26.01.2024

„Trau, schau, wem?“

Zur Beteiligung Jugendlicher an Klima-Protestaktionen der sog. Letzten Generation vor dem Hintergrund organisationsbezogener Gefährdungsmomente

„Trau, schau, wem?“

Zur Beteiligung Jugendlicher an Klima-Protestaktionen der sog. Letzten Generation vor dem Hintergrund organisationsbezogener Gefährdungsmomente

Ein Beitrag aus »Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter« | © emmi - Fotolia / RBV

Nach wie vor sorgt die sog. Letzte Generation mit ihren Klima-Protestaktionen für Aufsehen. Die Gruppierung versucht dabei vermehrt, auch Jugendliche nicht nur für ihre Ziele, sondern auch für die Mitwirkung am „zivilen Widerstand“ zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund befasst sich vorliegender Beitrag mit der Beteiligung speziell jugendlicher Personen an Klima-Protestaktionen der Letzten Generation, wobei der Fokus auf „organisationsbezogenen“ Gefährdungsmomenten, die von der Gruppierung selbst ausgehen, liegt.

I. Einleitung

„Blockieren, aufregen, räumen: Die Klima-Kleber sind gekommen, um zu bleiben“ titelt jüngst eine überregionale Berliner Tageszeitung. Beschrieben ist damit die Entwicklung hin vom erstmaligen Auftreten im Berliner Morgenverkehr zu einer „neuen Routine“ von Klima-Protestaktionen der Letzten Generation in deutschen Großstädten. Die Bilder von auf der Straße festklebenden „Ketten“ junger Erwachsener, die betont ruhig mit aufgebrachten Autofahrern diskutieren, und, nach einer kurzen und sachlichen „Ansage“ durch die alsbald eintreffenden Polizeibeamten, vom Straßenbelag getrennt und anschließend fortgetragen werden, gleichen sich, ebenso wie die – aus dem öffentlichen Bewusstsein nicht mehr wegzudenkende – mediale Berichterstattung und tagespolitischen Debatten.

Abgesehen von Entwicklungen sowohl im Bereich des technischen Equipments (Stichwort: neuartiges „Sand-Kleber-Gemisch“) und der von den Klimaaktivisten favorisierten Zielorte und -objekte ist eine weitere, subtile Veränderung bei den Klima-Protestaktionen auszumachen; sie bezieht sich auf den Kreis der an den Protestaktionen beteiligten Personen. Obwohl die Letzte Generation altersunabhängig um gesellschaftliche Unterstützung wirbt („am Ende sind wir alle in Gefahr“), befinden sich unter den Teilnehmern der von ihr verantworteten Klima-Protestaktionen mehrheitlich junge Menschen.


Bei Akzeptanz der von der Letzten Generation vorausgesetzten Prämissen erscheint dies als folgerichtig. Im Falle des Überschreitens der „Kipppunkte des Klimasystems“ sind junge Menschen (bezogen auf die schon lebende Erdbevölkerung) diejenigen, die am längsten von den Folgen einer unkontrollierten Erderwärmung betroffen wären – obwohl sie, in Kenntnis aller Umstände, durchaus in der Lage (gewesen) wären, eben diese fatale Entwicklung zu verhindern. Umgekehrt (so der Grundgedanke) realisiert sich eine unerträgliche „Folgenlast“ des anthropogenen Klimawandels aber auch nur dann, wenn nicht „entschlossen“ genug „Widerstand gegen den fossilen Wahnsinn unserer Gegenwart“ geübt worden ist, das mit den Klima-Protestaktionen verbundene anliegen also scheitert – was die gesteigerte Motivation junger Protestteilnehmer erklärt („[h]ast du auch eine Scheißangst, alles zu verlieren, wenn das Klima weiter destabilisiert wird?“).

Neu ist indes, dass bei den Klima-Protestaktionen der Letzten Generation nunmehr dezidiert minderjährige Personen beteiligt sind, so auch am Samstag, dem 06.05.2023, als die Letzte Generation unter Mitwirkung Jugendlicher im Alter zwischen 14 und 17 Jahren Fahrbahnen in Berlin blockierten, „um Aufmerksamkeit auf den sich zuspitzenden Klimanotfall zu lenken“. Dass es sich bei dem Protest nicht um eine einmalige Aktion handelt, verdeutlicht ein nur wenige Tage zuvor veröffentlichtes Video, das unverhohlen Züge eines Werbeclips trägt. Gezeigt werden die beteiligten Jugendlichen, ihre persönlichen Hintergründe und die Motive, beim Durchführen von Vorbereitungshandlungen für Klimaprotestaktionen („Schilderbasteln“) und in Aktion, bei der Diskussion mit Autofahrern und Passanten. Passagenweise unterlegt mit „systemkritischer“ Musik, endet der Clip mit der Aufforderung, sich dem „Widerstand“ anzuschließen.

Diese Form von lebensnaher Mitgliederakquise („Recruiting is a Lifestyle, not a Job“) konvergiert mit den Plänen der Letzten Generation, systematisch an Schulen zu werben und vor allem Oberstufenschüler durch Vorträge in Klassenräumen anzusprechen. Was den (rechts-)politischen Diskurs zu möglichen Problemfeldern einer Beteiligung speziell Jugendlicher an Klima- Protestaktionen der Letzten Generation anbelangt, ist dieser gegenwärtig (noch) von den „harmlosen“ Erfahrungen der Freitagsdemonstrationen des Bündnisses „Fridays for Future“ und der damit verbundenen Debatte um verpasste Unterrichtszeiten geprägt. Erschwerend kommt hinzu, dass das Eintreten für den „Schutz des Klimas als Herausforderung unserer Zeit“ oft gleichbedeutend mit einem Eintreten für „die gute Sache“ gleichgesetzt wird – zumal Jugendlichen klassische politische Einflussmöglichkeiten nur eingeschränkt zur Verfügung stehen (vgl. etwa Art. 38 Abs. 2 GG).

