15.08.2011

Strom aus 100 % Erneuerbaren Energien

Interview mit Prof. Dr. Martina Klärle zu ihrem Forschungsprojekt

Strom aus 100 % Erneuerbaren Energien

Interview mit Prof. Dr. Martina Klärle zu ihrem Forschungsprojekt

„Unsere Ergebnisse zeigen: Das größte Potenzial
haben mit Abstand Solar- und Windenergie.“ | © Thaut Images - Fotolia
„Unsere Ergebnisse zeigen: Das größte Potenzial haben mit Abstand Solar- und Windenergie.“ | © Thaut Images - Fotolia

In der Juni-Ausgabe des PUBLICUS stellte Frau Prof. Dr. Martina Klärle das Forschungsprojekt ERNEUERBAR KOMM! vor. Dieses Forschungsprojekt der Fachhochschule Frankfurt am Main kommt zu dem Ergebnis, dass der gesamte Strombedarf in Deutschland komplett mit Erneuerbaren Energien gedeckt werden könnte.

Das Projekt liefert die erste automatisierte Potenzialanalyse für Erneuerbare Energien. Sie ist im Internet abrufbar. Auf Basis der Forschungsergebnisse wurde ein Online-Rechner entwickelt. Dieser zeigt den Gemeinden des Ballungsraumes Frankfurt/Rhein-Main auf, welches Potenzial an Erneuerbaren Energien jeweils in ihrem Gebiet steckt. Seit der Freischaltung des Online-Rechners am 30. 03. 2011 wurden insgesamt 4257 kommunale Einzelanalysen durchgeführt. Diese aktuelle Thema fand ein sehr positives Leserecho.
Die Redaktion des PUBLICUS greift deshalb die Thematik in einem Interview mit Prof. Dr. Klärle nochmals vertiefend auf.

PUBLICUS: Wie muss eine Neuausrichtung der Energieversorgung aussehen, welche Ziele stehen im Fokus, welche Techniken sind besonders zukunftsweisend?


Prof. Klärle: Zunächst einmal müssen Flächen für Erneuerbare Energien zur Verfügung gestellt werden, und zwar auf kommunaler Ebene, dort, wo das Potenzial am größten ist. Die Flächen müssen durch Ausweisung im Flächennutzungsplan gesichert werden. So kann die Planung auch durch das Gegenstromprinzip von unten nach oben wirken.

PUBLICUS: In Ihrem Leitfaden nehmen Sie Solarenergie, Windenergie, Bioenergie, Wasserenergie und Geoenergie in den Blick: Gibt es hier eine unterschiedliche Gewichtung, was die Bedeutung der einzelnen Energieformen angeht?

Prof. Klärle: Unsere Ergebnisse zeigen: Das größte Potenzial haben mit Abstand Solar- und Windenergie. Wobei das Windpotenzial stark standortabhängig ist und nicht flächendeckend zur Verfügung steht. Dafür ist es schnell mobilisierbar. Mit wenigen Anlagen an geeigneten Standorten kann ein enormer Ertrag erzielt werden. Das größte Solarpotenzial liegt im Bereich der Dachflächen und ist damit überall vorhanden, wo Menschen wohnen und Strom gebraucht wird. Allerdings ist es durch die extrem zersplitterten Eigentumsverhältnisse nicht so leicht mobilisierbar.

PUBLICUS: Kommunen, Landkreise und Regionen wollen die Energiewende mittragen. Welche Rolle spielen sie in diesem Prozess?

Prof. Klärle: Die Kommunen spielen eine ganz entscheidende Rolle bei der Energiewende. Sie müssen als letztes Glied in der Kette die Flächen bereitstellen, da Erneuerbare Energien – im Gegensatz zu Kohle und Atomenergie – aus der Fläche vor Ort produziert werden. Diesen Flächenansatz greift auch mein Forschungsprojekt ERNEUERBAR KOMM! auf. Dort wird exakt berechnet, wie viel Fläche nötig ist, um den Strombedarf jeder beliebigen Gemeinde durch Erneuerbare Energien zu decken.

PUBLICUS: Ihr Projekt bezieht sich auf das Rhein-Main-Gebiet – ist dies auch deutschlandweit in allen Gemeinden und mit welchem Aufwand umsetzbar? Welche Voraussetzungen müssten geschaffen werden – personell, finanziell, technisch?

