23.03.2023

Beschwerde gegen präventives Bauverbot erfolgreich

BayVGH, Beschluss vom 07.11.2022, 15 CS 22.1998

Beschwerde gegen präventives Bauverbot erfolgreich

BayVGH, Beschluss vom 07.11.2022, 15 CS 22.1998

© keBu.Medien - stock.adobe.com
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Im nachfolgenden Urteil wendet sich die Antragstellerin gegen ein ihr gegenüber erlassenes präventives Bauverbot (Anordnung der Unterlassung des Baubeginns).

§§ 80, 113, 114, 146 VwGO; Art. 59, 6, 75 BayBO; Art. 40, 41, 42a, 48 BayVwVfG

(Erfolgreiche Beschwerde; Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung [präventives Bauverbot]; Ermessen [bauordnungsrechtliches Eingreifen, intendiertes Ermessen – Sonderfall]; Zeitpunkt der Bekanntgabe eines VA bei elektronischer Übermittlung; Baugenehmigungsfiktion im bayerischen Landesrecht; gesetzliche Pflicht zur Ausstellung der Fiktionseintrittsbescheinigung)


Amtliche Leitsätze:

  1. Eine Genehmigungsfiktion gemäß Art. 42a BayVwVfG tritt auch dann ein, wenn der Ablehnungsbescheid zwar tatsächlich innerhalb der Entscheidungsfrist kraft elektronischer Übermittlung zugeht, aber so spät abgesandt wurde, dass der Bekanntgabezeitpunkt gemäß Art. 41 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG nach Fristende liegt.
  2. Ist die Genehmigungsfiktion wegen Fristablaufs eingetreten, die Fiktionseintrittsbescheinigung aber noch nicht ausgestellt beziehungsweise dem Bauherrn noch nicht zugegangen, ist im Rahmen des gemäß Art. 75 Abs. 1, Satz 2 Nr. 1 i. V. m. Art. 60 Abs. 6 Nr. 1 BayBO, Art. 40 BayVwVfG auszuübenden Eingriffsermessens ein bestehender Anspruch des Bauherrn auf Ausstellung der Bescheinigung zu berücksichtigen.

BayVGH, Beschluss vom 07.11.2022, 15 CS 22.1998

Zum Sachverhalt:

Die Antragstellerin wendet sich gegen ein ihr gegenüber erlassenes präventives Bauverbot (Anordnung der Unterlassung des Baubeginns). Die Antragstellerin beantragte unter dem 13. Dezember 2021 eine Baugenehmigung für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgarage auf den Flur-Nummern 80 und 89 der Gemarkung N. Nach Eingang der vollständigen Bauvorlagen verlängerte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 7. April 2022 die Genehmigungsfiktionsfrist gemäß Art. 68 Abs. 2 BayBO i. V. m. Art. 42a Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG bis zum 20. Juni 2022. Mit Bescheid vom 20. Juni 2022 lehnte die Antragsgegnerin den Bauantrag ab.

Diesen Bescheid versandte die Antragsgegnerin als pdf-Kopie des unterschriebenen Originals am Nachmittag des 20. Juni 2022 elektronisch über ein besonderes Behördenpostfach (beBPo) an das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) des im Verwaltungsverfahren bevollmächtigten Rechtsanwalts der Antragstellerin mit folgendem Begleittext:

„Sehr geehrter Herr Kollege T, in der Anlage übersende ich Ihnen vorab über das besondere elektronische Behördenpostfach den Bescheid zum Bauvorhaben Ihrer Mandantin in der S-Straße. Das Original wird Ihnen auf dem Postweg zugehen. Für Rückfragen stehe ich Ihnen selbstverständlich gern zur Verfügung. Mit freundlichen kollegialen Grüßen.“

Hierfür erhielt die Antragsgegnerin eine elektronische Eingangsbestätigung vom 20. Juni 2022, 15:29:30 Uhr, wonach der Adressat die Datei „2022-06-20_Bescheid_K_BV-S-Straße_.pdf “ empfangen habe.

Am folgenden Tag (21.06.2022) wurde der Bescheid dem damaligen Bevollmächtigten der Antragstellerin sowohl per Postzustellungsurkunde zugestellt als auch zugefaxt. Mit Schreiben vom 23. Juni 2022 forderte der damalige Bevollmächtigte der Antragstellerin die Antragsgegnerin auf, „die Bescheinigung nach Art. 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayBO i. V. m. Art. 42a Abs. 3 BayVwVfG unverzüglich auszustellen“; der Ablehnungsbescheid vom 20. Juni 2022 sei der Anwaltskanzlei erst am 21. Juni 2022 mit der Post zugestellt worden.

Damit sei mit Ablauf des 20. Juni 2022 die Genehmigungsfiktion gemäß Art. 68 Abs. 2 BayBO i. V. m. Art. 42a BayVwVfG eingetreten. Zwar habe die Antragsgegnerin am 20. Juni 2022 gegen 15.30 Uhr den Versuch unternommen, den Ablehnungsbescheid über ein besonderes elektronisches Behördenpostfach bekannt zu machen. Dieser Versuch sei jedoch fehlgeschlagen, da die Zustellung vom anwaltseigenen Postfach nicht habe identifiziert werden können. Die Datei „2022-06-20_Bescheid_K_BV-S-Straße_.pdf “ habe sich nicht öffnen lassen.

