24.08.2021

Gesetzgebungskultur ändern: Welche konkreten Maßnahmen Gesetze verbessern könnten

Folge 1 der Serie Qualität des Rechts

Gesetzgebungskultur ändern: Welche konkreten Maßnahmen Gesetze verbessern könnten

Folge 1 der Serie Qualität des Rechts

Vier Schwerpunktsetzungen könnten, so das Kolloquium, zu besseren Gesetzen führen. ©j-mel - stock.adobe.com
Vier Schwerpunktsetzungen könnten, so das Kolloquium, zu besseren Gesetzen führen. ©j-mel - stock.adobe.com

In Deutschland und Frankreich gilt gleichermaßen: Die Qualität des Rechts muss zu einer gemeinsamen Handlungsmaxime werden, die von Bürgern und Behörden geteilt wird. Wie eine gezielte Rechtspolitik die Qualität des Rechts verbessern könnte, umreißt der Autor auf Basis eines Kolloquiums aus dem letzten November. Im Mittelpunkt standen kulturelle und politische Veränderungen, die rechtliche Unsicherheit fördern. Ziel des wissenschaftlichen Diskurses waren daher praktikable Lösungen, die aus der Praxis abgeleitet sind.  In Folge 1 der Serie geht es um konkrete Maßnahmen für bessere Gesetzgebung.

 Das Gesetz leidet an drei großen Übeln, auf die der französische Staatsrat (Conseil d’État) seit 1991 hinweist: Inflation, Instabilität und qualitative Verschlechterung. Auch das gemeinsame Problembewusstsein ist vorhanden: Die Lehre, die Richter, die politische Klasse und die Zivilgesellschaft haben jeweils die gleiche Beobachtung gemacht und haben auch jeweils eigene Abhilfemaßnahmen empfohlen, um dem ein Ende zu setzen.

Diese rechtlichen Lösungen, insbesondere textlicher Art, wurden umgesetzt:


  • die Einrichtung von obligatorischen Auswirkungsstudien für Gesetzesentwürfe,
  • die Entwicklung der Kodifizierung,
  • Gesetze zur Vereinfachung der Rechtsordnung,
  • die Möglichkeit, einen Gesetzesentwurf an den Conseil d’État zur Stellungnahme zu verweisen, und
  • die schrittweise Online-Stellung des Gesetzesrechts.

Auch richterliche Lösungsansätze gibt es: seitens des Conseil Constituionnel (in Frankreich funktional sowohl Verfassungsgericht als auch Verfassungsrat) die Formulierung des rechtsstaatlichen Ziels der Zugänglichkeit und Verständlichkeit des Gesetzes und das Erfordernis seiner Normativität sowie die Nichtigerklärung von „blinden Passagieren“ in Artikelgesetzen (Cavaliers législatifs); und seitens des Conseil d’État insbesondere die Anerkennung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Rechtssicherheit.

All dies war Teil einer allgemeinen Bewegung zur Verrechtlichung der Legistik: Aus der Wissenschaft der Gesetzgebung abgeleitete Vorschriften wurden in das Recht integriert; Methoden, die einer bestimmten Gesetzgebungskunst entsprechen, wurden zu gesetzlichen Vorschriften.

Dennoch war die Wirksamkeit dieser Rechtsmittel begrenzt, wenn nicht sogar enttäuschend:

  • Folgenabschätzungen werden zu häufig nachträglich verfasst, um einen Text als valide zu bestätigen, dessen Notwendigkeit bei der Prüfung gar nicht wirklich in Frage gestellt wird;
  • eine Kodifizierung, die bestimmte Rechtsquellen nicht integriert, kann dem Bürger die Illusion der Vollständigkeit vermitteln und behält als verfestigtes Recht eine große Anzahl von Formulierungsfehlern in den kodifizierten Normen bei;
  • Gesetze, die das Recht vereinfachen sollen, sind ihrerseits komplex;
  • die Präsidenten der gesetzgebenden Versammlungen legen nur selten einen Gesetzesentwurf dem Conseil d’État zur Stellungnahme vor;
  • die Online-Veröffentlichung von Gesetzen gibt den Bürgern keinen Zugang zu allen für sie geltenden Normen und aktualisiert Texte, die nicht fehlerfrei sind.

