16.08.2021

Interessenkonflikte in der (Rechts-)Wissenschaft? (Teil 1)

Schwerpunkt Qualität des Rechts

Interessenkonflikte in der (Rechts-)Wissenschaft? (Teil 1)

Schwerpunkt Qualität des Rechts

Juristen beschäftigen sich mit vielen rechtsethischen Fragen. Geht es um eigene Interessenkonflikte, gibt es aber nur ein überschaubar ausgeprägtes Problembewusstsein. ©thodonal - stock.adobe.com
Juristen beschäftigen sich mit vielen rechtsethischen Fragen. Geht es um eigene Interessenkonflikte, gibt es aber nur ein überschaubar ausgeprägtes Problembewusstsein. ©thodonal - stock.adobe.com

Interessenkonflikte werden in der juristischen Literatur nur selten kenntlich gemacht, was dennoch kein Ausschlusskriterium beim Zustandekommen der „herrschenden Meinung“ ist. Beim Thema Transparenz gelten für die Rechtswissenschaft ganz eigene Regeln. Im ersten Teil der Reihe werden die Einflussnahme von Unternehmen auf die Rechtsprechung und Drittmittel als Messlatte für den Wert der Arbeit von Professoren thematisiert.

Juristen beschäftigen sich mit vielen rechtsethischen Fragen. Geht es um eigene Interessenkonflikte insbesondere im Bereich der Wissenschaft, gibt es aber nur ein überschaubar ausgeprägtes Problembewusstsein. Es gibt weder eine Diskussion unter Wissenschaftlern noch einen Kodex oder eine Form der Offenlegung von möglichen Interessenkonflikten.

Während auf der politischen Ebene der Einfluss der Unternehmenslobby kritisiert wird, Nichtregierungsorganisationen wie LobbyControl und Abgeordnetenwatch mehr Transparenz einfordern und selbst durch ihre Arbeit schaffen, scheinen Juristen in Gerichten und Universitäten per se immun, was die Einflussnahme durch Unternehmen angeht.


Thematisiert wird mittlerweile die Lobbyarbeit von Unternehmen – insbesondere Banken – wenn sie direkten Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen durch juristische Beratung bis hin zur kostenlosen Bereitstellung von eigenen Unternehmensjuristen zur Ausarbeitung von Gesetzen. Mag auch die große Welle solch direkter Einflussnahme seit 2006 abgeebbt sein, als die Regierung auf eine Bundestagsanfrage hin zugeben musste: „In den Bundesministerien und im Bundeskanzleramt sind für einen befristeten Zeitraum insgesamt 100 externe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ganz oder teilweise von Unternehmen, Verbänden oder Gewerkschaften bezahlt wurden, in den letzten vier Jahren im Geschäftsbetrieb tätig gewesen bzw. sind aktuell eingesetzt.“ [1]

Aktuell sind hingegen die Vorwürfe wegen einer Einflussnahme des Bundesverbandes deutscher Banken bei der Neuregulierung zur Verhinderung von Cum-Ex Geschäften,[2] die für die „Beratungspraxis“ dann doch noch scheunentorgroße Lücken zur „Steueroptimierung“ ließ.

Einflussnahme von Unternehmen auf die Rechtsprechung

Mindestens genauso entscheidend ist jedoch die Einflussnahme der Unternehmen auf die Rechtsprechung. Denn die Gerichte sind es, die im Einzelfall entscheiden, „was am Ende hinten rauskommt“ (Helmut Kohl). Sie bestimmen, welcher Vertrag wirksam oder nichtig ist, welcher Vertrag widerrufen wurde, welcher Bürger sein Verbraucherrecht verwirkt hat und welcher Seite man „Treu und Glauben“ schenkt oder entzieht. Aber die Gerichte sind bekanntlich unabhängig. Aus Sicht des Lobbyarbeiters ist das natürlich unerfreulich. Was könnte man also tun? Drohen für die Unternehmen negative Entscheidungen höherer Gerichte, insbesondere von Bundesgerichten, könnte vielleicht ein wissenschaftlicher Aufsatz in einer Fachzeitschrift helfen, die eigene Rechtsauffassung als richtig zu unterstreichen. Der muss allerdings notwendig wissenschaftlich sein, also irgendwie auch neutral – sonst glaubt das ja keiner. Und ein Aufsatz ist ja ganz schön, aber noch besser wären mehrere Stimmen aus der Wissenschaft, die die Position bestätigen. Denn die Mehrheit von Stimmen wird nicht nur besser gehört, sondern wird wohl auch Recht haben. Denn sie sind ja schließlich keine billigen Claqueure, sondern stammen aus der Wissenschaft. Dann hat man die „herrschende Meinung in der Literatur“. Und daran muss ein Gericht erst einmal vorbeikommen und sich abarbeiten. Ein frisches „Entgegen-der-ganz-überwiegenden-Auffassung-in-der-Literatur“ fällt auch einem Richter am Bundesgerichtshof oder dem Bundesverwaltungsgericht schwer. Wem es als Lobbygruppe auf diesen Wegen gelingt, der herrschenden Meinung rechtzeitig Gestalt zu geben, der kann den Diskurs bestimmen und sich Chancen eröffnen, die Gerichte und sogar ein Bundesgericht zu beeinflussen.

