11.02.2021

Praxisrelevante Klarstellungen (3)

Neuere Rechtsprechung zum Berufsrecht der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure – Teil 3

Praxisrelevante Klarstellungen (3)

Neuere Rechtsprechung zum Berufsrecht der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure – Teil 3

Der Öffentlich bestellte Vermessungsingenieur ist bei der Durchführung amtlicher Vermessungen an die Bestimmungen des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes gebunden. ©PRODUCTION PERIG – adobe stock.com
Der Öffentlich bestellte Vermessungsingenieur ist bei der Durchführung amtlicher Vermessungen an die Bestimmungen des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes gebunden. ©PRODUCTION PERIG – adobe stock.com

Der Beitrag stellt die neuere Rechtsprechung zum Berufsrecht der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure vor und ordnet sie in den Kontext bislang ergangener Entscheidungen ein. Bei der Analyse ist festzustellen, dass einerseits die bereits vorliegende Rechtsprechung bestätigt wird, anderseits aber auch bislang ungeklärte Rechtsfragen einer (erstmaligen) gerichtlichen Klärung zugeführt werden. Die gerichtlichen Entscheidungen zeichnen sich durch hohe Praxisrelevanz sowohl für die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure als auch für die Aufsichtsbehörden aus. Teil 3 befasst sich mit der gesetzlichen Altersgrenze sowie mit dem Disziplinarrecht.

Gesetzliche Altersgrenze

Während in einigen Bundesländern gesetzliche Altersgrenzen für Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure existieren, sind solche in anderen Bundesländern nicht vorhanden. In den vergangenen Jahren haben sich immer wieder Rechtsstreitigkeiten entwickelt, die sich mit der Frage beschäftigt haben, ob die gesetzlichen Altersgrenzen mit höherrangigem Recht vereinbar sind. Hier spielt insbesondere das Verbot der Altersdiskriminierung eine wichtige Rolle. Dieses ist in der Richtlinie 2000/78/EG des Rates der Europäischen Union vom 27. November 2000 verankert und hat seinen bundesgesetzlichen Niederschlag im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14. August 2006 gefunden (Kriesten 2017, S. 264 ff.). Eine solche gesetzliche Höchstaltersgrenze stellt eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters dar, sodass der Frage maßgebliche Bedeutung zukommt, ob und inwieweit Rechtfertigungsgründe im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG bzw. des AGG einer unzulässigen Altersdiskriminierung entgegenstehen (Kriesten 2017, S. 265). Selbstverständlich existieren auch für viele andere Berufsgruppen gesetzliche Altersgrenzen, sodass eine Unsumme an gerichtlichen Entscheidungen auf nationaler wie europäischer Ebene zum Themenkomplex »Altersgrenze« existiert.

Für den Bereich der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure sind in jüngerer Vergangenheit gerichtliche Entscheidungen zu den nach baden-württembergischem und sächsischem Recht bestehenden Altersgrenzen ergangen. Dabei ist die baden-württembergische Altersgrenze durch Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 26.02.2019, Az. 9 S 2567/17, die sächsische Altersgrenze durch Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.01.2016, Az. 10 B 10.15, (Vorinstanz: OVG Sachsen, Urteil vom 11.11.2014, 4 A 784/13) als mit höherrangigem Recht vereinbar bestätigt worden.


Eine Ungleichbehandlung wegen des Alters stellt dann keine Diskriminierung dar, wenn sie sachlich gerechtfertigt ist. Die Rechtsprechung hat sich im Zusammenhang mit der gesetzlichen Altersgrenze für Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure mit drei möglichen Rechtfertigungsgründen auseinandergesetzt: Neben der möglichen zulässigen unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters im Sinne des § 10 AGG i.V.m. Art. 6 der Richtlinie 2000/78 EG spielen als weitere Rechtfertigungsgründe § 8 AGG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 EG (zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen) und der in Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 EG statuierte Sicherheitsvorbehalt eine Rolle.

Gemäß § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG ist ungeachtet des § 8 AGG eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen, erforderlich und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sind lediglich sozialpolitische Ziele als legitime Ziele im Sinne des Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG anzuerkennen, sodass die Gewährleistung eines geordneten Rechtsverkehrs kein Ziel in diesem Sinne darstellt (Kriesten 2017, S. 265). Dementsprechend wurde für den Bereich der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure durch die nationale Rechtsprechung entschieden, dass die Gewährleistung eines geordneten amtlichen Vermessungswesens kein legitimes Ziel im Sinne des Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG bzw. des § 10 AGG verfolgt (Kriesten 2017, S. 266).

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Vermessungsrecht_Grenzstreit

Im Hinblick auf die sächsische Altersgrenze für Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure hat das Bundesverwaltungsgericht bereits im Beschluss vom 29.01.2016, 10 B 10.15, das Judikat des sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11.11.2014, 4 A 784/13, bestätigt, wonach die Altersgrenze für Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure im Freistaat Sachsen jedoch das sozialpolitische Ziel der altersmäßigen Durchmischung des Berufsstandes verfolgt und damit der Sicherung des beruflichen Nachwuchses dient, sodass die Altersgrenze im Sinne des Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG bzw. des § 10 AGG gerechtfertigt ist (Kriesten 2017, S. 266).

