16.08.2021

Sonntägliche Ladenöffnungen zur Corona-Kompensation (3)

Möglichkeiten für Kommunen und Landesgesetzgeber – Teil 3

Sonntägliche Ladenöffnungen zur Corona-Kompensation (3)

Möglichkeiten für Kommunen und Landesgesetzgeber – Teil 3

Ein Beitrag aus »Niedersächsische Verwaltungsblätter« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Niedersächsische Verwaltungsblätter« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

 

Von den durch die niedersächsische Corona-Verordnung verhängten Ladenschließungen sind besonders die örtlichen, oft noch inhabergeführten Einzelhandelsgeschäfte in den Innenstädten betroffen. Kommunale Pläne, zur Kompensation ihrer wirtschaftlichen Einbußen zusätzliche sonntägliche Ladenöffnungen zuzulassen, haben vor den Oberverwaltungsgerichten in Lüneburg und Münster nicht bestehen können. Der Beitrag untersucht, welche Handlungsmöglichkeiten den Kommunen und dem Landesgesetzgeber aufgrund der verfassungsrechtlichen Ausgangslage noch verbleiben, um zumindest teilweise oder temporäre Sonntagsöffnungen zuzulassen. Im dritten Teil wird die Reihe abgeschlossen und ein Fazit zum Thema gezogen.

2. Sonntagöffnung de lege ferenda

Wenn man die vorstehend aufgezeigten verfassungsrechtlichen Begründungslinien für eine ausnahmsweise Sonntagsöffnung zur Kompensation der Corona-Folgen für den Einzelhandel nach geltendem Recht beiseitelässt, stellt sich abschließend die Frage, ob der niedersächsische Gesetzgeber auch de lege ferenda einen zusätzlichen Ausnahmetatbestand schaffen könnte, um dieser Problematik verfassungskonform Rechnung zu tragen. Hierfür spricht auch die dem Gesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht explizit eingeräumte Möglichkeit, im Rahmen seines Gestaltungsspielraums63 auf eine Änderung der sozialen Wirklichkeit zu reagieren.64

Bislang könnte sich eine solchermaßen motivierte Sonntagsöffnung auf § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 NLöffVZG stützen, der vom Gesetzgeber als Auffangtatbestand in Anlehnung an die vom BVerfG entwickelte Formulierung des für die Sonntagsöffnung erforderlichen rechtfertigenden Sachgrundes konzipiert worden ist.65 Das NdsOVG hat ausdrücklich offengelassen, ob diese Vorschrift „selbst noch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist“.66 Mit dieser Überlegung spielt es auf die unter III. bereits erwähnte Rechtsprechung des OVG NRW an, die anhand der entsprechenden Vorschrift im Ladenöffnungsrecht des Landes NRW den Grundsatz entwickelt hatte, dass ein öffentliches Interesse für die Sonn- und Feiertagsöffnung stets nur bestehen könne, soweit „aus anderen Gründen ohnehin mit einem besonderen Besucherinteresse zu rechnen ist“.67


Wegen der damit verbunden Unwägbarkeiten über die künftige Richtung in der Rechtsprechung des NdsOVG zu dieser Vorschrift, könnte der geeignete Ort für eine solche Corona-Sonderregelung hingegen eher § 5 a NLöffVZG sein. Diese Vorschrift eröffnet bereits de lege lata eine zusätzliche Ausnahmemöglichkeit vom Sonn- und Feiertagsschutz für Verkaufsstellen in der Gemeinde oder in Ortsbereichen, wenn „dies im dringenden öffentlichen Interesse erforderlich ist“. Die oben geschilderte Zuspitzung der wirtschaftlichen Lage der Einzelhandelsbetriebe und deren Auswirkungen auf die Innenstädte könnten, unterstützt vom Argument der Verfassungspflicht zur Förderung und zum Schutz des Mittelstandes, nach diesseitiger Auffassung eine Basis bilden, um das Vorliegen eines solchen dringenden öffentlichen Interesses zu begründen. Welche Gründe, wenn nicht diese besondere Notlage für den stationären Einzelhandel mit ihren negativen Auswirkungen für die Innenstädte unserer Städte und Gemeinden, könnten jenseits von Notsituationen wie Katastrophenfällen und Großschadenslagen68 ansonsten überhaupt ein solches „dringendes öffentliches Interesse“ begründen? Um andererseits aber auch der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Sichtbarkeit des Ausnahmecharakters Rechnung zu tragen und klarzustellen, dass es sich bei den Corona-Verlusten des Handels um eine unvorhergesehene Sondernotlage handelt, böte es sich an, die Ermächtigung in § 5 a Satz 1 NLöffVZG lediglich um einen klarstellenden, neuen Satz 2 zu ergänzen, der als Vermutungsregelung auszugestalten wäre.

