15.08.2011

Umweltvereinigungen gestärkt

Das EuGH-Urteil in Sachen „Trianel” – Folgen für die Praxis

Umweltvereinigungen gestärkt

Das EuGH-Urteil in Sachen „Trianel” – Folgen für die Praxis

Schwere Zeiten für Großprojekte? Das Urteil des EuGH verschärft Begründungsaufwand für Investoren und Betreiber. | © Inga Nielsen - Fotolia
Schwere Zeiten für Großprojekte? Das Urteil des EuGH verschärft Begründungsaufwand für Investoren und Betreiber. | © Inga Nielsen - Fotolia

Der EuGH hat in einem grundlegenden Urteil (EuGH, Urt. v. 12. 05. 2011 in der Rs. „Trianel”, Az C-115/09) die Klagerechte von Umweltvereinigungen deutlich erweitert. Auf das Vorlageersuchen des OVG Münster hat er entschieden, dass Umweltvereinigungen nach Art. 10a der UVP-Richtlinie umfassend berechtigt sind, Verstöße gegen europäisches Umweltrecht vor Gericht zu rügen. Künftig wird daher den umweltrechtlichen Anforderungen in Zulassungsverfahren und bei ihrer gerichtlichen Kontrolle eine noch stärkere Bedeutung zukommen als bisher.

Klagerechte nach deutschem Recht

Nach der bisherigen Konzeption des deutschen Rechts sollten Umwelt- und Naturschutzvereinigungen dagegen nur recht begrenzte Klagerechte zustehen. Auch in dem Ausgangsverfahren vor dem OVG Münster wäre aus diesem Grund die Klage des BUND NRW gegen immissionsschutzrechtliche Zulassungsentscheidungen für das von Trianel in Lünen geplante Kohlekraftwerk unzulässig gewesen:

Das im Dezember 2006 in Kraft getretene Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) eröffnet anerkannten Umweltvereinigungen zwar die Möglichkeit, bei allen UVP-pflichtigen Vorhaben Verstöße gegen entscheidungserhebliche Anforderungen des Europäischen und auch des rein nationalen Umweltrechts zu rügen. § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 Satz 1 UmwRG beschränken das Rügerecht der Umweltvereinigungen aber widersinnigerweise auf Vorschriften, die „Rechte Einzelner begründen”.


Eben hieran fehlt es bei einem Großteil der umweltrechtlichen Regelungen, wie sie auch in dem Verfahren vor dem OVG Münster in Rede stehen. Dies gilt insbesondere für Anforderungen des Wasserrechts, des Naturschutzrechts und für die immissionsschutzrechtlichen Vorsorgeanforderungen.

Zumindest die Einhaltung von Anforderungen des nationalen und Europäischen Naturschutzrechts kann allerdings mit der Verbandsklage nach § 64 BNatSchG eingefordert werden. Abgesehen davon, dass sich der Prüfungsmaßstab auf das Naturschutzrecht beschränkt, sind hier aber die zulässigen Prüfungsgegenstände begrenzt: Die auf § 64 BNatSchG gestützte Klage richtet sich nur gegen Planfeststellungen und Plangenehmigungen mit Öffentlichkeitsbeteiligung sowie bestimmte naturschutzrechtliche Abweichungsentscheidungen, nicht aber z. B. gegen wasserrechtliche oder – wie im Trianel-Verfahren – gegen immissionsschutzrechtliche Zulassungsentscheidungen.

Das Urteil des EuGH

Demgegenüber fordert das Unionsrecht, dass Umweltvereinigungen hinsichtlich des gesamten EU-Umweltrechts Zugang zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren haben, wie der EuGH nun klargestellt hat. Umweltvereinigungen gelten in Bezug auf das Europäische Umweltrecht nach Art. 10a Abs. 3 Satz 3 der UVP-RL bei UVP-pflichtigen Vorhaben eo ipso als Träger von Rechten, die verletzt werden können. Ob die betreffende Norm auch auf den Schutz Einzelner zielt, ist daher unbeachtlich. Damit verstößt das in § 2 UmwRG für Klagen von Umweltvereinigungen statuierte Erfordernis der Verletzung einer drittschützenden umweltrechtlichen Vorschrift gegen EU-Recht.

