und wird dementsprechend als grundrechtliche Schutzpflicht bezeichnet. Auch wenn nur wenige Grundrechte (v.a. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG sowie Art. 6 Abs. 1 und Abs. 4 GG) in ihrem Text ausdrücklich die Schutzpflicht erwähnen, besteht doch heute weitgehend Einigkeit über die grundrechtliche Schutzpflicht als für alle (Freiheits-)Grundrechte geltenden Grundsatz.

Dementsprechend ist der Staat verpflichtet, Bürger zu schützen, die ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG wahrnehmen – und die betroffenen Bürger können vom Staat auch verlangen, dieser Pflicht nachzukommen.

Auf der anderen Seite gibt es kein „(Grund-)Recht auf Störung“ einer Versammlung. Dogmatisch mag man zwar streiten, ob es (im Sinne eines „neminemlaedere-Gebots“) schon von vornherein ausgeschlossen ist, dass der Schutzbereich eines Grundrechts die gezielte Verletzung der grundrechtlich geschützten Rechtspositionen anderer Menschen gewährleistet.

Zumindest findet aber die Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) ihre Schranken u. a. an den Rechten Anderer. Im Ergebnis ist ein gezielter Angriff auf Grundrechtswahrnehmung anderer Personen verfassungsrechtlich nicht zulässig.[6] Auf einem anderen Blatt stehen Grundrechtskonflikte, die sich ungewollt ergeben können, wenn zwei Personen jeweils ihr Grundrecht wahrnehmen – darum geht es aber beim Störungsverbot nicht, das ja nur die auf Behinderung gerichtete Störung einer Versammlung verbietet.

Schutzumfang: Störungen und Gefahren

Bei Gegenüberstellung der Normtexte zur Schutzaufgabe (§ 3 Abs. 1 VersG NRW) und zum Störungsverbot (§ 7 VersG NRW) ist zunächst einmal ein umfassenderer Umfang der Schutzaufgabe im Vergleich zum Störungsverbot festzustellen: Die Schutzaufgabe verpflichtet die Polizei, Versammlungen vor jeglicher Störung und außerdem vor Gefahren zu schützen; das Störungsverbot verbietet lediglich auf Behinderung zielende Störungen und befasst sich gar nicht mit Gefahren.[7] Man muss also zwischen Störungen und Gefahren unterscheiden und zudem bei den Störungen zwischen auf Behinderung zielenden Störungen und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist, differenzieren.

Der Begriff „Gefahr“ ist im Versammlungsrecht nicht anders zu verstehen als im allgemeinen Polizeirecht. Eine Gefahr liegt mithin vor bei einer Sachlage, in der es in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit zu kommen droht. Eine Versammlung ist insoweit v.a. mit Blick auf die körperliche Unversehrtheit, das Eigentum und die Bewegungsfreiheit der Versammlungsteilnehmer zu schützen.

Der Terminus „Störung“ meint demgegenüber einen Zustand, in dem die Versammlung nicht mehr so ablaufen kann, wie das seitens der Versammlungsbeteiligten eigentlich gewollt ist. Es geht hier um den Schutz der Ordnung der Versammlung. Die Ordnung der Versammlung wird grundsätzlich nicht durch die staatliche Rechtsordnung, sondern durch den Willen der Versammlungsbeteiligten bestimmt. In den meisten Fällen wird eine Gefahr für die Versammlung zugleich eine Störung bedeuten und umgekehrt. Es sind aber Konstellationen denkbar, in denen nur einer der beiden Begriffe zu bejahen ist. So konnte man bspw. bei manchen „Corona-Demonstrationen“ ohne Abstand und Maske argumentieren, hier bestehe eine Gefahr für die Gesundheit der Beteiligten. Wenn das Demonstrieren ohne Abstand und Maske aber im Sinne der Veranstalter und Teilnehmer war, gab es keine Störung der Ordnung der Versammlung. Umgekehrt liegt z. B. eine Störung der Ordnung der Versammlung vor, wenn ein Teilnehmer bei einem Schweigemarsch Parolen ruft, doch ist hier eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit wohl nicht gegeben. Die Schutzaufgabe der Polizei besteht in all diesen Konstellationen.[8]

Sowohl Gefahren, als auch Störungen können ihre Ursache in einem gezielt gegen die Versammlung gerichteten Tun von Personen haben, aber auch unabhängig hiervon entstehen. Fälle nicht-gezielt verursachter Gefahren bzw. Störungen gibt es etwa im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr, Baustellen (Lärm!) und sogar ohne menschliches Zutun (Hagelschauer).

