23.11.2023

Neuere Rechtsprechung zum Flurbereinigungsrecht

Formelles Recht - Teil 1

Neuere Rechtsprechung zum Flurbereinigungsrecht

Formelles Recht - Teil 1

Die Flurneuordnung ist über ihre Bedeutung als agrar­strukturelle Ordnungsmaßnahme hinaus zu einem umfassenden Instrument zur Entwicklung der ländlichen Räume geworden. | © ARochau
Die Flurneuordnung ist über ihre Bedeutung als agrar­strukturelle Ordnungsmaßnahme hinaus zu einem umfassenden Instrument zur Entwicklung der ländlichen Räume geworden. | © ARochau

Mit der hohen Bedeutung der Flurbereinigung korrespondieren zahlreiche rechtliche Fragestellungen, mit denen sich die für das Flurbereinigungsrecht zuständigen Gerichte zu beschäftigen haben. Der Beitrag stellt die wichtigsten Entscheidungen der jüngeren Vergangenheit in der gebotenen Kürze vor und behandelt das formelle Flurbereinigungsrecht. Teil  2 ist dann dem materiellen Recht gewidmet. Zusammenfassend ist festzustellen, dass keine signifikanten Änderungen der bisherigen Rechtsprechung zu verzeichnen sind, sondern diese oftmals bestätigt und weiterentwickelt wurde.

1 Einleitung

Die Flurneuordnung ist über ihre Bedeutung als agrar­strukturelle Ordnungsmaßnahme hinaus zu einem umfassenden Instrument zur Entwicklung der ländlichen Räume geworden und besonders geeignet, die Ziele der Landentwicklung sozialverträglich und bürgernah umzusetzen. Neben einkommenswirksamen Verbesserungen für die Land-­ und Forstwirtschaft werden in großem Umfang Leistungen für die Allgemeinheit erbracht. Kernkompetenzen der Flurneuordnung sind die Moderation unterschiedlicher Nutzungsinteressen und die Möglichkeit, Grundeigentumsverhältnisse umfassend neu zu ordnen. Mit dieser Kombination werden für die Herausforderungen im ländlichen Raum geeignete Lösungen gefunden.

Mit der hohen Bedeutung der Flurbereinigungsverwaltung korrespondieren naturgemäß auch rechtliche Fragestellungen, mit denen sich die für das Flurbereinigungsrecht zuständigen Gerichte zu beschäftigen haben, deren Besetzung gemäß § 139 FlurbG die erforderliche Sachkunde gewährleistet (vgl. BVerwG 2021b). Mit dem vorliegenden Beitrag sollen die wichtigsten Entscheidungen der neueren Rechtsprechung zum formellen Flurbereinigungsrecht prägnant und verständlich dargestellt werden. Die Analyse wird mit Teil 2 fortgesetzt, der das materielle Flurbereinigungsrecht behandelt. Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass für das Vermessungs-­ und Katasterrecht auf die aktuelle Darstellung von Kriesten (2022) verwiesen werden kann.


2 Zulässigkeit flurbereinigungsgerichtlicher Verfahren

2.1 Nachsichtgewährung (§ 134 FlurbG)

Die Regelungen zur Nachsichtgewährung in § 134 FlurbG stellen für das flurbereinigungsbehördliche (nicht für das flurbereinigungsgerichtliche) Verfahren eine spezialgesetzliche und damit vorrangige Bestimmung zu der im allgemein Verwaltungsrecht bestehenden Regelung der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bei unverschuldeter Fristversäumung gemäß § 32 VwVfG dar. Wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Bay. VGH 2020a) darstellt, kann gegen die Versäumung einer Klagefrist gemäß § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG nur die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO begehrt werden (s. auch Wingerter und Mayr 2018, § 134, Rd.­Nr. 1). Anders als bei der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand kann die Flurbereinigungsbehörde im Rahmen einer Ermessensentscheidung (ausnahmsweise) auch bei schuldhaftem Verhalten des Rechtsschutzbegehrenden Nachsicht im Sinne des § 134 FlurbG gewähren, vor allem, um offenbare Härten zu vermeiden. Die Behörde hat bei ihrer Ermessensentscheidung jedoch insbe­sondere auch die Grundsätze der Verfahrensbeschleunigung und der Rechtssicherheit zu beachten (vgl. Bay. VGH 2022a,b; Wingerter und Mayr 2018, § 134, Rd.­Nrn. 5-7), sodass im Regelfall eine Nachsichtgewährung bei schuldhaftem Verhalten nicht möglich ist (vgl. Nds. OVG 2022b). Da auf dem Gebiet des Flurbereinigungsrechts nicht nur das Verwaltungsverfahren, sondern auch das gerichtliche Verfahren beschleunigt durchzuführen ist, hat das Gericht in eigener Zuständigkeit zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Nachsichtgewährung nach § 134 FlurbG vorliegen, und ist nicht an die Entscheidung der Behörde zur Frage der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs gebunden (vgl. Bay. VGH 2022a mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; Wingerter und Mayr 2018, § 142, Rd.­Nr. 5).

