17.12.2021

Commercial Courts

Ein Beitrag zur Stärkung des Rechtsstandorts Deutschland

Commercial Courts

Ein Beitrag zur Stärkung des Rechtsstandorts Deutschland

Internationalisierung macht auch vor deutschen Gerichten nicht halt. ©Sandor Jackal - stock.adobe.com
Internationalisierung macht auch vor deutschen Gerichten nicht halt. ©Sandor Jackal - stock.adobe.com

In der Justiz in Baden-Württemberg wurden zum November 2020 spezialisierte Zivilspruchkörper als Commercial Courts eingerichtet. Diese stellen ein innovatives Angebot an Unternehmen für Wirtschaftsstreitverfahren dar. Die Vorteile von staatlicher Gerichtsbarkeit und privaten Schiedsverfahren werden so kombiniert.

Die Justiz wird in Deutschland oftmals nicht als Innovationstreiber wahrgenommen. Diese traditionelle Sichtweise wird der Realität indes nicht gerecht. So steht die Justiz etwa bei der Einführung der elektronischen Akte an der Spitze. In Baden-Württemberg nimmt man nun ein weiteres Innovationsprojekt in Angriff: die Einrichtung spezialisierter Commercial Courts als neues Angebot zur Streitbeilegung in großen Wirtschaftsstreitverfahren.

Justiz im internationalen Wettbewerb

Insbesondere in multinationalen Vertragsbeziehungen treffen die Parteien regelmäßig Abreden zum anwendbaren Recht und dem internationalen Gerichtsstand. Leider stehen bundesdeutsche Gerichte dabei häufig nicht im Fokus der Vertragsparteien. Andere Jurisdiktionen mit spezialisierten Gerichten, wie etwa der London Commercial Court, oder Schiedsgerichte sind hier bislang häufig die naheliegende Wahl. Die Gründe hierfür sind vielschichtig.1 Bei Schiedsgerichten werden als Vorteile die erleichterte Vollstreckung aufgrund des von aktuell 166 Staaten unterzeichneten New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche sowie die besondere Vertraulichkeit der Verfahren genannt.2 Bezüglich der letzten beiden Punkte konnte die deutsche Justiz aber an Boden gut machen. So können Urteile jedenfalls innerhalb der Europäischen Union unproblematisch vollstreckt werden.3


Geheimhaltungsinteressen kann nach § 172 Nr. 2 GVG Rechnung getragen und die Öffentlichkeit mit Rücksicht auf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse ausgeschlossen werden. Für den Rechtsstaat ist diese Situation unbefriedigend. Denn es fehlt in der Schiedsgerichtsbarkeit mangels Instanzenzugs an bindenden Grundsatzentscheidungen. Neben der Richtigkeitskontrolle im Einzelfall dienen obergerichtliche Entscheidungen aber der Rechtssicherheit. Viele Streitigkeiten werden nicht bis zum Prozess getrieben, wenn die Rechtslage hinreichend geklärt ist. Daran können sich die Parteien bei ihrer Vertragsgestaltung ausrichten. Dem Rechtsstaat darf es somit nicht gleichgültig sein, wenn wirtschaftlich bedeutsame Streitigkeiten den staatlichen Gerichten zunehmend entzogen werden. Und auch mancher Schiedspraktiker beklagt hinter vorgehaltener Hand, dass es zu manchen Themengebieten, etwa beim Unternehmenskauf, kaum Präjudizien gebe, da Schiedssprüche im Regelfall nicht veröffentlicht werden.

Initiativen für den Rechtsstandort Deutschland

Um den Rechtsstandort Deutschland hinreichend attraktiv zu halten, sind in den vergangenen Jahren verschiedene Ideen diskutiert worden. Zu nennen ist hier insbesondere die verdienstvolle Initiative „Law – Made in Germany“.4 Und in der Tat genießt die deutsche Justiz auch im internationalen Vergleich einen hervorragenden Ruf.5 Die deutschen Richter gelten als fachlich bestens qualifiziert und unbestechlich, was leider nicht in jedem Land selbstverständlich zu sein scheint. Die Verfahrensdauern sind vorzeigbar6 und können sich auch im Verhältnis zur Schiedsgerichtsbarkeit durchaus sehen lassen.7 Doch im Wettbewerb der Justizstandorte reicht es nicht aus, nur die Stärken unseres bestehenden Systems herauszustellen. Der Erfolg der Commercial Courts in anderen Ländern sowie der Schiedsgerichtsbarkeit beruht wesentlich auch auf einer besonderen Spezialisierung und Vorerfahrung der dortigen Richter.