Hier besteht zwar eine Schutzaufgabe der Polizei, doch muss diese natürlich die Grundrechte der (unabsichtlich) Störenden bzw. Gefahrverursacher berücksichtigen und mit der Versammlungsfreiheit und den sonstigen betroffenen Grundrechten der Versammlungsteilnehmer in Abwägung bringen. Zudem bedeutet Schutzaufgabe nicht „umfassende Fürsorgepflicht“; so wird die Polizei z. B. nicht zugunsten der Versammelten eine Plane zum Schutz vor Hagel aufspannen müssen.

Das Störungsverbot spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle; ein Handeln, das anderen Zwecken dient als der Behinderung der Versammlung, ist nicht verboten (Beispiel: üblicherweise beim Betrieb einer zufällig in der Nähe des Versammlungsortes befindlichen Baustelle entstehender Baulärm).

Demonstration und Gegendemonstration

Besonders anspruchsvoll ist der Umgang mit der Schutzaufgabe und dem Störungsverbot im Kontext von Demonstration und Gegendemonstration. Aus gutem Grund ist der Gesetzgeber insbesondere im Text von § 7 VersG NRW gleich in zwei Absätzen gezielt auf die hiermit verbundenen Probleme eingegangen und hat damit bundesweit eine Vorreiterrolle eingenommen: Mit § 7 Abs. 2 Ziffer 2 wird festgelegt, dass „Probeblockaden“ bzw. „Blockadetrainings“ als Verstoß gegen das Störungsverbot einzustufen sind. Eine solche Regelung war gerade in Nordrhein-Westfalen besonders nötig, da das OVG Münster diese Frage bis dato verneint hatte[9] – im Widerspruch zur überwiegenden Rechtsprechung in anderen Bundesländern und zur h.M. in der Literatur.[10]

Rein klarstellend bestimmt zudem § 7 Abs. 3 VersG NRW,[11] dass nicht auf Behinderung zielende kommunikative Gegenproteste nicht dem Störungsverbot unterfallen. Gegendemonstrationen sind also grundsätzlich zulässig. Als verfassungsrechtlich vorgegebene Selbstverständlichkeit widerspricht dies natürlich weder den übrigen Regelungen des Störungsverbotes, noch hätte es ausdrücklich normiert werden müssen.[12] Der Gesetzgeber wollte hier aber der (unberechtigten) Kritik an der ursprünglichen Fassung des Gesetzentwurfs den Wind aus den Segeln nehmen.

Hilfreich ist indes, dass § 7 Abs. 3 im Umkehrschluss nochmals darauf hinweist, welches Verhalten von „Gegendemonstranten“ verboten ist: Gegenproteste, die auf Behinderung der Ausgangsdemonstration gerichtet sind oder mit nicht-kommunikativen Mitteln durchgeführt werden. In diesen beiden Varianten können sich Gegendemonstranten auch nicht etwa auf Art. 8 GG berufen. Denn die Versammlungsfreiheit ist als Kommunikationsgrundrecht zu verstehen. Sie schützt ein gemeinsames Auftreten unter körperlicher Präsenz mit dem Ziel der geistigen Auseinandersetzung, nicht aber ein Handeln, das unmittelbar den erstrebten Erfolg erzwingen soll. Gezielte und absichtliche Behinderungen anderer Personen sind nicht von der Versammlungsfreiheit geschützt.[13]

Für das polizeiliche Handeln bedeutet die geänderte Gesetzesformulierung in der Sache keine Neuerung, da nur die verfassungsrechtlich ohnehin bestehenden Vorgaben im Gesetz klarer gefasst worden sind. Die Polizei muss ihrer Schutzaufgabe dadurch nachkommen, dass sie Gegendemonstranten auf Abstand von der Ausgangsversammlung hält. Sie muss Blockaden, die über bloße Symbolik hinausgehen, verhindern bzw. räumen, sobald diese die Ausgangsversammlung ernsthaft behindern.[14] Dass beim Zwangsmitteleinsatz der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist, versteht sich von selbst. Einschreiten muss die Polizei auch, wenn Gegendemonstranten durch Lärm (insbesondere mittels Lautsprecheranlagen oder Lärminstrumenten) die Ausgangsversammlung gezielt behindern.[15] Sprechchöre mit Gegenparolen muss die Ausgangsversammlung sich hingegen gefallen lassen, solange hiermit nicht ein „Niederschreien“ verbunden ist.

