17.11.2023

Kompetenzentwicklung in der beruflichen Bildung

Durch Anpassungen in der Lehre weiterhin qualifiziertes Personal für die Kommunalverwaltung aus- und weiterbilden!

Kompetenzentwicklung in der beruflichen Bildung

Durch Anpassungen in der Lehre weiterhin qualifiziertes Personal für die Kommunalverwaltung aus- und weiterbilden!

Bundestagung der Studieninstitute 2023 in Kiel. |  © Anika Ehlers
Bundestagung der Studieninstitute 2023 in Kiel. | © Anika Ehlers

Die Kompetenzen der kommunalen Nachwuchskräfte verändern sich: Durch eine Neuausrichtung der Lehre die Qualität der Aus- und Weiterbildung sichern.

Was können wir in der beruflichen Aus- und Weiterbildung verändern, um das Niveau in unseren Kursen und der Berufsabschlüsse zu halten? Mit dieser Frage hat sich das Studieninstitut Westfalen-Lippe (stiwl) in den letzten Monaten beschäftigt. Durch eine Analyse der Zielgruppe und einen intensiven Austausch mit der Praxis hat das stiwl eine Strategie entwickelt, um den Veränderungen zu begegnen. Diese Strategie stellte Anika Ehlers auf der Bundestagung der Studieninstitute in Kiel vor.

Wer sind die zukünftigen Nachwuchskräfte?

Die Personen, die derzeit und den nächsten Jahren als Nachwuchskräfte in den Kommunen eingestellt werden, gehören überwiegend zu den sog. Digital Natives. Dies sind Personen, die heute zwischen 15 und 30 Jahre alt sind. Ein Kennzeichen dieser Personengruppe ist, dass sie mit digitalen Geräten aufgewachsen ist.


Man sagt der Zielgruppe eine ausgeprägte Selbstdarstellungskompetenz nach. Sie hat ein großes Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit und ist deshalb davon überzeugt, durch das eigene Handeln alle Probleme meistern zu können. Mit der Selbstwirksamkeit geht auch der Wunsch einher, ein gutes Gehalt zu verdienen.

Zugleich hat die Zielgruppe jedoch ein ausgeprägtes Bedürfnis nach stabiler Work-Life-Balance.

Im Positiven bringt sie ein hohes Maß an Flexibilität mit. Sie ist deutlich resilienter, als dies bei vorangehenden Generationen der Fall war. Sie besitzt insbesondere die Fähigkeit, sich neue Technologien anzueignen. Sie ist stets auf der Suche nach neuen Grenzen und unkonventionellen Erfahrungen, Lösungen und Erfolgen.

Welche Stärken und Schwächen stellt die kommunale Praxis fest?

Es gibt verschiedene Studien mit Rückmeldungen von Arbeitgebern, die zu dem Ergebnis kommen, dass die Leistungen der heutigen Nachwuchskräfte in der Praxis nachlassen. Das stiwl wollte in Erfahrung bringen, ob diese Veränderungen sich auf die Kommunalverwaltung übertragen lassen, also ob auch die kommunalen Ausbildungsleitungen im Umgang mit den derzeitigen Nachwuchskräften einen Leistungsabfall feststellen. Dafür hat das stiwl im Mai 2023 die Ausbildungsleitungen im Gebiet des Studieninstituts Westfalen-Lippe befragt. Die Fragestellung lautete

Stellen Sie bei den Kompetenzen/ Fähigkeiten/ Ausführungen Ihres Nachwuchspersonals in der Praxis eine Verbesserung/ Verschlechterung fest? Welche Kompetenzen/Fähigkeiten/ Ausführungen haben sich verbessert/verschlechtert?

50% der teilnehmenden Kommunen haben zurückgemeldet, dass sie Veränderungen zum Negativen bei den Fähigkeiten ihres Nachwuchspersonals feststellen. Die nachfolgende Abbildung zeigt die benannten Kompetenzveränderungen in Abhängigkeit von der Anzahl ihrer Benennung.

