15.08.2011

Der Erschließungsvertrag … er lebt noch!

Bewährtes Instrument zur Realisierung städtebaulicher Maßnahmen

Der Erschließungsvertrag … er lebt noch!

Bewährtes Instrument zur Realisierung städtebaulicher Maßnahmen

Damit das Warten nicht zu lange dauert: Erschließungsverträge helfen die Erschließung sichern. | © af photo - Fotolia
Damit das Warten nicht zu lange dauert: Erschließungsverträge helfen die Erschließung sichern. | © af photo - Fotolia

Das BVerwG hatte in seiner Entscheidung vom 01. 12. 2010 die Frage zu entscheiden, ob eine kommunale Eigengesellschaft Dritter im Sinne des § 124 BauGB sein kann und unter welchen Voraussetzungen eine Übertragung der Erschließung vorliegt. Als Vorfrage klärte das BVerwG, welche Folgen ein unwirksamer Vertrag zeitigt. Wichtige Fragen bleiben allerdings unbeantwortet (siehe dazu umfassend Birk, in: VBlBW 2011,Heft 9).

Ausgangssituation

Im entschiedenen Fall wurde der Erschließungsvertrag nach § 124 BauGB (EV) mit einem grundstückslosen Dienstleister (im Folgenden: Erschließungsträger), einer (juristischen) Person des Privatrechts, die kein Eigentum im Gebiet besitzt, als Drittem i. S. d. § 124 Abs. 1 Satz 1 BauGB abgeschlossen dessen Aufgabe ist ausschließlich die Herstellung der im EV vereinbarten Erschließungsanlagen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Er trägt der Gemeinde gegenüber die Herstellungskosten (weitere Modelle des EV siehe VBlBW 2011, Heft 9).

Der Erschließungsträger refinanziert sich durch Kostenerstattungsverträge (im Folgenden: KEV), die er mit allen durch die Erschließung begünstigten Grundstückseigentümern, also, im Verhältnis zu ihm, „fremden” juristischen oder natürlichen Personen abschließt.


Der entschiedene Fall zeichnet sich – neben der Tatsache, dass der Erschließungsträger eine kommunale Eigengesellschaft ist – durch folgende Besonderheiten aus:

  • Die Stadt war Eigentümer nahezu aller Grundstücke.
  • Die Stadt hat den EV mit dem Erschließungsträger und gleichzeitig als Grundstückseigentümerin den KEV mit diesem abgeschlossen.
  • In den Kaufverträgen hat die Stadt mit den Grundstückskäufern die Schuldübernahme hinsichtlich der Kostenerstattung vereinbart mit der Folge, dass die Käufer eine direkte Zahlungsverpflichtung aus dem KEV gegenüber dem Erschießungsträger eingingen.
  • Andere Grundstückseigentümer haben ebenfalls den KEV der Stadt mit dem Erschließungsträger durch Vertrag übernommen.

Rechtsbeziehungen

Der EV wird vom BVerwG, allgemeiner Ansicht folgend, als öffentlich-rechtlicher Vertrag eingeordnet. Er ist neben dem § 124 BauGB den Vorschriften der §§ 53 ff LVwVfG und über § 63 Satz 2 LVwVfG ergänzend jenen des BGB unterworfen. Mit dem BVerwG ist davon auszugehen, dass die Rechtsbeziehungen zwischen dem Erschließungsträger und den Grundstückseigentümern zivilrechtlicher Natur sind, soweit er eine Kostenerstattung für die zwischen Erschließungsträger und der Gemeinde festgelegte Erschließung vereinbart hat. Der entschiedene Rechtsstreit betraf dieses Rechtsverhältnis zwischen Erschließungsträger und Grundstückseigentümer er hätte richtigerweise von einem Zivilgericht entschieden werden müssen (OLG Stuttgart [B. v. 20. 04. 2011] 7 W 15/11 n.v.). Durch die (unrichtige) Rechtswegverweisung blieb der Rechtsstreit in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, § 17 a Abs. 5 GVG.

Die Rechtsbeziehung zwischen Erschließungsträger und dem einzelnen Grundstückseigentümer im Rahmen des KEV ist einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Es handelt sich um keinen Werkvertrag, der Grundstückseigentümer hat keinen Anspruch auf die Herstellung der konkreten Erschließungsanlagen, auch keine Gewährleistungsansprüche, wenn diese mangelhaft ausgeführt sind. Der Erschließungsträger baut jedoch Erschließungsanlagen im Umfang des Erschließungsvertrags, die zum öffentlich-rechtlichen Erschlossensein des Grundstücks des Grundstückseigentümers im baurechtlichen Sinne der §§ 30 – 35 BauGB (Sicherung der Erschließung) erforderlich sind und damit kausal zur Bebaubarkeit dadurch führen, dass diese Anlagen nach Fertigstellung an die Gemeinde übergeben und von dieser zu öffentlichen Anlagen „gemacht” (Widmung bei Straßen usw.) werden. Gegenleistung für die vereinbarte Kostenerstattung ist somit die Bereitstellung der zum baurechtlichen Erschlossensein erforderlichen öffentlichen Anlagen durch die Gemeinde. Durch die Bauverpflichtung und Kostentragung des Erschließungsträgers entstehen der Gemeinde keine Kosten mit der Folge, dass diese für die erstmalige Herstellung der Straße keine Beiträge nach §§ 127 ff. BauGB erheben kann. Auch insoweit besteht die Gegenleistung zur vereinbarten Zahlungspflicht in der Schaffung eines für den Grundstückseigentümer vorteilhaften Rechtszustandes, nämlich der Freistellung von der Zahlung von Erschließungsbeiträgen. Damit präsentiert sich der KEV zwischen dem grundstückslosen Erschließungsträger und dem Grundstückseigentümer als ein dem entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag des § 675 BGB angenäherter Vertrag.

