20.11.2023

Politische Äußerungen als Nötigung oder üble Nachrede

Urteil des Oberlandesgerichts Hamm

Politische Äußerungen als Nötigung oder üble Nachrede

Urteil des Oberlandesgerichts Hamm

Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV

Wegen versuchter Nötigung mit übler Nachrede wurde ein Mann zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Urteil des Amtsgerichts fichten der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mittels einer Berufung an. Nun verwarf das Landgericht die Berufung.

Sachverhalt

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit übler Nachrede zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 50 € verurteilt. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt, die das Landgericht verworfen hat. Der Angeklagte ist Fraktionsvorsitzender der Partei 01 im Rat der Stadt A. Der Nebenkläger ist Fraktionsvorsitzender der Partei 02 und seit November 2018 Leiter des Jugendamts der Stadt B.

Zuvor war er Geschäftsführer von 270 Kindertagesstätten des Bistums C. Nachdem der Ortsverband der Partei 03 auf seiner Homepage einen Artikel veröffentlich hatte, der sich unter anderem kritisch mit der Beendigung des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses des Nebenklägers beim Bistum C auseinandergesetzt hatte, erwog die Partei 01 im Rat eine Anfrage zu stellen, ob der Nebenkläger in einem Kindergarten gearbeitet habe, ob es richtig sei, dass er entlassen worden sei und ob die Entlassung in direktem oder indirektem Zusammenhang mit Kindesmissbrauch gestanden habe.


Auf Anraten des Angeklagten stellte die Partei 01 die Anfrage nicht. Seitens des Bistums waren keine Vorwürfe gegen den Nebenkläger im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch erhoben worden.

StGB – §§ 186, 240

  1. Eine Drohung mit einem empfindlichen Übel i. S. v. § 240 StGB kann nicht nur in klaren und eindeutigen Worten, sondern auch in allgemeinen Redensarten, in unbestimmten Andeutungen in versteckter Form und sogar in schlüssigen Handlungen enthalten sein, etwa wenn ein Stadtratsmitglied damit droht, eine Anfrage mit dem Inhalt, ob die Beendigung einer früheren Tätigkeit eines anderen Ratsmitglieds im Zusammenhang mit sexuellem Kindesmissbrauch stand, obwohl für die Herstellung eines solchen Zusammenhangs keinerlei Anhaltspunkte bestanden.
  2. Zur Auslegung von (politischen) Äußerungen bei der Prüfung der Strafbarkeit nach § 186 StGB.

Oberlandesgericht Hamm (Beschl. v. 29.11.2022 – 5 RVs 99/22)

Aus den Gründen

Die Revision des Angeklagten führt zum Entfallen der tateinheitlichen Verurteilung wegen übler Nachrede sowie zur Aufhebung des Strafausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen versuchter Nötigung. Näherer Erörterung bedarf insofern nur Folgendes:

Eine Drohung mit einem empfindlichen Übel kann nicht nur in klaren und eindeutigen Worten, sondern auch in allgemeinen Redensarten, in unbestimmten Andeutungen in versteckter Form und sogar in schlüssigen Handlungen enthalten sein. Hinreichend ist, dass die Drohung „zwischen den Zeilen“ versteckt erfolgt, sofern nur ihr Ergebnis genügend bestimmt ist. Ob allgemeine, unspezifische Ankündigungen eines schädigenden Verhaltens ausreichen, ist nach den Umständen des Einzelfalles und dem (konkludenten) Äußerungsinhalt in seinem konkreten Bedeutungszusammenhang zu entscheiden.

Ausgehend von diesem Maßstab hat die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Die Kammer hat, wie eine Gesamtschau der Urteilsgründe ergibt, das angedrohte Übel in der schlüssigen Ankündigung des Angeklagten in seiner Rede gesehen, im Rat ohne konkreten Anlass oder Anhaltspunkte diffamierende Anfragen zu stellen, welche betreffend den Nebenkläger im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Kindesmissbrauchs stehen. Diese Ankündigung sollte in die Tat umgesetzt werden, falls die vom Nebenkläger und vom Partei04-Fraktionsvorsitzenden stammende Anfrage nicht zurückgenommen wird. Diese Auslegung der vom Angeklagten gehaltenen Rede ist nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hat in seiner Rede zunächst von der angedachten Anfrage der Partei01 berichtet, welche nahelegte, dass der Nebenkläger als Mitarbeiter eines Kindergartens wegen eines Fehlverhaltens entlassen worden sei, nachdem es im Kindergarten zu Kindesmissbrauch gekommen war.