Prof. Klärle: ERNEUERBAR KOMM! ist bundesweit auf jede Gemeinde und jede Gebietskörperschaft übertragbar. Die Geobasisdaten, die der Potenzialberechnung zugrunde liegen, sind flächendeckend vorhanden. Durch die intelligente Verknüpfung dieser Daten mit dem von uns entwickelten Formelapparat kommt die Methode ERNEUERBAR KOMM! ohne kostenaufwändige zusätzliche Datenerhebungen aus. Das ist ein günstiges Verfahren, welches schon erfolgreich den Sprung von der Forschung in die Praxis geschafft hat. Wir erstellen die Potenzialanalyse derzeit für den Main-Kinzig-Kreis, den Main-Tauber-Kreis, die LEADER-Region Mittlerer Schwarzwald und andere. Auch mit ganzen Bundesländern laufen Gespräche.

PUBLICUS: Wie hoch schätzen Sie das Potenzial an Erneuerbaren Energien bundesweit ein oder wie stellt man eine solche Potenzialeinschätzung an?

Prof. Klärle: Mit Hilfe von ERNEUERBAR KOMM! kann das Erneuerbare-Energien-Potenzial von kleinen Gemeinden, aber auch von Ballungsräumen wie dem Rhein-Main-Gebiet verlässlich berechnet werden. Diese Ergebnisse kann man auf das gesamte Bundesgebiet hochrechnen. Klar ist: Das Potenzial ist sehr hoch. Die entscheidende Frage dabei: Welchen Anteil des vorhandenen Potenzials möchte man mobilisieren? Wie viele Flächen will man für die Erzeugung Erneuerbarer Energien bereitstellen? Oder noch konkreter: Möchte man in einer Region oder einem Bundesland alle ermittelten Potenziale nutzen, also z. B. 500 Windkraftanlagen installieren oder doch nur 250 oder gar keine?

PUBLICUS: Sind Ihre Forschungsergebnisse auch (oder gerade) für kleinere Kommunen interessant? Können Sie Beispiele nennen?

Prof. Klärle: Insbesondere einwohnerschwache ländliche Kommunen haben in der Regel ein großes Potenzial. Sie können ihren Strombedarf problemlos durch vor Ort erzeugte Erneuerbare Energien decken und somit zukünftig als Energielieferanten für Großstädte und Ballungsräume eine Rolle spielen. Der Zusammenschluss mehrerer Gemeinden bietet immer einen Mehrwert. Besonders bei der Windkraft, welche sehr standortabhängig ist, ist interkommunales Denken unerlässlich. Derzeit erstellen wir die Potenzialanalyse ERNEUERBAR KOMM! für die kommunale Allianz „Von der Aurach bis zur Zenn”. Das sind 7 Gemeinden mit insgesamt ca. 20.000 Einwohnern.

PUBLICUS: Können sich die Kommunen bereits bestehender Systeme etc. bedienen (GIS?)? Worin besteht die Herausforderung? Wie funktioniert das konkret?

Prof. Klärle: Die Ergebnisse der Potenzialanalyse können über einen Online-Rechner abgerufen werden (http://www.erneuerbarkomm.de/). Dieses System liefert Informationen für ganze Landkreise, Regionen oder Bundesländer, und zwar auf Gemeindeebene. Es erlaubt jedem Bürgermeister, Gemeinderatsmitglied oder Bürger, sich objektiv über das Erneuerbare-Energien-Potenzial seiner Gemeinde, seines Landkreises, seiner Region zu informieren. Durch die interaktive Oberfläche des Online-Rechners kann der Nutzer unterschiedliche Szenarien selbst durchspielen.

PUBLICUS: Die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen ändern sich ständig. Hat dies nicht auch Einfluss auf eine Potenzialanalyse, wie Sie sie durchführen? Müssen solche Parameter nicht auch berücksichtigt werden?

