29.11.2021

Sonderrecht für Geimpfte – Sonderrecht für Ungeimpfte

Aufhebung der Beschränkungen für Geimpfte?

Sonderrecht für Geimpfte – Sonderrecht für Ungeimpfte

Aufhebung der Beschränkungen für Geimpfte?

Ein Beitrag aus »BDVR-Rundschreiben« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »BDVR-Rundschreiben« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Die Diskussion über die sog. Impfprivilegien“ – gemeint ist, dass nachweisbar Geimpfte nicht mehr den pandemiebedingten Beschränkungen unterliegen hat einen erstaunlich grundsätzlichen Charakter angenommen. Dabei erscheint es vielen Beobachtern gerade aus juristischer Sicht nicht nur sinnvoll, sondern sogar geboten, diese Beschränkungen für Geimpfte aufzuheben. Die Gründe dafür sollen im Folgenden in zwei Vorbemerkungen (I.), zwei Thesen (II.) und zwei Erläuterungen (III.) dargestellt werden.

I. Vorbemerkungen

Zwei Vorbemerkungen mögen sinnvoll sein, weil sie Aspekte betreffen, die immer wieder gegen die Forderung vorgebracht werden, dass die Beschränkungen für Geimpfte aufzuheben sind.

  1. Zum einen macht diese Forderung selbstverständlich nur Sinn, wenn die Impfung nicht nur den Geimpften schützt, sondern auch dafür sorgt, dass er nicht mehr oder in einem sehr viel geringeren Ausmaß ansteckend ist. Das weiß man vielleicht noch nicht mit absoluter Sicherheit, aber es spricht viel dafür, dass es so sein wird: Die Impfung reduziert die Viruslast, und das müsste dann auch Dritten zugutekommen. Erste Studien weisen auch deutlich in diese Richtung. Jedenfalls scheint es wenig sinnvoll zu sein, die Diskussion, wie wir mit Geimpften umgehen, noch weiter zu verschieben, bis endgültige Sicherheit erreicht ist: So viel, wie im Moment überall auf der Welt geimpft wird, werden wir es bald wissen. Und wir sollten wissen, was wir dann tun, wenn sich erwartbarerweise herausgestellt hat, dass die Impfung auch die Ansteckung anderer verhindert. Bei dem einen oder anderen Zeitgenossen hat man den Verdacht, er wünsche sich heimlich, dass der Impfstoff diese Wirkung nicht hat, damit man sich die „Privilegien“-Diskussion ersparen kann.
  2. Zum anderen ist hier – wie immer – auf die Praktikabilität und Vollziehbarkeit von Rechtsnormen zu achten. So mag es im öffentlichen Personennahverkehr untunlich sein, die Geimpften z. B. von der Verpflichtung, eine Maske zu tragen, zu befreien, weil nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu kontrollieren wäre, ob ein Fahrgast ohne Maske bereits geimpft oder ein ideologischer Maskenverweigerer ist. Derartige geringfügige Eingriffe können daher auch aus reinen Praktikabilitätserwägungen aufrechterhalten werden. Dies gilt aber nicht für das Verbot, Veranstaltungen und Restaurants oder seine Verwandten und Freunde in stationären Einrichtungen zu besuchen, wo am Eingang ohne Probleme der Impfstatus kontrolliert werden könnte.

