20.11.2023

Zum bedingt vorsätzlichen oder fahrlässigen Handeln mit Betäubungsmitteln

Urteil des Bundesgerichtshofs

Zum bedingt vorsätzlichen oder fahrlässigen Handeln mit Betäubungsmitteln

Urteil des Bundesgerichtshofs

Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV

Ein Unternehmen für den Vertrieb von Cannabidiol-Produkten führte illegal Waren nach Deutschland ein, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Die angeklagten Beteiligten des Unternehmens wurden vom Landgericht aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Auf Bestreben der Staatsanwaltschaft prüfte nun ein Revisionsgericht des Bundesgerichtshofs den Fall auf Rechtsfehler.

Sachverhalt

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen: Die Angeklagten P., K., E. und A. waren Teilhaber der seit 2018 bestehenden B. B. UG mit Sitz in B. Die Gesellschaft vertrieb Cannabidiol-Produkte (kurz: CBD-Produkte) über Kioske und Spätverkaufsstellen sowie einen Direktverkauf im Internet. Die CBD-Produkte bestanden aus Teilen von Cannabispflanzen, die einen THC-Gehalt von weniger als 0,2 % aufwiesen und in Gläsern zu zwei und fünf Gramm angeboten wurden.

Mit den Betreibern der Verkaufsstellen wurde eine Höchstabgabemenge von fünf Gramm pro Person an einem Tag, eine Abgabe nur an Volljährige und die Untersagung jeglicher Anregung zur Einnahme vereinbart. Auf der Verpackung befand sich der Hinweis: „Räucherware aus fermentiertem EU-zertifizierten Nutzhanf mit einem THC-Gehalt von unter 0,2 % – nicht zur Einnahme geeignet“.


Die Angeklagten waren wie folgt an den Geschäften der B. B. UG beteiligt: K. war Geschäftsführer und Vertriebsleiter. P. übernahm die Auslieferung und das Marketing in den sozialen Medien. S. war ebenfalls in der Geschäftsentwicklung tätig und insbesondere für die Entwicklung des Marketingkonzepts zuständig. E. und A. unterstützten die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft mit ihren Anteilen finanziell; in das operative Geschäft waren sie nicht eingebunden.

Im Rahmen der Geschäftstätigkeit kam es abredegemäß zu folgenden Handlungen: Am 13.01.2019 brachte der Angeklagte K. mit dem Zug sechs Plastiktropffläschchen, die ausschließlich CBD enthielten, und in Plastiktüten gut 3 Kilogramm Blütenstände von Cannabispflanzen mit insgesamt 5,135 Gramm THC bei einem Wirkstoffgehalt von 0,10 bis 0,17 % von der Schweiz nach Deutschland. Am 14.01.2019 verwahrten die Angeklagten K. und S. rund 2,4 Kilogramm Blütenstände von Cannabispflanzen und etwa 1 Kilogramm einer cannabishaltigen Zubereitung mit insgesamt 5,45 Gramm THC bei einem Wirkstoffgehalt von 0,08 bis 0,17 % zum gewinnbringenden Weiterverkauf durch die B. B. UG.

Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt bestellte der Angeklagte S. bei einer in L. ansässigen Firma knapp 7,4 Kilogramm Blütenstände von Cannabispflanzen mit insgesamt 9,11 Gramm THC bei einem Wirkstoffgehalt von 0,11 bis 0,16 %. Die Lieferung wurde am 19.02.2019 vom Zollamt B. entdeckt und beschlagnahmt. Die Angeklagten wussten zwar, dass es sich bei den Produkten um Teile der Cannabispflanze handelte; sie gingen aber davon aus, dass sie – mangels Möglichkeit einer berauschenden Wirkung – nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterfielen.

Das Landgericht hat die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Zwar habe es sich bei den von ihnen vertriebenen CBD-Produkten um Betäubungsmittel gehandelt. Denn sie hätten trotz des geringen THC-Gehalts zu Rauschzwecken missbraucht werden können, indem sie von den Endkunden zu Keksen „verbackt“ und dann als Backware konsumiert worden wären. Insofern sei den Angeklagten aber weder ein (bedingt) vorsätzliches noch ein fahrlässiges Handeln nachzuweisen gewesen.

Die Staatsanwaltschaft greift die Freisprüche mit der Sachrüge an.

StPO – § 261 Zu Rechtsfehlern bei der Beweiswürdigung seitens des Tatgerichts (nichtamtlicher Leitsatz).

Bundesgerichtshof (Urt. v. 16.01.2023 – 5 StR 269/22 – Verlags-Archiv Nr. 23-10-06)

Aus den Gründen

Die Beweiswürdigung des Landgerichts (LG) (§ 261 StPO) hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, soweit sich das LG nicht hat davon überzeugen können, dass die Angeklagten weder bedingt vorsätzlich noch fahrlässig hinsichtlich der Betäubungsmitteleigenschaft der von ihnen vertriebenen Produkte handelten. Zwar muss es das Revisionsgericht grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht Zweifel an dem Vorliegen eines den Angeklagten belastenden Sachverhalts nicht zu überwinden vermag; denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts.

