15.08.2011

Europa: Steueroasen im Visier

Innerstaatliches Recht im Gewande völkerrechtlicher Vereinbarungen?

Europa: Steueroasen im Visier

Innerstaatliches Recht im Gewande völkerrechtlicher Vereinbarungen?

Die rechtlichen Grundlagen zur Austrocknung von Steueroasen sind unsicher. | © Tobias Müller - Fotolia
Die rechtlichen Grundlagen zur Austrocknung von Steueroasen sind unsicher. | © Tobias Müller - Fotolia

„Hard Cases make bad Law”: Das Bundesgesetzblatt 2010 Teil II Heft 15 enthält eine Reihe von Abkommenstexten mit dem erklärten Ziel der weiteren Steueroasen-Austrocknung im Sinne der EU-Zinsrichtlinie 2003/48/EU des Rates (AB l. 2003 L 157 S. 38), deren Erwägungsgrund (24) ausdrücklich von „Kapitalflucht” in gewisse Länder spricht. Diese Abkommen werden gemäß einer eigenartig unklaren Präambel „nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts vorläufig angewendet”.

Inseln als Oasen

Am Beispiel der Britischen Jungferninseln werden die vielschichtigen Abhängigkeiten der betroffenen Rechtsvorschriften dargestellt. Außerdem soll versucht werden, die konkrete Tragweite der Bekanntmachung im BGBl. II und der Ermächtigungsgrundlage in § 45e EStG abzuschätzen. Diese Inseln scheinen nicht nur rechtlich interessant, sondern auch von wirtschaftlicher Bedeutung zu sein. Bei Wikipedia war im Sommer 2010 über die Britischen Jungferninseln zu lesen: „Seit Mitte der 1980er Jahre bietet die Regierung Firmen die Möglichkeit, auf den Inseln mit einer Briefkastenfirma ansässig zu sein. Die Gebühren für die Gründung solcher Firmen machen mehr als 50 % des Staatseinkommens aus. Ca. 400.000 Briefkastenfirmen waren Ende 2000 auf den Inseln registriert.” (http://de.wikipedia.org/wiki/%20Britische_Jungferninseln). 400.000 Briefkastenfirmen, das spricht für Geschäftsmodelle mit Fonds und Holdings und für die Versuchung, Kapitalerträge zu verheimlichen.

Regelungsziel der Abkommen

Ein Ausgangspunkt ist das europapolitische Ziel, den freien Kapitalverkehr (Art. 63 AEUV) durch Herstellung harmonisierter Steuersysteme zu stärken. Wenn ein Staat keine Steuern auf Kapitalerträge erhebt, keine Auskünfte erteilt oder Anonymität durch Nummernkonten und Briefkastenfirmen verkauft, lockt er mehr Kapital ins Land als andere. EU und OECD arbeiteten deshalb im gemeinsamen Interesse ein System aus, das stark verkürzt besagt: Bei grenzüberschreitenden Zahlungen von Kapitalerträgen findet entweder eine Mitteilung an den Heimatstaat des Empfängers statt oder es wird eine pauschale Quellensteuer erhoben und teilweise an den Heimatstaat abgeführt. Diesen Minimalinhalt hat sowohl das OECD-Musterabkommen, an dem sich die in BGBl. II 2010 Heft 15 wiedergegebenen Regierungsabkommen orientieren, als auch die EU-Zinsrichtlinie 2003/48/EG des Rates vom 03. 06. 2003 (AB l. L 157 S. 38). Diese Richtlinie wurde durch die Zinsinformationsverordnung (ZIV) vom 26. 01. 2004 (BGBl. I S. 128) umgesetzt, die sich ebenfalls textlich eng an die Richtlinie anlehnt. Die ZIV nennt als Ermächtigungsgrundlage § 45e EStG, welcher die Bundesregierung ermächtigt, die EU-Zinsrichtlinie „in ihrer jeweiligen Fassung im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen umzusetzen.” Hierin liegt eine erste potenzielle Rechtsunsicherheit. Denn man kann bei einer so weit gefassten dynamischen Verweisung in eine andere Rechtsordnung nicht objektiv vorhersehen, mit welchen Inhalten die EU künftig die genannte Richtline noch ergänzen wird. Eine Verordnungsermächtigung hat aber Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung parlamentarisch vorzugeben, um Artikel 80 GG zu genu¨gen.


Die EU-Richtlinie

Sie konnte aufgrund der schwierigen Verhandlungen mit den „Steueroasen” anstatt am 01.01. erst am 01. 07. 2005 per Ratsbeschluss vom 19. 07. 2004 in Kraft treten (AB l. 2004 L 257 S. 7), denn insbesondere das Vereinigte Königreich sah sich „einigen demütigenden Schwierigkeiten im Zusammenhang mit bestimmten angegliederten Gebieten, insbesondere mit Jersey und anderen Kanalinseln, ausgesetzt” (Studie der Generaldirektion Wissenschaft im Auftrag des Europäischen Parlaments, ECON 131 DE, S. 74).

Entsprechend trat denn auch die ZIV erst am 01. 07. 2005 in Kraft (BGBl. I 2005 S. 1695) und erhielt gleichzeitig ihren § 16a, der die Auskunftspflichten und Datenhaltungserlaubnisse auf den Kapitalverkehr mit den ex-Steueroasen für entsprechend anwendbar erklärt.

