26.01.2024

Verwertung von Blitzerdaten ohne Rohmessdatenspeicherung

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Verwertung von Blitzerdaten ohne Rohmessdatenspeicherung

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zählt das Recht auf ein faires Verfahren.  | © jozsitoeroe - stock.adobe.com
Zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zählt das Recht auf ein faires Verfahren. | © jozsitoeroe - stock.adobe.com

Ein Autofahrer, der wegen der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einem Bußgeld verurteilt worden war, legte Verfassungsbeschwerde ein, weil er sich aufgrund der Nichtüberlassung von Messdaten in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt sah. Das Bundesverfassungsgericht erklärte seine Beschwerde als unzulässig.

Die Bußgeldstelle warf dem Beschwerdeführer vor, im Juni 2019 die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h überschritten zu haben. Dem Vorwurf lag eine Messung mit dem Geschwindigkeitsmessgerät des Typs PoliScan M1 HP (Software-Version 3.7.4) zugrunde.

Nach erfolgter Akteneinsicht beantragte seine Verteidigerin, ihr „digitale Falldatensätze der gesamten Messreihe inklusive Rohmessdaten“, „Token-Datei und Passwort, Statistikdatei mit Case-List“, „sämtliche vorhandene Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichunterlagen des Messgeräts“ sowie dessen Konformitätsbescheinigung und -erklärung, einen im Messprotokoll zitierten Erlass sowie den Beschilderungsplan und die verkehrsrechtliche Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung zur Verfügung zu stellen.


Die Bußgeldstelle übersandte der Verteidigerin Unterlagen sowie eine CD mit der verfahrensgegenständlichen Messung. Daraufhin beantragte der Fahrer gerichtliche Entscheidung gem. § 62 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) sowie die Übermittlung von digitalen Falldatensätzen „des Betroffenen sowie der restlichen Messreihe mit Statistikdatei und Case-List“, vorhandenen Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichunterlagen sowie der verkehrsrechtlichen Anordnung.

Geschwindigkeitsüberschreitung nach Aktenlage eindeutig

Die Bußgeldstelle half dem Antrag nicht ab und übersandte diesen mit der Akte an das Amtsgericht (AmtsG). Am 07.10.2019 erließ die Bußgeldstelle gegen ihn einen Bußgeldbescheid und setzte eine Geldbuße i. H. v. 140 € fest. Hiergegen legte er Einspruch ein, woraufhin die Bußgeldstelle die Akten an die Staatsanwaltschaft übersandte; diese legte sie dem AmtsG vor.

Dieses gab der Verteidigerin Gelegenheit zur ergänzenden Begründung des Einspruchs und wies insbesondere darauf hin, dass nach Lage der Akten keine Zweifel an der Geschwindigkeitsüberschreitung bestünden; die Geschwindigkeitsmessung sei mit einem anerkannten Messverfahren sowie einem über eine gültige Eichung und Zulassung verfügenden Messgerät im Rahmen der Zulassungsvorgaben erfolgt.

Verfahrenshindernis nicht ersichtlich

Im Hauptverhandlungstermin bat der für den Betroffenen auftretende Verteidiger um Überlassung der angeforderten Unterlagen und im Hinblick darauf um Aussetzung der Hauptverhandlung. Das AmtsG wies diese Anträge zurück; ein Verfahrenshindernis sei nicht ersichtlich und Unterlagen, die sich nicht bei der Akte befänden, würden seitens des Gerichts nicht benötigt.

Im Laufe der Hauptverhandlung widersprach der Verteidiger der Verwertung der Messdaten, da die Rohmessdaten gelöscht worden seien. Das AmtsG verurteilte den Fahrer wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h zu einer Geldbuße von 120 €. Die gemessene Geschwindigkeit habe (nach Toleranzabzug) 127 km/h betragen.

Zur Begründung führte es aus, dass das verwendete Geschwindigkeitsmessgerät zum Zeitpunkt der Messung gültig geeicht gewesen sei. Für das Gericht habe nach der Beweisaufnahme kein Anlass bestanden, an der Geschwindigkeitsmessung zu zweifeln.

