29.01.2024

Beteiligung des Ortschaftsrats

Insbesondere in Baugenehmigungsverfahren

Beteiligung des Ortschaftsrats

Insbesondere in Baugenehmigungsverfahren

Die Anhörung des Ort-schaftsrats kann sinnvoll sein, um auf dessen Ortskenntnisse zurückzugreifen und damit die Entscheidungsbasis zu verbrei-tern. © Romolo Tavani – stock.adobe.com
Die Anhörung des Ort-schaftsrats kann sinnvoll sein, um auf dessen Ortskenntnisse zurückzugreifen und damit die Entscheidungsbasis zu verbrei-tern. © Romolo Tavani – stock.adobe.com

Die Einflussmöglichkeiten eines Ortschaftsrats hängen wesentlich davon ab, in welchem Umfang er an gemeindlichen Entscheidungen beteiligt wird. Dies variiert von Kommune zu Kommune; wesentliche Ursache dafür ist u. a. die (unterschiedliche) Stärke der Verhandlungsposition der damals noch selbstständigen Gemeinden im Rahmen der Kommunalreform in den 1970er-Jahren. So finden sich in den Hauptsatzungen der Gemeinden ganz unterschiedliche Regelungen über die Beteiligung des Ortschaftsrats. Der Frage, in welchem Umfang der Ortschaftsrat vor allem in Baugenehmigungsverfahren einzubinden ist bzw. eingebunden sein kann, wird in dem Beitrag nachgegangen.

I. Einleitung

Anfang der 1970er-Jahre verloren zahlreiche Gemeinden in Baden-Württemberg ihre Eigenständigkeit. Im Zuge der Kommunalreform wurde die Ortschaftsverfassung in die Gemeindeordnung integriert. Mit ihr sollte erreicht werden, dass die Ortsteile jedenfalls teilweise ein örtliches Eigenleben und ihre örtliche Identität bewahren konnten, indem in gewissem Umfang Aufgaben auf die Verwaltungseinheit vor Ort übertragen wurden.1Vgl. Fleckenstein, in: Dietlein/Pautsch, Kommunalrecht Baden-Württem- berg, 2020, § 67 GemO Rn. 2. Die Zusammenfassung in größere kommunale Gebilde erfolgte auf-grund von Eingemeindungsverträgen. Dabei konnten sich starke und selbstbewusste Kommunen relativ weitgehende Beteiligungsrechte sichern, die in erheblichen Teilen noch heute, 50 Jahre später, Bestand haben. In den Hauptsatzungen zahlreicher Kommunen Baden-Württembergs finden sich Regelungen, die ihren Ursprung in den Eingemeindungsverträgen haben und deren Bestand von den betroffenen Ortschaften vehement verteidigt wird. Nicht alles, was damals geregelt wurde, ist aber weiterhin sinnvoll und praktikabel. Nicht nur bei Kommunen mit eigener Baurechtszuständigkeit ist die Mitwirkung der Kommunalvertretung in Baugenehmigungsverfahren auf bestimmte bauplanungsrechtliche Gesichtspunkte beschränkt. Auch der Ortschaftsrat, dem zumeist keine Entscheidungsbefugnis zukommt, kann keine weitergehenden Rechte beanspruchen.

II. Aufgaben des Ortschaftsrats

Die Aufgaben des Ortschaftsrats sind in § 70 GemO geregelt.


