15.08.2011

Wo beginnt und wo endet der Schulweg?

Die Messpunkte nach dem Bayerischen Schulwegkostenfreiheitsgesetz

Wo beginnt und wo endet der Schulweg?

Die Messpunkte nach dem Bayerischen Schulwegkostenfreiheitsgesetz

Erst ab einer bestimmten Schulweglänge können Fahrkosten übernommen werden. | © elvira gerecht - Fotolia
Erst ab einer bestimmten Schulweglänge können Fahrkosten übernommen werden. | © elvira gerecht - Fotolia

Dem unbefangenen Betrachter dürfte sich zunächst kaum erschließen, weshalb die Frage Konfliktpotenzial besitzen könnte, auf welche Weise nach dem bayerischen Schulbeförderungsrecht der Schulweg zu messen ist. Diese Messung ist notwendig, da es gem. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG eines Schulwegs von mehr als drei Kilometern bedarf, um in den Genuss der Schulwegkostenfreiheit nach Art. 3 SchKfrG zu kommen. Ob diese Grenze im Einzelfall überschritten ist, war und ist Anlass vieler Streitigkeiten, die von den lokalen Medien nur allzu gerne aufgegriffen werden. Die Verwaltung steht vor einem gewissen Dilemma, will sie die entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften auslegen. Zwar empfiehlt das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus eine gut zu handhabende Lösung, doch steht diese nicht im Einklang mit der Rechtsprechung.

Messung von Wohngrundstücks- zu Schulgrundstücksgrenze?

Das Staatsministerium geht „seit jeher” davon aus, dass x „die Länge des Schulwegs von dem Punkt aus zu messen [sei], an dem der Schüler aus dem Wohnhaus kommend auf die Straße tritt bis zu dem Punkt, an dem er das Schulgrundstück betritt” (so wiedergegeben in einem Schreiben der Regierung von Niederbayern vom 28. 04. 2011 auf eine Anfrage der Stadt Passau). Nach Ansicht des Ministeriums könne der Weg auf dem Schulgrundstück hinzugerechnet werden, und zwar „zwischen Grundstückseingang und nächstgelegenem Schuleingang”, sofern noch „ein beträchtlicher Weg zurückzulegen” sei. Kategorisch wird es indes abgelehnt, den Weg auf dem Grundstück des Schülers hinzuzurechnen, da hierfür „keine Rechtsgrundlage besteht”. Konkrete „haustürgenaue” Messungen führten zu einer „absurden Mehrung des Verwaltungsaufwands” und nebenbei auch „zu erheblichen Mehrkosten”.

Eine solche Auslegung lässt sich sicherlich mit dem – offenen – Wortlaut des Gesetzes vereinbaren. Sie dürfte auch ohne weiteres dem Sinn und Zweck des Gesetzes entsprechen. Schließlich bringt eine solche Pauschalierung eine ganz erhebliche Verwaltungsvereinfachung mit sich, ohne die Schulwegkostenfreiheit übermäßig zu beschneiden. Schließlich ist die Festlegung einer Grenze von 3 km nicht etwa an wissenschaftlichen Erkenntnissen zur maximalen Schulweglänge ausgerichtet. Vielmehr musste der Gesetzgeber eine dezisionistische Entscheidung treffen, bei der zweifelsohne die Grenze genauso gut auch auf 4 km hätte festgelegt werden können. Dann aber ist eine Auslegung hinzunehmen, wonach aus verwaltungspraktischen Gründen von Grundstücks- zu Grundstücksgrenze zu messen ist. Dies gilt umso mehr, als der Bayerische VGH erst jüngst bekräftigte, dass aus den Grundrechten kein Anspruch auf Schulwegkostenfreiheit abzuleiten ist (NVwZ-RR 2011, 320, Juris, Rn. 12).


Ob es sinnvoll ist, den Weg zwischen Schulgrundstücksgrenze und Eingang zum Schulgebäude in Ausnahmefällen dann doch noch hinzuzurechnen, mag man bezweifeln. So wird nämlich das heikle Thema von schwer begründbaren Einzelfallentscheidungen abhängig gemacht, die kaum zu einer Befriedung verhelfen (was ist schon ein „beträchtlicher Weg”?). Allerdings bedarf es solch einer Ausnahme allein deshalb, um sich nicht mit der Rechtsprechung des Bayerischen VGH in direkten Widerspruch zu setzen. Dieser behandelte schließlich mit Urteil vom 17. 02. 2009 detailliert die Berechnung des Wegs auf dem Schulgrundstück (DÖV 2009, 504, Juris). Zumindest irgendeine Ausnahmekonstellation muss es danach geben, um im Einklang mit der Rechtsprechung zu bleiben. Es wird aber im Folgenden zu zeigen sein, dass auch diese Aufweichung nicht ausreicht, um einen Bruch mit der Rechtsprechung zu vermeiden.

