08.11.2021

Wie die Corona-Krise Aufgaben und Rollen der Sicherheitsakteure in unserer Gesellschaft verändert (1)

Originäre und subsidiäre Zuständigkeit in Pandemielagen – Teil 1

Wie die Corona-Krise Aufgaben und Rollen der Sicherheitsakteure in unserer Gesellschaft verändert (1)

Originäre und subsidiäre Zuständigkeit in Pandemielagen – Teil 1

Ein Beitrag aus »apf Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »apf Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Die Bedeutung kommunaler Ordnungsdienste für die Sicherheit in Städten und Gemeinden wird zunehmend auch öffentlich wahrgenommen. Dabei spielt die Zusammenarbeit von Polizei und Ordnungsbehörden eine entscheidende Rolle. In der sechsteiligen Reihe unter dem Leitartikel Wie Corona die Aufgaben und Rollen der Sicherheitsakteure in unserer Gesellschaft beeinflusst werden sukzessiv einzelne wichtige Aspekte aufgegriffen und in einen Gesamtzusammenhang gebracht. Dieser erste Beitrag setzt sich mit dem auf den ersten Blick vielleicht marginal wirkenden Aspekt der originären bzw. subsidiären Zuständigkeit in Pandemielagen auseinander. Für die in der Sicherheitsarchitektur unserer Gesellschaft zuständigen Behörden ist diese Unterscheidung jedoch alles andere als geringfügig.

1. Ausgangssituation der Zuständigkeiten in Nordrhein-Westfalen

Die Übertragung von Aufgaben der Gefahrenabwehr auf die allgemeine Verwaltung im Rahmen der Entpolizeilichung1 ging in der Historie mit einem Rückzug der Polizei aus ihren subsidiären Aufgaben einher. Tätigkeiten, wie die Beseitigung von Ruhestörungen, waren fortan eine der Kernaufgaben der kommunalen. Aus dem Blickwinkel der Kommunen resultierte daraus die Notwendigkeit, ihre Ordnungsdienste zur Wahrnehmung dieser originären Aufgaben personell und strukturell auf- und auszubauen.

Kommunale Ordnungsdienste werden seit Anfang der 90er-Jahre in nordrhein-westfälischen Kommunen etabliert, um durch die Erhöhung der Präsenz in den Städten das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu stärken und die Kreispolizeibehörden in ihren subsidiären Aufgaben zu entlasten. In der Bundesrepublik Deutschland liegt die Zuständigkeit für die allgemeine Gefahrenabwehr nach Art. 30, 70 des GG bei den Ländern. In NRW erfolgt die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auf der Basis der Regelungen des Ordnungsbehördengesetzes (OBG NRW) und des Polizeigesetzes (PolG NRW) im Trennungssystem2.


Demnach sind örtliche Ordnungsbehörden originär für die Gefahrenabwehr zuständig, während die Kreispolizeibehörden subsidiär im Rahmen der Eilzuständigkeit oder im Wege der Amts- und Vollzugshilfe tätig werden.3 Ausschließliche Aufgaben der Polizei sind nach § 11 Abs. 1 des Polizeiorganisationsgesetz (POG NRW) neben den Aufgaben nach dem PolG NRW die Erforschung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sowie die Überwachung des Straßenverkehrs. Auf der Hand liegt, dass die Schnittstellen in den Zuständigkeiten von 47 Kreispolizeibehörden und 427 NRW-Kommunen Herausforderungen mit sich bringen. Vor dem Hintergrund der kommunalen Selbstverwaltung weichen personelle und finanzielle Ressourcen der Kommunen und, damit zusammenhängend, auch Strukturen und Möglichkeiten der kommunalen Ordnungsdienste teils erheblich voneinander ab. Bspw. sind Dienstzeiten und Erreichbarkeiten der Ordnungsdienste, welche unmittelbar Auswirkungen auf die Übernahme der Aufgaben durch die Kreispolizeibehörden haben, landesweit uneinheitlich. Die Ordnungsbehörden in NRW befinden sich derzeit inmitten eines Prozesses zum Auf- bzw. Aufbau kommunaler Ordnungsdienste. Auch wenn das erklärte Ziel eine einheitliche Struktur sowie eine einheitliche Ausbildung und Ausstattung der Bediensteten ist (vgl. Opielka & Breuer, 2020), sind die Ist-Stände in den Kommunen zurzeit jedoch keineswegs als homogen zu bezeichnen.