Zudem erwarten die Beteiligten ausreichende Sprachkenntnisse, um wesentliche Verhandlungsteile in englischer Sprache durchführen zu können. Schließlich wird eine größere Flexibilität bei den Verfahrensabläufen gewünscht, als dies das standardisierte Verfahren nach der Zivilprozessordnung vorsieht. Bei diesem Befund ist die Gründung englischsprachiger Kammern für Handelssachen, die bei einigen Landgerichten eingerichtet worden sind, ein erster wichtiger Schritt. Zugleich adressiert dies nur einen Teil der oben identifizierten Anforderungen. Weiter geht der Vorschlag einer Länderarbeitsgruppe, die Einrichtung von spezialisierten Commercial Courts bei den Oberlandesgerichten zu ermöglichen.8 Allerdings hat der Bundesgesetzgeber diese Idee bislang nicht aufgegriffen. Dies ist bedauerlich, weil die Gelegenheit für eine bessere Positionierung der deutschen Justiz als Akteur in internationalen Wirtschaftsstreitigkeiten besonders günstig ist. Infolge des „Brexit“ dürften viele bislang in London verhandelte Verfahren nun eher zu einem Gerichtsstandort innerhalb der EU wandern.9 Im Zuge dieses Wettbewerbs sind auch in anderen Ländern neue Commercial Courts eingerichtet worden, wie etwa den Niederlanden.10 Die deutsche Justiz muss den Parteien vergleichbare Angebote machen.

Commercial Courts in Baden-Württemberg

Zum November 2020 wurden daher bei den Landgerichten Mannheim und Stuttgart spezialisierte Zivilkammern bzw. Kammern für Handelssachen eingerichtet, die unter anderem für Streitigkeiten aus Unternehmenskäufen (M&A Litigation) und Wirtschaftsstreitverfahren ab einem Streitwert von 2 Mio. € zuständig sind.11 Zudem steht den Parteien die Möglichkeit offen, die Verfahren überwiegend in englischer Sprache zu führen.12 Flankiert werden die Commercial Courts bei den Landgerichten durch neu gegründete Rechtsmittelsenate bei den Oberlandesgerichten Karlsruhe und Stuttgart als Commercial Courts of Appeal, um eine Spezialisierung im Instanzenzug sicherzustellen. Bei der Besetzung der neuen Spruchkörper durch die Präsidien ging es vor allem darum, Richterinnen und Richter mit ausgeprägten Sprachkenntnissen, nützlichen beruflichen Vorerfahrungen und besonderem Interesse an Wirtschaftsstreitverfahren zu finden. Glücklicherweise weist die Justiz zunehmend Kolleginnen und Kollegen auf, die zuvor auch in (internationalen) Kanzleien und Unternehmen tätig waren. Erfahrungen in englischer Rechtssprache oder ausländische juristische Abschlüsse sind ebenfalls keine Seltenheit mehr.13

Verfahrensführung beim Commercial Court

Die besonderen Vorerfahrungen der Richter sind jedoch nur ein Baustein dafür, dass die Commercial Courts von den Rechtsanwälten und Unternehmen auch tatsächlich als echte Alternative zu den Schiedsgerichten oder internationalen Angeboten angenommen werden. Ziel ist es, dass die Parteien eine Vereinbarung nach § 39 ZPO über die örtliche Zuständigkeit der neuen Spruchkörper in Mannheim und Stuttgart treffen, sei es als Klausel in den ursprünglichen Austauschverträgen oder nachträglich bei heraufziehenden Streitigkeiten. Neben einer fachlichen Spezialisierung soll die Qualität der Commercial Courts durch eine Verhandlung überwiegend mit drei Berufsrichtern erhöht werden. Es ist ein offenes Geheimnis, dass auch viele andere Zivilkammern gerne häufiger „auf der Kammer“ verhandeln würden, die personellen Ressourcen dies aber nur begrenzt zulassen. Erfreulicherweise hat die Justiz in Baden-Württemberg jedenfalls im Ansatz zusätzliche Stellen erhalten, damit die Commercial Courts in Zweifelsfällen eine Übertragung auf die Kammer auch personell leistbar ist.

