23.08.2021

Interessenkonflikte in der (Rechts-)Wissenschaft? (Teil 2)

Schwerpunkt Qualität des Rechts

Interessenkonflikte in der (Rechts-)Wissenschaft? (Teil 2)

Schwerpunkt Qualität des Rechts

Juristen beschäftigen sich mit vielen rechtsethischen Fragen. Geht es um eigene Interessenkonflikte, gibt es aber nur ein überschaubar ausgeprägtes Problembewusstsein. ©thodonal - stock.adobe.com
Juristen beschäftigen sich mit vielen rechtsethischen Fragen. Geht es um eigene Interessenkonflikte, gibt es aber nur ein überschaubar ausgeprägtes Problembewusstsein. ©thodonal - stock.adobe.com

Interessenkonflikte werden in der juristischen Literatur nur selten kenntlich gemacht und werden bei der „herrschenden Meinung“ nicht berücksichtigt. Dass es auch anders geht, zeigen die Transparenzregeln in der Medizin. In Teil 2 der Reihe werden der Bereich Medizin sowie Berater- und Gutachtertätigkeiten diskutiert.

In der Medizin ist das Problem der Einflussnahme auf und durch die Wissenschaft seit langem bekannt. Jeder denkt hier sofort an die hässliche Seite der Pharmaindustrie, die wissenschaftliche Studien „kauft“ und damit die Verschreibung von Medikamenten befördert und auch sonst Einfluss nimmt durch Studien, durch Vorträge, bei der Entwicklung von Leitlinien, durch Veranstaltungen oder geldwerte Leistungen jeder Art für Ärzte.[1] Das Institute of Medicine (IOM) hat den Interessenkonflikt beschrieben als „Gegebenheiten, die ein Risiko dafür schaffen, dass professionelles Urteilsvermögen oder Handeln, welches sich auf ein primäres Interesse bezieht, durch ein sekundäres Interesse unangemessen beeinflusst wird“ [2]. „Dabei ist ein Interessenkonflikt ein Zustand und nicht ein Verhalten. Dieser Zustand tritt auf, wenn materielle oder soziale Vorteile in einer Spannung zu primären medizinisch-ethischen Zielen stehen. Wie sich der Konflikt auswirkt oder ob sich eine Person beeinflusst fühlt oder nicht, ist unerheblich für die Frage, ob ein Interessenkonflikt vorliegt.“[3]

Vorbild Medizin: Standardisierte Offenlegung

Anders als etwa die ökonomische Wirtschaftsethik, die das Problem ins Recht aussortiert und anders als die Rechtswissenschaft, die in Zusammenarbeit mit ihren Verlagen das Thema tabuisiert, akzeptiert die Welt der Medizin die schlichte Möglichkeit der Einflussnahme, ohne dass damit ein Schuldvorwurf verbunden wird. So kann in der Medizin die standardisierte Offenlegung möglicher Interessenkonflikte als Lösung angesehen werden.[4] Für die Juristen wohl eher unvorstellbar, heißt es  in § 15 Abs. 2 der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte: „In Publikationen von Forschungsergebnissen sind die Beziehungen der Ärztin oder des Arztes zum Auftraggeber und dessen Interessen offenzulegen.“


Diese Offenlegung erfolgt bei Vorträgen zu Beginn durch den Vortragenden z.B. auf einer Folie:[5]

 

Medizinische Vereinigungen erfassen Interessenkonflikte ihrer Vorstandsmitglieder standardisiert mit Formblättern und veröffentlichen diese auf ihrer Homepage.[6] Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. hat für die Entwicklung von Leitlinien Standards für den Umgang mit Interessenkonflikten erarbeitet. Danach sollen Koordinatoren von Leitlinienprojekten „keine thematisch relevanten Interessenkonflikte“ aufweisen. Das abgestufte System sieht vor: „Mitwirkende mit hohen Interessenkonflikten sollten nicht an Beratungen der Leitliniengruppen teilnehmen.“ Deren Stellungnahme kann danach schriftlich erfolgen. Grundlage dafür sind Interessenerklärungen der Beteiligten nach einer standardisierten Form.

Berater- und Gutachtertätigkeiten sind offenzulegen

Offenzulegen sind danach Berater-bzw. Gutachtertätigkeiten, die Mitarbeit in einem Wissenschaftlichen Beirat (advisory board), bezahlte Vortrags-/oder Schulungstätigkeit, bezahlte Autoren-/oder Coautorenschaft, Forschungsvorhaben/Durchführung klinischer Studien, Eigentümerinteressen (Patent, Urheberrecht, Aktienbesitz) und indirekte Interessen. [7] Die Namen der jeweiligen Kooperationspartner, der Zeitraum der Beziehung, das jeweilige Thema, der Bezug zur Leitlinie sowie die Art der Zuwendung, die Höhe der Zuwendung und der Empfänger sind dabei für die zurückliegenden drei Jahre anzugeben.[8]

Bei medizinischen Fachzeitschriften ist es für die Autoren üblich, eine Erklärung über Interessenkonflikte einzureichen. Hier müssen auf einem entsprechenden Formular die persönliche Beziehungen zu Unternehmen, eigene Patente, das Halten von Aktien, Tantiemen, Berater- und Autorentätigkeiten, bei dem ein Bezug zum Thema besteht, ebenso offengelegt werden, wie erhaltene Unterstützung bei der Abfassung des Manuskripts und Honorare für Gutachtertätigkeiten sowie andere geldwerten Vorteile. [9] Auch immaterielle Interessenkonflikte sind dabei anzusprechen sowie der Arbeitgeber anzugeben.

