23.08.2021

Vollstreckungsverschonung wegen Corona erst ab 19.03.2020

Steuerschulden vor dem 19.03.2020 sind nicht coronabedingt

Vollstreckungsverschonung wegen Corona erst ab 19.03.2020

Steuerschulden vor dem 19.03.2020 sind nicht coronabedingt

Ein Beitrag aus »RdW Kurzreport« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »RdW Kurzreport« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Hintergrund

Zur Vermeidung unbilliger Härten gewährt die Finanzverwaltung seit 19.03.2020 Steuerpflichtigen, die von den Folgen der Corona-Pandemie besonders betroffen sind, verschiedene steuerliche Erleichterungen. U. a. soll unter bestimmten Voraussetzungen bis zum Ende des Jahres 2020 von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen werden. Es ist aber nicht zu beanstanden, dass die Finanzbehörden das Schreiben des Bundesfinanzministeriums »Steuerliche Maßnahmen zur Berücksichtigung des Coronavirus COVID-19/SARS-CoV-2«1 nicht auf Vollstreckungsmaßnahmen anwenden, die bereits vor Bekanntgabe dieses Schreibens durchgeführt worden sind.

Der Fall

Streitig ist die Aussetzung respektive Aufhebung der Vollziehung (AdV) von zwei Pfändungs- und Einziehungsverfügungen. Unternehmen S hatte seinen Geschäftssitz in der C-Republik, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU). S war eine hundertprozentige Tochtergesellschaft eines Unternehmens mit Sitz in diesem Staat und gehört wirtschaftlich mittelbar – über Zwischengesellschaften – zu mehr als 75 % einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Kommanditgesellschaft (KG). Der EU-Mitgliedstaat (C-Republik), der gegenüber der S im Jahr 2019 fällige Steuern festgesetzt hatte, richtete mit Schreiben vom 09. 01. 2020, das am10. 02. 2020 ein- gegangen war, ein Beitreibungsersuchen zur Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern zwischen den Mitgliedstaaten der EUan das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt).

Insgesamt begehrt der EU-Mitgliedstaat die Beitreibung von rund 6Mio. €. Das BZSt leitete das Vollstreckungsersuchen an die Hessische Finanzverwaltung weiter. Diese erließ im Februar 2020 eine entsprechende Pfändungs- und Einziehungsverfügung. S argumentierte, sie habe wegen der Corona- Pandemie derzeit erhebliche Einnahmeausfälle. Deswegen sei zu ihren Gunsten zumindest in entsprechender Anwendung des BMF-Schreibens von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen; bereits eingezogene Mittel seien ihr zu erstatten. Beim Bundesfinanzhof2 hatte S jedoch keinen Erfolg.


Steuerschulden vor dem 19.03.2020 nicht coronabedingt

In den Fällen, in denen vor dem 19. 03. 2020 Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen worden sind, könnten die Corona- Pandemie und die zu ihrer Eindämmung ergriffenen Maßnahmen für die der Vollstreckung vorangehende Nichtbegleichung von Abgaben- und Steuerschulden (trotz Mahnung) nicht ursächlich sein, so das Gericht. Es gebe keinen Grund, Schuldner, die vor und völlig unabhängig von der Corona- Pandemie und den staatlichen Beschränkungen ihre Steuer- und Abgabenschulden nicht getilgt haben, sodass Vollstreckungsmaßnahmen erforderlich gewesen seien, besser zu stellen als diejenigen, die ihren Zahlungsverpflichtungen (ggf. erst nach Aufnahme eines Bankkredits) nachgekommen seien. Dies widerspräche dem aus Art. 3 des Grundgesetzes (GG) abgeleiteten Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung.

Die Finanzbehörden sind nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, die wegen Verwirklichung eines steuerrechtlichen Tatbestands entstandenen Steueransprüche (§ 38 AO) festzusetzen und die Steuer zu erheben. Einen im Belieben der Finanzverwaltung stehenden, freien Verzicht auf Steuerforderungen gibt es nicht. Auch im Wege von Verwaltungserlassen dürfen die Finanzbehörden Ausnahmen von der gesetzlich vorgeschriebenen Besteuerung nicht zulassen, denn auch der Verzicht auf den Steuereingriff bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Fehlt diese, können die Finanzbehörden von der Festsetzung und Erhebung gemäß § 38 AO entstandener Steueransprüche nicht absehen.

Erleichterungen sind Soll-, keine Mussvorschriften

Selbst wenn man in Bezug auf die zeitliche Geltung des BMF-Schreibens eine andere Auffassung verträte, könnte der Antrag der S abgelehnt werden. Denn nach diesem Schreiben »soll« nur von der Vollstreckung abgesehen werden, d. h., in besonders gelagerten Fällen kann und darf die Vollstreckung durchgeführt werden. Dies komme insbesondere dann in Betracht, wenn die angestrebte Aufhebung der Vollstreckung mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht zu einem bloßen Zahlungsaufschub führen würde, sondern im Ergebnis lediglich dazu führe, dass andere Gläubiger oder die Gesellschafter respektive Anteilseigner des bereits vor der Corona- Krise überschuldeten oder zahlungsunfähigen Steuerschuldners zu Lasten des Fiskus begünstigt würden. Daher seien vor dem 19.03.2020 bereits eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen nicht aufzuheben.

1 Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 19. 03. 2020 – VA 3-S 0336/19/10007: 002

2 Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 30. 07. 2020 – VII B 73/20

 

Besprochen in RdW 2020, Heft 23/24, Randnummer 413.

 
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