Prof. Klärle: Die Potenzialanalyse zeigt zunächst einmal das Potenzial, das objektiv betrachtet in der Fläche steckt. Diese Information ist eine Grundlage für die Entscheidung, auf welches Pferd man setzen möchte. In einem nächsten Schritt muss entschieden werden, welche der durch die Analyse ermittelten Flächen in einem Bauleitplanverfahren ausgewiesen werden. Natürlich werden Kriterien wie Abstandsflächen für Windkraftanlagen bei der Potenzialberechnung von vornherein berücksichtigt. Ändern sich einzelne Parameter – beispielsweise durch geänderte planungsrechtliche Vorgaben – können diese Änderungen durch die GIS-technische Anwendung leicht in die Potenzialanalyse integriert werden.

PUBLICUS: Welche Rolle könnte beispielsweise das Gesetz über die geodätischen Referenzsysteme, -netze und geotopographischen Referenzdaten des Bundes (Bundesgeoreferenzdatengesetz) spielen, das von der Bundesregierung jetzt im Entwurf beschlossen wurde? (Anm. der Redaktion: Mit dem Gesetz sollen die Verfügbarkeit, der Austausch und die Kompatibilität von Geodaten optimiert werden. Durch die Neuregelung soll das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie zum zentralen Dienstleister für eine effiziente und innovative Bereitstellung von bundesweiten Basisgeoinformationen werden. Auch die Qualität der Daten soll verbessert werden).

Prof. Klärle: Eine gute und homogene Dateninfrastruktur ist extrem wichtig! Es müssen Standards definiert werden, die auch über Bundesländergrenzen hinaus Bestand haben. Auch die räumlichen Bezugssysteme für Geobasisdaten (z. B. Gauß-Krüger, UTM) müssen unbedingt vereinheitlicht werden. Für die im Rahmen von ERNEUERBAR KOMM! entwickelte automatisierte Berechnungsmethode bringt das zukünftige Bundesgeoreferenzdatengesetz durch den Wegfall von möglichen Fehlerquellen eine deutliche Qualitätsverbesserung. Zudem wird die Bearbeitungszeit durch die Homogenisierung der Daten noch kürzer.

PUBLICUS: Wer muss jetzt vor allem handeln? Schließlich müssen entsprechende Flächen ja erst ausgewiesen werden. Muss beispielsweise die Bauleitplanung geändert werden, bedarf es neuer gesetzlicher Regelungen?

Prof. Klärle: Die Einführung eines Energie-Landmanagements auf allen Ebenen – von der Raumplanung bis zur Bauleitplanung – würde die Mobilisierung der für die Energiegewinnung erforderlichen Flächen deutlich unterstützen.So wie vor Jahren die Landschafts- und Umweltplanung auf allen Ebenen eingeführt wurde, kann nun eine ganzheitliche Energieleitplanung die Belange des Klimaschutzes und der Umweltvorsorge sicherstellen. Durch das Gegenstromprinzip kann diese, wie bei anderen Fachplanungen bereits realisiert, „von unten nach oben” wirken, um den Gemeinden ein größtmögliches Steuerungsrecht einzuräumen. Auch das Interesse der Investoren muss zukünftig im Planungsprozess berücksichtigt werden. Flächen müssen so ausgewiesen werden, dass sie für potenzielle Investoren auch interessant sind.

PUBLICUS: Sie haben angefangen, sich mit diesem Thema engagiert zu beschäftigen, als es noch nicht in aller Munde war. Ihre Forschungsergebnisse konnten Sie nun zu einem Zeitpunkt präsentieren, als Ihnen die öffentliche Aufmerksamkeit sicher war. Was bedeutet Ihnen dieser Erfolg ganz persönlich?

Prof. Klärle: Für Wissenschaftler ist die Wertschätzung ihrer Arbeit immer wichtig. Diese Wertschätzung zeigt sich in der Akzeptanz ihrer Forschungsergebnisse und deren Transfer in die Praxis. Daher freut es mich außerordentlich, dass meine Forschungsergebnisse auf so viel marktrelevante Resonanz stoßen. Ein halbes Jahr nach Abschluss der Forschungsarbeit wurde ERNEUERBAR KOMM! bereits für über 200 Gemeinden durchgeführt oder beauftragt.

PUBLICUS: Frau Prof. Klärle, wir wünschen weiterhin viel Erfolg und danken Ihnen für dieses Gespräch.

 

Prof. Dr. Martina Klärle

Fachhochschule Frankfurt am Main University of Applied Sciences Fachgebiet Landmanagement
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