Bei Individualklagen, etwa von Anwohnern eines geplanten Kraftwerks, bleibt hingegen alles beim Alten. Art. 10a Abs. 1 lit. b) der UVP-RL räumt den Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit der Aarhus-Konvention ausdrücklich das Recht ein, das Klagerecht von einer möglichen Rechtsverletzung abhängig zu machen. Das Trianel-Urteil fordert daher auch gewiss keinen Abschied von der deutschen Schutznormtheorie.

Relevanz für laufende und zukünftige Klageverfahren

Auf die durch Art. 10a UVP-RL vermittelten Klagerechte können sich Umweltvereinigungen nach Auffassung des EuGH unmittelbar berufen. Es bedarf also keiner vorherigen Anpassung der unionsrechtswidrigen Regelung des § 2 UmwRG. Allerdings greift das unionsrechtlich geforderte Klagerecht nur in Bezug auf umweltrechtliche Vorschriften, die „aus dem Unionsrecht hervorgegangen” sind. Gerügt werden können demnach ausschließlich Verstöße gegen unmittelbar anwendbare Regelungen des EU-Umweltrechts und gegen deutsches Umweltrecht, das zwingende EU-Vorgaben umsetzt. Soweit hingegen ein Verstoß gegen rein autonom erlassenes deutsches Umweltrecht in Rede steht, bleibt es bei der bisherigen Rechtslage. Verstöße gegen nicht drittschützende Anforderungen des rein nationalen Umweltrechts können mithin von Umweltvereinigungen nach dem UmwRG wie bisher nicht gerügt werden.

Die Schwierigkeit wird in der Praxis darin bestehen zu unterscheiden, ob eine umweltrechtliche Bestimmung des nationalen Rechts unionsrechtlich determiniert ist oder nicht. Eindeutig ist dies keineswegs immer, zumal noch unklar ist, ob es für die Anwendung des Art. 10a UVP-RL ausreicht, wenn z. B. lediglich allgemeine Programmsätze des Unionsrechts umgesetzt werden oder ob – wofür einiges spricht – nur Verstöße gegen hinreichend bestimmte und inhaltlich unbedingte unionsrechtliche Anforderungen erfasst sind.

Keine Bedeutung bei bestandskräftigen Zulassungsentscheidungen

Für bereits bestandskräftig gewordene Zulassungsentscheidungen hat das Urteil des EuGH keine Bedeutung mehr. Ein (mittlerweile ohnehin verfristeter) Antrag einer Umweltvereinigung auf Wiedereinsetzung in die Widerspruchs- bzw. Klagefrist hätte keine Aussicht auf Erfolg. Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens vor, wenn eine Zulassungsentscheidung auf der Grundlage eines rechtskräftigen Urteils bestandskräftig geworden ist.

Handlungsoptionen de lege ferenda

Der Bundesgesetzgeber ist nun gefordert, binnen eines Jahres nach Urteilserlass die Regelungen des UmwRG anzupassen. Er sollte das Schutznormerfordernis in § 2 Abs. 1 und Abs. 5 UmwRG nicht allein in Bezug auf das unionsrechtlich determinierte Umweltrecht streichen. Bei einer solchen Minimalumsetzung würden die Abgrenzungsschwierigkeiten zu rein nationalem Umweltrecht perpetuiert. Zudem wäre ein tieferer Sinn der Unterscheidung nicht erkennbar, denn das Schutznormerfordernis ist bei einer Verbandsklage auch in Bezug auf rein autonom gesetztes Recht systematisch deplatziert. Vorzugswürdig erscheint eine Lösung, bei der Verstöße gegen objektives Umweltrecht unabhängig von einer etwaigen unionsrechtlichen Herkunft gerügt werden können. Bei der anstehenden Änderung des UmwRG wird man ferner darüber nachzudenken haben, ob nicht die naturschutzrechtliche Verbandsklage des BNatSchG mit dem Rechtsbehelf nach § 2 UmwRG zusammengeführt wird.

Umsetzbarkeit des Klagerechts im Verwaltungsprozess?