Umfrage Ausbildungsleitungen stiwl | © Anika Ehlers

Rund 20 % der Befragten haben positive Veränderungen zurückgemeldet. Die gestiegenen Kompetenzen wurden in folgenden Bereichen wahrgenommen:

Umfrage Ausbildungsleitungen stiwl – Steigende Kompetenzen | © Anika Ehlers.

Damit hat die Umfrage bestätigt, dass sich die Kompetenzen und Fähigkeiten der Nachwuchskräfte bereits spürbar verändert haben.

Neben dieser Kompetenzentwicklung gibt es eine weitere Entwicklung beim Personal Recruiting der Kommunalverwaltungen, die das stiwl vor eine Herausforderung stellt: Der Personalmangel in den Kommunen nimmt bereits deutlich zu. Dies führt dazu, dass die Anforderungen an neu einzustellendes Personal sinken. Es werden Personen ausgewählt und eingestellt, die vor einigen Jahren keine Chance gehabt hätten. Zudem wird auch die Zielgruppe des neu einzustellenden Personals breiter. Am stiwl sind bereits jetzt die Hälfte aller Teilnehmenden sogenannte Quereinsteigende. Das neu eingestellte Personal bringt verschiedenste Vorbildungen aus unterschiedlichen Branchen und Studienrichtungen mit. Die Zusammensetzung der Kurse wird dadurch immer heterogener.

Diese verschiedenen Kompetenzentwicklungen stellen die Studieninstitute und die Kommunen vor die große Herausforderung, auf die unterschiedlichen Anforderungen und Bedürfnisse einzugehen, um trotzdem weiterhin alle Nachwuchskräfte gleichermaßen gut und qualifiziert aus- und weiterzubilden.

Was kann in der Aus- und Weiterbildung verändert werden, um auf die Kompetenzentwicklung zu reagieren?

Das Studieninstitut hat 7 Punkte herausgearbeitet, nach denen die Lehre am stiwl zukünftig ausgerichtet wird. Diese Punkte sollen die Schwächen der Nachwuchskräfte schwächen und ihre vorhandenen Stärken stärken.

1. Moderne Lernumgebung

Spätestens seit den Erfahrungen der digitalen Lehre zur Bewältigung der Corona-Krise ist das stiwl zu der Überzeugung gelangt, dass die Digitalisierung kein Selbstzweck sein darf. Am stiwl werden digitale Medien dort eingesetzt, wo sie den Unterricht verbessern oder unterstützen und somit eine sinnvolle Neuerung sind. Dazu gehört z.B. die Einführung einer Digitalen Gesetzessammlung und Tablets in Prüfungen, wohingegen sich das stiwl gegen den Einsatz von digitalen Whiteboards entschieden hat.

Auch im Bereich der Onlinelehre lautet die Devise schon lange nicht mehr, überall Distanzunterricht zu planen. In den Ausbildungslehrgängen hat sich die Onlinelehre nicht bewährt. In diesen Kursen ist deshalb seit dem letzten Lockdown nahezu kein Online-Unterricht mehr angesetzt. Bewährt hat sich die Onlinelehre im Verwaltungslehrgang II. Hier können die Dozierenden bis zu einer bestimmten Quote ihr Fach in Distanz unterrichten. Der Kreis der Teilnehmenden hat gezeigt, dass die erforderliche Eigenorganisation und Selbstdisziplin dafür vorhanden sind.

2. E-Learning und Selbstlernkompetenz

Die Nachwuchskräfte in den Lehrgängen am stiwl fühlen sich vermehrt mit dem Lernen für Klausuren und Prüfungen überfordert. Sie fordern Unterstützung und Material von den Dozierenden ein, während die Eigenleistung und der Einsatz bei der Erarbeitung des Lernstoffs z.T. zu wünschen übrig lässt und steigerungsbedürftig ist.

Das stiwl hat sich bewusst dazu entschieden, nicht an jeder Stelle auf die z.T. überzogenen Forderungen der Lehrgänge einzugehen. Stattdessen will das stiwl die Nachwuchskräfte selbst in die Verantwortung nehmen.