2. Aufgabenwahrnehmung in der Corona-Krise

Die Corona-Pandemie und die damit verbundene Aufgabenwahrnehmung im Infektionsschutz stellen eine komplexe Einsatzlage in virologischer, rechtlicher und gesellschaftlicher Hinsicht dar (vgl. dazu Aumann & Opielka, 2020 oder Frankewitsch, Aumann, Breuer & Opielka, 2020). Wissenschaftliche Erkenntnisse zum Corona- Virus SARS-CoV-2 und zu dem dynamischen Infektionsgeschehen werden fortlaufend aktualisiert. Die Ergebnisse führen zu kontinuierlichen Anpassungen von Schutzmaßnahmen und der zugrunde liegenden Rechtslage. An der Bewältigung der Corona-Krise ist eine Vielzahl von Behörden und Institutionen auf unterschiedlichen Ebenen mit dem gemeinsamen Ziel der Gefahrenabwehr beteiligt. Auf Bundesebene wurde der Rahmen durch Abstimmungen und Beschlüsse, z. B. der Ministerpräsidentenkonferenzen, gesteckt. Die weitreichenden Maßnahmen sind in den jeweiligen Bundesländern durch Erlasse, Weisungen und Landesverordnungen4 übersetzt worden, was selten bundeseinheitlich erfolgt ist.

Die Umsetzung durch Überprüfung und Vollzug der Corona- Schutzmaßnahmen obliegt dabei als originäre Aufgabe im Sinn des IfSG den Kommunen.5 Diese handelten sowohl zu Beginn der Pandemie als auch in Anwendung der sog. „Corona-Bremse‟6 eigenverantwortlich, indem sie durch den Erlass von Allgemeinverfügungen Recht auf örtlicher Ebene setzen. Aus strategischer Sicht erfolgt die Krisenbewältigung maßgeblich über die Steuerung in den kommunalen Krisenstäben. Die operativen Aufgaben werden in den Kommunen damit federführend durch die Gesundheits- und Ordnungsämter wahrgenommen. Dabei werden sie, so die Maßgabe der CoronaSchVO NRW, „von der Polizei gemäß den allgemeinen Bestimmungen unterstützt‟7. An dieser Stelle bleibt die Frage offen, ob die Unterstützung der Kommunen als eigene Aufgabe kraft Rechtsverordnung betrachtet werden kann oder die Amts- und Vollzugshilfe in der klassischen Zuständigkeitsabgrenzung Anwendung findet. Eine besondere Herausforderung bei der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Polizei und Ordnungsbehörden stellen in Zeiten der Corona- Pandemie Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz (VersG) dar.

Nach der Verordnung über Zuständigkeiten nach dem Versammlungsgesetz nehmen die Kreispolizeibehörden die Aufgaben als Versammlungsbehörde wahr. Gleichzeitig entscheiden die örtlichen Ordnungsbehörden über den Infektionsschutz bei der Durchführung von Versammlungen, da diese laut CoronaSchVO in Abstimmung mit der Versammlungsbehörde weitergehende Schutzmaßnahmen anordnen können. Im Zusammenhang mit der Konzentrationswirkung8 stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der infektionsschutzrechtlichen Generalklausel zu den versammlungsrechtlichen Eingriffsbefugnissen, welche bisher weder fachgerichtlich noch durch das Bundesverfassungsgericht abschließend geklärt wurde.9 Während zu Beginn der Pandemie die Forderung nach bundesbzw. landeseinheitlichen Regelungen ebenso präsent war wie die Akzeptanz für die weitgehenden Einschränkungen, nahm beides im weiteren Verlauf der Pandemie ab (vgl. Frankewitsch et al., 2020 zur Einheitlichkeit der Regelungen; Rees, Papendick, Rees, Wäschle & Zick, 2020 zur Akzeptanz von Einschränkungen). Mit den anhaltenden Eingriffen in viele Bereiche des öffentlichen Lebens erfolgte ein Strategiewechsel hin zu regionalen Entscheidungen auf der Basis des lokalen Infektionsgeschehens.10 Damit verbunden wurde auch die Notwendigkeit von bundesweiten Ermächtigungen bei Pandemien von nationaler Tragweite diskutiert (vgl. Giesberts, Gayger & Weyand, 2020). Die Forderungen nach einheitlichen Regelungen sind inzwischen lauter geworden, am 14.10.2020 berieten die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten auf dem sog. „Corona-Gipfel“ im Bundeskanzleramt.