Abgesehen vom gefahrenabwehrenden Handeln ist es Aufgabe der Polizei, bei Störungen – auch durch Gegendemonstranten – die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu betreiben. Insbesondere Blockade-Aktionen werden, soweit sie nicht rein symbolisch bleiben, i. d. R. nach § 27 Abs. 4 VersG NRW strafbar sein. Die unter der Geltung des vergleichbaren § 21 VersG Bund oft unzureichende Verfolgung derartiger Taten hat in der Literatur Kritik erfahren.[16] Der Vorteil des VersG NRW liegt nun darin, dass dank der Schaffung des ergänzenden Ordnungswidrigkeiten-Tatbestandes § 28 Abs. 1 Nr. 3 VersG NRW die Polizei bei Verneinung eines Straftatverdachts nicht tatenlos bleiben muss.

Fazit

Mit der ausdrücklichen Aufnahme der Schutzaufgabe in das Gesetz (§ 3 Abs. 1 VersG NRW) und der Neuformulierung des Störungsverbots (§ 7 VersG NRW) sowie den ergänzenden Straf- und Ordnungswidrigkeitenbestimmungen ist es dem NRW-Gesetzgeber gelungen, die verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Versammlungsschutz im Gesetz abzubilden.[17]

Damit erweist sich das VersG NRW als versammlungsfreundlich und erleichtert es der Polizei, ihrer grundrechtlichen Schutzpflicht gerecht zu werden – auch in Fällen, in denen es um den Schutz politisch unpopulärer Versammlungen geht. Situationen unzureichenden Eingreifens von Behörden zum Schutz von Versammlungen sollten damit in NRW der Vergangenheit angehören.[18] Gegendemonstrationen bleiben Bestandteil eines lebendigen politischen Meinungskampfes. Für alle Beteiligten gilt weiterhin, was in der freiheitlichen Demokratie eigentlich selbstverständlich sein sollte: Die Freiheit der Andersdenkenden ist zu achten; ihrer Meinung darf mit Argumenten entgegengetreten werden, nicht mittels Behinderung.

 

Entnommen aus dem Deutschen Polizeiblatt 6/2022, S. 13.

[1] Vgl. Braun/Roitzheim, in: Ullrich/Braun/Roitzheim, VersG NRW, 2022, Rn. 3 zu § 7.

[2] Entwurfsbegründung, LT-Drs. 17/12423, S. 48.

[3] Enders u. a., Musterentwurf, 2011, S. 10.

[4] Entwurfsbegründung, LT-Drs. 17/12423, S. 58.

[5] Exemplarisch Neue Richtervereinigung, Stellungnahme 17/3823, S. 7.

[6] Müller-Franken, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, 15. Aufl. 2021, Rn. 21 zu Art. 8.

[7] Vgl. von Coelln/Klein/Pernice-Warnke/Pützer, NWVBl. 2022, 313, 314.

[8] Vgl. Ullrich/Roitzheim, a. a. O., Rn. 11 zu § 3.

[9] OVG Münster, NWVBl. 2013, 111, 114.

[10] Ullrich/Wernthaler, in: Ullrich/v. Coelln/Heusch, Handbuch Versammlungsrecht, 2021, Rn. 400 m. w. N.

[11] Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP, LT-Drs. 17/15821, S. 6.

[12] Vgl. Pietsch, KriPoZ 2022, 36, 42.

[13] BVerfG, DVBl 1991, 871; OVG Lüneburg, NdsVBl. 1996, 14.

[14] OVG Berlin-Brandenburg, LKV 2016, 225.

[15] VG Lüneburg, Urt. v. 12.11.2014 – 5 A 154/13.

[16] Knape, Die Polizei 2014, 241.

[17] Vgl. Schönenbroicher, VersG NRW, 2022, Rn. 2 zu § 7.

[18] Ullrich, DVBl 2022, 220, 221.

 

 

Prof. Dr. Norbert Ullrich

Professor an der HS für Polizei und öffentl. Verwaltung NRW, Duisburg, Privatdozent an der Jur. Fakultät der Georg-August-Universität, Göttingen
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