Eine Debatte zu etwaigen Gefährdungsmomenten, die auf die Letzte Generation als Gruppierung zurückzuführen sind (etwa die anhaltende, zielgerichtete Begehung von Straftaten) steht dabei erst am Anfang. Auch der sicherheitsrechtliche, mit den im Zuge des „Klimakleber“- Phänomens aufgetretenen „komplexen Rechtsfragen“ hinlänglich beschäftigte Diskurs hat sich der virulenten Thematik (bislang) noch nicht angenommen. Ist der Letzten Generation zunehmend daran gelegen, ihrem Aktivistenkreis im Klima-Protestgeschehen ein jugendlicheres Erscheinungsbild zu verleihen, erscheint indes eine kritische Auseinandersetzung mit der Beteiligung gerade jugendlicher Personen an Klima-Protestaktionen dringend geboten.

II. Verfassungs- und versammlungsrechtliche Rahmenbedingungen einer Teilnahme Jugendlicher an Versammlungen

  1. Klima-Protestaktionen der Letzten Generation und ihr Versammlungscharakter

Art. 8 Abs. 1 GG gewährt grundsätzlich allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Dieses Recht kann nach Art. 8 Abs. 2 GG für Versammlungen unter freiem Himmel durch oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Der Gesetzesvorbehalt wird durch die Vorgaben der einfachrechtlichen Versammlungsgesetze in Bund und Ländern gefüllt. Versammlungsspezifische, auf den Zweck gemeinschaftlicher, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtete Verhaltensweisen „mehrerer Personen“ schützt Art. 8 Abs. 1 GG in vollumfänglicher Weise.

Den Grundrechtsberechtigten steht ein „Selbstbestimmungsrecht“ hinsichtlich des Ortes und des Zeitpunktes sowie Art und Inhalt der Versammlung zu. Danach handelt es sich bei den Klima-Protestaktionen der Letzten Generation um ein „Sichversammeln“ gemäß Art. 8 Abs. 1 GG und ebenso im Sinne der geltenden Versammlungsgesetze, die den Schutzgehalt der Versammlungsfreiheit lediglich „abbilden“.

Sowohl die Zwecksetzung „Klimaschutz“ (vgl. Art. 20 a GG) bzw. die Förderungsabsicht des hierzu bereits bestehenden öffentlichen „Meinungskampfes“ als auch die gewählte Form einer Sitzblockade erfüllen die Voraussetzungen des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Da an der Sitzblockade der Klimaaktivisten überdies regelmäßig mehr als zwei Personen beteiligt sind, kommt der – je nach Auffassung auf versammlungsrechtlicher Ebene duplizierte – prominente Streit, ob zwei oder drei Personen die Mindestanzahl einer Versammlung bilden, nicht zum Tragen.

Die Klima-Protestaktionen der Letzten Generation sind auch nicht nach dem Friedlichkeitsvorbehalt nach Art. 8 Abs. 1 GG vom Schutz der Versammlungsfreiheit ausgenommen. „Unfriedlich“ im Sinne des in Art. 8 Abs. 1 GG gilt eine Versammlung, wenn sie einen gewalttätigen und aufrührerischen Verlauf nimmt, wobei hieran aufgrund der gravierenden Folgewirkungen eines Ausschlusses aus dem Schutzbereich hohe Anforderungen zu stellen sind.

„Gewalttätig“ ist ein Verlauf erst dann, wenn eine Versammlung eine erhebliche und aggressive Einwirkung auf Personen oder Sachen zeitigt, nicht hingegen schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen, „aufrührerisch“, wenn die Versammlung einen Umsturz bewirken soll oder sie als Mittel zum Widerstand gegen rechtmäßig handelnde Vollzugsbeamte wird. Weder macht jede Rechtsverletzung eine Versammlung „unfriedlich“ noch sollen Versammlungen auf rein „geistige Auseinandersetzungen“ reduziert werden, in denen auf eine symbolische „Verstärkung“ der kommunikativen Wirkung in der Öffentlichkeit durch Blockadeaktionen zu verzichten wäre.

Führen die Blockadeaktionen der Letzten Generation allein nicht zu der so umschriebenen Gefährlichkeit für Personen oder Sachen, sind die Voraussetzungen des Friedlichkeitsvorbehalts nicht erfüllt. Auch der weitere Verlauf, insbesondere die mittels Klebstoffes erreichte Befestigung an der Fahrbahn, hält sich (noch) im Rahmen eines „passiven Protestes“. Ungeachtet einer strafrechtlichen Bewertung kann das Verhalten der Aktivisten der Letzten Generation im Rahmen der Klima-Protestaktionen daher nicht als „unfriedlich“ im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG angesehen werden.

[…]

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in den Nordrhein-Westfälischen Verwaltungsblättern Heft 11/2023, S. 441 ff.

 

Benedict Pietsch

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Deutschen Hochschule der Polizei, Leiter der Geschäftsstelle Musterpolizeigesetz
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