30.08.2021

Gesetzgebungskultur ändern: Wie sich die Qualität des Rechts verbessern ließe

Zusammenfassung der Serie Qualität des Rechts

Gesetzgebungskultur ändern: Wie sich die Qualität des Rechts verbessern ließe

Zusammenfassung der Serie Qualität des Rechts

Vier Schwerpunktsetzungen könnten, so das Kolloquium, zu besseren Gesetzen führen. ©j-mel - stock.adobe.com
Vier Schwerpunktsetzungen könnten, so das Kolloquium, zu besseren Gesetzen führen. ©j-mel - stock.adobe.com

Die Qualität der Gesetzgebung ist ein Thema in vielen Ländern. In unserem Nachbarland Frankreich war dies Gegenstand eines wissenschaftlichen Kolloqiums. Im Mittelpunkt stand dabei die Veränderung der normativen Kultur durch die Verallgemeinerung von „Best-Practice“-Ansätzen. Veranstalter waren der französische nationale Rat zur Evaluation von Rechtsvorschriften (Conseil national d’évaluation des normes) und der Fachinformationsanbieter LexisNexis, die wissenschaftliche Leitung hatte Professor Pierre de Montalivet inne. Marc Piton gibt einen Überblick über die Kernaussagen dieses hochkarätig besetzten Online-Kolloquiums.

In den Augen des französischen Volkes müsse das Gesetz wieder den Respekt bekommen, den es verdiene. Daher, so Alain Lambert, der 2002 bis 2004 als französischer Finanzminister amtierte, bedürfe es eines qualitativen Sprungs nach vorne: Zu diesem Zweck müssten alle am Normsetzungsprozess Beteiligten in die Verantwortung genommen werden. Denn obwohl es leicht erscheine, Gesetze sorgfältig vorzubereiten und zu erlassen, sei es schwierig, die Gesetzgebungskultur wirklich zu verändern.

Der ehemalige französische Premierminister Bernard Cazeneuve bestätigte diese Beobachtung. Er zog Lehren aus seiner Regierungserfahrung und machte deutlich, dass es in Wirklichkeit einen außerordentlich starken politischen Willen brauche, um die Qualität des Rechts zu verbessern. Obwohl die Autorität des Staates zu einem großen Teil auf seiner Fähigkeit beruhe, durch neue Normen auf soziale Bedürfnisse zu reagieren, stehe es nicht in der französischen Rechtstradition, der Vorschriftenproduktion eine Art von Qualitätssicherung aufzuerlegen. Vier Schwerpunktsetzungen könnten, so das Kolloquium, zu besseren Gesetzen führen:


Schulung und Information

Eine wesentliche Voraussetzung für ein besseres Rechtsverständnis seien Schulung und Information. Karine Gilberg, die an der Universität Paris Nanterre Öffentliches Recht lehrt, hält einen engen Austausch von Entwurfsverfassern einerseits und den Behörden als Normadressaten andererseits für notwendig. Nur durch Schulung und Information könne der Empfänger die normative Botschaft effektiv begreifen. Der Ausbildung von Beamten an der Nationalen Verwaltungsschule ENA werde daher besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Deren Direktor, Patrick Gérard, betonte, dass die Verwaltung verfassungsrechtlich im Zentrum des normativen Prozesses stehe. Sie stehe unter starkem Druck, auf gesellschaftliche Probleme mit der Schaffung von Rechtsregeln zu reagieren. Die Regeln der Legistik verlangten daher stets vorab zu prüfen, ob es notwendig sei, auf eine Rechtsnorm als angemessene Reaktionsform zurückzugreifen oder nicht. Cédric Groulier, stellvertretender Leiter des Instituts für politische Wissenschaften in Toulouse (Sciences Po Toulouse) hält eine Verallgemeinerung des Legistikunterrichts in Universitätskursen für sinnvoll, um eine breitere Öffentlichkeit für die Herausforderungen der Rationalisierung der Normsetzung zu sensibilisieren.