Zu diesem Zweck wird am stiwl derzeit eine digitale Lernwelt entwickelt, die in Form von Lernmodulen das Grundlagenwissen in allen Fächern überprüft. Für die Ausbildungslehrgänge und den Verwaltungslehrgang I ist dies eine Lernunterstützung bei der Vorbereitung auf die Prüfung. In den Verwaltungslehrgänge II – und insbesondere den Quereinsteigenden – hilft die Lernwelt, das Grundlagenwissen der Erstausbildung zu erarbeiten bzw. zu wiederholen. Durch die Lernwelt wird den Teilnehmenden die Kompetenzerlangung in die eigene Hand gelegt: Durch die Lernwelt sollen die Teilnehmenden spielerisch zum wiederholenden Selbststudium animiert werden.

Die wiederholende Lernwelt ist ein neuer Ansatz am stiwl. Zuvor war die Strategie darauf ausgerichtet, E-Learning Module zu konzipieren, um dadurch primär Unterrichtsanteile zu ersetzen und sie in das angeleitete Selbststudium auszugliedern.

3. Angepasste Kurskonzepte und gemeinsames Lernen

Bereits seit mehreren Jahren bietet das stiwl im Bereich Verwaltungslehrgang II spezielle Lehrgänge für Quereinsteigende an. Diese haben sich zu einem Erfolgsmodell entwickelt. Durch ein eigenes Kurskonzept kann das stiwl gezielt auf die Bedürfnisse der Quereinsteigenden eingehen (z.B. durch einen integrierten Zulassungslehrgang, veränderte Stundenzuteilungen und zusätzliche Fächer). Die Kurse für Quereinsteigende werden berufsbegleitend oder in kompakter Form mit Blockunterricht angeboten.

4. Medienkompetenz, Personalführung

Die Medienkompetenz der Nachwuchskräfte ist merklich gestiegen. Dieses bezieht sich insbesondere auf die Mediennutzung und die Medienkunde. Die Lehre sollte die Medienkompetenz im Unterricht einfordern und weitere Kompetenzen in der Mediengestaltung vermitteln. Daneben ist der Bereich der Medienkritik steigerungsbedürftig. Den Lehrgängen sollen Recherchekompetenz vermittelt werden, indem sie lernen, zwischen sicheren und unsicheren Quellen zu differenzieren. Dazu gehören auch Grundkenntnisse im Umgang mit Urheberrecht sowie Datenschutz.

Medienkompetenz | © Anika Ehlers.

5. Kommunikationskompetenz und Wertevermittlung

Die Rückmeldungen der Ausbildungsleitungen stellen sinkende Kompetenzen im Bereich der schriftlichen Ausdrucksfähigkeit, der Sorgfalt und im Bereich der Umgangsformen fest.

Das stiwl will deshalb die Kommunikationskompetenz der Teilnehmenden stärken. Im Unterricht liegt das Augenmerk auf dem Training sprachlicher Kompetenzen und der Erlangung eines soliden, schriftlichen Ausdrucksvermögens. Am stiwl wird deshalb von Anfang an Wert darauf gelegt, die Teilnehmenden „ins Schreiben“ zu bringen. In allen Rechtsfächern werden Rechtsgutachten trainiert und geübt. Wenn eine Learning-App insbesondere den Vorteil bringt, dass nicht so viel Text abgeschrieben werden muss, dann hat sich das stiwl in Einzelfällen sogar schon aktiv gegen die digitale Lösung entschieden, zugunsten der Schreibübung. Die Strategie des stiwl knüpft somit nicht zwingend an den digitalen Kompetenzen der Nachwuchskräfte an, sondern setzt auch gezielt auf die klassischen, herkömmlichen Methoden.

Zudem müssen die Werte und Normen der Kommunikation vermittelt werden („Knigge“ der digitalen Kommunikation) und auch an mathematischen Grundkenntnissen fehlt es regelmäßig. Diese Kompetenzen sollen zukünftig in der digitalen Lernwelt mit erarbeitet werden können.

6. Prozessdenken

Prozessdenken ist in der digitalisierten Welt und für die Arbeitsplätze der Zukunft von elementarer Bedeutung.