Auch wenn man nicht stets über völlig zuverlässige Indikatoren zum Thema verfügt, verfestigt sich dennoch der Eindruck einer Gesetzeslandschaft von unzureichender Qualität. Während sich diese Kontroll-Instrumente vervielfacht haben, hat der „Jurislateur“ („Rechtssetzer“) weiterhin – auf schizophrene Art und Weise – übermäßig viele, prekäre und für die Adressaten schwer verständliche Texte produziert. Paradoxerweise zeigt die jährliche Studie des Conseil d’État zur Vereinfachung und Verbesserung des Rechts aus dem Jahr 2016, dass sich die Situation seit den vorherigen Studien von 1991 und 2006 verschlechtert hat. Die Rechtsordnung ist immer noch von Unsicherheit geprägt. Das Gesetzesrecht wächst und das Gesetzesrecht erstickt an sich selbst.

Rechtsunsicherheit hat politische und soziale Ursachen

Die Ursachen der Rechtsunsicherheit sind – über das Rechtliche und Technische hinaus – zum Teil politisch und sozial. Eine Ursache ist die französische Neigung, bei jeder Schwierigkeit auf die Rechtsnorm zurückzugreifen: Die gesellschaftliche Nachfrage nach dem Gesetz wird durch die Politik der verschiedenen Regierungen befriedigt, die darin besteht, zu glauben, dass ein Problem durch den Erlass eines neuen Textes gelöst werde.

„Jedes Thema in den Abendnachrichten ist praktisch bereits ein Gesetz“, sagte der 2013 verstorbene Rechtsprofessor Guy Carcassonne mit seinem Sinn für eingängige Formulierungen. Auch mediale und politische Zwänge tragen zur Beschleunigung der Normerstellung bei: So führt die Anwendung des beschleunigten Verfahrens häufig zu verpfuschten Texten, deren Qualität zu wünschen übrig lässt und die dann nachgebessert werden müssen. Ebenso hat die Vielzahl der politischen Wechsel die Instabilität von Gesetzen und Verordnungen begünstigt, welche Instrumente der Programme der gewählten Mehrheiten sind. Ganz allgemein wird die „Schönheit des Rechts“ häufig politischen Zwängen geopfert.

Die Hilfe, die ein Gesetz zur Behebung von Rechtsunsicherheit geben kann, ist in der Tat relativ begrenzt. Das Wesentliche liegt in den Praktiken, den Gewohnheiten, der Moral, der Geisteshaltung: in der Kultur, kurz gesagt. Die Verbesserung der Qualität des Rechts hängt also ebenso sehr von der Veränderung der Praxis und von Verantwortungsbewusstsein ab wie von der Reform von Texten oder der Verankerung eines neuen rechtswissenschaftlichen Prinzips. Es geht also um eine „Veränderung der normativen Kultur“, um die vom Conseil d’État in seiner Studie von 2016 verwendete Formel zu verwenden.

Der Frage nach dem „Warum“ folgt dann die Frage nach dem „Wie“: Mit welchen Mitteln soll die normative Kultur verändert werden? Eine Kultur beinhaltet bestimmte Verhaltensweisen und die Wahrnehmung von Zuständigkeiten. Dies sind Praktiken, Moral, Gewohnheiten und Traditionen, aber auch Wissen, Werte, Ideen, Mentalitäten, kurz gesagt kollektive Repräsentationen oder Denkmodelle.

Es ist daher notwendig, bewährte Praktiken zu identifizieren und zu verallgemeinern, die zur Verbesserung der Qualität des Rechts beitragen. Aber diese guten Praktiken können nur dann vollständig verallgemeinert und aufrechterhalten werden, wenn sie von einer bestimmten Geisteshaltung und einem starken politischen Willen begleitet werden. Es ist daher wichtig, über die Verrechtlichung der Gesetzgebung hinauszugehen: Sie muss auch politisiert und „kulturalisiert“ werden, d.h. stärker in öffentliches und politisches Handeln sowie in die erwähnten kulturellen Repräsentationen integriert werden. Daher ist es wichtig, Praktiken (Folge 2 der Serie) und darüber hinaus auch Denkmodelle (Folge 3 der Serie) zu ändern.

 

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Die Serie: Qualität des Rechts

 

Pierre de Montalivet

Professor für Öffentliches Recht an der Universität Paris-Est Créteil (Paris XII)
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