Evaluieren

Olivier Pluen (Direktor am Institut für Gesetzgebung an der Universität Versailles) stellte beim zweiten Schwerpunkt dar, welche Defizite es in Bezug auf die Evaluation von Rechtsnormen in Frankreich gebe. Er vertrat die Ansicht, diese Unzulänglichkeit sei auf die französische Tendenz zurückzuführen, ein „Gesetz mit Spitzenbesatz“ zu schaffen, d.h. Rechtsnormen, die mehr für die „Schönheit der Geste“ als für ein bestimmtes Ziel geschaffen und gepflegt würden.

Jean-Noël Barrot, Abgeordneter in der französischen Nationalversammlung, stellte die jüngsten Fortschritte des Parlaments im Bereich der Evaluierung vor. Er erwähnte insbesondere die neue Software „LexImpact“, die es ermögliche, die Auswirkungen einer Steuerreform zu simulieren, oder die Einführung des „Evaluations-Frühlings“, der eine jährliche Ex-post-Bewertung der verabschiedeten Maßnahmen liefere. Pessimistischer war Hervé Novelli, ehemaliger Staatssekretär im Kabinett Sarkozy sowie ehemaliges Mitglied des Europaparlaments und der französischen Nationalversammlung. Er vertrat die Auffassung, dass die derzeitigen Evaluationsmethoden es nicht schafften, normative Auswirkungen korrekt und umfassend zu erfassen. Nur ein wirklich unabhängiges parlamentarisches Evaluierungsgremium würde es ermöglichen, dieses Ziel zu erreichen. Ein solches Gremium sollte – als einzige Aufgabe – alle normativen Analysen durchführen.

Hervé Moysan, Direktor der Gesetzgebungsredaktion bei LexisNexis, vertrat die Ansicht, dass das Parlament auch die Evaluierung des anwendbaren Gesetzesrahmens übernehmen müsse. Zu diesem Zweck könnte es eine allgemeine Bestandsaufnahme der im nationalen Recht noch geltenden Bestimmungen durchführen. Dadurch sollte zwischen denjenigen unterschieden werden, die es verdienen, beibehalten zu werden, und denjenigen, die bereits außer Kraft getreten oder überlagert seien, um dann letztere formell aufzuheben. Das Parlament würde damit einen allgemeinen Rechtsbereinigungsmechanismus einführen, ähnlich wie er bereits für Rundschreiben und Bestimmungen über beratende Ausschüsse in den 2000er Jahren verwendet wurde.

Entwickeln und Implementieren

Professorin Anne Levade (Universität Paris-Sorbonne) merkte an, dass das Thema der Normenentwicklung zwar als das traditionellste in der Legistik angesehen werde, aber andererseits die Vorgabe präziser Regeln für die Erstellung von Normen nicht unbedingt deren korrekte Anwendung garantiere. Catherine Bergeal (Stv. Präsidentin der Verwaltung des Staatsrates) stellte in diesem Zusammenhang fest, dass die Effektivität der gerichtlichen Kontrolle verbessert worden sei durch die mögliche Vorab-Prüfung der Verfassungsmäßigkeit oder die Befugnisse des Verwaltungsrichters, einstweilige Verfügungen gegen rechtswidrige Normen zu erlassen. Andererseits aber sei der Fortschritt bei der Verbesserung der materiellen Komponenten der Gesetze – Verständlichkeit, Stabilität oder auch der Praktikabilität von Regelungen – sehr unzureichend. Echte Fortschritte in diesem Bereich könnten nur erzielt werden, wenn sich Parlament, Regierung und Bürger darauf einigten, der Qualität des Rechts Priorität einzuräumen. Charles Touboul (Französisches Sozialministerium) räumte ein, dass diese Beobachtung durch die Covid-19-Krise noch verschärft worden sei. Auch wenn es gelinge, die wesentlichen Prinzipien der Legistik relativ gut zu wahren, habe der Gesundheitsnotstand doch zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit geführt. David Sarthou (Leiter Gesetzgebung und Rechtsqualität beim Generalsekrtariat der franzöischen Regierung) fügte hinzu, dass es immer noch schwierig sei, die Auswirkungen von Gesetzen zu antizipieren, da es diese erst nach der Verabschiedung von Durchführungsrechtsakten (in Frankreich vor allem Dekrete) hervorbringe. Auch wenn ein Wandel in der Verwaltungskultur zu beobachten sei, gestalte die Verdoppelung oder gar Verdreifachung des Textvolumens von Gesetzen während der parlamentarischen Debatten diese Umsetzungsarbeit extrem schwierig.