1. Entscheidungen des Ortschaftsrats

Neben einer gesetzlich vorgegebenen beratenden Mitwirkung gemäß § 70 Abs. 1 GemO kann der Gemeinderat gemäß § 70 Abs. 2 GemO durch die Hauptsatzung dem Ortschaftsrat bestimmte Angelegenheiten, die die Ortschaft betreffen, zur Entscheidung übertragen. Die Übertragung muss dabei immer durch Hauptsatzung erfolgen, auch wenn sich die Verpflichtung zur Übertragung etwa aus einer Eingliederungsvereinbarung ergibt.2VGH BW, Urt. v. 22.07.1991, VBlBW 1992, 140, für die Benennung einer Gemeindestraße. Beispiele dafür sind etwa die Vergabe örtlicher Jagd- und Fischereipachtrechte, die Förderung der örtlichen Vereine, die Pflege des Ortsbildes oder die Bewirtschaftungsbefugnis der im Haushaltsplan der Ortschaft zugewiesenen Mittel.3Vgl. Kunze/Bronner/Katz, Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, Stand: Februar 2022, § 70 Rn. 7 m. w. N. aus der Rechtsprechung. Keine Möglichkeit der Entscheidungsübertragung gibt es für vorlage- und genehmigungspflichtige Beschlüsse und für die in § 39 Abs. 2 GemO genannten Angelegenheiten (§ 70 Abs. 2 Satz 2 GemO). Zu berücksichtigen ist zudem, dass der Gemeinderat nur seine eigenen Zuständigkeiten weitergeben kann, nicht jedoch die Aufgaben, die in die Zuständigkeit des Bürgermeisters fallen. So ist die Entscheidung über das Einvernehmen der Gemeinde nach §§ 14 Abs. 2, 31 Abs. 2, 36 BauGB keine die Ortschaft betreffende Angelegenheit i. S. v. § 70 Abs. 2 GemO. Die Entscheidungsbefugnis kann dem Ortschaftsrat auch dann nicht durch Hauptsatzung übertragen werden, wenn die Gemeinde untere Baurechtsbehörde ist.4Vgl. VGH BW, Urt. v. 21.03.1983, VBlBW 1984, 115 f.; vgl. auch VGH BW, Urt. v. 09.03.2012, VBlBW 2012, 339 ff.: Ist eine Gemeinde untere Baurechtsbehörde, steht dem Gemeinderat für sonstige bauplanungsrechtliche Entscheidungen nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB keine Mitentscheidungskompetenz zu.

2. Beratung der örtlichen Verwaltung und Anhörung zu wichtigen Angelegenheiten

Gemäß § 70 Abs. 1 GemO hat der Ortschaftsrat die örtliche Verwaltung zu beraten. Er ist zu wichtigen Angelegenheiten, die die Ortschaft betreffen, zu hören. Zudem hat er ein Vorschlagsrecht in allen Angelegenheiten, die die Ortschaft betreffen. Die beratende Mitwirkung betrifft die örtliche Verwaltung, mithin die so genannte Ortsverwaltung. Wichtige Angelegenheiten im Sinne des Satzes 2 sind all diejenigen, die für die Ortschaft von besonderer Bedeutung sind. In der (außer Kraft getretenen) Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums zur Gemeindeordnung für Baden-Württemberg5In der Fassung der Bekanntmachung vom 01.12.1985 (GABl., S. 1113), zul. geänd. durch Verwaltungsvorschrift vom 24.11.1989 (GABl., S. 1276). sind zu § 70 GemO als wichtige Angelegenheiten etwa die Veranschlagung der Haushaltsmittel für wichtige Maßnahmen in der Ortschaft, die Ausgestaltung, wesentliche Änderung und Aufhebung der örtlichen Verwaltung sowie die Ausstellung, wesentliche Änderung und Aufhebung von Bauleitplänen genannt. Darüber hinaus kommen wohl auch die Beteiligung am Umlegungsverfahren, Entscheidungen in Bezug auf öffentliche Einrichtungen (Schulen, Kindergärten) sowie Personalmaßnahmen in der örtlichen Verwaltung in Betracht. Keine ausdrückliche Aussage findet sich zu der Frage, ob der Ortschaftsrat auch zu Baugesuchen zu hören ist.