Veranstalter von medizinischen Fortbildungen haben vorab Interessenkonflikte offenzulegen und dabei anzugeben, ob die Veranstaltung finanziell unterstützt wird. Gibt es Sponsoren bzw. Geldgeber, sind diese ebenso zu nennen wie der Unterstützungsbetrag in Euro und die eigenen Veranstaltungskosten. Die Referenten haben anzugeben, welche Honorare sie für die Vortragstätigkeit von Unternehmen erhalten und ob es weitere Kostenübernahmen wie Reise- und Übernachtungskosten sowie Aktien- oder finanzielle Beteiligungen oder Forschungs- und Studiengelder gab. Die Angaben erfolgen schriftlich unter Bestätigung der Vollständigkeit und Richtigkeit.[10]

Transparenzregeln wurden zudem auch für die Pharmaindustrie geschaffen. Im Jahr 2010 etwa wurde in den USA der „Sunshine Act“ beschlossen, demzufolge Pharmaunternehmen in den USA ihre konkrete Einflussnahme von Medizinern offenlegen müssen, also an welche Mediziner sie welche Zahlungen geleistet haben. Solche ruppige Formen der Gesetzgebung schätzen wir in Europa gar nicht, und deswegen wurde eine freiwillige Selbstverpflichtung geschaffen, nach der die Pharmaindustrie „geldwerte Leistungen“ an Ärzte, Angehörige medizinischer Fachkreise sowie medizinische Organisationen und Einrichtungen jährlich veröffentlichen soll.[11]

Grund für die Offenlegung von Interessenkonflikten in der Medizin ist das Wissen um eine mögliche Beeinflussung, die grundsätzlich besteht aufgrund der vielfältigen Vernetzung und des bestehenden Austauschs zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Transparenz soll dabei die Möglichkeit schaffen, Verzerrungen wahrzunehmen und wissenschaftliche Beiträge besser einordnen zu können.

Warum sollte das nicht auch für die Rechtswissenschaft gelten? Weil uns allen seit 1848 mit Julius von Kirchmann selig die „Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft“ doch sowieso ganz selbstverständlich wäre? Weil wir alle wissen, dass der Kaiser eigentlich keine Kleider anhat und ein juristisches Gutachten keine wissenschaftliche Wahrheit bedeutet, sondern nur lege artis argumentierte Meinung? Es am Ende nur um die regelgerechte rhetorische Verpackung des Inhalts geht? Und der Inhalt – nun ja – eben ein Interessenkonflikt ist, den wir lösen, schaffen, verwirren, verkanten, verdrechseln und erledigen je nach Auftrag oder Überzeugung? Dafür werden wir benötigt und beauftragt. Häufig werden wir dafür bezahlt.

Wissenschaftler und Richter müssen über Interessenkonflikte aufklären

Wenn wir Juristen eine neutrale Rolle etwa als „Wissenschaftler“ oder „Richter“ einnehmen, dann ist es notwendig darüber aufzuklären, wenn der Interessenkonflikt wirtschaftlich unser eigener sein kann. Sonst verspielt die Rechtswissenschaft aus Anmaßung reiner Wissenschaftlichkeit oder aus Angst vor der eigenen Bedeutungslosigkeit als Wissenschaft am Ende alle, zumindest diskursive Bedeutung, die für unser Rechtssystem eben doch nachvollziehbar und sinnvoll ist.

Warum also nicht ganz praktisch nach dem Vorbild der Medizin auf den drei Ebenen beginnen:

  • Die Verlage sollten ihre Autoren nach möglichen Interessenkonflikten fragen und diese offenlegen,
  • die Autoren sollten bei jeder Form der Veröffentlichung von sich aus mögliche Konflikte benennen und
  • die Lobbyisten schließlich sollten dazu gezwungen werden, öffentlich Auskunft über ihre Aufträge zu geben.

Oder ist unser Selbstbewusstsein als Wissenschaft wirklich so gering, dass wir das Wesen unseres Handwerks tabuisieren und die Aureole wissenschaftlicher Wahrheit brauchen, um in der Welt auch außerhalb des Rechts zu „sein“, oder auch nur „zu gelten“? Vermutlich ja. Und außerdem gäbe es sonst schlicht weniger Anlass, Geld, „Drittmittel“ oder sonstige Vergünstigungen zu erhalten. Doch das sollte nicht die Gesellschaft durch intransparent beeinflusste Gesetzgebungs- und Gerichtsverfahren ausbaden müssen.

