29.11.2021

Vergütungsanspruch bei Quarantäneanordnung durch Arbeitgeber

Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 24.11.2020

Vergütungsanspruch bei Quarantäneanordnung durch Arbeitgeber

Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 24.11.2020

Ein Beitrag aus »RdW Kurzreport« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »RdW Kurzreport« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Beschließe ein Arbeitgeber aus eigenem Antrieb, seinen Betrieb zu schließen oder einen Arbeitnehmer zum Schutz der sonstigen Belegschaft in Quarantäne zu schicken, trägt der Arbeitgeber nach den Grundsätzen der Betriebsrisikolehre das Vergütungsrisiko.

Ausgangsfall

Ein Mitarbeiter eines Unternehmens verbrachte zusammen mit seiner Ehefrau, die in demselben Unternehmen arbeitet, in der Zeit vom 11. 03. 2020 bis zum 16. 03. 2020 Urlaubstage in einer Ferienwohnung mit Selbstverpflegung in Tirol in Österreich. Am 15. 03. 2020 forderte das Unternehmen beide auf, sich zu melden, falls sie sich in Österreich aufgehalten hätten. Das Ehepaar kam der Aufforderung nach. Am 16. 03. 2020 teilte das Unternehmen dem Ehepaar mit, es solle zwei Wochen zu Hause bleiben und sich in Quarantäne begeben, da Tirol vom RKI als Risikogebiet aufgeführt worden sei. Das Ehepaar befolgte die Aufforderung und blieb für diesen Zeitraum zu Hause. Das Unternehmen verrechnete in der Folgezeit die ausgefallene Arbeitszeit von 62 Stunden und 45 Minuten mit dem Positivsaldo auf dem Arbeitszeitkonto des Mitarbeiters.

Damit war der Mitarbeiter nicht einverstanden und erhob Klage, nachdem das Unternehmen die entsprechende Gutschrift dieser Arbeitsstunden abgelehnt hatte. Der Mitarbeiter bezog sich darauf, dass die Quarantäne von zwei Wochen nicht behördlich angeordnet, sondern allein arbeitgeberseitig verhängt worden sei. Als er und seine Ehefrau am 11.03.2020 nach Tirol gefahren seien, habe keine Einstufung des RKI als Risikogebiet vorgelegen. Lediglich für die Einreise aus anderen Ländern habe ein Einreiseverbot bestanden. Darüber hinaus hätte er sich mit seiner Ehefrau in einer Ferienwohnung mit Selbstverpflegung aufgehalten, sodass ein erhöhtes Infektionsrisiko ohnehin nicht bestanden habe.


Die Arbeitgeberin argumentierte, die Hochrisikolage bei Rückkehr aus Tirol habe keine andere Entscheidung als die Verhängung der zweiwöchigen Quarantäne gegenüber dem Ehepaar möglich gemacht. Im Übrigen seien Gefahren für Reisen nach Tirol schon Wochen vor dem 11. 03. 2020 bekannt gewesen. Deshalb habe der Mitarbeiter zumindest grob fahrlässig gehandelt. Die beim Arbeitsgericht Dortmund1 erhobene Klage des Mitarbeiters auf Gutschrift von 62 Stunden 45 Minuten auf sein Arbeitszeitkonto war erfolgreich.

Betriebsschließung lässt Lohnanspruch unberührt

Nach Auffassung des Gerichts hat ein Arbeitnehmer dann Anspruch auf die vereinbarte Vergütung, wenn die Arbeit ausfällt und der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls zu tragen hat. Das gelte auch dann, wenn der Arbeitgeber seinen Betrieb beispielsweise aus Gründen einschränke oder stilllege, die in seinem betrieblichen oder wirtschaftlichen Verantwortungsbereich lägen. Im Fall einer Quarantäneanordnung sei ein Arbeitgeber nur dann von der Verpflichtung zur Zahlung der Vergütung befreit, wenn die zuständige Gesundheitsbehörde beispielsweise eine Betriebsschließung oder die Quarantäne einzelner Arbeitnehmer anordne.

Im vorliegenden Fall habe es für den Mitarbeiter durch das zuständige Gesundheitsamt keine behördliche Anordnung der Quarantäne gegeben. Die Weisung der Arbeitgeberin, sich nach der Rückkehr aus Tirol in häusliche Quarantäne zu begeben und den Betrieb nicht aufzusuchen, sei zwar nach der Gesamtlage zum damaligen Zeitpunkt wohl ermessensfehlerfrei gewesen. Denn die Einstufung bestimmter Gebiete als Risikogebiete durch das RKI spräche dafür, dass die entsprechende Anordnung der Arbeitgeberin zumindest nicht erkennbar ermessensfehlerhaft gewesen sei. Damit sei aber nicht gesagt, dass der Mitarbeiter bei einer solchen Anordnung seitens des Arbeitgebers das Vergütungsrisiko trage. Beschließe nämlich ein Arbeitgeber aus eigenem Antrieb, seinen Betrieb zu schließen oder einen oder mehrere Arbeitnehmer zum Schutz der sonstigen Belegschaft in Quarantäne zu schicken, trage der Arbeitgeber nach den Grundsätzen der Betriebsrisikolehre das Vergütungsrisiko.

Das gelte selbst dann, wenn die Ursache – wie im Fall des Corona-Virus – nicht aus einer vom Arbeitgeber beeinflussbaren Gefahrensphäre stamme. Anders sei es nur, wenn die Quarantäne oder Betriebsschließung durch die zuständige Gesundheitsbehörde angeordnet werde. Etwas anderes könne auch gelten, wenn der Arbeitnehmer quasi sehenden Auges entgegen einer Einstufung des RKI ein Risikogebiet aufsuche, um dort Urlaub zu machen. Eine solche Konstellation habe hingegen im vorliegenden Fall nicht bestanden. Das RKI hatte Tirol zum Reisebeginn noch nicht als Risikogebiet eingestuft. In Fällen der Einstufung als Risikogebiet sei auch zu berücksichtigen, dass eine Ferienwohnung mit Selbstversorgung ein deutlich geringeres Infektionsrisiko darstelle, als beispielsweise der Aufenthalt in einem stark frequentierten Hotel.

Praxistipp:

Nach dieser Entscheidung ist also Vorsicht mit Anordnungen geboten, im Zusammenhang mit Corona den Betrieb zeitweilig nicht betreten zu dürfen. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, ein solches Verbot wirksam zu erlassen, wenn keine behördliche Anordnung vorliegt. Dann ist aber im Einzelfall zu entscheiden, ob eine Art Quarantäne mit der Folge des Wegfalls des Vergütungsanspruchs rechtlich zulässig sein kann.

 

1 Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 24.11.2020 – 5 Ca 2057/20

Besprochen in RdW 2021, Heft 10, Randnummer 189.

 

Christian Vetter

Rechtsanwalt
n/a