24.04.2023

Festsetzungen zum baulichen Nutzungsmaß vermitteln keinen grundsätzlichen Drittschutz

Beschluss des BayVGH vom 01.02.2022 – 2 ZB 20.1433

Festsetzungen zum baulichen Nutzungsmaß vermitteln keinen grundsätzlichen Drittschutz

Beschluss des BayVGH vom 01.02.2022 – 2 ZB 20.1433

Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Bayern« | © emmi - Fotolia / RBV
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Mit diesen Themen befasste sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in seinem unten vermerkten Beschluss vom 1.2.2022. Die Kläger wenden sich gegen eine Baugenehmigung für das Nachbargrundstück. Erstinstanzlich unterlagen sie. Ihr Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg.

Dem Beschluss der VGH ist auszugsweise Folgendes zu entnehmen:

1. Ob Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung ausnahmsweise auch darauf gerichtet sind, dem Schutz des Nachbarn zu dienen, hängt vom Willen der Gemeinde als Plangeber ab

„Die Festsetzungen des qualifizierten Bebauungsplans … der Beklagten, in dessen Geltungsbereich das Baugrundstück liegt, zur Geschossflächenzahl (GFZ) und zur überbaubaren Grundstücksfläche haben keinen drittschützenden Charakter. Im Ansatz geht auch die Zulassungsbegründung davon aus, dass Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung grundsätzlich keinen Drittschutz vermitteln.


Hier sei das jedoch anders, da im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans … die (früheren) Doppelhäuser auf dem klägerischen Grundstück und auf dem Baugrundstück bereits verwirklicht gewesen seien. Deswegen dränge sich auf, dass durch die festgesetzten Ausnutzungszahlen auch ein abschließender Ausgleich der Interessen und Bauwünsche unter den Eigentümern der im Plangebiet bereits verwirklichten Doppelhäuser bewirkt werden sollte.

Überschreitungen von Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung lassen in der Regel den Gebietscharakter unberührt und haben nur Auswirkungen auf das Baugrundstück und die unmittelbar anschließenden Nachbargrundstücke. Zum Schutz der Nachbarn ist daher das Rücksichtnahmegebot des § 31 Abs. 2 BauGB ausreichend, das eine Abwägung der nachbarlichen Interessen ermöglicht und den Nachbarn vor unzumutbaren Beeinträchtigungen schützt (BayVGH, Beschluss vom 16.7.2002 – 2 CS 02.1236 – BayVBl 2003, 599).

Ob Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung ausnahmsweise auch darauf gerichtet sind, dem Schutz des Nachbarn zu dienen, hängt vom Willen der Gemeinde als Plangeber ab (BVerwG, Urteil vom 9.8.20181) – 4 C 7.17 – BVerwGE 162, 363). Der Plangeber muss insoweit einwechselseitiges nachbarliches Austauschverhältnis geschaffen haben. Dabei kann es nicht ausreichen, dass die gleichen Maßfestsetzungen für ein bestimmtes Gebiet im Bebauungsplan getroffen wurden, weil ansonsten insoweit stets Drittschutz anzunehmen wäre. Die Tatsache, dass für das Anwesen der Kläger und für das der Beigeladenen sowie für weitere Anwesen in der Umgebung einheitlich eine Festsetzung einer GFZ von 0,5 erfolgte, kann damit die Annahme einer drittschützenden Wirkung dieser Regelung nicht tragen. Der bloße Umstand, dass der Bebauungsplan auf den beiden fraglichen Baugrundstücken die damaligen Bestandsgebäude nachrichtlich wiedergibt, kann hieran nichts ändern. Es gibt im Bebauungsplan oder in der Begründung keine konkreten Anhaltspunkte, dass nach dem Willen der Beklagten die Festsetzung der GFZ drittschützend sein sollte.

Gleiches gilt für die Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien und Baugrenzen. Solche Festsetzungen vermitteln Drittschutz ebenfalls nur dann, wenn sie ausnahmsweise nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen (BayVGH, Beschluss vom 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris). Zu Recht hat das Erstgericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass auch insoweit dem Bebauungsplan … nichts für eine drittschützende Wirkung zu entnehmen ist.