Dieser § 16a erklärt nun z. B. in Abs. 4 Nr. 10 auf den Britischen Jungferninseln den dortigen Finanzminister zur „Zuständigen Behörde im Sinne dieser Verordnung”. Hierin könnte ein weiteres Problem liegen. Wie kommt ein ausländischer Minister dazu, für die Zwecke einer deutschen Verordnung als zuständige Behörde benannt zu werden?

Aus Artikel 5 der EU-Richtlinie könnte für einen Minister aus einem Mitgliedstaat der EU eine Bindung abgeleitet werden. Die Britischen Jungferninseln gehören aber nicht zur EU.

Das Abkommen

An dieser Stelle kommen wir zurück auf die Veröffentlichung des bilateralen Vertrags zwischen der deutschen Regierung und der Regierung dieser Inseln im BGBl. II. Denn das Abkommen enthält sowohl Regeln über die zuständigen Behörden als auch über die Erhebung und Weitergabe von Daten und auch ersatzweise von Quellensteuern. Es hat aber einen Schönheitsfehler: Es ist bisher nicht in Kraft getreten. Das Bundesministerium der Finanzen teilt mit, dass der Zeitpunkt des Inkrafttretens bekannt gemacht wird, sobald die Voraussetzungen erfüllt sind. Der Vertragstext wird auch nicht von einem Ratifikationsgesetz eingeleitet, wie es meist im BGBl. II der Fall ist. Er wird lediglich „bekannt gemacht.” Und dennoch wird er laut ministerieller Präambel „nach seinem Artikel 16 nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts vorläufig angewendet.” (BGBl. II 2010 S. 507) — Diese angebliche vorläufige Anwendung ist unklar, denn Artikel 16 sagt nichts u¨ber eine vorläufige Anwendung ohne Ratifikation aus. Er regelt das – noch nicht erfolgte – Inkrafttreten und macht die Geltung überdies vom Gegenseitigkeitserfordernis des Artikels 17 der EU-Zinsrichtlinie abhängig. Offen bleibt auch, ob beide Parteien nach ihrem jeweiligen innerstaatlichen Recht den Text vorläufig anwenden oder z. B. nur Deutschland. Hinsichtlich der Anwendung in der Karibik sagt nämlich Erwägungsgrund 2: „Die Britischen Jungferninseln sind weder Mitglied der Europäischen Union noch Bestandteil des Steuergebiets der Europäischen Union, jedoch hat die Regierung des Vereinigten Königreichs die Regierung der Britischen Jungferninseln gebeten, freiwillig die Bestimmungen der Richtlinie anzuwenden.” Ob der Bitte entsprochen wird, steht nicht im Text.

Unklar ist weiterhin, ob in Deutschland das maßgebende innerstaatliche Recht nun wieder § 16a ZIV ist oder noch etwas anderes. „Als innerstaatliches Recht” kann der Abkommenstext jedenfalls nicht angewendet werden, mangels Parlamentsgesetz zur Umsetzung. Verordnungsrang kann er auch nicht haben, mangels Ermächtigungsgrundlage. Zudem würde seine Anwendung in welcher Form auch immer vorab gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen, denn am 22. 06. 2010 wurde erstmals amtlich bekannt gemacht, dass der Text angeblich seit 01. 07. 2005 „vorläufig angewendet” werde. Für eine innerstaatliche Rechtswirkung des bekanntgemachten Abkommens spricht derzeit verfassungsrechtlich wenig.

Fazit

Deutsche Datenerhebungen über Kapitalverkehr mit den Britischen Jungferninseln, die sich auf eine andere Rechtsgrundlage als § 16a ZIV stützen, sind wahrscheinlich rechtswidrig. Für die ZIV selbst gilt der erwähnte Vorbehalt der gültigen Ermächtigungsgrundlage. Soweit die Betrachtungen am Beispiel Virgin Islands.

Rechtlich weniger interessant aus dem Kreis der ex-Steueroasen sind Anguilla und die Turks- und Caicosinseln, weil diese, wie § 16a Abs. 2 der ZIV zu entnehmen ist, derzeit gar keine direkten Steuern erheben. Nicht mehr als Beispiel geeignet sind die Niederländischen Antillen, weil diese seit Oktober 2010 aufgelöst und Teil der Niederlande wurden. Und Anguilla hat inzwischen einen per Gesetz umgesetzten „richtigen” Vertrag abgeschlossen (BGBl. II 2010, S. 1381). Vergleichbar kompliziert wie dargestellt ist die Vertragslage mit Aruba, Montserrat und den Cayman Islands, den Kanalinseln und der Isle of Man (Alle Texte im BGBl. II Nr. 15 des Jahrgangs 2010).

Nach alledem scheint die Umsetzung der „Oasenaustrocknungsrichtlinie” 2003/48 noch immer nicht wirklich wirksam gelungen zu sein. Ob allerdings ein Betroffener wirklich mit einem Prozess die Rechtmäßigkeit in Frage stellen wird und dadurch seine Anonymität aufgibt, ist auch fraglich.

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart
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