II. Thesen

  1. Die juristische Begründung für die Aufhebung der Beschränkungen für Geimpfte ist denkbar einfach: Wenn eine Person weder sich selbst noch Dritte anstecken kann, gibt es einfach keinen Grund mehr, die Freiheitsbeschränkungen ihr gegenüber noch aufrechtzuerhalten. Sie kehrt dann in den „normalen“ Rechtszustand vor der Pandemie zurück; deshalb sind auch die Begriffe „Impfprivilegien“ oder „Sonderrecht für Geimpfte“ problematisch. Auch von einer Privilegierung oder Diskriminierung kann keine Rede sein: Dass der Betroffene nicht mehr ansteckend ist, ist allemal ein sachlicher Grund, ihn im Unterschied zu den noch nicht Geimpften aus den Beschränkungen zu entlassen. Auch einen mittelbaren Impfzwang wird man darin nicht erkennen können: Jeder kann sich impfen lassen (für die Personen, die dies aus medizinischen Gründen nicht können, wird man Ausnahmegenehmigungen einführen – wie bisher schon bei der Maskenunverträglichkeit), und wer das nicht will, muss dann eben mit der Konsequenz leben, dass er andere nicht gefährden darf und sich deshalb von ihnen fernhalten muss. Auch bisher durfte man nur mit Impfung in bestimmte Länder reisen (um gar nicht von den erst kürzlich eingeführten Anreizen für die Masernimpfung zu reden): Hat das schon jemand als versteckte Impfpflicht kritisiert? Das einzige Argument, dass nun noch gegen die Aufhebung der Beschränkungen für Geimpfte vorgebracht werden kann, lautet, die „Impfprivilegien“ spalteten und entsolidarisierten die Gesellschaft. Dabei muss man sich klarmachen, dass sich die Situation der (z. B. aufgrund der Knappheit des Impfstoffs) noch nicht Geimpften in keiner Weise verbessert, wenn die Geimpften ihre Freiheiten (noch) nicht wieder wahrnehmen. Das Problem ist hier die Knappheit des Impfstoffs, aber den noch Wartenden wird nichts genommen, wenn die Geimpften wieder rausgehen dürfen. Es ist schon ein seltsames Solidaritätsverständnis, das eine unnötige Freiheitsbeschränkung verlangt, damit andere nicht neidisch werden müssen. Ein Rechtsgut, das Grundrechtseingriffe rechtfertigen könnte, vermag man in der Befriedigung von Neidgefühlen jedenfalls nicht zu erkennen.
  2. Überlegen könnte man allenfalls noch, wie sich die „Impfprivilegien“ auf die Impfpriorisierung auswirken: Werden die noch nicht Geimpften die Priorisierung noch akzeptieren, wenn sie nicht nur länger warten, sondern auch zusehen müssen, wie die bereits Geimpften wieder am normalen Leben teilnehmen können? Könnten sie nicht verlangen, dass die Geimpften sich zunächst noch zurückhalten? Das klingt nicht ganz so absurd, aber auch hier muss man sich klarmachen: Es hilft den Wartenden in keiner Weise, wenn die Geimpften nicht wieder normal leben – so wenig, wie es auf der Warteliste für ein Organ hilft, wenn der Transplantierte sich seines Lebens nicht mehr zu erfreuen traut.

III. Erläuterungen

  1. Die Argumente für die Aufhebung der Beschränkungen für Geimpfte sind – anders als man es oft hört – nicht davon abhängig, dass jeder bereits eine Möglichkeit hat, sich impfen zu lassen. Das Infektionsschutzrecht stellt nur darauf ab, dass von einer Person eine Ansteckungsgefahr ausgeht; warum das der Fall ist, wer dafür verantwortlich ist und ob die Person das hätte vermeiden können, ist grundsätzlich unerheblich. Warum sollte es hier anders sein? Und nochmals: Auch wenn man sich noch nicht impfen lassen konnte, ist die Chance, bald eine Impfung zu erhalten, völlig unabhängig davon, wie sich die bereits Geimpften verhalten.
  2. Schließlich ist selbst von denjenigen, die „Impfprivilegien“ an sich ablehnen, darüber diskutiert worden, ob Private – etwa Restaurantbetreiber oder Konzert- und Reiseveranstalter – für den Zugang zu ihren Angeboten eine Impfung verlangen könnten. Dazu hieß es häufig – etwa vom Deutschen Ethikrat –, das könne man nicht verhindern, weil sich hier die Privatautonomie durchsetze. Das ist nun wieder zu kurz gesprungen. Zwar verbietet das geltende Gleichstellungsrecht keine Unterscheidungen nach dem Impfstatus, aber das gilt für viele andere Unterscheidungen auch, die wir nicht gutheißen könnten und wohl verbieten wollten, wenn sie denn in der sozialen Wirklichkeit vorkämen. Und selbst wenn man sich nur auf die jüngere Verfassungsrechtsprechung konzentriert, unterliegt seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Stadionverbot (BVerfGE 148, 267ff.) die private Willkür durchaus gleichheitsrechtlichen Grenzen. Dass wir die hier nicht mobilisieren und auch das Antidiskriminierungsrecht nicht entsprechend ergänzen wollen, liegt nicht an der Privatautonomie, sondern daran, dass das Abstellen auf den Impfstatus nicht sachfremd und willkürlich, sondern plausibel und nachvollziehbar ist.

 

Ein Beitrag aus dem BDVR-Rundschreiben 2/2021


 

 

Prof. Dr. Stefan Huster

Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie an der Ruhr-Universität Bochum.
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