Die textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans enthalten keinerlei Regelungen zur überbaubaren Grundstücksfläche. Auch dem Planteil kann nur entnommen werden, dass die vordere (südliche) Baugrenze, von der befreit wurde, in etwa parallel zur …straße verläuft. Für eine demgegenüber dennoch bestehende drittschützende Wirkung legt die Zulassungsbegründung nichts Substantiiertes dar.“

2. Für die Anwendung des sog. Schmalseitenprivilegs des Art. 6 Abs. 6 BayBO a.F. (Art. 6 Abs. 5a Satz 2 BayBO n.F.) kommt es nur auf die abstandsflächenrelevanten Wandteile an

„In Ansehung der Zulassungsbegründung verstößt das Bauvorhaben der Beigeladenen auch nicht gegen abstandsflächenrechtliche Vorschriften. Das Verwaltungsgericht hat sich insoweit der Rechtsauffassung des Senats im Beschluss vom 18.11.2019 – 2 CS 19.1891, der unter den gleichen Beteiligten erging, angeschlossen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst hierauf Bezug genommen.

Die im Zulassungsverfahren wiederholten Einwendungen der Kläger vermögen diese Rechtsauffassung nicht infrage zu stellen. Das gilt auch unter Berücksichtigung der von der Zulassungsbegründung für die Richtigkeit der gegenteiligen Rechtsauffassung in Anspruch genommenen Passagen des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 4.11.2019 –M8 K 17.4954, da diese im Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats stehen. Durch die Rechtsprechung des Großen Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass es für die Anwendung des sog. Schmalseitenprivilegs des Art. 6 Abs. 6 BayBO a.F. nur auf die abstandsflächenrelevanten Wandteile ankommt (Beschluss vom 21.4.19862) – Gr.S. 1/85 – 15 B 84 A.2534 – VGH n.F. 39, 9 = BayVBl. 1986, 397). Soweit das Bauvorhaben und das Gebäude der Kläger auf einer Länge von 9 m aneinandergebaut werden, muss keine Abstandsfläche eingehaltenwerden, ohne dass bauordnungsrechtlich geprüft werden müsste, ob – was von den Klägern im Übrigen nicht infrage gestellt wird – dieser Grenzanbau zulässig ist. Abstandsflächenrelevant ist damit nur der zum Grundstück der Kläger hin horizontal versetzte Gebäudeteil des geplanten Vorhabens mit einer Wandlänge von 11,70 m.“

3. Bei einem nur teilweise profilgleichen Anbau sind die seitlichen Abschlusswände, an denen die Gebäude aneinanderstoßen, nicht als Außenwände im Sinne von Art. 6 Abs. 6 BayBO a.F. (Art. 6 Abs. 5a Satz 2 BayBO n.F.) zu behandeln

„Soweit das geplante Gebäude an der Grenze mit dem Bestandsgebäude der Kläger zusammengebaut wird, liegt keine Außenwand im Sinne von Art. 6 Abs. 6 Satz 2 BayBO a.F. mit der Folge vor, dass das Schmalseitenprivileg dem Bauvorhaben nur noch einmal zur Verfügung stünde. Denn eine Außenwand in diesem Sinne ist nur eine freistehende Wand (Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 4. Auflage 2012, Art. 6, Rn. 91), die bei einem Zusammenbau mit einem anderen Gebäude gerade nicht vorliegt. Bei einem teilweise profilgleichen Anbau sind die seitlichen Abschlusswände, an denen die Gebäude aneinanderstoßen, nicht als Außenwände im Sinne von Art. 6 Abs. 6 BayBO a.F. zu behandeln (BayVGH, Beschluss vom 16.7.2001 – 14 ZS 01.1636 – juris).

Bei dem geplanten Vorhaben und dem Gebäude der Kläger handelt es sich auch nicht um ein aneinandergebautes Gebäude im Sinne von Art. 6 Abs. 6 Satz 3 BayBO a.F. mit der Folge, dass es bei der Anwendung des Schmalseitenprivilegs als einheitliches Gebäude betrachtet werden müsste, sodass die Kläger und die Beigeladene zusammen betrachtet das Schmalseitenprivileg insgesamt nur zweimal in Anspruch nehmen könnten. Die Vorschrift erfasst zwar auch Gebäude, die auf verschiedenen Buchgrundstücken stehen, setzt aber voraus, dass ein im Wesentlichen profilgleicher Anbau vorliegt (Schwarzer/König, BayBO, 4. Auflage 2012, Art. 6, Rn. 92), was hier nicht der Fall ist.“

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 1.2.2022 – 2 ZB 20.1433

 

Entnommen aus der Fundstelle Bayern 2/2023, Rn. 18.

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