Dies bedeutet, dass das Gericht bei unverschuldeter Versäumung einer Widerspruchsfrist den verspäteten Widerspruch als rechtzeitig zu betrachten hat, wenn der Widerspruch nach Behebung des Hindernisses unverzüglich nachgeholt wird, was selbst dann gilt, wenn die Flurbereinigungsbehörde den Widerspruch irrtümlich als schuldhaft verfristet betrachtet hat. Dabei bedeutet »unverzüglich nachholen« im Sinne des § 134 Abs. 2 FlurbG eine kürzere Frist als die in § 60 Abs. 2 VwGO zur Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand genannte 2-­Wochen-­Frist (Bay.  VGH 2022b). Im Falle der behördlichen Annahme der schuldhaften Versäumung der Widerspruchsfrist prüft das Gericht die behördliche Ermessensentscheidung bzgl. der Nachsichtgewährung (Bay. VGH 2022a). Schuldhaftes Verhalten ist in diesem Sinne anzunehmen, wenn ein Beteiligter ohne Hindernis die ihm gewährte Möglichkeit zur Information und zur Überlegung innerhalb der gesetzlichen Frist nicht nutzt, weil er damit nicht die Sorgfalt wahrt, die von einem verantwortungsbewussten Beteiligten bei der Durchsetzung seiner eigenen Belange erwartet werden muss (vgl. Bay. VGH 2022 a, b mit weiteren Nachweise und Bay. VGH 2020b).

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Vermessungsrecht_Grenzstreit

§ 134 FlurbG hat in der Praxis der flurbereinigungsrechtlichen Streitigkeiten eine nicht unerhebliche Bedeu­tung. Ist ein im flurbereinigungsgerichtlichen Verfahren angegriffener Rechtsakt bereits in Bestandskraft erwachsen und liegen die Voraussetzungen der Nachsichtgewährung gemäß § 134 FlurbG nicht vor, fehlt es schon an einer Sachentscheidungsvoraussetzung für eine Klage, sodass diese bereits unzulässig ist (vgl. Nds. OVG 2021b, bestätigt durch BVerwG 2022; Nds. OVG 2022b; Bay. VGH 2020b).

2.2 Untätigkeitsklage (§ 142 FlurbG)

§ 142 FlurbG stellt eine flurbereinigungsrechtliche Spezialbestimmung gegenüber der Situation der Untätigkeitsklage nach allgemeinem Verwaltungsrecht gemäß § 75 VwGO dar. Besonders bemerkenswert ist, dass gemäß § 142 Abs. 2 Satz 2 FlurbG nicht nur das Recht, sondern sogar die Ob­liegenheit zur zeitnahen Untätigkeitsklageerhebung besteht, weil eine spätere Klageerhebung die Unzulässigkeit des Rechtsmittels begründet (vgl. VGH BW 2022b). Auf diese Folgen muss in der Rechtsbehelfsbelehrung des im flurbereinigungsrechtlichen Verfahren erlassenen Verwaltungsaktes zudem auch nicht hingewiesen werden (vgl. Wingerter und Mayer 2018, § 142, Rd.­Nr. 17 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen, u. a. BVerwG 1995).

Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes ist die Norm allerdings restriktiv auszulegen (vgl. VGH BW 2022b unter Verweis auf Bay. VGH 2004; Wingerter und Mayr 2018, § 142, Rd.­Nr. 16). Dies bedeutet nach der Rechtsprechung mehrerer Flurbereinigungsgerichte, dass der Ablauf der Frist des § 142 Abs. 2 Satz 2 FlurbG den Rechtsschutz dann nicht ausschließt, wenn der Kläger durch das Verhalten der Widerspruchsbehörde von einer rechtzeitigen Klageerhebung abgesehen hat (vgl. VGH BW 2022b; Hess. VGH 2019; OVG ST 2016; Bay. VGH 2014). Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage bislang offengelassen (vgl. BVerwG 1995 und 1981b). Die mit § 142 Abs. 2 FlurbG verbundene Unanfechtbarkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes wird zudem durch eine Sachentscheidung der Widerspruchsbehörde beseitigt, sodass insoweit »Heilung« eintritt. (vgl. Bay. VGH 2022c; Nds. OVG 2022b; Wingerter und Mayr 2018, § 142, Rd.­Nr. 20).

Andererseits darf die Ausschlussfrist des § 142 Abs. 2 Satz 2 FlurbG nicht dahingehend missverstanden werden, dass sie nur auf Einrede der Behörde zu beachten ist (vgl. VGH BW 2022b). Vielmehr stellt sie – auch im Hinblick auf den Grundsatz der beschleunigten Durchführung des Flurbereinigungsverfahrens – eine gesetzliche Zulässigkeitsvoraussetzung dar, die vom Gericht unabhängig davon zu prüfen ist, ob sich die Flurbereinigungsbehörde darauf beruft oder nicht (vgl. VGH BW 2022b). Daher ist es auch ohne Bedeutung, wenn die Widerspruchsbehörde erst nach Ablauf der Frist des § 142 Abs. 2 Satz 2 FlurbG Erklä­rungen abgibt, die den Rechtsschutzbegehrenden von einer Klageerhebung abhalten könnten (vgl. VGH BW 2022b).

Schließlich wird in Rechtsprechung und Literatur erwogen, dem Rechtsschutzbegehrenden zumindest noch die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand unter den Voraussetzungen des § 60 VwGO zu gewähren, jedenfalls dann, wenn dies nach Treu und Glau­ben zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse geboten sein könnte (vgl. Wingerter und Mayr 2018, § 142, Rd.­Nr. 16a; Bay. VGH 2001). Der Verwaltungsgerichtshof Baden-­Württemberg verneint im Urteil vom 07.07.2022 (VGH BW 2022b) unter Verweis auf seine frühere Entscheidung vom 20.05.2010 (VGH BW 2010) eine solche Möglichkeit unter Bestätigung seiner bisherigen Rechtspre­chung, wonach die Klagefrist des § 142 Abs. 2 FlurbG eine gesetzliche Ausschlussfrist ohne Wiedereinsetzungsmöglichkeit sei.

Die einmal bestehende Zulässigkeit der Untätigkeits­klage wird auch durch eine zwischenzeitlich ergehende behördliche Entscheidung nicht nachträglich beseitigt. Im Falle einer Untätigkeitsklage wird das Verfahren in diesen Fällen vielmehr unter Einbeziehung des Bescheids bzw. des Widerspruchsbescheids fortgeführt (vgl. Bay. VGH 2022b unter Verweis auf BVerwG 2021c sowie Wingerter und Mayr 2018, § 142, Rd.­Nr. 19).

3 Formalrechtliche Fragestellungen

3.1 Widerspruch gegen den Flurbereinigungsplan

§ 59 Abs. 2 FlurbG begründet eine Sonderbestimmung, wonach Widersprüche gegen den bekanntgegebenen Flurbereinigungsplan in anderer Form und Frist als nach allgemeinem Verwaltungsrecht vorgesehen (§ 70 VwGO) eingelegt werden müssen. Die in § 59 Abs. 2 FlurbG gestellten Anforderungen sind abschließend (vgl. Nds. OVG 2021b, bestätigt durch BVerwG 2022). Daher sind vorab des Termins oder im Nachhinein eingelegte Widersprüche unzulässig (vgl. Wingerter und Mayr 2018, § 59, Rd.­Nr. 5). Ebenso stellt die gesetzliche Bestimmung keine hinausgehenden Anforderungen an die Belehrung (vgl. Nds. OVG 2021b, bestätigt durch BVerwG 2022). Die grundsätzliche Präklusionswirkung bei Nichteinhaltung der Anforderungen des § 59 Abs. 2 FlurbG kann ggf. noch im Wege der Nachsichtgewährung (§ 134 Abs. 2 FlurbG) korrigiert werden (vgl. Bay. VGH 2022b; Wingerter und Mayr 2028, § 59, Rd.­Nr. 10). Etwaige Fehler der Ladung werden gemäß § 114 Abs. 3 Satz 2 FlurbG obsolet, soweit der Betroffene im Anhörungstermin tatsächlich anwesend war und insoweit keine Mängel gerügt hat (vgl. Nds. OVG 2022a und 2018).