Der Weg auf dem Schulgrundstück

Dies zeigt sich schon an den Ausführungen des VGH dazu, in welcher Weise der Weg auf dem Schulgrundstück zu berücksichtigen sei. Mit Blick auf diese Modalitäten hält der VGH in seinem Urteil fest, dass die beklagte Kommune „zu Recht auf den Haupteingang der Schule und nicht auf ein Nebengebäude abgestellt” habe (ebd. Rn. 18). Es sei regelmäßig nicht notwendig, auf den konkreten Schulraum oder wechselnde Gebäudeteile abzustellen. Dies wäre nicht mehr „mit tragbaren Verwaltungsaufwand umsetzbar”.

Damit äußert sich das Gericht ausführlich zum Wie der Berücksichtigung des Wegs auf dem Schulgrundstück. Das aber setzt ein grundsätzliches Bejahen zur Frage des Ob voraus. Es gibt auch keinerlei Hinweise auf Besonderheiten des Sachverhalts (lange Wegstrecke auf dem Schulgelände o.Ä.). Hätte der VGH schon Zweifel daran, ob man überhaupt auf den Gebäudeeingang statt auf den Zugang zum Schulgrundstück abstellen müsste, dann hätte er sich schlechterdings nicht auf eine Diskussion dazu eingelassen, ob man ggf. gar auf den konkreten Schulraum im Gebäude (!) abstellen müsse.

Es ist also nach allem ernst zu nehmen, wenn der VGH explizit vom Haupteingang spricht (so auch VG Augsburg, Urt. v. 22. 09. 2009, Az. Au 3 K 09.614 – das VG legt nur dar, dass ein Nebeneingang heranzuziehen sei, sofern dieser näher liege, weil es sinnwidrig sei, durch Bezug auf den Haupteingang den Weg künstlich zu verlängern, – indes zu Unrecht: Dass eine pauschalierende Betrachtungsweise zu Nachteilen führen kann, ist bekannt wenn man sich nun mit dem VGH zu solcher Pauschalierung bekennt, wäre es gleichheitswidrig, diese „nur” abzulehnen, weil im Einzelfall der Betroffene bevorteilt wird).

Ferner kann man sich nicht – wie das Kultusministerium – auf die Rechtsprechung des OVG Münster berufen: In Nordrhein-Westfalen ist der Schulweg per Gesetz so definiert, dass er (beginnend „an der Haustür des Wohngebäudes”) am „nächstliegenden Eingang des Schulgrundstücks” endet (§ 7 I 3 Schülerfahrkostenverordnung NRW das Ministerium beruft sich gleichwohl auf „das Urteil des OVG Münster v. 21. 11. 1978” vgl. auch VG Augsburg ebd. Rn. 27).

Wo beginnt die Messung des Schulwegs?

Das Zwischenergebnis, den Weg auf dem Schulgrundstück immer berücksichtigen zu müssen, ist von entscheidender Bedeutung auch für die Frage, wo die Messung des Schulwegs zu beginnen hat. Im Gesetz lässt sich schließlich nichts dafür finden, weshalb man den Ausgangspunkt anders behandeln sollte als den Endpunkt. Wer also mit der Rechtsprechung auf einen Eingang zum Schulgebäude abstellen muss, der wird schwerlich beim Ausgangspunkt des Wegs auf die Grundstücksgrenze statt auf die Haustür abstellen können.

Als Argument könnte man zwar daran denken, dass im Bereich des eigenen Grundstücks keine „Gefahrenlage” gegeben wäre (unabhängig davon, dass die bloße Weglänge zunächst einmal mit Gefahren nichts zu tun hat das ist vielmehr Regelungsgegenstand des Art. 2 I 2 SchKfrG). Man wird indes kaum unterstellen können, dass vergleichbar zum öffentlichen Verkehrsraum ebenso noch auf dem Schulgelände eine solche Gefahrenlage vorliegt. Das Schulgelände sollte vielmehr genauso sicher sein wie das eigene Grundstück und rechtfertigt aus diesem Grund jedenfalls keine Sonderbehandlung.

Dann könnte man zwar vortragen, dass von den Erziehungsberechtigten verlangt werden könnte, ihre Kinder bis zur Grundstücksgrenze zu begleiten. Auch könnte man auf die praktischen Schwierigkeiten der Verwaltung verweisen, den Weg von der Haustür bis zur Grundstücksgrenze zu bestimmen. Diese beiden zuletzt genannten Gesichtspunkte sind aber als solche nicht einfach der Anspruchsgrundlage zuzuordnen (vgl. VG Regensburg, Urt. v. 27. 05. 1998, Az. RO 1 K 97.2468, n.v., S. 6). Mit dem VG Augsburg könnte stattdessen argumentiert werden, es sei maßgeblicher Gesetzeszweck, dass „3 km das Maximum dessen darstellt, was Schülern bis zur Jahrgangsstufe 10 zuzumuten ist. […] Für den jeweiligen Schüler spielt es nun keine Rolle, ob er eine Wegstrecke außerhalb oder innerhalb des Schulgeländes zurückzulegen hat. Seine Belastung ist dieselbe” (ebd. Rn. 26).