Das stiwl fördert Prozessdenken, indem mit den Kursen Problemlösungskompetenz trainiert wird. Die Fächer der einzelnen Unterrichte sollen, wann immer es möglich ist, zu Lernfeldern vernetzt werden, um den Nachwuchskräften so ein ganzheitliches Verständnis zu vermitteln.

Strategische Ausrichtung der Lehre | © Anika Ehlers.

7. Verzahnung mit der Praxis

Den letzten Baustein der strategischen Ausrichtung stellt die Verzahnung mit den Kommunen dar.

Es gibt Bereiche, die nicht durch Veränderungen in der Lehre allein in Angriff genommen werden können. Hier ist das stiwl auf eine gute Zusammenarbeit und ein abgestimmtes Vorgehen mit der Praxis angewiesen.

  • Hoher Anteil an nebenamtlichen Dozierenden

Die Qualität der Aus- und Weiterbildung liegt zu einem hohen Anteil an der praxisnahen Ausrichtung der Lehre. Gerade in den sehr praxisrelevanten Fächern legt das stiwl großen Wert darauf, dass der Unterricht von Praktikern gegeben wird, die aktuelle Fälle mitbringen (z.B. Recht der Gefahrenabwehr, Sozialrecht, Kommunalrecht). Hier braucht das Studieninstitut die Unterstützung der Kommunen als Arbeitgeber und einen wohlwollenden und fördernden Umgang mit der Nebentätigkeit in der Lehre.

  • Enge Zusammenarbeit mit den Ausbildungsbehörden

Nur durch einen engen und regelmäßigen Austausch mit den Ausbildungsleitungen ist das Studieninstitut „am Puls der Zeit“ und kann neue, an die Bedarfe angepasste Angebote generieren.

  • Kommunikation und Prozessdenken

Die Kommunen müssen ihrerseits die Kommunikations-Etikette, die sie sich wünschen, auch trainieren. Auch sprachliche Defizite müssen in der Praxis angegangen und trainiert werden (z.B. durch Fortbildungen). Daneben kann auch die Praxis Prozessdenken fördern. Prozesse sollten visualisiert und Abteilungen vernetzen werden. Im Fokus sollten nicht nur die eigenen Aufgaben stehen, sondern auch die vor -und nachgelagerten Arbeitsabläufe.

  • Leistungsförderliches Arbeitsklima

Ein Studieninstitut hat keinen Einfluss auf das Arbeitsklima, das die Nachwuchskräfte in der Kommune erleben. Die Kommunen sollten der Zielgruppe einen attraktiven Arbeitsplatz bieten. Dazu gehört eine gute technische Ausstattung als Standard zu etablieren und die Nachwuchskräfte auch neigungs- und interessengerecht einzusetzen. Sie sollten Verantwortung übertragen bekommen, um so durch Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume auch Selbstwirksamkeit zu erfahren.

  • Führung

Die theoretisch erlangten Erkenntnisse zur Personalführung können zukünftige Führungskräfte nur umsetzen, wenn in den Kommunen ein Führungswandel hin zu einer transformationalen Führung stattfindet. Die Nachwuchskräfte von heute und morgen wünschen sich Wertschätzung und Anerkennung. Sie wollen motiviert und auf ihrem Weg begleitet werden. Dafür bedarf es regelmäßiger Beurteilungs- und Feedbackgespräche mit dem*der Vorgesetzten. Er*sie muss sich Zeit nehmen (dürfen) für eine individuelle Karriereplanung und die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden. Es muss ein Wandel stattfinden, hin zu einer wertschätzende Vertrauenskultur „auf Augenhöhe“.

Die Kommunalverwaltung braucht weiterhin qualifiziertes Personal. Das Ziel muss sein, durch die Neuausrichtung der Lehre und einen Schulterschluss mit den Kommunen motivierte, zufriedene und leistungsstarke Mitarbeitende aus- und weiterzubilden.

 

Anika Ehlers

Leiterin Fachbereich Ausbildung in Münster am Studieninstitut Westfalen-Lippe
n/a