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie führten laut statistischen Angaben des Innenministeriums NRW zu einer sinkenden Kriminalitätsrate11 und damit verbunden zu einer Veränderung der polizeilichen Arbeit, was in einem weiteren Beitrag dieser Reihe aufgegriffen wird. Klar ist, dass die Ordnungsbehörden mit den neuen Aufgaben in der Corona-Pandemie von Beginn an stark gefordert waren und die Unterstützung der Kreispolizeibehörden zur erfolgreichen Umsetzung der Corona-Maßnahmen unerlässlich war und weiterhin ist. In Zeiten der Digitalisierung ist hier eine gute interkommunale Krisenkommunikation der Gefahrenabwehrbehörden ein wichtiger Erfolgsfaktor der Pandemiebewältigung. Im Ergebnis hängt die praktische Zusammenarbeit der Sicherheitsakteure – auch über vermeintliche Grenzen der Zuständigkeiten hinweg – maßgeblich von den Erfahrungen, Vereinbarungen und personellen Möglichkeiten der jeweiligen Akteure vor Ort ab.

3. Fazit und Ausblick

Elementar für die Bewältigung der Corona-Krise war und bleibt die Kooperation der Sicherheitsakteure in unserer Gesellschaft. Dabei wurde insbesondere zu Beginn der Pandemie weniger genau zwischen subsidiären und originären Aufgaben differenziert, im Vordergrund stand die gemeinsame Bewältigung einer gesamtgesellschaftlichen Krise. Nach einem mehrmonatigen Leben in der Krise sind zunehmend Widerstände gegen die in den Corona-Schutzverordnungen niedergeschriebenen Beschränkungen des gesellschaftlichen Lebens festzustellen. Damit einher gehen Herausforderungen für die Arbeit der Einsatzkräfte von Kommunen und Polizeibehörden. Auswirkungen auf das Ansehen der Ordnungskräfte und die Attraktivität von Sicherheitsberufen sind anzunehmen, verlässliche Aussagen über die Dimension der Effekte sind jedoch zurzeit noch nicht möglich.

Einer der nächsten Artikel dieser Reihe „Effekte von Krisen auf das Attraktivitätsempfinden eines Sicherheitsberufs“ greift diesen Aspekt auf. Zurzeit entscheidet das Ausmaß der Infektionszahlen in den Kommunen12 über Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens; die weitere Entwicklung und insbesondere die Dauer der Pandemie sind indes nicht prognostizierbar. Fest steht, dass den Kommunen in Abstimmung mit der Landesebene die Definition weiterer Maßnahmen obliegt und diese Aufgabe eine gründliche Abwägung im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert. Klar ist, dass die Ordnungsämter durch die Aufgabenerweiterung, durch stetig neue Gebots- und Verbotsnormen, an der Belastungsgrenze arbeiten und die Aufgaben auf Dauer nicht mit den vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen zu bewältigen sind. „Die deutliche Ausweitung der Überwachungs- und Beratungsaufgaben kann dauerhaft nur mit besserer personeller und finanzieller Ausstattung geleistet werden‟13 heißt es aus dem Städte- und Gemeindebund NRW in seiner Forderung an Bund und Land. Die Forderung zielt damit klar auf die Stärkung der Ordnungsämter ab. Bis zu einer möglichen Verbesserung der Ressourcen der Kommunen bleibt die Unterstützung der Ordnungsbehörden durch die Polizei bei der Eindämmung der Pandemie unerlässlich. Mit Blick auf die Zukunft werden Einsatzfähigkeit, Flexibilität und Kooperation aller Sicherheitsakteure – auch außerhalb der Corona-Krise – gefragt sein. Festzuhalten ist ferner, dass der Rückzug der unterschiedlichen Behörden auf formelle Zuständigkeiten nicht zielführend ist. Das Ziel sollte die gemeinsame Bewältigung der Herausforderungen aus der Pandemie durch Nutzung der Kompetenzen und Ressourcen aller Beteiligten sein.

