Nur jeder dritte Jurastudierende empfiehlt das Studium weiter
Die Ergebnisse der 5. Absolventenbefragung der Bundesfachschaft Jura im Detail
Nur jeder dritte Jurastudierende empfiehlt das Studium weiter
Die Ergebnisse der 5. Absolventenbefragung der Bundesfachschaft Jura im Detail
Kaum ein Studium hat in den letzten Monaten so viel Kritik erlitten, wie das der juristischen Materie. Es scheint, als ob das Studium seit dem 19. Jahrhundert in seiner ursprünglichen Form festgefahren ist – schon Goethe und Bismarck waren zu ihrer Zeit beim Repetitorium anzutreffen. Viele Studierende fordern deshalb eine Reform.
Der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. hat nun zum fünften Mal eine umfassende Untersuchung durchgeführt, um herauszufinden, an welchen Stellen das Jurastudium dringend reformbedürftig ist. Insgesamt haben 1384 Absolventen ihre Erinnerungen und Erfahrungen mit dem Studium geteilt. Ihre Antworten werfen ein beunruhigendes Licht.
Die juristische Ausbildung steht im Zeichen des Wandels, während Studierende zunehmend den Aufbau und Verlauf ihres Studiums hinterfragen. Die mögliche Abschaffung der Gesamtnote, die Einführung des integrierten Bachelors und die Option des E-Examens haben die Studierenden aufhorchen lassen. Die Covid-19-Pandemie hat zudem bestehende Probleme verstärkt und zu geringerer Zufriedenheit geführt, darauf deutet zumindest die Auswertung der Ergebnisse hin. Eine neue Haltung der Veränderung und Reformbereitschaft prägt nun die juristische Ausbildung. So hat die Zufriedenheit der Studierenden mit dem Studiumsaufbau und -verlauf in den letzten zwei Jahren abgenommen. Dies wird durch den Rückgang der Durchschnittszufriedenheit von 5,5 im Jahr 2020 auf 4,95 im Jahr 2022 und die Verschiebung des Höhepunkts von 7 auf 3 belegt.
Hauptproblem: der psychische Druck
Die geringe Zufriedenheit der Jurastudierenden lässt sich auf verschiedene Ursachen zurückführen, darunter insbesondere der enorme psychische Druck, der auf ihnen lastet. Auf einer Skala von 1 bis 10 erreicht dieser Druck einen hohen Mittelwert von 9,3. Die Situation hat sich durch die Auswirkungen der Pandemie weiter verschärft. Die Mehrheit der Befragten hat die Online-Lehre an ihrer Universität als durchschnittlich oder schlechter bewertet. Der Mittelwert liegt bei 5,67. Kein Armutszeugnis, aber auch kein Lobgesang, vielmehr die ambivalente Einschätzung der Studierenden.
Es überrascht daher nicht, dass 55 % der Jurastudierenden angeben, dass die Covid-19-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen einen negativen Einfluss auf ihre Examensvorbereitung oder das Studium im Allgemeinen hatten. Ein weiterer besorgniserregender Fakt ist, dass jeder dritte Studierende unter den negativen gesundheitlichen Auswirkungen der Pandemie litt. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Jurastudierende bereits anfälliger für therapeutische Maßnahmen sind, ist dies ein alarmierender Befund. Neben den gesundheitlichen Herausforderungen zeigt sich auch ein Mangel in der Vermittlung von Schlüsselkompetenzen während der Pandemie.
Schlüsselqualifikationen werden nicht ausreichend gefördert
Infolgedessen lässt sich bestätigen: Wer den Eindruck hat, juristische Methodenlehre, Argumentationstechnik, strukturiertes Arbeiten und wissenschaftliches Arbeiten verstanden zu haben, erreicht bessere Noten in der Ersten Prüfung (doppelt so häufige Abschlüsse mit der Note „Gut“, wenn alle vier Merkmale vorliegen). Gleichzeitig gibt nur jeder zweite Studierende an, das Angebot an Schlüsselqualifikationen an seiner Fakultät für ausreichend zu halten. Ebenso viele Studierende haben außerhalb des Schwerpunktstudiums keine weiteren Fachkenntnisse erworben.
