22.11.2021

Beschlussfähigkeit eines Planungsverbands nach § 205 BauGB

Der Einfluss der Corona-Pandemie auf eine Verbandsversammlung

Beschlussfähigkeit eines Planungsverbands nach § 205 BauGB

Der Einfluss der Corona-Pandemie auf eine Verbandsversammlung

Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Nach der Corona-VO sind Veranstaltungen und Ansammlungen vorbehaltlich des Selbstorganisationsrechts des Landtags und der Gebietskörperschaften grundsätzlich verboten. Sitzungen kommunaler Gremien sind aber keine Ansammlungen im Sinne der Corona- VO. Die Corona-VO lässt die Bestimmungen über die Anwesenheit und Vertretung in der Verbandsversammlung und deren Beschlussfähigkeit unberührt.

Ausgangsfall

Die Klägerin begehrte die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung einer Automatentankstelle auf einem gepachteten Teil des Grundstücks einer Spedition. Die zum Rechtsstreit Beigeladene ist ein Zweckverband zur Planung und Erschließung des Verbandsgebiets. Der Zweckverband hat für das Verbandsgebiet „Gewerbepark“ die Aufgaben eines Planungsverbands nach § 205 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) und tritt an die Stelle der Städte und Gemeinden, die Mitglied in dem Verband sind. In einem Gewerbegebiet sind Tankstellen nach § 8 Abs. 2 Nr. 3 Baunutzungsverordnung (BauNVO) grundsätzlich zulässig. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans „Belchenblick“ des Zweckverbands.

Am 25.07.2018 beschloss die Verbandsversammlung die 3. Änderung des Bebauungsplans im vereinfachten Verfahren und erließ eine Veränderungssperre. In der geänderten Fassung sollen im Gewerbegebiet Tankstellen mit Ausnahme von betriebsinternen Tankstellen nicht zulässig sein. Der Verbandsversammlung lagen am Sitzungstag zwei unterschiedliche Textfassungen vor. In der ursprünglichen Fassung hieß es „Im Gewerbegebiet sind Tankstellen nicht zulässig. Diese Regelung gilt nicht für betriebsinterne Tankstellen.“ In der überarbeiteten Fassung hieß es „Im Gewerbegebiet sind Tankstellen nicht zulässig. Betriebseigene Tankstellen, d. h. Tankstellen, die einem Gewerbebetrieb untergeordnet sind, können ausnahmsweise zugelassen werden.“ Die öffentliche Auslegung erfolgte mit dem Text der ursprünglichen Fassung. Die Verbandsversammlung des beigeladenen Zweckverbands beschloss aber am 28.11.2018 die überarbeitete, nicht ausgelegte Fassung.


Die Satzung wurde ortsüblich bekannt gemacht und trat in Kraft. Bereits am 30.08.2018 versagte der Zweckverband sein Einvernehmen zur Erteilung der beantragten Baugenehmigung mit Verweis auf die Veränderungssperre vom 25.07.2018. Das Landratsamt hat den Bauantrag der Klägerin abgelehnt. Die Klägerin hat nach erfolglosem Widerspruch Untätigkeitsklage erhoben. Das Landratsamt wurde vom Verwaltungsgericht Freiburg (VG) verurteilt, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen. Der Zweckverband beantragt die Zulassung der Berufung, die er am 03.04.2020 begründet hat.

Keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit des Urteils

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat nur Erfolg, wenn ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen. Der Zweckverband zieht nicht in Zweifel, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil im Zeitpunkt der Entscheidung im Einklang mit geltendem Recht stand. Die 3. Änderung des Bebauungsplans war wegen eines erheblichen Verstoßes gegen § 3 Abs. 2 BauGB unwirksam. Der Zweckverband macht aber geltend, dass er inzwischen in einem ergänzenden Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB die festgestellten Mängel geheilt hat und die 3. Änderung rückwirkend zum 30.11.2018 in Kraft gesetzt hat. Auch sind die Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange erneut eingeholt worden, sodass das Bauvorhaben nunmehr bauplanungsrechtlich unzulässig ist. Der Satzungsbeschluss vom 31.03.2020 ist aber unwirksam, weil die Verbandsversammlung am 31.03.2020 nicht beschlussfähig war. Die Zulassung der Berufung ist daher abzulehnen.