Das Revisionsgericht prüft aber, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind. Diesen Anforderungen ist das LG nicht gerecht geworden.

Die Beweiswürdigung ist schon deshalb mangelhaft, weil sie nicht erkennen lässt, ob das LG die Glaubhaftigkeit der Einlassungen der Angeklagten, ausweislich derer eine Verwendung ihrer CBD-Produkte als Grundlage für eine Rauschwirkung erzeugende Backwaren ihnen nicht in den Sinn gekommen sei, einer kritischen Prüfung unterzogen hat. Es hat die Erklärungen lediglich wörtlich wiedergegeben, ohne sie für sich gesehen kritisch zu würdigen oder in Bezug zu den gegen deren Richtigkeit sprechenden Beweisergebnissen zu setzen.

Dies wäre aber schon deshalb erforderlich gewesen, weil das LG den Einlassungen uneingeschränkt gefolgt ist. Umso mehr wäre ein kritisches Hinterfragen hier geboten gewesen, als vorformulierten Erklärungen allenfalls ein geringer Beweiswert beigemessen werden kann. Der Senat muss daher besorgen, dass das LG den Einlassungen kritiklos gefolgt ist, was schon für sich betrachtet einen Rechtsfehler darstellt. Ungeachtet dessen weist die Beweiswürdigung Erörterungsmängel auf. Zwar müssen die Urteilsgründe nicht jeden beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen.

Das Maß der gebotenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab. Erkennt das Tatgericht auf Freispruch, muss es allerdings in der Beweiswürdigung darlegen, dass es die ersichtlich wesentlichen, möglicherweise gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbezogen und im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung eingestellt hat. Dem ist das LG nicht nachgekommen. Das LG hat sich zum einen darauf gestützt, dass die zur Ermöglichung eines Rauschzustandes einzige realistische Verwendungsform der in Rede stehenden CBD-Produkte durch ein „Verbacken“ zu rauscherzeugenden Keksen „keine klassische und allgemein bekannte“ oder „gängige Konsumform“ sei.

Dem Urteil lässt sich allerdings nicht entnehmen, auf welcher Tatsachengrundlage das LG zu dieser für die Angeklagten sprechenden Einschätzung gelangt ist. Damit ist es den gebotenen Darlegungspflichten nicht gerecht geworden. Dies gilt umso mehr, als Aufbereitungsarten von CBD-Blüten, die eine Anreicherung des THC-Gehalts bewirken und daher bei einem Konsum einen Cannabisrausch erzeugen können, allgemein bekannt sind. Mit Blick darauf hätte sich das LG an dieser Stelle außerdem damit auseinandersetzen müssen, dass die Angeklagten nach den Urteilsfeststellungen für die Vermarktung der CBD-Produkte auch soziale Medien nutzten und regelmäßig Internetrecherchen durchführten.

Angesichts dieser Aktivitäten erschließt es sich nicht ohne Weiteres, weshalb es außerhalb des Vorstellungsvermögens der professionell mit CBD-Produkten befassten Angeklagten gelegen haben soll, dass der Missbrauch ihrer Produkte zur Herstellung rauscherzeugender Backwaren nicht ausgeschlossen war. Die vom LG zugunsten der Angeklagten angenommene Unkenntnis von dem ihrer Verkaufsware innewohnenden Missbrauchspotential steht zudem in Widerspruch zu der Feststellung, dass die Angeklagten umfangreiche Bemühungen angestrengt haben, einem „Missbrauch ihrer Produkte zu Rauschzwecken entgegenzuwirken“.

Zum anderen hat das LG darauf abgestellt, dass die „Außendarstellung und Werbung“ der B. B. UG von dem Willen geprägt gewesen sei, „ihre Produkte … nicht zu Rauschzwecken“ zu vertreiben. Diese Ausführungen belegen, dass das LG seine Würdigung nicht durchgehend am rechtlich zutreffenden Bezugspunkt für die innere Tatseite ausgerichtet hat. Denn maßgeblich ist nicht, ob die Angeklagten ihre Produkte „zu Rauschzwecken … verkauft haben“ oder „aus ihrer Sicht“ in der von ihnen angebotenen Konsumform („Räucherware“) zur Erzeugung eines Rauschzustandes „völlig ungeeignet“ waren.

Es kommt vielmehr darauf an, ob sie wussten oder fahrlässig verkannten, dass ein Missbrauch ihrer Produkte zu Rauschzwecken nicht ausgeschlossen war und diese somit nicht der Ausnahmeregelung unter Buchst. b zur Position Cannabis in der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG unterfielen. Ferner hat es seine Feststellungen zur „Außendarstellung und Werbung“ der B. B. UG nicht ausreichend in die Beweiswürdigung einbezogen. Im Rahmen dessen wurde potenziellen Kunden mitgeteilt, dass entgegen „einiger … Experten, Polizisten und Richter … CBD-Blüten … aufgrund ihres niedrigen THC-Gehalts von unter 0,2 % keinen Rausch“ auslösen könnten. Zwar ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das LG daraus den Schluss gezogen hat, die Angeklagten hätten ihre CBD-Produkte „nicht zu Rauschzwecken angeboten und verkauft“.