Überwachung

Die Diskussion zum vierten Schwerpunkt – Überwachung – eröffnete Professor Nicolas Molfessis (Universität Paris II) mit dem Ziel, diejenige Institution zu identifizieren, die am besten in der Lage wäre, eine normative Qualitätskontrolle durchzuführen. Professor Guillaume Drago (Universität Paris II) stellte fest, dass eine solche Überprüfung bereits im Vorfeld durch den französischen Staatsrat (Conseil d’État) und die Generalsekretariate der verschiedenen Ministerien durchgeführt werde. Es wäre gefährlich, eine solche Kontrolle einer außerparlamentarischen Institution anzuvertrauen, weil das Gesetz Ausfluss der politischen Willensbildung (volonté générale) bleiben müsse. Einem anderen Gremium die Prüfung seiner Qualität zu überlassen, käme seiner Ansicht nach einer Verletzung des demokratischen Prinzips gleich.

Hingegen führe das deutsche Bundesverfassungsgericht solche Prüfungen unter Wahrung seiner verfassungsrechtlichen Zuständigkeit durch. Professor Matthias Rossi (Universität Augsburg) erläuterte hierzu, dass das Bundesverfassungsgericht eine normative Qualitätskontrolle nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeitskontrolle und der Prüfung des verfassungsgemäßen Zustandekommens von Gesetzen vornehme.

Professor Stéphane de La Rosa (Universität Paris-Est Créteil) war in diesem Punkt der Ansicht, dass die gerichtliche Überprüfung durch eine alternative Prüfung ergänzt werden könne. Als illustratives Beispiel zog er die Praxis der Europäischen Union heran, die diese qualitative Analyse dem „Ausschuss für Regulierungskontrolle“ anvertraue. Da der Gerichtshof keine zufriedenstellende Kontrolle über europäische Texte in diesem Bereich ausübe, fülle diese unabhängige Einrichtung innerhalb der Europäischen Kommission eine Lücke aus, indem sie in einem frühen Stadium der Normsetzung Qualitätskontrolle und Folgenabschätzungen sicherstelle.

Fazit : Andere Normsetzungspraxis

Pierre de Montalivet, wissenschaftlicher Leiter des Kolloquiums, wies abschließend darauf hin, dass Antworten aus der Rechtslehre und von den Gerichten auf die Verschlechterung der Rechtsqualität nur begrenzt wirksam seien. Es sei daher eine Veränderung der normativen Kultur erforderlich, was eine Veränderung sowohl der Normsetzungspraxis als auch der Zuständigkeiten impliziere. Die Qualität des Rechts müsse zu einer gemeinsamen Handlungsmaxime werden, die von Bürgern und Behörden geteilt werde, um diesem Thema zu gesellschaftlicher Priorität und zum Gegenstand öffentlicher Politik zu verhelfen.

Anmerkung der Redaktion:

Die vorliegende Zusammenfassung bezweckt, die wesentlichen Aussagen der Vorträge inhaltsgetreu verkürzt wiederzugeben, die zum Kolloquium «Die Gesetzgebungskultur ändern. Die Qualität des Rechts durch die Verallgemeinerung guter Praktiken verbessern» beigetragen wurden. Die Zusammenfassung der meisten Beiträge sind in einer Sonderausgabe der Fachzeitschrift «La Semaine Juridique, Édition générale» erschienen. Die Übersetzung stammt von Dr. Alexander Konzelmann.

Details zu den Vorschlägen, wie die Rechtsetzung grundsätzlich verbessert werden kann, lesen Sie in unserer Serie „Qualität des Rechts“ Sie basiert auf dem wissenschaftlichen Kolloquium vom November 2020.

 

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Die Serie: Qualität des Rechts

 

Marc Piton

Doktorand Universität Paris-Est Créteil
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