Wie aber kommt man an einen über den Dingen stehenden wissenschaftlichen Aufsatz? Man könnte ihn durch seine Hausjuristen schreiben lassen oder die im Prozess eingesetzte, renommierte Anwaltskanzlei die Schriftsätze des Verfahrens noch einmal in Aufsatzform verbreiten lassen. Allenfalls stünde in der Fußnote der Fachzeitschrift noch ein freiwilliges „beruht auf einer Anregung aus der Praxis“. Besser als nichts, aber doch deutlich weniger als die Tatsache: „wurde von Unternehmen XY bezahlt“.

Fachaufsatz statt Rechtsgutachten

Wer sich die Mühe macht und hier weiter recherchiert, wird oft fündig und kann die Autoren und ihre Auftraggeber einordnen. Allerdings ist der Wert dieser Artikel begrenzt, wenn es sich nur um x-beliebige Juristen handelt. Als Masse und Beiwerk für die „herrschende Meinung“ aber sind sie doch von großem Wert. Wenn wir uns weiter in die Seele eines Lobbyisten einfühlen: Wäre es nicht am besten, hierfür auch Aufsätze aus der Hardcore-Wissenschaft, am besten aus der Feder eines Universitätsprofessors, zu erlangen? Je renommierter desto besser!

Wie kommt man aber an einen solchen Aufsatz? Der wohl einfachste Weg dürfte der Auftrag eines Gutachtens zur Prüfung einer Rechtsfrage sein, aus der sich später der eine oder andere Aufsatz wie von selbst ergibt. Das gut bezahlte Rechtsgutachten, das gegebenenfalls nur dann in Auftrag gegeben wird, wenn bereits ein weniger gut bezahltes Vorgutachten die gewünschte Position erkennen lässt, wird nie veröffentlicht. Sichtbar bleibt allein der Aufsatz eines anerkannten Professors in einer renommierten Fachzeitschrift, gerne vor einer anstehenden Entscheidung des BGH genau zu dieser Rechtsfrage oder im geeigneten Moment des Gesetzgebungsverfahrens. Ist der Professor etwas ehrpusselig wird er vielleicht dazusetzen wollen: „Der Beitrag wurde angeregt durch eine Anfrage aus der Praxis“. Die Formulierung: „Hervorgegangen aus einer Auftragsarbeit für das Unternehmen XY mit einer Bezahlung von 30.000 Euro“ allerdings findet man nie.

Drittmittel als Messlatte für den Wert der Arbeit der Professoren

Der Anreiz für Professoren, derartige Gutachten anzunehmen, ist groß. Drittmittel sind nicht nur an Universitäten mittlerweile akzeptiert, sie sind auch eine Messlatte für den Wert der Arbeit der Professoren, ihre „leistungsabhängige“ Bezahlung nach der W-Besoldung und ihre Stellung innerhalb der Fakultät. Mit dem Einwerben von Drittmitteln steigt das eigene Renommee in und außerhalb der eigenen Universität oder Hochschule. Die Folge: Die Ausstattung des Lehrstuhls steigt in Form von Sachmitteln und vielleicht sogar von Stellen für Mitarbeiter, die dann die Gutachten und Artikel schreiben müssen und bei „guter Führung“ als Co-Autoren fungieren dürfen. Derartige Aufträge anzunehmen, ist daher nicht nur opportun, sondern im modernen Wissenschaftssystem (angewandte Forschung!) geradezu erwünscht. Derartige Aufträge zu vergeben, gehört mithin zum kleinen 1×1 der Lobbyarbeit.  30.000 Euro hier und da sind nun wirklich zu verschmerzen, wenn man etwa bedenkt, dass die BGH-Entscheidungen[3] zu den Bearbeitungsentgelten bei Verbraucherkrediten im Jahr 2014 die Kreditinstitute ein bis zwei Milliarden Euro gekostet haben sollen.

Wie kommt mal als Lobby legal an die Gerichte ran: Auch hier ein bisschen „Nudging“, also Schubsen? Und doch wohl nicht verboten? Denn woher kommt eigentlich die Überzeugung des Gerichts, wenn schon das Ausmaß seines Hungers vor und nach der Mittagspause z.B. das Strafmaß beeinflussen kann[4] ganz zu schweigen von den sonstigen Einschränkungen, die uns die Verhaltensforschung zeigt.[5] Könnte es nicht auch sein, dass Richter durch Vortragshonorare beeinflusst sein könnten? Und durch ein gepflegtes Gespräch im gepflegten Vortragsarrangement, bei „gepflegter“ Gelegenheit?