 

Erschienen in apf Heft 2 2021

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

 

1 Der Begriff geht auf einen a. E. des Zweiten Weltkriegs beginnenden Prozess mit dem Ziel der Reduktion von Aufgaben der Polizei zurück.

2 Im Gegensatz dazu das Einheitssystem, welches z. B. in Baden-Württemberg etabliert ist.

3 Die rechtlichen Vorgaben der Amtshilfe finden sich in Art. 35 Abs. 1 GG, §§ 4–8 VwVfG NRW sowie für die Vollzugshilfe in §§ 1 Abs. 3, 47 ff. PolG NRW.

4 Die Ermächtigungsgrundlage für Rechtsverordnungen durch die Landesregierungen findet sich in § 32 Infektionsschutzgesetz (IfSG) wieder.

5 Mit Datum vom 14.04.2020 wurden Handlungsbefugnisse in Pandemielagen von nationaler und landesweiter Tragweite neu geregelt. Nach § 3 Abs. 1 IfSBG-NRW sind Städte und Gemeinden als örtliche Ordnungsbehörden für die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten nach dem IfSG zuständig.

6 Nach § 15 a CoronaSchVO wurde ab dem 01.09.2020 die sog. „Corona-Bremse‟ eingeführt, wonach anhand der 7-Tage-Inzidenz weitergehende Schutzmaßnahmen als regionale Anpassung an das Infektionsgeschehen zu ergreifen sind.

7 Vgl. § 17 Satz 2 CoronaSchVO in der ab dem 17.10.2020 geltenden Fassung.

8 Als Konzentrationswirkung wird das Prinzip im Verwaltungsverfahren bezeichnet, wonach eine Genehmigung mehrere weitere Genehmigungen einschließt.

9 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 23.09.2020 zum „Klimacamp Aachen‟ – 13 B 1422/20, openJur 2020, 73142.

10 Vgl. Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen (2020): Mit mehr Zielgenauigkeit und Verhältnismäßigkeit die Pandemie effektiv bekämpfen, Pressemitteilung vom 16.07.2020, online unter: https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/mit-mehr-zielgenauigkeitund-verhaeltnismaessigkeit-die-pandemie-effektiv.

11 Vgl. Kriminalitätsstatistik des IM NRW, online unter https://polizei.nrw/presse/corona-23-prozent-weniger-kriminalitaet.

12 Indikator: Wert der 7-Tage-Inzidenz (Begriff aus der Epidemiologie), der die Häufigkeit von Ereignissen – insbesondere neu auftretender Krankheitsfälle – innerhalb einer Zeitspanne beschreibt.

13 Vgl. Städte- und Gemeindebund NRW (2020). Corona-Regeln umsetzen, Ordnungsämter stärken, online unter https://www.kommunen.nrw/presse/pressemitteilungen/detail/dokument/corona-regelnumsetzen-ordnungsaemter-staerken.html.

 

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Die Serie: Wie die Corona-Krise Aufgaben und Rollen der Sicherheitsakteure in unserer Gesellschaft verändert

 

 

 

Susanne Aumann

Fachpraktikerin in der Kommunalverwaltung, Lehrbeauftragte am Studieninstitut für kommunale Verwaltung Aachen
 

Dr. Sascha Opielka

Leiter der Fortbildungsstelle im Polizeipräsidium Aachen
n/a