Im Hinblick auf die allgemeinen Kompetenzen offenbart sich eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen dem vermeintlichen Renommee der juristischen Ausbildung und den tatsächlichen Erfahrungen der Absolventen. Bei genauer Betrachtung wird deutlich, dass strukturelles Denken (78 %) sowie Selbstdisziplin und -organisation (71 %) als herausragende Fertigkeiten aus dem Studium hervorgehen. Hingegen scheinen soziale Fähigkeiten wie Gesprächsführung (10 %), Kommunikationsfähigkeit (19 %) und Rhetorik (21 %) nur selten im Fokus der Ausbildung zu stehen. Dies steht in Widerspruch zu den Anforderungen des § 5a des Deutschen Richtergesetzes (DRiG), in dem explizit Streitschlichtung und Mediation als relevante Kompetenzen genannt werden.
Es zeigt sich jedoch, dass diese Aspekte nur begrenzten Einfluss auf die praktische Studienerfahrung haben. Interessanterweise haben die jüngsten Änderungen des DRiG, die eine Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrecht und dem Unrecht der SED-Diktatur in den Pflichtfächern fordern, bisher kaum Auswirkungen gezeigt (10 % und 2 %). Es bleibt eine Herausforderung, diese Vorgaben in die tatsächliche Lehrpraxis zu integrieren.
Die juristische Ausbildung steht vor der wichtigen Aufgabe, die Kluft zwischen ihrem vermeintlichen Ruf und den tatsächlich vermittelten Kompetenzen zu überbrücken. Es bedarf eines professionellen Umdenkens, um sicherzustellen, dass Absolventen nicht nur über solide fachliche Kenntnisse, sondern auch über die unerlässlichen sozialen Fertigkeiten verfügen, die für eine moderne und gerechte Rechtspraxis von entscheidender Bedeutung sind. Nur so kann die Ausbildung den wahren Bedürfnissen der Studierenden und den Anforderungen der Gesellschaft in angemessener Weise gerecht werden.
Beim 2. Staatsexamen ist von Studierenden mehr Flexibilität gewünscht
Das System des Staatsexamens wird zwar bis zur Zwischenprüfung grundsätzlich gelobt, spätestens aber beim 2. Staatsexamen wünschen sich Studierende mehr Flexibilität. Das Staatsexamenssystem erzielt lediglich eine durchschnittliche Zufriedenheitsbewertung von 4,28 auf einer Skala von 1 bis 10. Dieses Ergebnis verdeutlicht, dass viele Teilnehmende mit dem bestehenden Prüfungssystem unzufrieden sind oder zumindest Raum für Verbesserungen sehen. Die kritische Betrachtung dieser niedrigen Zufriedenheitsrate ermöglicht es, Schwachstellen zu erkennen und gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um die Qualität des Staatsexamens langfristig zu verbessern. Es ist evident, dass das gegenwärtige Prüfungssystem Herausforderungen aufweist, die die Zufriedenheit der Studierenden beeinträchtigen. Die Identifizierung dieser Schwachstellen ist ein erster Schritt, um zukünftige Reformen anzustoßen und das Staatsexamenssystem zu optimieren.
1. Staatsexamen: Uni-Prüfung vor staatlichem Teil
Bezüglich der Reihenfolge des 1. Staatsexamens entscheiden sich immer noch 60 % der Studierenden, erst den universitären Teil und dann den staatlichen Teil zu absolvieren. Die Reihenfolge hat dabei keinen Einfluss auf die Note.
