26.08.2021

Herstellung einer Anbaustraße im Bereich eines Vorhaben- und Erschließungsplans

Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

Herstellung einer Anbaustraße im Bereich eines Vorhaben- und Erschließungsplans

Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

Die Koalitionsfraktionen planen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Digitalisierung in Bauleitplanung und zur Änderung weiterer Vorschriften zu erweitern.  |   ©nmann77 - stock.adobe.com
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I. Ausgangsfall

Die Gemeinde zieht Herrn E als Eigentümer eines Grundstücks für die erstmalige endgültige Herstellung der öffentlichen zum Anbau bestimmten X-Straße (Anbaustraße) zu einem Erschließungsbeitrag heran. Auf dem Grundstück befindet sich ein Nahversorgungszentrum mit u.a. einem Lebensmittel- und einem Drogeriemarkt, das im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans liegt. Nach Osten ist dieses Grundstück über den Y-Weg, der eine Länge von 67 m aufweist, mit der X-Straße verbunden. Das Grundstück ist ebenso wie der Y-Weg von Herrn E auf der Grundlage eines Vorhaben- und Erschließungsplans und eines darauf bezogenen Durchführungsvertrags errichtet worden; in diesem Vertrag hat sich Herr E zur vollständigen Tragung der Planungs- und Erschließungskosten verpflichtet. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan setzt für den Bereich des Y-Wegs eine öffentliche Verkehrsfläche fest, die ihrerseits zum Anbau bestimmt ist.

Gegen den Beitragsbescheid wendet sich Herr E und macht geltend: Zwar benutze er den befahrbaren Y-Weg als Verbindung zur X-Straße und damit das übrige Verkehrsnetz der Gemeinde. Doch sei sein Grundstück einzig durch den Y-Weg erschlossen und unterliege keiner Erschließungsbeitragspflicht für die X-Straße.

II. Vorhaben- und Erschließungsplan sowie Durchführungsvertrag

Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB kann die Gemeinde durch einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan die Zulässigkeit von Vorhaben bestimmen, wenn ein Vorhabenträger auf der Grundlage eines mit der Gemeinde abgestimmten Plans zur Durchführung des Vorhabens und der Erschließungsmaßnahmen (Vorhaben- und Erschließungsplan) bereit und in der Lage ist und sich zur Durchführung innerhalb einer bestimmten Frist und zur Tragung der Planungs- und Erschließungskosten ganz oder teilweise vor dem Beschluss nach § 10 Abs. 1 BauGB, d.h. dem Beschluss über den vorhabenbezogenen Bebauungsplan als Satzung, verpflichtet (Durchführungsvertrag). Der Vorhaben- und Erschließungsplan wird gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 BauGB Bestandteil des vorhabenbezogenen Bebauungsplans.


Durch das Instrument des Vorhaben- und Erschließungsplans, zu dessen Durchführung sich der Vorhabenträger mit dem Durchführungsvertrag vertraglich verpflichtet und dessen Umsetzung die Gemeinde durch den vorhabenbezogenen Bebauungsplan ermöglicht, soll eine zügige Verwirklichung ohne Bebauungsplan unzulässiger Vorhaben erleichtert und die Bereitstellung und Erschließung von Bauland gefördert werden, um Verknappungstendenzen auf dem Baulandmarkt entgegen zu wirken.[1]

Kennzeichnend für den vorhabenbezogenen Bebauungsplan ist, dass die konzeptionelle und zeichnerisch-technische Erarbeitung des Vorhaben- und Erschließungsplans bei dem Vorhabenträger und nicht der Gemeinde liegt. Die Gemeinde ist erst am Zuge, wenn der Vorhabenträger ihr den von ihm ausgearbeiteten Vorhaben- und Erschließungsplan vorlegt, damit sie ihn – ggfs. mit von ihr für erforderlich gehaltenen Änderungen und Ergänzungen – als vorhabenbezogenen Bebauungsplan beschließt.[2] Dieser Bebauungsplan unterscheidet sich von einem regulären Bebauungsplan durch seine Bezogenheit auf ein bestimmtes städtebauliches Vorhaben und durch die Verknüpfung des Vorhaben- und Erschließungsplans mit einem seine Realisierung durch den Vorhabenträger sichernden Durchführungsvertrag. Dementsprechend bezieht sich ein solcher Vertrag anders als ein Erschließungsvertrag nicht auf die Herstellung von Erschließungsanlagen für eine gebietsbezogene Erschließung, sondern auf die Einzelerschließung eines Vorhabens im Sinne des § 30 BauGB im Rahmen eines Vorhaben- und Erschließungsplans.[3]