Dieser Sachverhalt sei am Folgetag (21.06.2022) der Antragsgegnerin telefonisch mitgeteilt worden. Die Postzustellung am 21. Juni 2021 sei ebenso wie die Übermittlung per Telefax um einen Tag zu spät erfolgt. Das Risiko, dass ein Dokument wegen nicht kompatibler Software nicht lesbar sei, trage der Absender, mithin vorliegend die Antragsgegnerin. Für diese Risikoverteilung spreche auch, dass eine Verpflichtung der Rechtsanwälte, ein elektronisches Postfach zu unterhalten, bislang nur im Verhältnis zu den Gerichten bestehe.

Dem Anwaltsschreiben vom 23. Juni 2022 war der Ausdruck eines Screenshots einer aus dem elektronischen „Papierkorb“ aufgeladenen Datei aus dem beA-Programm des vormaligen Bevollmächtigten der Antragstellerin als Anlage beigefügt, in der einerseits der Empfang und der Zugang der übermittelten Datei „2022-06-20_Bescheid_K_BV-S-Straße_.pdf “ für den „20.06.2022“ um „15:29“ Uhr bestätigt wird, andererseits auf dem Bildschirm zum einen zentriert im oberen Bildschirmdrittel in roter Schrift und zum anderen rechts oben in schwarzer Schrift jeweils ein „x“ mit folgendem Begleittext erscheint: „Die geöffnete Nachricht ist leider fehlerhaft und kann deswegen nicht geöffnet werden“.

Ferner war dem Anwaltsschreiben vom 23. Juni 2022 als Anlage ein ausgefülltes und unterschriebenes Formular „Baubeginnsanzeige“ beigefügt, in dem von der Antragstellerin als Tag des Baubeginns das (aus damaliger Sicht zukünftige) Datum „15.07.2022“ mitgeteilt wurde. Die Antragsgegnerin lehnte mit Schreiben vom 7. Juli 2022 gegenüber dem damaligen Bevollmächtigten der Antragstellerin die Erteilung der Genehmigungsfiktionsbescheinigung ab.

Aus ihrer Sicht sei der Ablehnungsbescheid am 20. Juni 2022 der Antragstellerin zugegangen. Nachdem die Antragstellerin per E-Mail vom 8. Juli 2022 mitgeteilt hatte, die Baubeginnsanzeige nicht zurückzuziehen, ordnete die Antragsgegnerin mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 14. Juli 2022 – gestützt auf Art. 75 BayBO analog – gegenüber der Antragstellerin unter Anordnung des Sofortvollzugs sowie unter Zwangsgeldandrohung an, es zu unterlassen, mit den Bauarbeiten auf den Baugrundstücken zu beginnen, solange sie weder über eine Baugenehmigung noch über eine Bescheinigung gemäß Art. 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayBO i. V. m. Art. 42a Abs. 3 BayVwVfG verfüge.

In der Bescheidbegründung wird die Frage, ob die Voraussetzungen einer fingierten Baugenehmigung (Art. 68 Abs. 2 BayBO i. V. m. Art. 42a BayVwVfG) eingetreten sind oder nicht, nicht näher thematisiert. Laut der Bescheidbegründung war für den Erlass der Verfügung ausschlaggebend, dass der von der Antragstellerin angekündigte Baubeginn im Widerspruch zu Art. 68 Abs. 6 Nr. 1 BayBO stehe, weil der Antragstellerin für das beantragte Vorhaben weder eine Baugenehmigung noch eine Fiktionseintrittsbescheinigung zugestellt worden sei. Der Bescheiderlass gründe auf der Ermessenserwägung, rechtswidrige Zustände zu verhindern.

Hinzu komme, dass das Bauvorhaben mit dem materiellen Recht nicht in Einklang stehe, da es bauplanungsrechtlich nicht genehmigungsfähig sei. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Rechtsordnung überwiege gegenüber den Belangen der Antragstellerin, mit dem Bau beginnen zu können. Es lägen objektiv konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragstellerin als Bauherrin rechtswidrig mit den Bauarbeiten beginne.

Die Antragstellerin werde mit dem Bescheid in den gleichen Stand versetzt, wie ihn ein gesetzestreuer Bürger einnehme, der mit den Bauarbeiten erst nach Erhalt einer Genehmigung beziehungsweise einer Bescheinigung über den Eintritt der Genehmigungsfiktion beginne. Die Antragstellerin erhob am 18. Juli 2022 beim Verwaltungsgericht Regensburg zunächst eine (dort weiterhin unter dem Az. RO 7 K 22.1821 anhängige) Klage mit den Hauptanträgen auf Feststellung, dass hinsichtlich des streitgegenständlichen Vorhabens die Genehmigungsfiktion eingetreten sei, und auf Verurteilung der Antragsgegnerin zur Erteilung der Fiktionseintrittsbescheinigung sowie dem Hilfsantrag, die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 20. Juni 2022 zu verpflichten, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.

Am 4. August 2022 erhob die Antragstellerin sodann eine weitere Klage beim Verwaltungsgericht Regensburg mit dem Antrag, den Bescheid vom 14. Juli 2022 aufzuheben. Auch über diese Klage (Az. RO 7 K 22.1940) wurde noch nicht entschieden. Ihren ebenso am 4. August 2022 gestellten Eilantrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 14. Juli 2022 wiederherzustellen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. August 2022 ab. Mit ihrer gegen den ablehnenden Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 22. August 2022 gerichteten Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtsschutzbegehren weiter.

 

Entnommen aus den Bayerischen Verwaltungsblättern, 3/2023, S. 87.

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