3.2 Prüfungsumfang im Widerspruchsverfahren

Bei der Prüfung des Widerspruchs durch die Widerspruchsbehörde existieren Besonderheiten in Bezug auf den Flurbereinigungsplan (§§ 56 ff. FlurbG). Ausdrücklich vorbehalten bleibt die Bestimmung des § 59 Abs. 2 FlurbG, sodass Widersprüche gegen den bekanntgegebenen Flurbereinigungsplan im Anhörungstermin zur Vermeidung des Ausschlusses vorgebracht werden müssen. Die untere Flurbereinigungsbehörde ist für den Erlass des Flurbereinigungsplanes gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 3 FlurbG zuständig. Sie hat – wie nach § 72 VwGO im allgemeinen Verwaltungsrecht auch üblich – zu prüfen, ob eine Abhilfe des Widerspruchs gegen den Flurbereinigungsplan, der einen Verwaltungsakt in Form der Allgemeinverfügung darstellt (vgl. Hess. VGH 2020), möglich ist (vgl. Wingerter und Mayr 2018, § 59, Rd.­Nr. 3).

Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass die untere Flurbereinigungsbehörde bei dieser Abhilfeprüfung weitergehende Rechtspositionen besitzt als die obere Flurbereinigungsbehörde als Widerspruchsbehörde. Dies folgt daraus, dass in § 141 Abs. 1 Satz 3 FlurbG nur § 60 Abs. 1 Sätze 3 und 4 FlurbG für entsprechend anwendbar erklärt werden, nicht aber § 60 Abs. 1 Satz 2 FlurbG (vgl. OVG RP 2021 unter Verweis auf BVerwG 1971). Während die (untere) Flurbereinigungsbehörde nach § 60 Abs. 1 Satz 2 FlurbG damit befugt ist, bei Gelegenheit eines Widerspruchs jede ihr sinnvoll erscheinende Änderung des Flurbereinigungsplans vorzunehmen, ist die obere Flurbereinigungsbehörde als Widerspruchsbehörde bzw. als Spruchstelle nur zu solchen Änderungen berechtigt, die im Rahmen des bei ihr anhängigen Rechtsschutzverfahrens notwendig sind, um dem Widerspruch abzuhelfen (vgl. OVG RP 2021 unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung). Die Abänderungsbefugnis der oberen Flurbereinigungsbehörde als Widerspruchsbehörde ist somit auf die ihr im Widerspruchsverfahren zustehende Rechtsschutzfunktion beschränkt. Zum Umfang dieser Rechtsschutzfunktion enthält § 141 FlurbG keine nähere Regelung. Nach § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG gilt deshalb § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wonach die Widerspruchsbehörde Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit nachzuprüfen hat (vgl. OVG RP 2021 auch unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung). Die weitergehenden Möglichkeiten nach § 60 Abs. 1 Satz 1 und 2 FlurbG hat sie hingegen nicht.