Zur Beschlussfähigkeit der Verbandsversammlung

Die Verbandsversammlung ist nach der Verbandssatzung Hauptorgan des Zweckverbands und für den Erlass von Satzungen zuständig. Die Verbandsversammlung besteht aus einem Vertreter eines jeden Verbandsmitglieds und einem weiteren Vertreter der Stadt F. Die Verbandsversammlung ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der Verbandsmitglieder vertreten ist und den vertretenen Mitgliedern mindestens die Hälfte der satzungsmäßigen Stimmen zusteht. Bei der Beschlussfassung vom 31.03.2020 war lediglich der Verbandsvorsitzende und der Verbandsdirektor anwesend. Für die weiteren Verbandsmitglieder waren keine Vertreter anwesend. Der Vorsitzende hatte darauf verwiesen, dass Vollmachten zur Vertretung der anderen Verbandsmitglieder vorliegen. Der Zweckverband hat keine Teilnehmerliste oder dergleichen vorgelegt, sondern am 15.07.2020 einen weiteren Satzungsbeschluss über die 3. Änderung gefasst. Dies ist ein Indiz dafür, dass der Zweckverband den Vortrag der Klägerin über die Vertretung in der Versammlung am 31.03.2020 und die damit verbundene Beschlussunfähigkeit der Versammlung im Ergebnis einräumt.

Keine Vertretung durch den Verbandsvorsitzenden möglich

Eine Vertretung der Verbandsmitglieder durch den Verbandsvorsitzenden ist gesetzlich ausgeschlossen. Der Verbandsvorsitzende ist weder allgemeiner Vertreter der anderen Bürgermeister noch beauftragter Bediensteter nach § 53 Gemeindeordnung (GemO). Eine rechtsgeschäftliche Vollmacht nach § 53 Abs. 2 GemO ist nur für einzelne Angelegenheiten vorgesehen. Nach § 13 des Gesetzes über die kommunale Zusammenarbeit (GKZ) muss jedes Verbandsmitglied in der Verbandsversammlung vertreten sein. Im Falle der Verhinderung eines Bürgermeisters ist die Vertretung in § 13 GKZ verbindlich geregelt. Der Bürgermeister kann eine rechtsgeschäftliche Vollmacht nicht erteilen, weil § 13 Abs. 4 GKZ nicht auf § 53 Abs. 2 GemO verweist. Gemeinden und Landkreise können sich in der Verbandsversammlung nicht durch Dritte vertreten lassen. Ferner ist der Verbandsvorsitzende Organ des Zweckverbands. Der Erlass von Satzungsrecht ist eine hoheitliche Aufgabe und keine einzelne Angelegenheit i. S. v. § 53 Abs. 2 GemO. Der Verbandsvorsitzende hat auch keine Entscheidungskompetenz über die Vertretung. Nach § 6 der Verbandssatzung ist bei Beschlussunfähigkeit der Verbandsversammlung unverzüglich eine zweite Sitzung anzuberaumen.

Der Einfluss der Corona-Pandemie

Auch die Corona-Pandemie rechtfertigt keine andere rechtliche Beurteilung. Nach der Corona-VO sind Veranstaltungen und Ansammlungen vorbehaltlich des Selbstorganisationsrechts des Landtags und der Gebietskörperschaften grundsätzlich verboten. Sitzungen kommunaler Gremien sind aber keine Ansammlungen im Sinne der Corona- VO. Die Corona-VO lässt die Bestimmungen über die Anwesenheit und Vertretung in der Verbandsversammlung und deren Beschlussfähigkeit unberührt. Die Möglichkeit der elektronischen Kommunikation hat der Zweckverband nicht genutzt.

Der Zweckverband hat die 3. Änderung erneut am 15.07.2020 beschlossen. Der Zulassungsantrag wurde aber bereits am 03.04.2020 begründet und konnte die Satzungsänderung vom 15.07.2020 noch nicht berücksichtigen. Es war zum Zeitpunkt der Begründung auch nicht ersichtlich, dass nach dem 31.03.2020 ein weiterer Satzungsbeschluss geplant ist. Ggf. kann eine Ausnahme aus Gründen der Prozessökonomie und der Effektivität des Rechtsschutzes gemacht werden, aber auch gegen den erneuten Satzungsbeschluss erhob die Klägerin Einwendungen, sodass eine weitere Sachprüfung notwendig ist. Der Antrag auf Zulassung der Berufung war daher abzulehnen.

 

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.01.2021 – 3 S 512/20

FstBW 2021/223

 
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