09.01.2024

Rücknahme der Zuerkennung des subsidiären Schutzes

Ähnliche Gefahrenprognose wie etwa im Rahmen einer Ausweisung

Rücknahme der Zuerkennung des subsidiären Schutzes

Ähnliche Gefahrenprognose wie etwa im Rahmen einer Ausweisung

Ein Beitrag aus »Die Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Die Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz« | © emmi - Fotolia / RBV

Einem syrischen Staatsangehörigen war aufgrund des in seiner Heimat herrschenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ein subsidiärer Schutzstatus gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Asylgesetz (AsylG) zuerkannt worden.

Der Syrer war durch das Landgericht (LG) wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden, weil er im Zuge einer körperlichen Auseinandersetzung mit dem neuen Partner seiner früheren Freundin diesem mit einem ca. 700 g schweren Stahlketten-Fahrradschloss insgesamt mindestens dreimal auf den Kopf bzw. in das Gesicht sowie mindestens zweimal auf den Rücken geschlagen hatte. Nach Eintreffen der Polizei wurde das Opfer mit einem Krankenwagen ins Klinikum verbracht und dort ambulant behandelt. Die Verletzungen heilten ohne Komplikationen aus. An einer genähten Risswunde zwischen den Fingern des Opfers blieb eine Narbe zurück.

Mit Bescheid vom 13.05.2020 nahm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den zuerkannten subsidiären Schutz zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Ausschlusstatbestand des § 73b Abs. 3 i. V. m. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AsylG sei erfüllt, weil der Syrer eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Durch die begangene Tat sei deutlich geworden, dass dieser ein völliges Unverständnis für die Handlungsfreiheit und Selbstbestimmung anderer Menschen habe.


Auf die hiergegen erhobene Klage hob das Verwaltungsgericht (VG) den Bescheid des BAMF auf. Der seit 21.06.2021 aus dem Strafvollzug entlassene Syrer stelle im Hinblick auf künftige Rechtsgutverletzungen i. S. d. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AsylG keine konkrete und gegenwärtige Gefahr für die Allgemeinheit dar. In der mündlichen Verhandlung habe er glaubhaft dargelegt, dass er bisher nie straffällig gewesen sei und es sich bei dem Vorfall im Jahr 2018 um eine singuläre Beziehungstat gehandelt habe.

Geltend gemachte Grundsatzbedeutung genügte nicht den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG

Auch habe er seit Jahren weder mit seiner Ex-Freundin noch deren Freund Kontakt. Er habe sich damals persönlich bei dem Opfer entschuldigt und ihm aus eigenem Antrieb heraus ein angemessenes Schmerzensgeld bezahlt. Ein grundsätzliches und den speziellen Einzelfall übergreifendes Gewaltproblem sei nicht zu erkennen. Vielmehr habe das VG den Eindruck gewonnen, dass es sich bei dem Syrer zwar um einen im Wesentlichen unausgereiften und eher wenig intellektuellen Menschen handele, dieser inzwischen jedoch zu der Einsicht gelangt sei, dass Gewalt in keiner Weise zur Lösung von Problemen beitrage. Zudem habe ihn die aus seiner Sicht harte Verurteilung sowie mehrjährige Haft ersichtlich beeindruckt. Auch im Strafvollzug sei er ausweislich der Gefangenenpersonalakte nie etwa durch aggressives oder kriminelles Verhalten aufgefallen oder sonst wie diszipliniert worden. Im Vollzugsplan werde er vielmehr als absprachefähiger, selbstständiger, integrierter und freundlicher Mensch beschrieben, der gut mit Geld umgehen könne, gepflegt und ordentlich sei und dessen Verhalten sich gegenüber den Bediensteten als absolut beanstandungsfrei darstelle.

Das BAMF hatte am 22.12.2021 die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) beantragt. Die geltend gemachte Grundsatzbedeutung genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG.

Anerkennungs-Richtlinie 2011/95/EU (AnerkRL) hat ihre Wurzeln in der Genfer Flüchtlingskonvention

Dies ist nur dann der Fall, wenn in Bezug auf die Rechtslage oder Tatsachenfeststellungen eine konkrete Frage aufgeworfen und hierzu erläutert wird, warum sie bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärte Probleme aufwirft, die über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam sind und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlich geklärt werden müssen. Es muss deshalb schon in der Antragsbegründung selbst deutlich werden, warum prinzipielle Bedenken gegen einen vom VG in einer konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage eingenommenen Standpunkt bestehen, warum es also erforderlich ist, dass sich auch das Berufungsgericht klärend mit der aufgeworfenen Frage auseinandersetzt und entscheidet, ob die Bedenken durchgreifen.