Sodann hat der Angeklagte erklärt, „diese Anfrage“ bislang abgewendet zu haben, um gleich darauf im nächsten Satz anzukündigen, dass – bei Weigerung, den gestellten Antrag zurückzunehmen – „dann solche Anfragen auch von uns kommen.“ Diese Erklärung kann aus der Sicht eines verständigen Erklärungsempfängers nur dahingehend verstanden werden, dass der Angeklagte selbst zukünftig aktiv an Anfragen mitwirken wollte, welche dem Nebenkläger eine Beteiligung am Kindesmissbrauch und/oder eine unzureichende Aufarbeitung von Kindesmissbrauchsvorwürfen unterstellten. Dass die angekündigten Anfragen hierbei nicht aufgrund konkreter Anhaltspunkte und aus sachlichen Erwägungen heraus erfolgen sollten, ergibt sich bereits daraus, dass ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Anfrage nach der Teilnahme an den Ratssitzungen und den vom Angeklagten angekündigten Anfragen nicht bestand.

Vielmehr sollte – wie insbesondere die Zusammenschau mit den Äußerungen betreffend die Kinder des Nebenklägers belegt („Ist es vielleicht auch für die kleine D oder den E schön, solche Sachen über den Vater zu hören?“; „… die kleine D, die ihre Anfrage dann möglicherweise ausbaden [muss]?“) – die Sorge vor der mit solchen Anfragen einhergehenden rufschädigenden Wirkung dazu genutzt werden, auf die Willensentschließung des Partei04-Fraktionsvorsitzen und des Nebenklägers einzuwirken. Besonderen Nachdruck im vorgenannten Sinne versuchte der Angeklagte seinen Ankündigungen zudem noch dadurch zu verleihen, dass er sich weiterhin brüstete, „Ihr unterirdisches Niveau […] um das Hundertfache noch unterschreiten“ zu können und weiterhin androhte, im Falle des Festhaltens an der Anfrage „ab Donnerstag auf eine ganz andere Art und Weise [zu kämpfen]“.

Die vorgenannte Ankündigung stellt ein empfindliches Übel dar, da der in Aussicht gestellte Nachteil so erheblich ist, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens motivieren zu können. Denn insbesondere bestand aus der Sicht eines verständigen Erklärungsempfängers zu fürchten, dass ein Teil der durch die Anfragen bewirkten Rufschädigung auch dann zurückbleiben würde, selbst wenn die erhobenen Vorwürfe im Nachhinein vollständig ausgeräumt werden sollten.

Des Weiteren ist das vom Angeklagten angedrohte empfindliche Übel auch rechtswidrig im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB. Die Androhung eines Übels ist im Verhältnis zum angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen, wenn die Verquickung von Mittel und Zweck mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens unvereinbar, sie also „sozial unerträglich“ ist. Maßgeblich ist insofern die Konnexität zwischen Zwang und erzwungenem Verhalten. Hieran fehlt es vorliegend gerade. Die Anfragen zur Sitzungsteilnahme der Ratsmitglieder sowie zu Kindesmissbrauchsvorwürfen standen in keinem sachlichen Bezug zueinander. Das in § 55 Abs. 1 Satz 2 GO NRW wurzelnde Auskunftsrecht des Ratsmitglieds darf gerade nicht zu dem Zweck eingesetzt werden, andere Ratsmitglieder von der Ausübung ihres Auskunftsrechts abzuhalten.

Die Zweck-Mittel-Relation stellt sich daher als rechtswidrig dar. Die Feststellungen des Landgerichts tragen hingegen eine Verurteilung wegen übler Nachrede gemäß § 186 StGB nicht. Die üble Nachrede besteht in der Behauptung oder Verbreitung ehrenrühriger nichterweislicher Tatsachen gegenüber einem Dritten, die geeignet sind, fremde Missachtung zu begründen. Behaupten bedeutet hierbei eine ehrenrührige Tatsache als nach eigener Überzeugung wahr auszugeben.

Unerheblich ist diesbezüglich, ob dies als Ergebnis eigener oder fremder Wahrnehmung oder Schlussfolgerung dargestellt wird. Ob eine ehrverletzende Behauptung nichterweislicher Tatsachen vorliegt, ist durch Auslegung des objektiven Sinngehaltes der Äußerung ausgehend von ihrem Wortlaut unter Berücksichtigung ihres Kontextes und der gesamten Begleitumstände zu ermitteln, wobei es darauf ankommt, wie ein alle maßgeblichen tatprägenden Umstände kennender unbefangener verständiger Dritter die Äußerung versteht. Auf die subjektive Sicht und Bewertung des Adressaten sowie auf nach außen nicht hervorgetretene Vorstellungen, Absichten und Motive des sich Äußernden kommt es nicht an. Ist eine Äußerung mehrdeutig, darf der Tatrichter nur dann von einer zur Verurteilung führenden Deutung ausgehen, wenn er alle anderen, nicht strafbaren Auslegungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen hat.