Es ist aber ohne weitere Erörterung nicht nachvollziehbar, weshalb den Angeklagten angesichts dieser ihnen bekannten Auffassungen von Polizei und Gerichten das Missbrauchspotential verschlossen geblieben sein soll, zumal sie wussten, dass ihre Produkte Cannabis enthielten, das grundsätzlich dem Betäubungsmittelstrafrecht unterfällt. Dies gilt im Besonderen für die Frage der Sorgfaltspflichtverletzung im Rahmen der Prüfung eines Fahrlässigkeitsvorwurfs. Denn derjenige, der am Handel teilnimmt, muss sich darum kümmern, ob seine Stoffe Betäubungsmittel sind, wenn es für ihn einen erkennbaren Anlass für die Möglichkeit gibt, mit Betäubungsmitteln in straftatbestandsmäßiger Weise umzugehen. Soweit das LG ausgeführt hat, es stellte „eine in keiner Weise überzeugende Wortklauberei“ dar, würde man den Angeklagten aufgrund dieser „Außendarstellung“ die innere Tatseite „unterstellen“, genügt dies der Pflicht des Tatgerichts zu einer tatsachengestützten und rationalen Beweisführung nicht.

Das LG hat zudem außer Betracht gelassen, dass der Angeklagte K. angegeben hat, er habe versucht, am 13.01.2019 aus der Schweiz „die in der Anklageschrift aufgeführten Plastikflaschen mit CBD-Inhalt und die ebenfalls aufgeführten Cannabispflanzen einzuführen“, wobei er „jedoch mit den Zollbeamten jegliche Diskussion“ habe „vermeiden“ und sich „lange Befragungen und Aufenthalte an der Grenze“ habe „ersparen“ wollen. Dies deutet darauf hin, dass die Stoffe verdeckt und heimlich nach Deutschland gebracht werden sollten. Das spräche gegen die von den Angeklagten behauptete – und vom LG als glaubhaft bewertete – Ahnungslosigkeit hinsichtlich der Betäubungsmitteleigenschaft der von ihnen vertriebenen Produkte und wäre daher zu erörtern gewesen.

Zu Recht hat der Generalbundesanwalt darauf hingewiesen, dass die Urteilsgründe entgegen § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO keine Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten enthalten. Solche Feststellungen sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Erkenntnissen notwendig, um nachvollziehen zu können, ob das Tatgericht die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung (§ 46 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 StGB) ermittelt und berücksichtigt hat. Aber auch bei freisprechenden Urteilen ist das Tatgericht aus sachlich-rechtlichen Gründen zu solchen Feststellungen verpflichtet, wenn diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können und deshalb zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind.

Das ist der Fall, wenn vom Tatgericht getroffene Feststellungen zum Tatgeschehen ohne solche zu den persönlichen Verhältnissen nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar und deshalb lückenhaft sind. Danach hätte das LG die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten erörtern müssen. Die Notwendigkeit, diese umfassend in den Blick zu nehmen und nähere Feststellungen zu Lebenslauf, Werdegang und Persönlichkeit der Angeklagten zu treffen und in den Urteilsgründen darzulegen, ergibt sich aus den Feststellungen zum Tatvorwurf. Danach war die Handelstätigkeit der Angeklagten mit einem erheblichen organisatorischen Aufwand verbunden, der auf geschäftliche Erfahrungen und Kenntnisse hinweist.

Das wiederum könnte dafür sprechen, dass die Angeklagten die rechtlichen Voraussetzungen und die Marktchancen ihres Geschäftsvorhabens sorgfältig in den Blick genommen haben, was bei der Beurteilung der inneren Tatseite Bedeutung erlangen kann. Angesichts des festgestellten Handels mit Bestandteilen der Cannabispflanze und dessen Nähe zum Drogenhandel waren zudem Feststellungen und Erörterungen dazu geboten, ob die Angeklagten bereits mit Straftaten, insbesondere aus dem Betäubungsmittelstrafrecht, in Erscheinung getreten sind.

Denn dies vermag unter Umständen Aufschluss darüber zu geben, ob einem Angeklagten die Begehung von Straftaten, die mit der ihm zur Last gelegten vergleichbar sind, wesensfremd ist oder ob er sich über entsprechende Verbote bereits hinweggesetzt hat.

 

Entnommen aus dem Neuen Polizeiarchiv 10/2023, Lz. 404.

 

Norbert Klapper

Kriminalhauptkommissar a. D., Steinfurt/W.
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