3.3 Zuständigkeit der Flurbereinigungsgerichte

Aus § 138 Abs. 1 Satz 1 ergibt sich die Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte statt der Verwaltungsgerichte in flurbereinigungsgerichtlichen Streitigkeiten. Im Hinblick auf § 140 Satz 1 FlurbG gilt, dass dessen tatbestandliche Beschränkung auf Anhängigkeit »vor Eintritt der Unanfechtbarkeit der Schlussfeststellung« nach dem Wortlaut und dem Sinngehalt der Vorschrift nicht für die 1. Alternative des § 140 Satz 1 FlurbG (Anfechtungsklage) und auch nicht für die 2. Alternative des § 140 Satz 1 FlurbG (Verpflichtungsklage) gilt, sondern lediglich für die 3. Alternative des § 140 Satz 1 FlurbG, d. h. die sonstigen »Streitigkeiten, die durch ein Flurbereinigungsverfahren hervorgerufen werden« (vgl. VGH BW 2022b unter Verweis auf Nds. OVG 2002; Bay. VGH 2021a; VG Aachen 2021; Wingerter und Mayr 2018, § 140, Rd.­Nr. 15). Eine vom Kläger behauptete (und nicht gänzlich auszuschließende) Nichtigkeit der Schlussfeststellung, die auch auf einer Nichtigkeit des Flurbereinigungsplanes basieren könnte, verhindert zudem, dass die Zuständigkeit des Flurbereinigungsgerichts endet (vgl. VGH BW 2022b unter Verweis auf OVG RP 1958). Insoweit weist die Rechtsprechung ergänzend und zutreffend darauf hin, dass die Schlussfeststellung als Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 Satz 2 VwVfG in Bestandskraft erwachsen kann, soweit nicht (ausnahmsweise) Nichtig­keitsgründe im Sinne des § 44 VwVfG vorliegen (vgl. VGH BW 2022b). Eine »sonstige Rechtsstreitigkeit« im Sinne des § 140 Satz 1 Alt. 3 FlurbG ist eine solche, die nur mittelbar durch das Flurbereinigungsverfahren hervorgerufen worden ist, etwa in Bezug auf Rechte Dritter (vgl. Bay. VGH 2021a unter Verweis auf Wingerter und Mayr 2018, § 140, Rd.­Nr. 6).

Zu beachten ist, dass § 140 Satz 1 Alt. 1 und 2 FlurbG trotz der besonderen Erwähnung von »Anfechtung« und » Verpflichtung« keine abschließende Regelung über die zulässigen Prozessarten treffen. Vielmehr kommen in der Hauptsache neben Anfechtungs-­ und Verpflichtungskla­gen insbesondere auch Feststellungs-­ und (allgemeine) Leistungsklagen in Betracht (vgl. Bay. VGH 2021a; Wingerter und Mayr 2018, § 140, Rd.­Nrn. 3 ff.).

3.4 Gerichtliche Entscheidungen (§ 144 FlurbG)

§ 144 FlurbG gibt dem Flurbereinigungsgericht eine gegenüber dem sonstigen Verwaltungsprozess erweiterte Entscheidungsbefugnis (vgl. Bay. VGH 2021b; Nds. OVG 2021a; Wingerter und Mayr 2018, § 144, Rd.­Nrn. 1 f.). Dabei ist das Flurbereinigungsgericht nicht nur selbst zur Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes befugt (vgl. VGH BW 2022a), sondern im Hinblick auf das in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommende Gebot der Verfahrensbeschleunigung soweit möglich auch gehalten (vgl. Nds. OVG 2022c; Bay. VGH 2021c). Eine Pflicht zur Beiladung folgt daraus aber nur dann, soweit tatsächlich eine Neugestaltung vorgenommen wird, durch die gleichzeitig in die Rechte anderer Teilnehmer eingegriffen wird (vgl. BVerwG 2021a unter Verweis auf Wingerter und Mayr 2018, § 144, Rd.­Nr. 8).

Das Flurbereinigungsgericht ist hingegen grundsätzlich nicht berechtigt – über den Wortlaut des § 144 FlurbG hinaus – nicht nur den Widerspruchsbescheid, sondern auch den Ausgangsverwaltungsakt aufzuheben (vgl. Nds. OVG 2022c). Eine solche Ausnahme ist lediglich dann möglich, wenn der etwaige Mangel des Ausgangsverwaltungsaktes gar nicht geheilt werden kann, sodass die Zurückweisung an die Flurbereinigungsbehörde, d. h. die Widerspruchsbehörde, zur erneuten Verhandlung und Bescheidung lediglich eine Förmelei wäre, die mit dem Beschleunigungsgebot nicht zu vereinbaren wäre (vgl. Nds. OVG 2022c unter Verweis auf BVerwG 2016; Wingerter und Mayr 2018, § 144, Rd.­Nr. 4).