Akzessorietät zwischen Erschließungsvertrag und Kostenerstattungsvertrag

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt zu dem Ergebnis, dass eine Nichtigkeit des Erschließungsvertrags auch zur Nichtigkeit des KEV führt. Beide Vertragsbeziehungen stehen in einem (vom Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich in Anführungsstriche gesetzten) „Akzessorietätsverhältnis” zueinander (der Verfasser spricht schon in Städtebauliche Verträge, 4. Aufl. 2002, Rn. 194 von einer „Quasi-Akzessorietät”!). Die Nichtigkeit dieser beiden Rechtsbeziehungen führt zur Rückabwicklung, wenn eine vollständige Vertragserfüllung noch nicht erfolgt ist. So lag es in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall. Nicht entschieden ist der Fall eines Anspruchs auf Rückabwicklung, wenn der EV voll erfüllt und die KEV vollzogen sind (siehe dazu VBlBW 2011, Heft 9).

Dritter i.S. des § 124 Abs. 1 Satz 1 BauGB

Zentraler Streit in den Vorinstanzen des vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Falls war die Frage, ob eine GmbH Dritter i. S. d. § 124 Abs. 1 Satz 1 BauGB sein kann, wenn deren Gesellschaftsanteile zu 100 % im Eigentum der Gemeinde stehen (kommunale Eigengesellschaft), mit der der Erschließungsvertrag abgeschlossen wird. Dies ist nach Ansicht des Gerichts unzulässig und führt zur Unwirksamkeit des Vertrags. Zur Begründung stützt sich das Gericht unter verschiedenen Gesichtspunkten auf die Annahme, eine kommunale Eigengesellschaft werde, anders als ein sonstiger Dritter, eher eine Erschließung mit der Folge durchführen, dass damit die letztlich im Beitragsrecht begründete Schutzfunktion nicht mehr gewahrt ist (im Einzelnen und mit Gegenargumenten VBlBW 2011, Heft 9). Dies wird deutlich, wenn das BVerwG auf den „nicht auflösbaren Konflikt mit den Vorschriften des Erschließungsbeitragsrechtes” abhebt, „dem nach Sinn und Zweck des Gesetzes eine Schutzfunktion” zukomme. Diese Schutzfunktion beinhalte insbesondere die Übernahme des 10 %-igen Gemeindeanteils. Auf diesen Schutz könne im Erschließungsvertrag verzichtet werden, weil die Bereitschaft eines Investors zur „Übernahme der Erschließung regelmäßig nur dann bestehen wird, wenn die Nachfrage nach Baugrundstücken in der Gemeinde so hoch ist, dass die Erschließung eine über den beitragsrechtlichen Erschließungsvorteil hinausgehende allgemeine Wertsteigerung der Grundstücke im Erschließungsgebiet erwarten lässt, die der Investor als Gewinn seines Einsatzes ganz oder teilweise abschöpfen kann”. Die Argumentation ist nicht überzeugend. Zum einen übersieht es die Schutzfunktion eines KEV. Ohne Nachfrage nach erschlossenen Grundstücken – sei es, um selbst zu bauen, sei es, um Grundstücke zu verkaufen – wird kein Grundstückseigentümer einen KEV abschließen.

Trotz allem: Es ist richtig, eine kommunale Eigengesellschaft kann kein Dritter i. S. d. § 124 Abs. 1 Satz 1 BauGB sein. Der grundstückslose Erschließungsträger ist als reiner Dienstleister in einer Doppelfunktion tätig: Er ist Vertragspartner sowohl der Gemeinde wie auch der Grundstückseigentümer und er übernimmt beiden gegenüber Pflichten, die sich unterscheiden, gleichzeitig aber den identischen Gegenstand Erschließung betreffen. Diese Doppelfunktion präsentiert sich in der Wahrnehmung unterschiedlicher Interessen, nämlich jener der Gemeinde (Herstellung und Übertragung der Erschließung ohne Kostenerstattung) und der Grundstückseigentümer (Schaffung des Erschlossenseins und der Beitragsfreiheit mit Kostenerstattung). Daraus leitet sich die Forderung der Neutralität des Erschließungsträgers ab, weil er nur dann die dargestellten beidseitigen, z. T. unterschiedlichen Interessen unvoreingenommen wahrnehmen kann. Diese Neutralität ist aber in Frage gestellt, wenn der Erschließungsträger aufgrund seiner „rechtlichen Konstruktion”, nämlich der Haltung sämtlicher Gesellschaftsanteile durch die Gemeinde, ihren Weisungen unterworfen werden kann. Dritter kann, so lautet der hier verfolgte Ansatz, nicht sein, wer gleichgewichtig die Interessen der Gemeinde und der Grundstückseigentümer zu berücksichtigen und gegeneinander auszugleichen hat, aber aufgrund sonstiger Rechtsbeziehungen (hier: 100 % der Gesellschaftsanteile bei der Gemeinde) einer Seite zuzurechnen ist. Dieser Überlegung liegt der allgemeine Grundsatz zugrunde, der in den §§ 20 und 21 VwVfG seine Ausprägung findet, wonach aus dem Rechtsstaatsprinzip unparteiisches und faires Verwaltungshandeln abzuleiten ist dabei soll schon der Anschein der Befangenheit vermieden werden (Heßhaus, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG-Beck-OK, § 21 Vorbem. Kämmerer, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG-Beck-OK).