Im Hinblick auf die in Baden-Württemberg bestehende Altersgrenze für Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure hat nunmehr der VGH Mannheim im Urteil vom 26.02.2019, 9 S 2567/17 entschieden, dass die baden-württembergische Altersgrenze ebenfalls (auch) sozialpolitische Aspekte in Form der Schaffung beziehungsweise Beibehaltung einer ausgewogenen Altersstruktur durch eine landesweit flächendeckende Versorgung mit hoheitlichen Vermessungsdienstleistungen im Sinne des Art. 6 der Richtlinie 2000/78 EG bzw. § 10 AGG verfolgt. Während das OVG Sachsen als weitere Voraussetzung für den Rechtfertigungsgrund eine nicht näher spezifizierte und aus rechtsdogmatischer Sicht wenig überzeugende »Bedarfsprüfung« einforderte (Kriesten 2017, S. 266 f.), verzichtete der VGH Mannheim hierauf zutreffender Weise.

Mit weiteren in Frage kommenden Rechtfertigungsgründen hat sich die Rechtsprechung zur sächsischen Altersgrenze – anders als bei der baden-württembergischen Altersgrenze – nicht näher befasst. Der VGH Mannheim sieht den Rechtfertigungsgrund der zulässigen unterschiedlichen Behandlung wegen beruflicher Anforderungen im Sinne des § 8 AGG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 EG als im Ergebnis nicht einschlägig an. Er begründet dies damit, dass die Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit des Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs nicht den hohen Stellenwert erreichen, den der EuGH der Vorschrift des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG beimisst. Die danach erforderlichen außergewöhnlich hohen körperlichen Anforderungen seien mit der Tätigkeit des Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs nicht verbunden.

Als weiteren Rechtfertigungsgrund anerkennt der VGH Mannheim jedoch auch den Sicherheitsvorbehalt gemäß Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 EG. Nach diesem Sicherheitsvorbehalt berührt die Richtlinie 2000/78 EG nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, der Verteidigung, der Ordnung und der Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten Anderer notwendig sind. Auch wenn der nationale Gesetzgeber diese Norm nicht in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz übernommen hat, steht nach der nationalen obergerichtlichen Rechtsprechung das Schweigen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes anderweitigen Regelungen des innerstaatlichen Rechts außerhalb dieses Gesetzes nicht entgegen, was bedeutet, dass die Norm in der Bundesrepublik inhaltlich Anwendung findet (Kriesten 2017, S. 269). Nach Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim verfolgt die in Baden-Württemberg geltende gesetzliche Altersgrenze wegen der Bedeutung des amtlichen Vermessungswesens ein legitimes Ziel im Sinne dieses Sicherheitsvorbehaltes, namentlich die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Verwirklichung eines ordnungsgemäßen Grundstücksverkehrs und der Gewährleistung des Eigentumsgrundrechts. Die gesetzliche Altersgrenze ist nach der Entscheidung des VGH Mannheim zudem zur Verfolgung des legitimen Ziels geeignet, erforderlich und angemessen und steht überdies mit dem Kohärenzgebot (s. Kriesten 2017, S. 269) in Einklang.

Disziplinarrecht

Das Disziplinarrecht gegenüber Öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich und zum Teil nur sehr oberflächlich geregelt (Kriesten 2017, S. 277). Insbesondere finden sich kaum Normen zur Beantwortung der Frage, inwieweit die Verfolgung und Ahnung von Dienstpflichtverletzungen des Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs mit der Durchführung eines förmlichen Disziplinarverfahrens zu korrespondieren hat (Kriesten 2017, S. 277). Auch in denjenigen Ländern, in denen die vermessungsrechtlichen Normen keine ausdrückliche Aussage über die Durchführung eines förmlichen Disziplinarverfahrens treffen, ist aus übergeordneten Rechtsgrundsätzen jedoch davon auszugehen, dass die Ausübung der Disziplinargewalt mit der Durchführung eines förmlichen Verfahrens zu korrespondieren hat, indem wesentliche rechtsstaatliche Standards eingehalten werden (Kriesten 2017, S. 277). Dabei ist es jedoch ausreichend, wenn sich das Verfahren an den Vorgaben des jeweils maßgeblichen Landesverwaltungsverfahrensgesetzes orientiert, weil damit maßgebliche Verfahrensrechte wie der Untersuchungsgrundsatz (§ 24 VwVfG), die zulässigen Beweismittel (§ 26 VwVfG) und das Anhörungsrecht (§ 28 VwVfG) gewahrt bleiben und damit die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards regelmäßig sichergestellt ist (Kriesten 2017, S. 277). Dementsprechend folgt auch aus der fehlenden Belehrung des Betroffenen über sein Schweigerecht kein Beweisverwertungsverbot (Kriesten 2017, S. 278). Rechtlich zweifelhaft ist jedoch die Auffassung des VG Düsseldorf in einer neueren Entscheidung (VG Düsseldorf, Urteil vom 19.06.2018, 4 K 15775/16), wonach die nur zögerliche Mitwirkung eines ÖbVI bei der Aufklärung eines ihn belastenden Sachverhaltes sanktionserhöhend wirkt. Jedenfalls in denjenigen Fällen, in denen die Sachverhaltsaufklärung nicht der Herstellung rechtmäßiger Zustände, sondern alleine der Aufklärung eines möglichen Dienstvergehens dient, dürfte eine sanktionsbewehrte Mitwirkungspflicht des ÖbVI rechtlich schwer zu begründen sein.

Literatur

Kriesten, M. (2017): Vermessungsrecht, Grenzstreitigkeiten und Recht der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure. 1. Auflage, Richard Boorberg Verlag, Stuttgart.

 

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

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Die Serie: Praxisrelevante Klarstellungen

 

Markus Kriesten

Regierungsdirektor beim Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg
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