III. Erschließungsbeitragsrechtliche Behandlung von Anbaustraßen im Bereich eines Vorhaben- und Erschließungsplans

Nach § 12 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB sind die §§ 127 bis 135 c BauGB im Bereich eines Vorhaben- und Erschließungsplans nicht anzuwenden. Zur Deckung des Aufwands für die erstmalige Herstellung einer Anbaustraße im Bereich eines Vorhaben- und Erschließungsplans können deshalb keine Erschließungsbeiträge nach den §§ 127 ff. BauGB erhoben werden. Dies gilt nach der zutreffenden Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts[4] selbst dann, wenn sich die Verkehrsanlage bei natürlicher Betrachtungsweise als unselbständiger Teil einer außerhalb des Vorhaben- und Erschließungsplans befindlichen beitragsfähigen Anbaustraße darstellt. Für Erschließungsmaßnahmen, die im Bereich eines Vorhaben- und Erschließungsplans realisiert werden, ist kraft Gesetzes eine Erschließungsbeitragserhebung ausgeschlossen. Sie unterliegen dem in § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB geregelten Finanzierungssystem und damit einem gesetzlich geregelten Sonderregime. Deshalb sind die einzig diesem Regime unterfallenden Verkehrsanlagen unabhängig von ihrer erschließungsbeitragsrechtlichen Bewertung stets als rechtlich selbständige Erschließungsanlagen zu qualifizieren.

Die Situation ist insofern vergleichbar mit einer Erschließungsanlage, die vollständig oder teilweise durch ein förmlich festgelegtes Sanierungsgebiet verläuft. Nach § 154 Abs. 1 Satz 3 BauGB sind dann, wenn in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet Erschließungsanlagen im Sinne des § 127 Abs. 2 BauGB hergestellt werden, die Vorschriften über die Erhebung von Beiträgen auf Grundstücke in diesem Gebiet nicht anzuwenden. Der dadurch bewirkte Ausschluss einer Erhebung von Erschließungsbeiträgen zugunsten bestimmter Grundstückseigentümer in einer Gemeinde findet seine Rechtfertigung darin, dass die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB grundsätzlich eine Ordnungsmaßnahme im Sinne des § 146 Abs. 1 BauGB ist und die Eigentümer von innerhalb des Sanierungsgebiets gelegenen Grundstücken gemäß § 154 Abs. 1 Satz 1 BauGB zur Finanzierung u.a. solcher Ordnungsmaßnahmen an die Gemeinde Ausgleichbeträge zu leisten haben. Müssten sie für eine bestimmte Ordnungsmaßnahme noch zusätzlich Erschließungsbeiträge zahlen, führte das zu einer wirtschaftlichen Doppelbelastung dieser Eigentümer, die der Gesetzgeber durch die Ausschlussregelung des § 154 Abs. 1 Satz 3 BauGB vermeiden wollte. Bei einer über ein förmlich festgelegtes Sanierungsgebiet hinauslaufenden Anbaustraße begründet § 154 Abs. 1 Satz 3 BauGB eine Ausnahme von der grundsätzlichen Maßgeblichkeit der natürlichen Betrachtungsweise für die Bestimmung von Anfang und Ende einer beitragsfähigen Anbaustraße; eine solche Anlage verliert ihre Qualität als beitragsfähige Erschließungsanlage dort, wo sie in ein förmlich festgelegtes Sanierungsgebiet übergeht, sodass die Verkehrsanlage in einem solchen Fall in zwei verschiedene selbständige Erschließungsanlagen zerfällt,[5] nämlich eine erschließungsbeitragsfähige und eine erschließungsbeitragsfreie Anlage.