3.5 Öffentliche Bekanntmachungen und deren Rechtsfolgen

Die öffentliche Bekanntmachung nach § 110 FlurbG ist nach zahlreichen Bestimmungen des Flurbereinigungsgesetzes vorgeschrieben, welche Wingerter und Mayr (2018, §110, Rd.­Nr. 2) im Einzelnen auflisten. Die öffentliche Bekanntmachung nach § 110 FlurbG setzt regelmäßig die Frist des § 115 Abs. 1 FlurbG in Lauf (vgl. Nds. OVG 2022c unter Verweis auf Wingerter und Mayr 2018, § 110, Rd.­Nr. 9). § 110 FlurbG ist gegenüber den ansonsten ergänzend heranzuziehenden Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder bzw. dem dort ggfs. in Bezug genommenen VwVfG Sonderregelung und wird von ihnen nicht ergänzt (vgl. Nds. OVG 2022c unter Verweis auf Wingerter und Mayr 2018, § 110, Rd.­Nr. 1).

Rechtsstaatliche Bedenken gegen das Institut der öffentlichen Bekanntmachung bestehen nicht (vgl. Nds. OVG 2022c unter Verweis auf BVerfG 1999; Wingerter und Mayr 2018, § 110, Rd.­Nr. 1). Soweit im Gesetz eine öffentliche Bekanntmachung vorgeschrieben ist, ist diese selbst dann durchzuführen, wenn der bekanntzugebende Rechtsakt spezifisch nur eine Person betrifft, weil zum einen die gesetzgeberische Vorgabe eindeutig ist, zum anderen mittelbar auch andere Personen betroffen sein können (vgl. Nds. OVG 2022c). Die Nichtbeachtung der gemeindlichen Vorschriften hat jedoch nur zur Folge, dass der bekanntzugebende Rechtsakt gegenüber den von ihm Betroffenen nicht wirksam bekanntgegeben ist. Erlangt der Betroffene aber auf andere Weise sichere Kenntnis vom Ergehen des Verwaltungsaktes und seines Betroffenseins, kann er sich auf die fehlerhafte (öffentliche) Bekanntgabe nicht berufen (vgl. Nds. OVG 2022c unter Verweis auf BVerwG 1983; Wingerter und Mayr 2028, § 110, Rd.­Nr. 9). Die sog. auswärtigen Beteiligten, d. h. die Beteiligten, die ihren Wohnsitz weder im Verfahrensgebiet noch in den angrenzenden Gemeinden haben, haben die Obliegenheit, sich über Vorgänge in der Gemeinde, in der sie Grundeigentum besitzen, zu informieren. Daher müssen sie auch öffentliche Bekanntmachung gegen sich gelten lassen (vgl. Bay. VGH 2022a mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen und unter Verweis auf Wingerter und Mayr 2018, § 110, Rd.­Nr. 7).

3.6 Niederschriften über Verhandlungen

§§ 129 und 130 FlurbG regeln die Niederschrift über Ver­handlungen in der Flurbereinigung. Verhandlungen im Sinne des § 129 Abs. 1 FlurbG sind solche, aus denen sich Rechtsfolgen für das weitere Verfahren ergeben und die sich von unverbindlichen Handlungen, wie z. B. Vorschlägen der Flurbereinigungsbehörden oder Stellungnahmen der Beteiligten, unterscheiden (vgl. Wingerter und Mayr 2028, § 129, Rd.­Nrn. 1 f.). Die Verhandlungsniederschrift muss vollständig und eindeutig sein, sodass Ort und Tag ihrer Aufnahme, die Bezeichnung des Flurbereinigungsverfahrens, die Namen der Urkundspersonen, der Verhandlungsgegenstand sowie der Vermerk über die Verlesung und Genehmigung der Niederschrift gemäß § 130 FlurbG und Angaben über die Erschienenen enthalten sein müssen. Die Niederschrift beweist neben der Einhaltung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten (§ 131 FlurbG) darüber hinaus als öffentliche Urkunde den Inhalt der aufgenommenen Erklärungen und deren Vollständigkeit (vgl. Nds. OVG 2021 b, bestätigt durch BVerwG 2022; OVG ST 2021a). Der Inhalt der Niederschrift ist für die Beteiligten mithin verbindlich, wenn sie den Anforderungen des § 129 FlurbG genügt und gemäß § 130 FlurbG genehmigt worden ist (vgl. Nds. OVG 2021b, bestätigt durch BVerwG 2022, unter Verweis auf Wingerter und Mayr 2018, § 129, Rd.­Nrn. 3 ff.).