Des Weiteren muss dargelegt werden, warum die aufgeworfene konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage für das VG erheblich war und warum sie sich auch im Berufungsverfahren als entscheidungserheblich stellen würde. Diesen Anforderungen genügte der Zulassungsantrag nicht. Die damit aufgeworfene Frage, „ob die Rücknahme der Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 73b Abs. 3 i. V. m. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AsylG eine gegenwärtige konkrete Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland voraussetzt“, ist nicht grundsätzlich bedeutsam, weil sie sich in Verbindung mit höchstrichterlicher Rechtsprechung unmittelbar aus dem Gesetz beantworten lässt, d. h. als hinreichend geklärt anzusehen ist.

Gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AsylG ist ein Ausländer von der Zuerkennung subsidiären Schutzes u. a. ausgeschlossen, „wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen“, dass er „eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt“. Diese Norm ist eine Umsetzung von Art. 17 Abs. 1 lit. d der AnerkRL, die ihrerseits ihre Wurzeln in der Genfer Flüchtlingskonvention hat.

Vorschrift dient der Erhaltung der Glaubwürdigkeit des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems

Rechtspolitischer Hintergrund dieser Regelungen ist es, aus Akzeptanzgründen den Status eines „bona fide refugee“ nicht in Misskredit zu bringen bzw. „zur Erhaltung der Glaubwürdigkeit des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ Personen auszuschließen, die sich als des internationalen Schutzes „unwürdig“ erwiesen haben.

Nach der EuGH-Rechtsprechung orientieren sich die Gründe für den Ausschluss vom subsidiären Schutzstatus an den auf Flüchtlinge anzuwendenden Regelungen, sind ihrem Wesen nach vergleichbar und deshalb grundsätzlich auch vergleichbar auszulegen. Daraus folgt zum einen, dass die „Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Bundesrepublik“ gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AsylG sich im polizeirechtlichen Sinne hinreichend wahrscheinlich realisieren und bei systematischer Auslegung wie die anderen Ausschlussgründe in Nr. 1 (Kriegsverbrechen), Nr. 2 (schwere Straftaten) und Nr. 3 (völkerrechtswidrige Handlungen) wohl auch auf zu erwartende Straftaten von „gewissem Gewicht“ beziehen muss.

Typischerweise ist bei § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG an Kapitalverbrechen oder sonstige Straftaten zu denken, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert und entsprechend strafrechtlich verfolgt werden. Dementsprechend bejaht die höchstrichterliche Rechtsprechung europaweit auch den Ausschlussgrund der „Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit des Mitgliedstaats“ gem. Art. 17 Abs. 1 lit. d AnerkRL regelmäßig nur bei zu erwartenden Delikten im Zusammenhang mit Terrorismus, Tötungsdelikten, Drogen- oder Waffenhandel.

Nicht das Fehlverhalten in der Vergangenheit ist maßgeblich, sondern die zukünftige Gefährdung

Zum anderen folgt daraus, dass für die Annahme eines solchen Ausschlussgrundes immer „eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls“ vorzunehmen ist. Ist nach diesen Auslegungsvorgaben des EuGH für einen Ausschluss des subsidiären Schutzes immer eine aktuell bestehende, besonders schwerwiegende Gefahr im konkreten Einzelfall erforderlich, können die Anforderungen bei Art. 17 Abs. 1 lit. d AnerkRL und somit § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AsylG nicht dahinter zurückbleiben und heißt dies zugleich, dass auch für eine Rücknahme der Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 73b Abs. 3 i. V. m. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AsylG immer eine solche gegenwärtige konkrete Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gegeben sein muss. Hierzu ist immer eine individuelle Betrachtung und Bewertung der von dem Ausländer ausgehenden Gefahren anzustellen.

Primär ist dabei, anders als bei § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG, nicht das Fehlverhalten in der Vergangenheit maßgeblich, sondern die zukünftige Gefährdung. Es ist daher eine ähnliche Gefahrenprognose anzustellen wie etwa im Rahmen einer Ausweisung. Diese erübrigt sich deshalb auch nicht automatisch nach rechtskräftiger Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder dem Ende des Strafvollzugs. Der Vortrag des BAMF, richtiger Prüfungsmaßstab bei § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AsylG sei, ob von dem Ausländer „weiterhin eine Gefahr ausgehe“, ohne dass diese im Entscheidungszeitpunkt „konkret“ sein müsse, konnte vor diesem Hintergrund nicht überzeugen.

Das Vorliegen etwa nur einer „abstrakten“ oder „generellen“ Gefahr, die bei einer Einzelperson kaum zu beurteilen ist, konnte nach der insoweit hinreichend eindeutigen Rechtsprechung insbesondere des EuGH für einen Ausschluss des subsidiären Schutzes nicht genügen.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.01.2022 – A 4 S 108/22 –.

 

Entnommen aus Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz, Heft 9/2023.

 
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