Diese zusätzliche Vorschrift könnte also insofern konkretisiert werden, als für einen bestimmten Zeitraum, bspw. bis Ende des Jahres 2021, bei einzelnen Sonntagsöffnungen zum Ausgleich der Corona-Auswirkungen auf den Einzelhandel das Vorliegen eines „dringenden öffentlichen Interesses“ vermutet wird. Um dem verfassungsrechtlich determinierten Mindestschutz und der Sichtbarkeit des Regel-Ausnahme-Verhältnisses Rechnung zu tragen, müssten dabei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt und die Anzahl der verkaufsoffenen Sonn- und Feiertage angemessen begrenzt69 und ggf. auch eine Einschränkung auf bestimmte Handelssparten vorgenommen werden.70 Denkbar wäre dabei eine Begrenzung auf solche – häufig noch inhabergeführten – Verkaufsstellen, die sich zuvörderst in den Innenstädten befinden (Bekleidungs- und Spielwarengeschäfte, Verkaufsstellen für Bücher, Schreibwaren o.Ä.) und im Gegensatz zu den von den Schließungen weniger bis gar nicht betroffenen Verkaufsstellen im Lebensmittelhandel, Drogerien, Apotheken oder Baumärkten unter den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie besonders zu leiden haben. Begegnet werden kann der Gleichstellung mit der werktäglichen Geschäftigkeit auch durch eine zusätzliche Begrenzung der Öffnungszeiten.71 Zu beachten wäre weiterhin der Ausschluss einer Sonntagsöffnung an mehreren aufeinanderfolgenden Sonntagen.72

V. Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass auch in Anbetracht der auf den ersten Blick restriktiv erscheinenden Rechtsprechung des NdsOVG und anderer Verwaltungsgerichte noch Spielräume verbleiben, um innerhalb der verfassungsrechtlich bindenden Koordinaten des Sonn- und Feiertagsschutzrechtes Sonntagsöffnungen zur Kompensation der sich ständig verschärfenden Auswirkungen der Corona-Lage auf den Einzelhandel zu rechtfertigen. Der niedersächsische Gesetzgeber könnte eine solchermaßen motivierte Sonntagsöffnung aber auch de lege ferenda durch eine zeitlich beschränkte gesetzliche Vermutungsregel befördern, ohne seinen ihm vom BVerfG zugebilligten Gestaltungsspielraum zu überschreiten.

VBlNds 4/2021

 

63 BVerfGE 125, 39, 78.

64 BVerfGE 123, 39, 86.

65 Vgl. Bericht des Sozialausschusses, nds. LT-Drucks. 18/3724, S. 4.

66 NdsOVG, Beschl. v. 10.09.2020 – 7 ME 89/20 – in diesem Heft, S. 122 ff. = NordÖR 2020, 588.

67 OVG NRW, Beschl. v. 16.03.2020 – 4 B 273/20.NE, BeckRS 2020, 4643, Rn. 6.

68 Hierauf rekurrieren die Gesetzesbegründung, nds. LT-Dr. 18/2461, S. 10 und der Bericht des Sozialausschusses, nds. LT-Drucksache 18/3724, S. 8.

69 Vgl. BVerfGE 125, 39, 87; 87, 363, 393; 111, 10, 53.

70 Auch das BVerfG weist dem Regel-Ausnahme-Gebot im Grundsatz geringere Bedeutung zu, je enger die einbezogenen Handelssparten und Warengruppen ausgestaltet sind, vgl. BVerfGE 125, 39, 88.

71 Vgl. BVerfGE 123, 39, 98 f.; auch Schink/Ley, NWVBl. 2020, 485, 492.

72 Eine Öffnung an Sonntagen über den gesamten Dezember hatte das BVerfG gerade für unzulässig erklärt, BVerfGE 125, 39, 95.

 

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Die Serie: Sonntägliche Ladenöffnungen zur Corona-Kompensation 

 

 

 

Prof. Dr. Thomas Mann

Georg-August Universität Göttingen
 

Ronja Westermeyer

Georg-August Universität Göttingen
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