Der Beitrag gibt die Meinung der Autoren wieder. Es handelt sich um eine gekürzte Fassung des in der Zeitschrift myops – Berichte aus der Welt des Rechts, Heft 41, erschienenen Aufsatzes „It‘s a research gift“.

[1] Siehe zu den bestehenden Regeln in Deutschland: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Verhinderung von Interessenkonflikten und Korruption im Gesundheitsweisen: Überblick zu den wesentlichen rechtlichen Grundlagen. 2019, WD 9 – 3000 – 031/19, abrufbar unter: www.bundestag.de.

[2] Zitiert nach: Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Der Einfluss pharmazeutischer Unternehmen auf ärztliche Leitlinien, S. 2, download unter: www.bundesaerztekammer.de.

[3] Ebd. unter Hinweis auf Thompson, D., “Understanding financial conflicts of interest”, N Engl J Med 1993; 329: 573-6.

[4] Lieb u.a.: Interessenkonflikte in der Medizin: Mit Transparenz Vertrauen stärken: Ein Vorschlag zur Deklaration von Interessenkonflikten, Dtsch Ärztebl. 2011, 108(6)

[5] Entnommen aus einem Vortrag von Mathias Freund: Interessenkonflikte und

(falsche) Anreizsysteme, anlässlich der Gemeinsamen Jahrestagung DGHO, ÖGHO, SGMO und SGH, Hamburg 11.10.2014, abrufbar unter: www.dgho.de/arbeitskreise/l-o/medizin-und-ethik/vortraege-aus-der-sitzung-auf-der-jahrestagung-2014/141011_Freund-Interessenkonflikte-Anreizsysteme-V02.pdf.

[6] Siehe zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten: „Die Mitglieder des Vorstands der DGVS veröffentlichen ihre potenziellen Interessenkonflikte auf der Homepage der DGVS. Die Interessenskonflikte werden mit dem Formblatt der DGVS erfasst und jährlich aktualisiert. Die DGVS empfiehlt allen Funktionsträgern, ihre potenziellen Interessenkonflikte ebenfalls zu veröffentlichen.“ www.dgvs.de/dgvs-im-blick/die-dgvs/interessenkonflikte/

[7] Siehe: www.awmf.org/leitlinien/awmf-regelwerk/ll-entwicklung/awmf-regelwerk-01-planung-und-organisation/po-interessenkonflikte.html

[8] Siehe dazu das Formular der AWMF zur „Erklärung von Interessen“, abrufbar unter: https://www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Leitlinien/AWMF-Regelwerk/Anhaenge/20180523_AWMF_Formular_Erkl%C3%A4rung_Interessen_V.2.5.docx

[9] Beispielhaft das Ärzteblatt: „Es muss bei allen Beiträgen (inklusive Editorials und Leserbriefen) für jeden Autor eine Erklärung über einen Interessenkonflikt (siehe unten) eingesandt werden […] Ein Interessenkonflikt besteht grundsätzlich dann, wenn ein Autor finanzielle oder persönliche Beziehungen hat, die geeignet sind, die Inhalte des Manuskripts zu beeinflussen. Die Autoren erklären sich damit einverstanden, dass die Redaktion eine solche Darlegung über mögliche Interessenkonflikte veröffentlicht.“ Siehe: www.aerzteblatt.de/archiv/44906/Hinweise-fuer-Autoren. Das Formular ist abrufbar unter: www.aerzteblatt.de/down.asp?typ=PDF&id=1463.

[10] Siehe zum Beispiel das Formular Ärztekammer Hamburg zur Offenlegung von Interessenkonflikten des Veranstalters von Fortbildungen, abrufbar unter: https://www.aerztekammer-hamburg.org

[11] Zitiert nach: Science Media Center Germany: Factsheet: Der Transparenzkodex und Interessenkonflikte in der Medizin vom 28.06.2016

 

Die Autoren:

Prof. Dr. Ulrich Krüger, Jahrgang 1966, ist seit 2003 Professor für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Bremen und war von 2016 – 2020 Studiendekan der Fakultät Wirtschaftswissenschaften.

 

Dr. Achim Tiffe, Jahrgang 1967, ist seit 2001 als Rechtsanwalt zugelassen. Ab 2010 war er geschäftsführender Direktor des Instituts für Finanzdienstleistungen. Seit 2016 ist der Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht Partner der Hamburger Kanzlei Juest+Oprecht.

 

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Die Serie: Interessenkonflikte in der (Rechts-)Wissenschaft?

 

 

Prof. Dr. Ulrich Krüger

Professor für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Bremen
 

Dr. Achim Tiffe

Rechtsanwalt
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