Fehlerhafte Übertragung der Erschließung

Das BVerwG hält den zur Überprüfung anstehenden Erschließungsvertrag aus einem weiteren Grund für nichtig. Es fehle an einer ordnungsgemäßen und ausreichenden Übertragung der Erschließung von der Gemeinde auf den Erschließungsträger. Zusammenfassend wird festgestellt: „In der Gesamtschau … hat die Beigeladene [hier: Gemeinde] sich hinsichtlich Planung, Ausschreibung und Vergabe der Erschließungsmaßnahmen das Recht zur Selbstvornahme vorbehalten und damit den vollen Durchgriff auf alle wesentlichen Aufgaben, deren Durchführung typischerweise dem Erschließungsunternehmer überlassen ist. Der Beklagten [Erschließungsträger] bleiben hiernach kaum eigenständige Befugnisse. Insoweit ist kein Unterschied zu dem Fall zu erkennen, dass die Beigeladene die Erschließung in Eigenregie (gegebenenfalls durch den eigenen Bauhof, gegebenenfalls durch Fremdfirmen) durchführt. Den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts ist zuzustimmen, zur Vermeidung von Missverständnissen sind jedoch einige Klarstellungen erforderlich:

Ziel eines jeden Erschließungsvertrags ist die Herstellung von Erschließungsanlagen, die nach ihrer Fertigstellung auf die Gemeinde übertragen und durch sie zu öffentlichen Einrichtungen werden. Daraus folgt die Berechtigung (und Pflicht) der Gemeinde, im Erschließungsvertrag sicherzustellen, Erschließungsanlagen übertragen zu erhalten, die technisch die Voraussetzungen öffentlicher Einrichtungen erfüllen. Dazu sind Prüfungs- und Zustimmungsrechte im Bereich Planung, Ausschreibung, Leistungsverzeichnisse und Vergabe vorzusehen darin unterscheidet sich der Erschließungsvertrag nicht vom Werkvertrag! Die Grundsätze der Regimeentscheidung sind auch nicht verletzt, soweit sich die Gemeinde die Ersatzvornahme für den Fall vorbehält, dass der Erschließungsträger die vereinbarten Erschließungsmaßnahmen nicht vollständig erstellt oder Mängel nicht beseitigt. Danach liegt ein unzulässiger Regimewechsel innerhalb eines Erschließungsvertrags (nur) dann vor, wenn sich die Gemeinde voraussetzungslos ein Eintritts- bzw. Übernahmerecht der auszuführenden Erschließungsmaßnahmen vorbehält. Dann fehlt es in der Tat an der für den Erschließungsvertrag notwendigen „Übertragung” der Ausführung der Erschließung.

Auf eine in der Praxis immer wieder auftauchende Situation ist hinzuweisen: Die Gemeinde (in der Regel der gemeindliche Bauhof) hat z. B. die üblichen Straßenbeleuchtungskörper oder die Randsteine und Straßeneinfassungen in großem Umfang bestellt und vorrätig. Es bestehen keine Bedenken, wenn diese Gegenstände vom Erschließungsträger bei der Gemeinde gekauft und eingebaut werden. Damit wird auch dann nicht gegen die Regimeeentscheidung verstoßen, wenn sich der Erschließungsträger im Erschließungsvertrag verpflichtet, diese Einkäufe zu tätigen.

Zusammenfassung

Der Erschließungsvertrag bleibt auch ohne die kommunale Eigengesellschaft ein gutes Instrument zur Realisierung städtebaulicher Maßnahmen. Klare vertragliche Regelungen, insbesondere bei der Aufgabenübertragung, sind sinnvoll.

Hinweis der Redaktion: Weitere Ausführungen zum Thema enthält der Beitrag des Autors „Der Erschließungsvertrag gemäß § 124 BauGB nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 01. 12. 2010 – 9 C 8.09” in den Verwaltungsblättern für Baden-Württemberg (VBlBW), Heft 9, Seite 329 (Erscheinungstermin 01. 09. 2011).

 

Prof. Dr. Hans-Jörg Birk

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Stuttgart/Dresden, Sozius der Kanzlei ewb Eisenmann Wahle Birk
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