15.02.2021

Infektionsschutzgesetz – Verfassungsbeschwerde gegen Allgemeinverfügungen

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Infektionsschutzgesetz – Verfassungsbeschwerde gegen Allgemeinverfügungen

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Hessen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Hessen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Ein Elternpaar und ihre vier minderjährigen Kinder haben vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wegen Maßnahmen i. R. d. Covid-19-Pandemie Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie wehrten sich zum einen gegen Allgemeinverfügungen, die Maßnahmen zum Schulbetrieb und im Bereich der Kindertagesstätten aufgrund des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) und der Pandemie-Verordnungen vorsehen sowie gegen die Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes durch die bayerischen Fachgerichte.

Zum Sachverhalt

Die Eltern sind beide voll berufstätig, ein Kind ist seit Anfang Mai in der Notbetreuung der Kindertagestätte, die anderen drei Kinder sind schulpflichtig. Die Beschwerdeführer machen geltend, dass durch die Allgemeinverfügungen vom 08.05.2020 und vom 19.05.2020 das Recht auf Bildung und persönliche Entwicklung eingeschränkt ist. Die Allgemeinverfügungen haben aufgrund von Verordnungen zum Gegenstand, dass an allen schulvorbereitenden Einrichtungen und Schulen der Unterricht entfällt sowie nur in Ausnahmefällen für einige Jahrgangsstufen und Schulformen vorgesehen sind und dass bei Kindertagesstätten die regulären Betreuungsangebote entfallen und nur eine Notbetreuung angeboten wird.

Erschöpfung des Rechtsweges ist zumutbar

Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen die Allgemeinverfügungen wenden, sind sie unzulässig, weil sie gegen den Grundsatz der Subsidiarität verstoßen. Wegen der Befristung der Allgemeinverfügungen kann über Anfechtungsklagen gegen die Maßnahmen zwar nicht zeitnah entschieden werden, aber das Verfahren in der Hauptsache kann im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage fortgeführt werden, wenn sich die angegriffenen Maßnahmen aufgrund der Befristung erledigt haben.


Ferner ist eine Klage in der Hauptsache nicht deshalb aussichtslos, weil die Fachgerichte bereits bei einer summarischen Prüfung zu der Auffassung gelangt sind, dass eine Klage aussichtslos ist. Dies liegt zum einen darin begründet, dass es zur Rechtmäßigkeit der verschiedenen Corona-Verbote noch keine gefestigte Rechtsprechung gibt, zum anderen sind die verfassungsrechtlichen Fragen nur bei Aufbereitung der tatsächlichen und rechtlichen Entscheidungsgrundlagen und damit der spezifischen Rahmenbedingungen und Risikoeinschätzungen zu beantworten, die im Detail im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nicht umfassend geprüft werden. Eine Verfassungsbeschwerde vor Erschöpfung des Rechtsweges ist daher nicht ausnahmsweise zulässig.

Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes durch die Fachgerichte

Bei einem offenen Ausgang der Verfassungsbeschwerde ist wegen der weitreichenden Folgen einer einstweiligen Anordnung eine Folgenabwägung vorzunehmen, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist. Bei der Folgenabwägung sind die Auswirkungen auf alle, nicht nur auf die Betroffenen, abzuwägen. Durch die Einschränkungen des Schulbetriebs und des Betreuungsangebots in Kindertagesstätten wird das Familien- und Berufsleben stark belastet und der eingeschränkte Präsenzbetrieb an Schulen und das eingeschränkte Betreuungsangebot in Kindertagesstätten beeinträchtigen die persönlichen und sozialen Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder und deren Bildungschancen. Andererseits besteht die durch das Robert-Koch-Institut (RKI) bestätigte Erkenntnis, dass die Reduzierung sozialer Kontakte zu einer Reduzierung von Infektionsketten führt und auch Kinder bei der Verbreitung des Virus eine gewisse Rolle spielen.

Ohne die Einschränkungen erhöht sich die Gefahr der Erkrankung vieler Personen mit dem Virus. Für viele besteht durch Ansteckung mit dem aggressiven Virus die Gefahr für Leib und Leben und damit für die Beeinträchtigung eines Grundrechts, das der Staat nach dem Grundgesetz (GG) zu schützen hat. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Grundannahmen als Voraussetzung für die Maßnahmen, in gewissen zeitlichen Abständen überprüft werden. Es ist geplant, ab 15.06.2020 den Präsenzunterricht stufenweise wieder aufzunehmen und in den Kindertagesstätten eine ausgeweitete Notbetreuung vorzusehen, so dass die Folgenabwägung i. d. R. zugunsten des Schutzes von Leib und Leben ausgeht. Vorliegend ist bei den schulpflichtigen Kindern der Präsenzbetrieb im Wochenwechsel bereits aufgenommen und die Kindergartenkinder besuchen bereits seit Anfang Mai die Notbetreuung.

Durch die Befristung der Allgemeinverfügungen ist zudem sichergestellt, dass die Verordnungen nach der Erkenntnis neuester Entwicklungen fortgeschrieben werden müssen, wobei immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist und ggf. zu einem regulären Schul- und Betreuungsbetrieb zurückgekehrt werden kann. Bzgl. der Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes durch die Fachgerichte ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung daher nicht begründet.

Fundstelle He 2021/9

 
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