3. Anhörung in Baugenehmigungsverfahren

Die Gemeindeorgane sind nicht gehindert, den Kreis der Anhörungsgegenstände über den Rahmen der gesetzlichen Anhörungspflicht hinaus zu erweitern. Es kommt auch eine Anhörung in solchen Angelegenheiten in Betracht, die nicht als wichtig anzusehen sind.6Aker, in: Aker/Hafner/Notheis, Gemeindeordnung/Gemeindehaushaltsverordnung Baden-Württemberg, 2. Aufl. 2019, § 70 GemO Rn. 4; Kunze/Bronner/Katz (Fn. 3), § 70 Rn. 2. Zur Beteiligung in Baugenehmigungsverfahren hat der VGH Baden-Württemberg festgehalten, dass die Ortschaftsräte ihre häufig besseren Ortskenntnisse im Rahmen der Anhörung nach § 70 Abs. 1 GemO in das Verfahren einbringen können7VGH BW, Urt. v. 21.03.1983, VBlBW 1984, 115, 116 f., was die Schlussfolgerung zulässt, dass das Gericht eine Beteiligung der Ortschaftsräte in Baugenehmigungsverfahren im Wege der Anhörung als möglich ansieht. Umgesetzt wird die Anhörung im Baugenehmigungsverfahren auf kommunaler Ebene unterschiedlich. So kann etwa vorgesehen werden, Bauanträge im nicht überplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) und im Außenbereich (§ 35 BauGB) vorzubehandeln, soweit sie von städtebaulicher Bedeutung sind.8§ 19 Abs. 2 und 4 Nr. 2 der Hauptsatzung der Stadt Horb am Neckar vom 02.11.1976, zul. geänd. durch Satzung vom 10.12.2013. Andernorts wird als wichtige Angelegenheit die gutachterliche Äußerung zu Baugesuchen in den Ortschaften angesehen.9§ 17 Abs. 3 Nr. 10 der Hauptsatzung der Großen Kreisstadt Rastatt vom 25.07.2019.

Den vollständigen Beitrag entnehmen Sie den VBlBW Heft 6/2023, S. 227.

 

Dr. Dirk Herrmann

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Karlsruhe
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  • 1
    Vgl. Fleckenstein, in: Dietlein/Pautsch, Kommunalrecht Baden-Württem- berg, 2020, § 67 GemO Rn. 2.
  • 2
    VGH BW, Urt. v. 22.07.1991, VBlBW 1992, 140, für die Benennung einer Gemeindestraße.
  • 3
    Vgl. Kunze/Bronner/Katz, Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, Stand: Februar 2022, § 70 Rn. 7 m. w. N. aus der Rechtsprechung.
  • 4
    Vgl. VGH BW, Urt. v. 21.03.1983, VBlBW 1984, 115 f.; vgl. auch VGH BW, Urt. v. 09.03.2012, VBlBW 2012, 339 ff.: Ist eine Gemeinde untere Baurechtsbehörde, steht dem Gemeinderat für sonstige bauplanungsrechtliche Entscheidungen nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB keine Mitentscheidungskompetenz zu.
  • 5
    In der Fassung der Bekanntmachung vom 01.12.1985 (GABl., S. 1113), zul. geänd. durch Verwaltungsvorschrift vom 24.11.1989 (GABl., S. 1276).
  • 6
    Aker, in: Aker/Hafner/Notheis, Gemeindeordnung/Gemeindehaushaltsverordnung Baden-Württemberg, 2. Aufl. 2019, § 70 GemO Rn. 4; Kunze/Bronner/Katz (Fn. 3), § 70 Rn. 2.
  • 7
    VGH BW, Urt. v. 21.03.1983, VBlBW 1984, 115, 116 f.
  • 8
    § 19 Abs. 2 und 4 Nr. 2 der Hauptsatzung der Stadt Horb am Neckar vom 02.11.1976, zul. geänd. durch Satzung vom 10.12.2013.
  • 9
    § 17 Abs. 3 Nr. 10 der Hauptsatzung der Großen Kreisstadt Rastatt vom 25.07.2019.
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