Es bleibt die Frage, ob der deutsche Verwaltungsprozess mit seiner traditionell hohen und im Vergleich der Mitgliedstaaten wohl weitgehend beispiellosen Prüfungsintensität auf eine solche Erweiterung der Klagerechte überhaupt eingerichtet ist. Ein „Ferrari mit verschlossenen Türen” – so die plastische Bezeichnung der Generalanwältin Sharpston für die intensive, aber wegen des Schutznormerfordernisses auch exklusive Kontrolle deutscher Verwaltungsgerichte – erfüllt den unionsrechtlichen Mindeststandard nicht. Einen „Ferrari mit offenen Türen” fordert das Unionsrecht aber ebenso wenig. Unionsrechtlich wäre vielmehr auch eine behutsame Einschränkung des gerichtlichen Kontrollmaßstabs bei Klagen von Umweltvereinigungen in Reaktion auf die erweiterten Klagerechte durchaus zulässig.

Im Grunde genommen stellen sich dem Gesetzgeber hier ganz ähnliche Fragen wie bereits vor Erlass des UmwRG, als ihn die Sorge um den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Funktionsfähigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Einführung der nunmehr obsoleten „schutznormakzessorischen Verbandsklage” veranlasste. Wüsste man, dass die Umweltvereinigungen verantwortungsvoll Gebrauch von dem scharfen Schwert machen, das ihnen Brüssel und Luxemburg in die Hand gelegt haben, müsste man sich diese Gedanken nicht machen. Schon die Beurteilungen, ob man für die Vergangenheit von einer verantwortungsvollen Nutzung der Verbands- bzw. Vereinsklage sprechen kann, variieren aber je nach Perspektive erheblich.

Es dürfte sich indes empfehlen, dass der Gesetzgeber sich mit Eingriffen in den Verwaltungsprozess zunächst zurückhält und erforderlichenfalls auf einer zweiten Stufe nachsteuert, sobald Erfahrungen mit der „neuen” Umweltverbandsklage gesammelt wurden und evaluiert werden können. Dies gilt umso mehr, als das bestehende Instrumentarium den Gerichten durchaus Möglichkeiten bietet, auch umweltrechtliche Großverfahren mit vertretbarem Aufwand und in überschaubarer Zeit durchzuführen. Hier ist insbesondere die Rügeobliegenheit nach § 2 Abs. 3 UmwRG und § 64 Abs. 2 BNatSchG i.V.m. § 2 Abs. 3 UmwRG zu nennen: Einwände, die im Verwaltungsverfahren nicht vorgetragen werden, werden auch im Gerichtsverfahren nicht gehört (sog. Einwendungspräklusion). Ferner hat die Rechtsprechung den Genehmigungsbehörden in letzter Zeit z. B. im Bereich des Naturschutzrechts verstärkt Beurteilungsspielräume zugesprochen und hierdurch den gerichtlichen Prüfungsmaßstab auch ohne gesetzgeberische Intervention punktuell bereits reduziert.

Konsequenzen für Genehmigungsverfahren

In laufenden und zukünftigen Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren für UVP-pflichtige Vorhaben gibt es hinsichtlich umweltrechtlicher Anforderungen praktisch keine „gerichtsfreien” Bereiche mehr. Vorhabenträger und auch Zulassungsbehörden können ihre Ressourcen nicht (mehr) mit Blick darauf einsetzen, ob und wo Klagen drohen.

Es empfiehlt sich daher derzeit dringend, nicht bestandskräftige Zulassungsentscheidungen gezielt auf ihre Konformität mit solchen Anforderungen des Unionsrechts zu prüfen, die bislang wegen der begrenzten Klagerechte von Umweltvereinigungen nicht Gegenstand gerichtlicher Kon-trolle waren. Dies gilt beispielsweise für naturschutzrechtliche Anforderungen im Rahmen immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren. Zeigen sich Defizite, die bereits im Verfahren gerügt worden waren, sollte rechtzeitig nachgebessert werden, bevor die Verwaltungsgerichte die Kritik aufgreifen. In zukünftigen Zulassungsverfahren sollte auf Seiten des Vorhabenträgers die umfassende Qualitätsprüfung der Antragsunterlagen und auf Seiten der Zulassungsbehörde die sorgfältige Abarbeitung aller umweltrechtlichen Fragestellungen oberste Priorität haben. Überraschungen vor Gericht werden sich auf diese Weise auch zukünftig zuverlässig vermeiden lassen.

 

Dr. Frank Fellenberg

LL.M. (Cambr.) Fachanwalt für Verwaltungsrecht Redeker Sellner Dahs, Berlin
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