Die Feststellung, ob eine Erklärung einen Angriff auf die Ehre einer anderen Person enthält, ist hierbei grundsätzlich Sache des Tatrichters. Dieser muss nicht nur den Wortlaut, sondern auch den Sinn einer Äußerung im Wege der Auslegung feststellen (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 04.11.2019 – 2 Rv 34 Ss 714/19 unter Hinweis auf BGHSt 40, 97; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.03.2003 – III 2b Ss 224/02-2/03). Die Auslegung unterliegt wie die Beweiswürdigung nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Kontrolle. Das Revisionsgericht darf nur überprüfen, ob die Auslegung gegen Sprach- und Denkgesetze, Erfahrungssätze und allgemeine Auslegungsregeln verstößt (BGHSt 21, 371; KG Berlin, Beschl. v. 11.05.1998 – (4) 1 Ss 26/98 (18/98); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.03.2003 – III 2b Ss 224/02–2/03; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 01.06.2004 – 1 Ss 46/04).

Diesen Maßstab zugrunde legend hält die landgerichtliche Auslegung der revisionsrechtlichen Kontrolle nicht stand. Das Landgericht hat die Rede des Angeklagten dahingehend ausgelegt, dieser habe konkludent behauptet, der Nebenkläger habe im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch seine Tätigkeit als Kindergärtner beenden müssen. Bei der vorgenommenen Auslegung bleibt schon unklar, was das Landgericht unter „im Zusammenhang mit“ versteht. Denkbar sind insofern ein eigenes strafbares Verhalten des Nebenklägers oder eine unzureichende Aufarbeitung von Kindesmissbrauchsvorwürfen. Letztlich kann dies offenbleiben, da sich der landgerichtlichen Auslegung nicht entnehmen lässt, worauf diese stützt, dass der Angeklagte die vorgenannten ehrenrührigen Tatsachen als nach eigener Überzeugung als wahr hinstellt. Eine solches Verständnis der Aussagen des Angeklagten liegt ferner auch nicht nahe.

Nach den Urteilsfeststellungen hat die Partei01 das Stellen der Anfrage, von welcher der Angeklagte gesprochen hat, tatsächlich erwogen. Ein Behaupten nichterweislich ehrenrühriger Tatsachen kann daher bereits nicht in der Wiedergabe der tatsächlichen Geschehnisse liegen, sondern kommt von Vornherein nur in Betracht, wenn sich der Angeklagte den inhaltlichen Gegenstand der Anfrage in irgendeiner Form zu eigen gemacht hätte. Ausdrücklich hat er dies – wovon auch das Landgericht ausgegangen ist – nicht getan. Soweit das Landgericht von einem schlüssigen Zueigenmachen ausgegangen ist, lassen sich der Rede des Angeklagten indes hierfür keine konkreten Anhaltspunkte entnehmen. Der Angeklagte hat in der Rede an keiner Stelle erkennen lassen, dass er Kindesmissbrauchsvorwürfe betreffend den Nebenkläger für wahr erachtet.

Zudem hat das Landgericht sich nicht mit naheliegenden Auslegungsalternativen auseinandergesetzt. In Betracht kam als ernsthaft zu erwägende Auslegungsmöglichkeit vorliegend vor allem, dass der Angeklagte anhand dieses wahren Geschehens zum einen darstellen wollte, welche bloßstellende Auswirkungen Anfragen haben können, die sich auf persönliche Verhaltensweisen einzelner Ratsmitglieder beziehen, und wie sich zum anderen die Anfragekultur im Rat bei Einbringung der konkreten Anfrage ändern werde.

Gegen das Zueigenmachen spricht schließlich auch, dass der Angeklagte – wie bereits ausgeführt – betont hat, die konkrete Anfrage abgewendet zu haben und sich lediglich für die Zukunft offengehalten hat, an solchen Anfragen mitzuwirken. Die rechtsfehlerhafte Auslegung des Landgerichts nötigt ausnahmsweise nicht dazu, die Sache zum Treffen neuer Feststellungen zurückzuverweisen.

Zum einen hat das Landgericht den maßgeblichen Sachverhalt vollständig ermittelt. Da es insbesondere den Inhalt der Rede aufgrund eines Handymitschnitts festgestellt hat, sind insofern keine abweichenden oder ergänzenden Feststellungen zu erwarten.

Zum anderen kann der Senat aufgrund der vorgenannten Gesamtumstände ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Auslegung der Äußerungen des Angeklagten zu dem Ergebnis gelangt, dass dieser sich die Kindesmissbrauchsvorwürfe aus der angedachten Anfrage der Partei01 zu eigen gemacht hat, sodass ein Schuldspruch wegen übler Nachrede nicht gerechtfertigt ist.

Der Schuldspruch wegen tateinheitlich begangener übler Nachrede hat daher zu entfallen und der Tenor war – wie geschehen – abzuändern. Ferner war wegen des Entfallens der Verurteilung wegen tateinheitlicher übler Nachrede die Sache im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und zurückzuverweisen.

 

Entnommen aus dem Neuen Polizeiarchiv 10/2023, Lz. 332.

Ministerialrat Dr. Dr. Frank Ebert

Ministerialrat a.D. Dr. Dr. Frank Ebert

Leiter des Thüringer Prüfungsamts a.D., Erfurt
n/a