Der Schwerpunkt wird grundsätzlich mehr befürwortet als noch 2020: Auf der Skala von 8 bis 10 haben sich 49 % (2020: 47 %) für die Sinnhaftigkeit des Schwerpunktstudiums ausgesprochen. Diejenigen, die ihren Schwerpunkt zudem aus persönlichem Interesse auswählen, empfehlen das Studium eher weiter als diejenigen, die den Schwerpunktbereich aus anderen Gründen wählen. Die Fakultäten sollten also angehalten sein, eine Bandbreite an Schwerpunktbereichen anzubieten, um dem Juristenmangel entgegenzuwirken.
Bemängelt wird lediglich, dass die Freischussfrist sehr kurz berechnet sei. Jeder zweite Studierende ist der Meinung, dass bei der Durchführung des Schwerpunktbereichs vor dem staatlichen Teil eine angemessene Vorbereitung auf den Freischuss im staatlichen Teil nicht möglich ist; beginnt doch ein Großteil der Studierenden erst im 7. Semester mit der Examensvorbereitung. Nichtsdestotrotz haben 2/3 der Studierenden den Freischuss wahrgenommen.
Kommerzielle Repetitorien sind weiterhin beliebt
Das kommerzielle Repetitorium erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit: 60 % der Studierenden wählen diese Art der Examensvorbereitung (Im Vergleich: Nur 23 % besuchen das universitäre Repetitorium). Diejenigen, die zusätzlich einen Klausurenkurs, egal ob kommerziell oder universitär, besuchen, erreichen eher ihr Notenziel (61 % zu 39 %). Ein kommerzielles Repetitorium muss auch nicht zwingend besucht werden, um ein Prädikat zu erreichen. Im Gegenteil: Wer kein kommerzielles Repetitorium besucht, erreicht eher sein Notenziel. Kritik besteht aber nach wie vor an den universitären Repetitorien, bei einer durchschnittlichen Bewertung von 6,8/10 haben die universitären Repetitorien doch eher einen ausbaufähigen Ruf.
Spannend ist allerdings, dass doppelt so viele Studierende das kommerzielle Repetitorium aufgrund des zu starken Drucks seitens der Repetitoren abbrechen. Studierende, die das Gefühl haben, dass ihr Jurastudium sie nicht ausreichend auf die Herausforderungen der Ersten Prüfung vorbereitet hat, sind deutlich zögerlicher, wenn es darum geht, das Studium weiterzuempfehlen. Hier liegt eine eindeutige Verantwortung bei den staatlichen Institutionen und den Fakultäten, das Studium besser auf diese entscheidende Prüfung auszurichten. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Nur 1,5 % der Befragten (im Vergleich zu 6,2 % im Jahr 2020) sind der Meinung, dass sie eine sehr gute Vorbereitung erhalten haben. Demgegenüber fühlen sich 20 % überhaupt nicht ausreichend vorbereitet – ein alarmierender Anstieg.
Die überwältigende Mehrheit der Teilnehmenden (insgesamt 74 %) ist zudem der Meinung, dass die Diskrepanz zwischen den Anforderungen im Grund- und Hauptstudium im Vergleich zur Examensvorbereitung viel zu groß sei. Hier besteht zweifellos ein deutliches Verbesserungspotenzial. Die Stimmen der Studierenden sind laut und deutlich: Das Studium sollte von Anfang an stärker auf das Examen ausgerichtet sein (66 %) und Leistungen sollten bereits während des Studiums in die Gesamtnote einfließen (67 %) Diese Forderungen sind ein Spiegelbild des Bedarfs an einer umfassenderen und effektiveren Vorbereitung auf das Examen. Die Studierenden haben erkannt, dass eine bessere Ausrichtung des Studiums auf die Erste Prüfung und eine Reduzierung der Diskrepanz zwischen den Studienphasen entscheidend ist, um die Zufriedenheit der Studierenden zu steigern und ihnen eine solide Grundlage für ihren weiteren beruflichen Werdegang zu bieten. Es liegt an den Verantwortlichen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um diese dringenden Verbesserungen umzusetzen.