Bei dem durch § 12 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB begründeten Ausschluss einer Erschließungsbeitragserhebung für die Kosten der erstmaligen Herstellung entweder von erschließungsbeitragsrechtlich selbständigen Anbaustraßen oder von erschließungsbeitragsrechtlich unselbständigen Bestandteilen von Anbaustraßen im Bereich eines Vorhaben- und Erschließungsplans geht es letztlich ebenfalls um die Vermeidung einer Doppelbelastung bestimmter Grundstückseigentümer: Da der Vorhabenträger sich in der Regel – wie im vorliegenden Fall – im Durchführungsvertrag zur vollständigen Übernahme der Kosten für die Erschließung verpflichtet hat, führte die Anwendung der Regeln des Erschließungsbeitragsrechts auf den durch die erstmalige endgültige Herstellung einer Anbaustraße im Bereich eines Vorhaben- und Erschließungsplans entstandenen Erschließungsaufwand zu einer zusätzlichen Belastung des Vorhabenträgers und zu damit zu dessen sachlich nicht gerechtfertigter Doppelbelastung.

Deshalb ist es geboten, eine in einem solchen Bereich verlaufende erschließungsbeitragsrechtlich selbständige oder unselbständige Verkehrsanlage als eine selbständige, aus dem Finanzierungssystem des Erschließungsbeitragsrechts ausgeschlossene und mithin beitragsfreie Erschließungsanlage zu bewerten, und zwar – wie bereits gesagt – selbst dann, wenn sie infolge ihrer geringen Ausdehnung erschließungsbeitragsrechtlich als Bestandteil, als Anhängsel der beitragsfähigen Anbaustraße außerhalb des Bereichs des Vorhaben- und Erschließungsplans zu werten ist, in die sie einmündet. Ebenso wie § 154 Abs. 1 Satz 3 BauGB begründet § 12 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB eine Ausnahme von der Maßgeblichkeit der natürlichen Betrachtungsweise für die Bestimmung der beitragsfähigen Erschließungsanlage, die einer Beitragserhebung zu Grunde zu legen ist.

IV. Ergebnis

Der zum Anbau bestimmte Y-Weg, der in vollem Umfang im Bereich eines Vorhaben- und Erschließungsplans liegt, stellt sich infolge der Regelung des § 12 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB aus rechtlichen Gründen als selbständige erschließungsbeitragsfreie Erschließungsanlage dar. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts[6] ist anerkannt, dass ausschlaggebend für die Erschließung eines Grundstücks stets die nächste von ihm aus erreichbare selbständige Erschließungsanlage ist und – abgesehen von den Fällen einer Zweiterschließung – grundsätzlich nur für diese eine Beitragspflicht entstehen kann. Da das Grundstück des Herrn E ausschließlich an den Y-Weg angrenzt, ist es einzig von dieser selbständigen Erschließungsanlage und nicht auch von der X-Straße erschlossen, in die der Y-Weg einmündet. Denn die X-Straße eröffnet im Verhältnis zum Y-Weg keine weitere Erschließung im Sinne einer Zweiterschließung.[7] Deshalb ist Herrn E in der Ansicht beizupflichten, sein Grundstück sei nicht durch die X-Straße erschlossen und folglich sei der an ihn gerichtete Erschließungsbeitragsbescheid rechtswidrig.

 

[1] BVerwG, Urteil vom 25.1.2021 – 9 C 1.19 – Rn. 34.

[2] Vgl. im Einzelnen Gatz, in Schlichter u.a., Berliner Kommentar zum BauGB, § 12 Rn. 3.

[3] Vgl. u.a. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl., § 6 Rn. 8.

[4] BVerwG, Urteil vom 25.1.2021 – 9 C 1.19 – Rn. 38 f.

[5] U.a. OVG Greifswald, Urteil vom 30.6.2004 – 1 L 189/01 – LKV 2005,75.

[6] BVerwG, st. Rspr., u.a. Urteile vom 30.1.1970 – 4 C 151.68 – DVBl 1970,839 = DÖV 1970,862 = ZMR 1970,248, und vom 23.3.3.1984 – 8 C 65.82 – DVBl 1984,683 = KStZ 1984,149 = ZMR 1984,393.

[7] Ebenso BVerwG, Urteil vom 25.1.2021 – 9 C 1.19 – Rn. 41.

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator, vormals Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Berlin
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