Die gemessene Geschwindigkeit sei den Daten des Messfotos zu entnehmen und das Messgerät sei ausweislich des verlesenen Messprotokolls durch den geschulten Messbeamten entsprechend der Gebrauchsanweisung des Herstellers aufgebaut und in Betrieb genommen worden. Das Oberlandesgericht (OLG) verwarf den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde.

Verfassungsbeschwerde unzulässig

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Fahrer gegen das Urteil des AmtsG und den Verwerfungsbeschluss des OLG. Er rügt insbesondere eine Verletzung seines aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Rechts auf ein faires Verfahren, weil ihm Messunterlagen nicht überlassen worden seien und das AmtsG ein seines Erachtens nicht überprüfbares Geschwindigkeitsmessergebnis verwertet habe.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie ist nicht hinreichend substanziiert begründet. Insbesondere lässt ihre Begründung eine Verletzung von Rechten des Fahrers nicht erkennen. Er legt die gerügte Verletzung in seinem Recht auf ein faires Verfahren nicht hinreichend dar.

Recht auf ein faires Verfahren

Zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zählt das Recht auf ein faires Verfahren, welches aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG folgt. Es erschöpft sich nicht in der Selbstbeschränkung staatlicher Mittel gegenüber den beschränkten Möglichkeiten des Einzelnen, die sich in der Verpflichtung niederschlägt, dass staatliche Organe korrekt und fair zu verfahren haben.

Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens und daran anknüpfender Verfahren gewährleistet das Recht auf ein faires Verfahren dem Betroffenen, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit dem erforderlichen Sachkundewahrnehmen und Übergriffe der im vorstehenden Sinn rechtsstaatlich begrenzten Rechtsausübung staatlicher Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können.

Verfahrensrechtliche „Waffengleichheit“

Der Anspruch auf ein faires Verfahren ist durch das Verlangen nach verfahrensrechtlicher „Waffengleichheit“ von Ankläger und Beschuldigten gekennzeichnet und dient damit in besonderem Maße dem Schutz des Beschuldigten, für den bis zur Verurteilung die Vermutung seiner Unschuld besteht. Dabei enthält das Recht auf ein faires Verfahren keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- oder Verbote; vielmehr bedarf es der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten.

Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht – auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Fachgerichte – ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben worden ist.

Im Rechtsstaat darf der Betroffene nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein; ihm muss die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau auf das Verfahrensrecht sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Rechtspflege in den Blick zu nehmen.

Erfordernisse der wirksamen Rechtspflege

Verfahrensgestaltungen, die den Erfordernissen einer wirksamen Rechtspflege dienen, verletzen daher nicht schon dann den Anspruch auf ein faires Verfahren, wenn verfahrensrechtliche Positionen des Betroffenen dabei eine Zurücksetzung zugunsten einer wirksamen Rechtspflege erfahren.

Das Beschleunigungsgebot ist bei der Konkretisierung des Rechts auf ein faires Verfahren ebenfalls zu berücksichtigen, denn unnötige Verfahrensverzögerungen stellen auch die mit der Ahndung verfolgten Zwecke infrage.

Standardisierte Messverfahren für faires Verfahren ausreichend

Zweck von Maßnahmen zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten ist die Aufrechterhaltung der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit – angesichts des zunehmenden Verkehrsaufkommens und der erheblichen Zahl von Verkehrsübertretungen – der Schutz von Rechtsgütern mit hohem Gewicht, wobei das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs auch in Zusammenhang mit dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben steht.

Die geringeren Anforderungen an die Beweisführung und die Urteilsfeststellungen der Fachgerichte nach der Rechtsprechungspraxis zu sog. standardisierten Messverfahren bei Geschwindigkeitsüberschreitungen genügen diesen Anforderungen an ein faires Verfahren.

(…)

Bundesverfassungsgericht, Beschl. v. 21.06.2023 – 2 BvR 1082/21

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Fundstelle Baden-Württemberg 20/2023, Rd. 250.

Ministerialrat Dr. Dr. Frank Ebert

Ministerialrat a.D. Dr. Dr. Frank Ebert

Leiter des Thüringer Prüfungsamts a.D., Erfurt
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