88 Prozent sprechen sich für einen integrierten Bachelor-Abschluss aus
Dem könnte Abhilfe durch einen integrierten Bachelor geschaffen werden. Ein deutlicher Trend hin zur Akzeptanz eines integrierten Bachelor-Abschlusses zeichnet sich ab. Während sich im Jahr 2016 noch knapp unter 70 % für und über 30 % gegen die Einführung aussprachen, stieg die Zustimmung bei der jüngsten Umfrage 2022 auf knapp 88 %, während nur noch 7 % dagegen waren. Auch der Umfang des Prüfungsstoffs gerät in die Kritik: Dreiviertel aller Absolventen empfinden ihn als zu umfangreich. Der Wert, der seit Beginn der Befragung kontinuierlich ansteigt, gibt deutliche Hinweise auf eine unzureichende Kürzung seitens der Justizprüfungsämter.
Es ist bemerkenswert, dass die Anzahl der zu behandelnden Rechtsgebiete von Jahr zu Jahr zunimmt, während die Kürzungen ungleichmäßig erfolgen und dadurch die Herausforderungen für die Studierenden weiter erschweren. Dieser Trend verdeutlicht, dass eine dringende Überprüfung der Kürzungspraktiken erforderlich ist, um sicherzustellen, dass das Studium angemessen auf die Prüfungen vorbereitet. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Justizprüfungsämter ihre Verantwortung wahrnehmen und die Inhalte des Studiums in einem ausgewogenen Verhältnis zu den Anforderungen der Rechtsgebiete anpassen.
Bis 2028 soll es das E-Examen bundesweit geben
Doch nicht alles ist negativ: Das E-Examen, das bis Ende 2028 in allen Bundesländern eingeführt werden soll, erfreut sich großer Beliebtheit. Durch ein E-Examen könnte auch eine objektivere Bewertung erfolgen und dadurch die Attraktivität der juristischen Ausbildung steigen: Diejenigen, die überzeugt sind, dass die Korrektur objektiv erfolge, empfehlen das Studium doppelt so oft weiter als diejenigen, die die Korrektur als subjektiv empfinden.
Dass insgesamt nur jeder dritte Absolvent das Studium weiterempfiehlt, zeigt den großen Reformbedarf. Es ist von zentraler Bedeutung, dass die Rückmeldungen und Erfahrungen der Studierenden ernst genommen werden, um das Prüfungssystem den Bedürfnissen und Erwartungen der Beteiligten anzupassen. Dies erfordert einen offenen Dialog zwischen den zuständigen Behörden, den Studierenden und anderen relevanten Akteuren, um gemeinsam Lösungsansätze zu entwickeln. Während der Juristenmangel sich also schon fast zur neuen Norm bewegt hat, bleiben Justizministerien und -prüfungsämter dem Reformgedanken weit entfernt. „Korrigiert wird grundsätzlich nur nach unten“ – scheint der einzige Konsens zu sein, auf den die Justizministerkonferenz zuweilen sich einigen konnte.
Während also der Nachwuchs bereits fehlt, werden Konzepte wie das Abschichten abgeschafft, der integrierte Bachelor belächelt und Ruhetage als überflüssig erklärt. Eine optimale Law-Life-Balance scheint mit den Tränen über die Erste juristische Staatsprüfung weiter zu verfließen.
Wer sich engagiert, kommt doppelt so oft auf „Gut“
Studierende, die sich im Studium engagieren, schneiden auch besser im Staatsexamen ab und erreichen doppelt so häufig ein „Gut“. Daher hier die Ermutigung an alle Studierenden: Engagiert Euch.
Mehr Infos sowie der vollständige Abschlussbericht finden sich hier.
Entnommen aus Recht reloaded 1/2023, S. 17.