Die Niederschrift nach §§ 129 ff. FlurbG ersetzt eine gesetzlich notwendige Schriftform einer Erklärung, wie etwa im Falle des § 99 FlurbG (vgl. OVG ST 2021a; Wingerter und Mayr 2018, § 129, Rd.­Nr. 4). Eine etwaig erforderliche notarielle Beurkundung könnte durch die Niederschrift nach §§ 129 ff. FlurbG jedoch nicht ersetzt werden (vgl. OVG ST 2021a). Zu beachten ist, dass eine Vereinbarung über einen Flächentausch im Rahmen eines Flurbereinigungsverfahrens keiner notariellen Beurkundung gemäß § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB bedarf, weil damit  kein Vertrag zustande kommt, der eine Verpflichtung zur Übertragung oder zum Erwerb eines Grundstücks enthält (vgl. OVG ST 2021a unter Verweis auf OLG Frankfurt a. M. 2019). Das OVG ST hat im genannten Urteil vom 31. August 2021 (OVG ST 2021a) in formalrechtlicher Hinsicht zudem zutreffend entschieden, dass die Genehmigungsfiktion des § 130 Abs. 2 FlurbG dann nicht greift, wenn ein Beteiligter, der nach der Verhandlungsniederschrift diese angeblich genehmigt haben soll, dies nachweislich aber gar nicht getan hat, weil er nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme gar nicht anwesend und auch nicht telefonisch zugeschaltet war.

4 Formelle Rechtmäßigkeit des Flurbereinigungsbeschlusses

Aus formalrechtlicher Sicht ist neben der Zuständigkeitsprüfung in verfahrensrechtlicher Hinsicht insbesondere die Bestimmung des § 5 FlurbG zu beachten, wonach die voraussichtlich Beteiligten in geeigneter Weise eingehend über das geplante Flurbereinigungsverfahren einschließlich der voraussichtlich entstehenden Kosten aufzuklären sind. Dabei führt eine ungeeignete Aufklärung zur Aufhebbarkeit des Flurbereinigungsbeschlusses (vgl. OVG NW 2021). Was die für die Teilnehmer interessante Frage der anstehenden Kosten angeht, gilt, dass zum Zeitpunkt der Aufklärungsversammlung der genaue Umfang der geplanten Maßnahmen im Regelfall noch nicht im Einzelnen bekannt ist bzw. feststeht, sodass die Flurbereinigungsbehörde den voraussichtlich beteiligten Grundstückseigentümern noch keine Geldbeträge verbindlich benennen können wird  (vgl. OVG NW 2021). Daher können der Kostenermittlung  – soweit noch keine konkreten Berechnungen vorliegen  – grundsätzlich auch vergleichbare oder ähnliche Flurbereinigungsverfahren und sonstige Erfahrungswerte zugrunde gelegt werden (vgl. OVG NW 2021). Die voraussichtlichen Kosten müssen aber so solide kalkuliert sein, dass sie möglichst eingehalten werden (vgl. OVG NW 2021 und 2017). Eine unzureichende Aufklärung kann nachgebessert und damit geheilt werden (vgl. OVG NW 2021 unter Verweis auf Wingerter und Mayr 2018, § 5, Rd.­Nr. 6). Die Aufklärung muss lediglich in geeigneter Form erfolgen, was auch in der Form einer Videokonferenz möglich sein kann (OVG NW 2021). Eine unzureichende Beteiligung der landwirtschaftlichen Berufsvertretung gemäß § 5 Abs. 2 FlurbG vermittelt zudem keinen Drittschutz zu Gunsten der Teilnehmer, sodass sich diese insoweit nicht auf etwaige Fehler berufen können (vgl. OVG NW 2021 unter Verweis auf Wingerter und Mayr 2018, § 5, Rd.­Nr. 7).

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

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Die Serie: Neuere Rechtsprechung zum Flurbereinigungsrecht

 

Markus Kriesten

Regierungsdirektor beim Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg
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