Abgerundet wird dies durch eine höchsten Ansprüchen genügende räumliche Unterbringung und sachliche Ausstattung. Beim Commercial Court in Stuttgart stehen moderne Verhandlungsräume mit Visualisierungs- und Videokonferenztechnik zur Verfügung. Beratungszimmer für die Rechtsanwälte und WLAN-Zugang schaffen professionelle Arbeitsbedingungen. Diese Räumlichkeiten stehen den Spruchkörpern exklusiv zur Verfügung, so dass auch mehrtägige Verhandlungen am Stück möglich sind, was insbesondere Parteien aus dem Ausland entgegenkommen dürfte. Eine solche Verhandlungsatmosphäre fördert einvernehmliche Streitbeilegungen. Die Verfahrensführung richtet sich nach den Bedürfnissen der Parteien. Hierzu soll zu einem möglichst frühen Zeitpunkt mit den Parteivertretern das weitere prozessuale Vorgehen abgestimmt werden. Eine derartige „case management conference“ ist in Schiedsverfahren üblich.14 In ihr soll eine gemeinsame Sichtweise auf eine effiziente Verfahrensgestaltung hergestellt und eine verbindliche Vereinbarung getroffen werden.

Diesbezüglich bietet auch die Zivilprozessordnung zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten für Parteivereinbarungen.15 So sind etwa Absprachen über die heranzuziehenden Beweismittel oder einen verbindlichen Zeitplan, etwa in Bezug auf Schriftsätze, möglich.16 Lediglich von rechtsstaatlich zwingenden Verfahrensvorschriften kann hierbei nicht abgewichen werden.17 All dies setzt freilich kooperative Parteien voraus. Dieses Schicksal teilen die Commercial Courts indes mit den Schiedsgerichten. Staatlichen Gerichten steht aber mit der Zivilprozessordnung ein bewährtes Instrumentarium zur Verfügung, um auch hochkonfrontative Verfahren zielgerichtet voranzubringen. Schiedsgerichte müssen hier staatliche Unterstützung suchen, da sie über keine eigenen Zwangsbefugnisse verfügen.

Fazit

Die neuen Commercial Courts stellen für Parteien in größeren Wirtschaftsstreitverfahren ein neues Angebot dar, um die Vorteile von staatlichen Gerichten und Schiedsverfahren als das „Beste zweier Welten“ zu kombinieren. An den Standorten Mannheim und Stuttgart stehen hierfür ideale Rahmenbedingungen zur Verfügung. Es bleibt zu hoffen, dass Rechtsanwälte und Parteien sich in möglichst großer Zahl für dieses neue Konzept entscheiden, um den Rechtsstandort Deutschland weiter zu stärken.

 

Der Beitrag stammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

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1) Vgl. Knott/Winkler, ZIP 2020, 1219, 1221 f.

2) Stand: 01. 01. 2021, https://uncitral.un.org/en/texts/arbitration/conventions/foreign_arbitral_awards/status2.

3) Nach Art. 39 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 ist eine in einem Mitgliedstaat ergangene, Entscheidung in Zivil- und Handelssachen in den anderen Mitgliedstaaten unmittelbar vollstreckbar. Das Lugano-Abkommen von 2007 zwischen der EU und Norwegen, Island und der Schweiz regelt die Anerkennung und Vollstreckung im EWRRaum und in der Schweiz.

4) Die Vorteile des Rechtsstandorts Deutschland sind anschaulich zusammengestellt in der Broschüre der Initiative „Law made in Germany“, abrufbar unter https://www.lawmadeingermany.de/.

5) Vgl. MüKoZPO/Rauscher, 2020, Einl. Rn. 233; Köhler/Hudetz BB 2020, 2179.

6) Vgl. das „2020 EU Justice Scoreboard“ unter https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/ 2020_eu_justice_scoreboard_factsheet.pdf.

7) So gibt der ICC in Paris die durchschnittliche Verfahrensdauer bis zu einem Schiedsspruch für das Jahr 2019 mit 26 Monaten an.

8) Vgl. BT-Drs. 19/1717; siehe auch der Beschluss der Justizministerkonferenz vom 26. 11. 2020. Zu TOP I. 25.

9) Sturm/Schulz ZRP 2019, 71.

10) Vgl. Köhler/Hudetz BB 2020, 2179.

11) Nähere Details zur Geschäftsverteilung finden sich unter https://www.commercial- court.de/standorte.

12) Vgl. Zöller/Lückemann, ZPO, 2020, § 185 GVG Rn. 4.

13) Vgl. Melin BB 2020, 2702, 2703 sowie die Lebensläufe der Richter unter https://www.commercialcourt.de/richter.

14) Podszun/Rohner ZRP 2019, 190; Pfeiffer IWRZ 2020, 51, 53.

15) Vgl. BGH NJW-RR 1989, 1048, 1049; BGH NJWRR 2006, 632, 634.

16) Vgl. BGHZ 109, 19, 28 f. = NJW 1990, 441

17) Vgl. BGHZ 38, 258 = NJW 1963, 243; BGH NJW 1982, 207.

 

Florian Diekmann

Vors. Richter, OLG Stuttgart
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