Doch wer wollte das glauben? Die deutschen Richter sind neutral. Klar ist aber immerhin, dass der einfache Bürger diese gepflegte Gelegenheit nicht hat. Der „Kontakt zur Praxis“ bleibt damit für die Wissenschaft wie für die Rechtspflege einseitig. Während z.B. Banken, Versicherungen und Bausparkassen ihre Sicht darlegen und für Verständnis ihrer Lage bitten können, bleibt der Blick auf die Welt derer verschlossen, die ihre Raten für den Kredit nicht mehr bedienen konnten und nach anderthalb Stunden „Beratungsgespräch“ doch den neuen, ungünstigen Vertrag unterschreiben, weil sie sonst nicht wissen, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen. Am Ende stehen dann Urteile, in denen die Unternehmen Verträge nicht mehr einhalten müssen, aber der Verbraucher aus seinem Haus vertrieben wird, weil er die Raten für das Darlehen nicht mehr zahlen kann.[6] Und so schleicht sich das Gefühl ein, die „wirklichen“ Urteilsgründe nicht zu erfahren und sich am Bretterzaun dogmatischer Herleitungen die Nase platt zu drücken. Und damit bleibt für jeden etwas Verschwörungstheorie über. Und das ist Gift.

„Geldnehmer in Robe haben eine Bringschuld“

Die mögliche Beeinflussung der Gerichte hatte schon 2017 der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle thematisiert. Rolf Lamprecht, der Doyen der Justizpressekonferenz in Karlsruhe, forderte in der NJW: „Die Geldnehmer in Robe haben hier eine Bringschuld, sie müssen alle relevanten Fakten offenlegen – die Höhe der gezahlten Summen, die Interessenlage des Veranstalters, das Thema des Vortrags, den Ort und das Ambiente der Veranstaltung, die Zusammensetzung der Teilnehmer. Erst die Kenntnis aller Umstände ergibt einen Gesamteindruck – und erlaubt ein Urteil.“[7] Passiert ist bei der geforderten Bringschuld bis jetzt beim BGH nichts. Jedenfalls lässt sich dazu nichts finden. Das Thema wurde anscheinend durch kollektives Schweigen ausgesessen. Wie sollte man das auch lösen können? Darüber gibt Teil 2 des Beitrages Auskunft.

 

Der Beitrag gibt die Meinung der Autoren wieder und wird fortgesetzt. Es handelt sich um eine gekürzte Fassung des in der Zeitschrift myops – Berichte aus der Welt des Rechts, Heft 41, erschienenen Aufsatzes „It‘s a research gift“.

 

[1]Antwort der Regierung auf eine Kleine Anfrage vom Deutscher Bundestag BT-Ds. 16/3395, S. 1. Inkl. Liste der Unternehmen

[2] Entscheidende Passagen des Gesetzes, dass die Cum/Ex-Geschäfte ermöglichte, sollen nach Susan Jörges von abgeordnetenwatch.de „aus Lobbyschreiben des Bundesverbandes deutscher Banken“ übernommen worden sein. Quelle: https://www.abgeordnetenwatch.de/blog/lobbyismus/wie-sich-die-bankenlobby-ein-gesetz-zum-grossangelegten-steuerraub-schrieb

[3] BGH, Urteile vom 13.05.2014 – XI ZR 170/13 und XI ZR 405/12 sowie BGH-Urteile vom 28.10.2014 – XI ZR 17/14 und XI ZR 348/13.

[4] Christian Weber: Hungrige Richter – hartes Urteil, Süddeutsche Zeitung vom 13.04.2011; Danziger, Shai; Levav, Jonathan and Avnaim-Pessoa, Liora: Extraneous factors in judicial decisions. Proc Natl Acad Sci U S A. 2011 Apr 26; 108(17): abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3084045/

[5] Enough, Birte; Mussweiler, Thomas: Sentencing Under Uncertainty: Anchoring Effects in the Courtroom. Journal of Applied Social Psychology. Vol. 31, Issue 7, p. 1535 – 1551.

[6] So schon Lamprecht, NJW 2017, 1156, 1157

[7] Lamprecht, NJW 2017, 1156, 1159

Die Autoren:

Prof. Dr. Ulrich Krüger, Jahrgang 1966, ist seit 2003 Professor für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Bremen und war von 2016 – 2020 Studiendekan der Fakultät Wirtschaftswissenschaften.

 

Dr. Achim Tiffe, Jahrgang 1967, ist seit 2001 als Rechtsanwalt zugelassen. Ab 2010 war er geschäftsführender Direktor des Instituts für Finanzdienstleistungen. Seit 2016 ist der Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht Partner der Hamburger Kanzlei Juest+Oprecht.

 

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Die Serie: Interessenkonflikte in der (Rechts-)Wissenschaft?

 

 

Prof. Dr. Ulrich Krüger

Professor für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Bremen
 

Dr. Achim Tiffe

Rechtsanwalt
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