Wäre dies als maßgeblicher Gesetzeszweck festzuhalten, könnte die eben dargelegte Argumentation nicht durchgreifen. Die Strecke auf dem eigenen Grundstück wird der Schüler schließlich rein faktisch auch zurücklegen, unabhängig davon, ob die Abmessung dieses Wegs Mühe macht. Auch wird ein Eigenbeitrag der Erziehungsberechtigten nicht ohne weiteres verlangt werden können, weil von einer solch generellen Einschränkung in der Anspruchsgrundlage nichts zu lesen ist. Dass eine Messung von der Haustür in anderen Bundesländern explizit vorgeschrieben ist, verdeutlicht zudem, dass mit dieser Auslegung nichts per se Unmögliches verlangt würde (siehe eben das Zitat von § 7 I 3 Schülerfahrkostenverordnung NRW).

Das Urteil des Bayerischen VGH

Sodann ergibt sich bei genauer Lektüre neuerer Entscheidungen, dass die Gerichte mit einer Messung vom Anfangspunkt „Haustür” einverstanden waren. So akzeptiert etwa das VG Augsburg eine Messung beginnend vom Wohnhaus, nicht aber von der Grundstücksgrenze (vgl. ebd., Rn. 24, 31). Letztlich gilt Gleiches für die Leitentscheidung des VGH. Zum Tatbestand führt das Gericht aus (Rn. 5): „Die […] ordnungsgemäß ermittelte Schulweglänge betrage maximal 2.994 m unter Einbeziehung des Wegs über das benachbarte Privatgrundstück zum Wohnhaus der Klägerin”. In den Entscheidungsgründen wird diese Berechnung als „korrekt” bezeichnet: Es sei „die kürzeste zumutbare Wegstrecke zwischen der Wohnung der Schülerin oder des Schülers und der Schule zugrundezulegen” (Rn. 17). Sodann ist die Rede von der „Distanz zwischen dem väterlichen Wohnhaus der Klägerin und der Schule”. Ausdrücklich wird vom Messergebnis gesprochen, „in das […] der Privatweg über das Nachbargrundstück zum Wohnhaus der Klägerin” einbezogen wurde (Rn. 19).

Danach scheint auch der VGH die Messung vom Wohnhaus statt von der Grundstücksgrenze aus zu akzeptieren (vgl. ferner Dirnaicher, SchVw BY 2009, 84 (86), der zusammenfassend von „der korrekten Ermittlung der Schulweglänge‚ von der Wohnungstür bis zum Haupteingang der Schule” spricht).

Ausblick

Das nun zu ziehende Fazit ist durchaus bedauerlich. Die Leitlinie des Kultusministeriums, wie der Schulweg zu bemessen ist, erscheint grundsätzlich als angemessen. Kommt es indes zu Prozessen, müsste nach jetzigem Stand der Rechtsprechung die Verwaltung unterliegen, folgt sie hier dem Ministerium. Zu hoffen bleibt, dass sich die Rechtsprechung ändert und zu einer praxisfreundlicheren Auslegung des Schulwegs gelangt. Noch sinnvoller wäre es wohl, würde der Gesetzgeber hier Klarheit schaffen. Eine kurze Definition sollte genügen, diese bisherige Diskussion zur Schulwegfrage zur Makulatur werden zu lassen.

Folgt die Verwaltung der derzeitigen Rechtsprechung, ist mit der Messung von der Haustür aus ein erheblicher Verwaltungsaufwand zu schultern, der in keinem sinnvollen Verhältnis zur beabsichtigten freiwilligen Zusatzleistung steht. Um dies in Grenzen zu halten, sollte es indes möglich sein, eine Pauschalierung zu praktizieren. Schließlich kann man sich dazu auf das Bekenntnis des VGH zur Verwaltungspraktikabilität (BayVGH DÖV 2011, 244 (LS), Juris, Rn. 18 vgl. auch Art. 2 I 3 SchKfrG) berufen. Der VGH hält fest: „Der Normgeber wollte mit den Bestimmungen über die Schulwegkostenfreiheit eine möglichst praktikable Regelung treffen. Eine gewisse Generalisierung, Typisierung und Pauschalierung ist dabei unvermeidlich und verfassungsrechtlich unbedenklich”.

Danach sollte nichts dagegen sprechen, für die Anfangsstrecke einen Pauschalbetrag etwa von 20 m anstelle einer konkreten Berechnung zugrunde zu legen. Individuelle Sonderbelastungen dürfen unberücksichtigt bleiben, da von den Erziehungsberechtigten, die auch die Vorteile ihres überdurchschnittlich großen Grundstücks genießen, eine entsprechende Mitwirkung verlangt werden kann (vgl. auch den Rechtsgedanken aus Art. 2 Abs. 1, letzter HS SchKfrG). So wird das eingelöst, was auch der VGH in deutlichen Worten anerkennt: Es bedarf einer praktikablen Auslegung dessen, was unter Schulweg im Sinne der maßgeblichen Vorschriften zu verstehen ist. Dies ist ein Ausweg, der bis zu einer Klärung in München – ob beim VGH oder beim Gesetzgeber – sinnvoller sein dürfte als die Nichtbeachtung der jetzigen Rechtsprechung.

 

Dr. Dr. Ansgar Grochtmann

LL.M, Leiter des Rechtsamts der Stadt Passau
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